5 Minuten Lesezeit 6 Dezember 2023
Geschäftsmann arbeitet an seinem Tablet

Fokus auf den Menschen: Wie eine digitale Verwaltung allen hilft

Von Julia Watson

Partnerin Technology Consulting, EY Consulting GmbH | Deutschland

Unterstützt Unternehmen dabei, Kunden ins Rampenlicht zu stellen und Mitarbeitenden maßgeschneiderte Bühnenwerkzeuge an die Hand zu geben; leidenschaftlich in Fragen der Gleichstellung engagiert

5 Minuten Lesezeit 6 Dezember 2023

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Die Digitalisierung des öffentlichen Dienstes drängt. Zum Erfolg wird sie, wenn die Bedürfnisse der Bürger:innen im Vordergrund stehen.

Überblick
  • Der Druck, die öffentliche Verwaltung zu digitalisieren, existiert schon lange. Die demografische Entwicklung und ein verändertes Nutzerverhalten machen den Wandel noch dringlicher. 
  • Digitalisierung darf nicht um ihrer selbst willen erfolgen. Im Vordergrund stehen die Bürger:innen und ihre Erwartungen.
  • Ein kompletter Umbau der IT-Systeme ist nicht möglich aber auch nicht notwendig. Viele Lösungen lassen sich in die bestehenden IT-Architekturen integrieren. 

Co-Autoren

  • Sören Bleßmann

    Sören Bleßmann ist Director bei EY und begleitet seine Public-Sector-Kunden in strategischen und operativen Fragestellungen rund um die anwenderzentrierte Digitalisierung von Verwaltungsprozessen und Bürgerportalen, beginnend bei der Auswahl geeigneter Technologien über die Entwicklung von Prototypen bis hin zur Implementierung innovativer End-to-End-Lösungen.

  • Daniel Flörchinger

    Daniel Flörchinger ist Senior Manager bei EY und begleitet seine Kunden im Public Sector von der Konzeption der Strategie bis hin zur operativen Umsetzung der Digitalisierungsvorhaben. Neben der generellen Digitalisierung der Verwaltung steht dabei auch immer der Mensch im Vordergrund, der die Lösungen anwendet (Bürger:in oder Mitarbeiter:in).

Egal ob es um den Antrag auf Fördermittel, die Verlängerung des Reisepasses, die Anmeldung eines neuen Autos oder eine Baugenehmigung geht: In Deutschland fehlen der öffentlichen Verwaltung für diese Aufgaben immer noch allzu häufig digitale Angebote. In internationalen Ranglisten schneidet die Bundesrepublik meist nur im Mittelfeld ab. In der Rubrik „Digitale öffentliche Verwaltung“ des Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft der EU-Kommission schaffte es Deutschland 2022 nur auf Platz 18 unter den 27 EU-Staaten.

Dabei herrscht seit Jahren ein breiter Konsens darüber, dass eine Vielzahl der Bürgerservices auf Bundes- und Landesebene dringend digital verfügbar sein sollten. Digitalisierung ist aber kein Selbstzweck, sie sollte vor allem die Erwartungen der Nutzenden in den Blick nehmen. An der Nachfrage seitens der Bürger:innen herrscht ohnehin kein Zweifel. Laut dem eGovernment MONITOR 2023 sehen 71 Prozent der Deutschen einen klaren Mehrwert von digitalen Angeboten in der Verwaltung.

Gleichzeitig sind aber 42 Prozent der Bevölkerung mit dem derzeitigen Angebot nicht zufrieden, trotz der diversen Initiativen der vergangenen Jahre. So hat Deutschland ein Ministerium für Digitales und Verkehr, der Digitalpakt soll die Digitalisierung von Schulen fördern und im Koalitionsvertrag wurde unter anderem die vollständige Digitalisierung von Verwaltungsvorgängen versprochen.

Nutzerverhalten ändert Erwartungen an die Verwaltung

Der Druck steigt spürbar. Schließlich haben sich mit der Digitalisierung immer weiterer Bereiche des Alltags die Erwartungen der Bürger:innen grundlegend geändert. Sie sind es gewohnt, auch außerhalb von Öffnungszeiten unkomplizierte technische Lösungen zu nutzen, Aufträge in einer App abzuarbeiten, Dokumente digital zu erfassen oder Informationen elektronisch abzufragen. Sie erwarten einen freundlichen Service, kompetente Beratung und die schnelle Erledigung von Anliegen. Sie rechnen auch im Austausch mit dem öffentlichen Dienst mit intuitiv bedienbaren und untereinander vernetzten Portalen, wie sie sie längst von Bankgeschäften, Urlaubsbuchungen oder Online-Shopping gewohnt sind.

An diese veränderten Bedürfnisse muss sich die Verwaltung anpassen. Sie muss die „Bürokratie“ entstauben, Prozesse klarer strukturieren und ihre Bedienung einfacher machen. 

Steigendes Antragsaufkommen und demografischer Wandel machen Druck

Außerdem haben die Zahl und der Umfang der Aufgaben, die schnell und umfassend erledigt werden müssen, zuletzt an vielen Stellen zugenommen. Die COVID-19-Pandemie und die Energiekrise sind nur zwei Beispiele – in beiden Fällen mussten nach der Ankündigung finanzieller Hilfen durch die Politik in kürzester Zeit Anträge erfasst, bearbeitet und Mittel verteilt werden. Herkömmliche Methoden stoßen bei diesen Aufgaben rasch an Grenzen. Digitale Prozesse und die Vernetzung von Behörden helfen, das Anfrageaufkommen zu erledigen. 

Hinzu kommt der demografische Wandel. Schon heute fehlen im öffentlichen Dienst mehr als 300.000 Mitarbeitende. Das relativ hohe Durchschnittsalter von 45 Jahren macht deutlich, dass sich das Problem in den kommenden Jahren weiter verschärfen wird. In den nächsten zehn Jahren erreichen 27 Prozent der Beschäftigten das Rentenalter, die geburtenstarke Gruppe der sogenannten Babyboomer scheidet aus der Verwaltung aus. Doch der Arbeitsmarkt bleibt eng, Personal ist knapp, die Lücken lassen sich nicht einfach auffüllen.

Digitalisierung stärkt Attraktivität der Aufgabenbereiche in der Verwaltung

Erledigt werden muss die Arbeit dennoch. Digitalisierung, Automatisierung und Prozessoptimierung können dabei einen erheblichen Beitrag leisten. Gleichzeitig werden die für die Angestellten verbleibenden Aufgaben attraktiver. Repetitive und eintönige Arbeitsschritte der Sachbearbeiter:innen entfallen durch die Automatisierung idealerweise zu einem erheblichen Teil. Das verschafft ihnen die Freiheit, sich auf attraktivere Aufgabenfelder zu konzentrieren, und unterstützt auch den verwaltungsinternen Wechsel in andere Abteilungen. Damit sind nicht nur die jeweiligen Arbeitsfelder ansprechend, mit einer intuitiven Bedienbarkeit fällt auch die Einarbeitung leichter.

Schließlich steigt mit einer digitalen modernen Arbeitsumgebung die Attraktivität des öffentlichen Dienstes als Arbeitgeber. Um die jungen Berufseinsteiger:innen buhlen ganz unterschiedliche Branchen. Wer sich dynamisch und fortschrittlich präsentiert, verbessert seine Chancen.

Trotz der zahlreichen Argumente für den digitalen Umbau der Verwaltung: In vielen Behörden herrscht in Sachen Digitalisierung weiterhin erhebliche Zurückhaltung. Der Verweis auf die Kosten wird ergänzt durch die Sorge, dass sich neue technische Lösungen womöglich nicht an die bestehenden Systeme anpassen lassen. Unausgesprochen bleiben oft grundsätzliche Bedenken gegenüber einem Wandel, den viele Angestellte möglicherweise skeptisch sehen. 

Die demografische Entwicklung und veränderten Erwartungen an die öffentliche Verwaltung auf der einen und ein steigendes Antragsaufkommen auf der anderen Seite erhöhen den Druck, die Digitalisierung voranzutreiben.

Klare Kommunikation zum Abbau von Vorurteilen

Umso wichtiger ist es, einen solchen Schritt umfassend vorzubereiten und die Transformation angemessen zu begleiten. Grundsätzlich gilt es, die Menschen, die die Systeme nutzen – Bürger:innen, Unternehmen, aber auch die Mitarbeitenden in der Verwaltung –, in den Mittelpunkt zu stellen. Verwaltungsprozesse und -leistungen sollten konsequent einfach, digital sowie bürger- und nutzerzentriert gestaltet werden. Nur so lassen sich die hohen Erwartungen der Öffentlichkeit und der Angestellten an eine jederzeit erreichbare, effiziente und vernetzte Verwaltung erfüllen und das Vertrauen in die staatliche Leistungsfähigkeit verbessern.

Entscheidend ist darüber hinaus eine klare Kommunikation innerhalb der Organisation. Oft stecken noch negative Erfahrungen mit schlecht umgesetzten oder nicht gut nutzbaren IT-Lösungen aus der Vergangenheit in den Köpfen der Menschen. Das führt zu Ängsten und Vorurteilen gegenüber neuen technischen Prozessen. Doch Module, Lösungen und Schnittstellen lassen sich heute – nicht zuletzt dank kontinuierlicher Weiterentwicklung aufseiten der Technologieanbieter – deutlich einfacher implementieren. Auch Einarbeitung und Nutzung haben deutlich an Komplexität verloren. 

Bestehende Module bilden viele Funktionalitäten ab 

Aus technischer Sicht lässt sich heute eine Vielzahl von Anwendungen in die bestehenden Systeme integrieren, ohne dass das Umfeld ausgetauscht werden muss. Spezialisierte Anbieter digitaler End-to-End-Plattformen haben eine große Auswahl standardisierter Module im Programm, die sie durch anwenderfreundliche Konfigurationsmöglichkeiten und mithilfe vordefinierter Schnittstellen in die IT-Landschaft einer Organisation einpassen können. Viele Standardfunktionen sind bereits vorkonfiguriert, sodass sie einfach einzubauen und zu skalieren sind. Verwaltungsprozesse lassen sich damit sehr umfänglich einfach strukturiert und digital umsetzen. Von „End-to-End“ beziehungsweise von „Ende zu Ende gedacht“ sprechen die Technologieanbieter hier. 

Trotz der Option, auf eine Vielzahl von Modulen zurückzugreifen, ist es wichtig, den gesamten Prozess neu zu durchdenken und wo nötig anzupassen, um letztlich die beste Lösung umzusetzen. Im Rahmen dieses Prozesses gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Bekanntes und Vorhandenes zu nutzen und über entsprechende Schnittstellen einzubauen. Das spart Zeit und Geld. Häufig lässt sich dabei auch das sogenannte EfA-Prinzip des Onlinezugangsgesetzes (OZG) nutzen. Gemäß dem Motto „Einer für alle“ werden dabei Leistungen, die in einer Behörde digitalisiert worden sind, auch anderen Behörden zur Verfügung gestellt.

Wichtig ist es aber, den passenden Anbieter auszuwählen, der die entsprechenden Funktionsmodule im Sortiment hat. Auch im technischen Ablauf des Prozesses gilt es, die Kund:innen und ihre Bedürfnisse im Blick zu behalten. 

Bürgerservices einfach digital machen

Hier erklären wir, wie EY Sie bei der Digitalisierung der Verwaltung unterstützt

 

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Standardisierte Authentifizierung nutzen

Die BundID gehört zu den Innovationen, auf die die Verwaltung bei der Digitalisierung künftig setzen kann. Das zentrale Konto können Bürger:innen bei Online-Anträgen zur Identifizierung nutzen. Einmal erfasst, erspart die ID das Ausfüllen persönlicher Daten in Formularen. Das Login funktioniert an unterschiedlichen Stellen und hat dank des gleichen Aussehens einen hohen Wiedererkennungswert. Einmal hinterlegt, können Inhalte immer wieder verwendet werden. Auch Bescheide und Nachrichten lassen sich über die ID übermitteln.

Der elektronische Ausweis ist technologieoffen und lässt sich in ganz unterschiedliche Anwendungen einbauen. Doch um diese effizienten, standardisierten Authentifizierungsmodule einsetzen zu können, müssen die Behörden intern zunächst die Voraussetzungen in ihren IT-Systemen schaffen.

Eine weitere Anforderung: Die digitalen Angebote sollen nutzerfreundlich sein, aber auch effizient, sicher und nachhaltig. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Benutzeroberfläche. Sie sollte für diejenigen, die die Anträge stellen, also Bürger:innen und Unternehmen, genau wie für die Sachbearbeiter:innen in der Verwaltung intuitiv zu nutzen sein. Dabei können gezielte, interviewartige Fragen ebenso helfen wie eine unmittelbare Validierung von Eingaben. Wird beispielsweise eine Kontoverbindung abgefragt, lässt sich im Hintergrund direkt prüfen, ob die eingegebene IBAN tatsächlich existiert.

Eine intuitive Benutzeroberfläche kann die Akzeptanz digitaler Angebote signifikant steigern und damit die Anzahl komplett digital bearbeitbarer Verwaltungsprozesse erhöhen.

Medienbrüche und Betrug vermeiden

Eine durchgängige Digitalisierung, vom Anfang bis zum Ende des Prozesses, hilft dabei, Medienbrüche zu vermeiden – ein weiterer wichtiger Aspekt, den viele zu schätzen wissen. Wer ein Formular am Computer ausfüllt und nach den ersten Schritten merkt, dass dafür eingescannte Dokumente gebraucht werden, wechselt aufs Mobiltelefon. Die schon erfassten Daten bleiben dabei erhalten. 

Konsequent papierlose Prozesse unterstützen auch die Vermeidung von Betrug, da die Validierung von Eingaben durch die Verknüpfung mit anderen Systemen direkt erfolgen kann. Aufgrund steigender Antragszahlen, höherer Komplexität und reduzierter Personalkapazität unterstützt eine effiziente und technologiegestützte Betrugsvermeidung essentiel die Arbeit der Verwaltungs-angestellten. Der automatische Abgleich verschafft Sicherheit für die Verantwortlichen in der Behörde und verringert die Verschwendung von Steuermitteln.

Nächster Schritt: künstliche Intelligenz

An vielen Stellen lässt sich bei der Einführung digitaler Lösungen schon heute künstliche Intelligenz (KI) einsetzen. So könnte auf der Basis der digitalisierten Anträge und Verwaltungsleistungen einer Person künftig das System direkt Vorschläge machen, um den am besten auf deren Bedürfnisse zugeschnittenen Antrag zu finden, zum Beispiel für eine neu eingerichtete Leistung oder einen Anspruch, der sich aus den erfassten Daten ergibt. Denkbar ist auch, dass die KI gezielte Nachfragen stellt, um Formulare vollständig mit den relevanten Inhalten zu befüllen, Anfragen direkt den richtigen Fachbereichen zuordnet oder Handlungsempfehlungen für Kundenberater:innen ableitet.

Doch um mit den vielfältigen Möglichkeiten, die sich aus einer ethisch korrekten Nutzung von künstlicher Intelligenz, maschinellem Lernen und Robotik ergeben, überzeugende Ergebnisse zu erzielen, ist eine Voraussetzung unabdingbar: die vollständige Digitalisierung der zugrunde liegenden Prozesse für eine aktuelle, vollständige Datenbasis. Noch ein Grund, das Thema im eigenen Haus dringend konsequent anzupacken.

Fazit

Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung hinkt in Deutschland hinterher. Bei den jetzt nötigen Schritten ist es entscheidend, die Erwartungen der Bürger:innen ins Zentrum zu stellen. So lassen sich Bürgerservices nicht nur digital umbauen, sie werden auch effizienter, nutzerzentrierter und nachhaltiger. Dabei können öffentliche Verwaltungen und Behörden auf viele bereits vorhandene Modul-Lösungen zurückgreifen. Richtig angepasst spart das Zeit und Geld. Und es werden dadurch die Voraussetzungen geschaffen, zukünftig vielseitig - ethisch korrekte - künstliche Intelligenz in der Verwaltung einzusetzen. 

Über diesen Artikel

Von Julia Watson

Partnerin Technology Consulting, EY Consulting GmbH | Deutschland

Unterstützt Unternehmen dabei, Kunden ins Rampenlicht zu stellen und Mitarbeitenden maßgeschneiderte Bühnenwerkzeuge an die Hand zu geben; leidenschaftlich in Fragen der Gleichstellung engagiert