9 Minuten Lesezeit 11 Mai 2023
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Wie der Wandel in der eigenen Organisation selbst gestaltet werden kann

Von René Wagener

Director, People Advisory Services, EY Consulting GmbH | Deutschland

Studierter Jurist und Diplom-Organisationspsychologe, systemischer Organisationsentwickler und Coach; fokussiert auf menschliche Aspekte in Wandel und Transformation.

9 Minuten Lesezeit 11 Mai 2023

Viele Organisationen setzen beim Wandel stärker auf eigene Ressourcen, was durch den Aufbau eines eigenen Change (Management) Office gut gelingen kann.

Überblick
  • Der Wandel aus eigener Kraft kann für Organisationen durch ein Change Office realisiert werden.
  • Damit dieses seine Wirkung entfalten kann, sollte der Aufbau strategisch wie bei einer „Firma in einer Firma“ erfolgen.

Change und Transformation werden fälschlicherweise immer noch als etwas besonders Schwieriges betrachtet, das nur Expert:innen beherrschen. Für Entscheider:innen galten diese Themen in der Vergangenheit als kompliziert, weil ihnen die Praxiserkenntnisse – sprich die Sozialpsychologie und Systemdynamiken – nicht ausreichend greifbar waren. Mittlerweile aber gibt es in den Organisationen Mitarbeitende, die tief in diese Thematik eingestiegen sind, Anwendungswissen haben und sich nicht zuletzt für den Wandel begeistern.

Daneben zeigt immer mehr der Ansatz, ein Change Office (oder ein Culture Transformation Office etc.) wie eine „Firma innerhalb der Firma“ aufzubauen, Erfolge: eine eigene Strategie, eigene Strukturen und Rollen, Produkte und Services sowie – das ist entscheidend – die Kolleg:innen als Kund:innen zu behandeln.

Den Organisationen stellt sich also die Frage: Warum sollten sie eigenes Wissen und die Motivation nicht nutzen? Sobald der Aufbau des Change Office mit einem Fahrplan nach der Logik „Why? How? What?“ wie eine Firmengründung angefasst wird, hält diese Motivation an.

Als erfolgreich erweist sich häufig der Ansatz, ein Change Office wie eine „Firma innerhalb der Firma“ aufzubauen.

Gute Argumente dafür gibt es: Zum einen reduziert das die Kosten für die externe Beratung, zum anderen mindert es den Abstoßungseffekt, den Externe nicht selten hervorrufen. Denn insbesondere die Generationen Y und Z wollen Change selbst „machen“.

Die Do-it-yourself-Mentalität ist dann erfolgreich, wenn die Office-Gründung wie ein Start-up im Unternehmen mit klaren Frameworks, Zeitplänen und Begrifflichkeiten angegangen wird. Denn ansonsten führt ein „Schauen wir mal, dann sehen wir schon“ dazu, dass ein Change Office als romantische Spinnerei und Kostentreiber abgetan wird.

Ein anderer Grund: Change-Projekte werden oftmals ausgeschrieben. Nicht selten sind gleichzeitig mehrere Beratungen in einer Organisation unterwegs. Jede bringt ihr eigenes Change-Modell, eigene Prinzipien und (oft unausgesprochene) Philosophien mit. Die Organisation bildet so kein eigenes Anwendungswissen und keine eigene Haltung zu Change aus. Denn die Beratungen sind irgendwann wieder weg und damit das Anwendungswissen. Und dann? Dann fängt das „Spiel“ von vorne an: neue Beratung, neues Modell, neue Tools. Diese „Hochlaufkosten“ sind vermeidbar, wenn Change-Wissen im eigenen Hause verortet ist.

Wozu lässt sich dann eine Change-Beratung gut nutzen? Für den Aufbau eines solchen Office. Denn im Grunde macht eine Change-Unternehmensberatung genau das: Sie hat selbst ihr „Why? How? What?“ mit Produkten aufgebaut und an den Markt gebracht. Sie muss nur willens sein, das als Produkt („Wie baut man selbst ein Change & Transformation Office auf?“) den Kunden zu bieten.

Warum tun sie das selten? Weil sie befürchten, dass sie damit ihr eigenes Geschäft kannibalisieren.

CCC – Change Competence Center: Kompetenzzentrum für eigenen Wandel

Was ebenso dafür spricht, die Change-Kompetenzen im eigenen Haus zu stärken: Wandel ist permanent. Unternehmen müssen sich im Hinblick auf ihre Kultur, Organisationsmodelle und Formen der Zusammenarbeit ständig weiterentwickeln. Und wenn nicht? Dann haben sie auf dem hart umkämpften Arbeitsmarkt die schlechteren Karten, wenn sie Fragen von Bewerber:innen nach agilem Arbeiten, New Work und Kulturprojekten mit „Haben wir nicht“ beantworten.

Findet die Organisation also eine Form (zum Beispiel ein eigenes Transformation Competence Center), Wandel selbst permanent zu gestalten, ist ein Schritt in Richtung Zukunftsfähigkeit und Employer Branding getan.

Organisationen sollten Formen finden, um Wandel selbst permanent zu gestalten.

Eine Vorgehensweise, die dem Rechnung trägt, ist der Aufbau eines Change, Culture oder Transformation Office (gerne auch „Change Engine“ oder „Change Competence Center“ genannt). Das ist eine Einheit, die sich als Kompetenzzentrum für den Wandel im eigenen Unternehmen versteht.

Als solche sucht sie den Weg zu einer (bereits ausformulierten oder zu findenden) Zielkultur oder neuen Formen der Zusammenarbeit und bezieht dabei Kolleg:innen mit ein. Auch das hat gute Gründe:

Zum einen wird das Change Office in der Regel mit einer begrenzten Zahl an Teil- oder Vollzeitstellen gestartet und ist recht klein. „Start small, scale fast“ könnte ein Slogan sein, wenn sich erste Erfolge einstellen. Anders als extern eingekaufte Beratungsteams lässt sich hier das Hochfahren der Wirkungsweise der Einheit im eigenen Hause gut anpassen.

Zum anderen stärkt die Einbindung der Mitarbeitenden aller Hierarchiestufen und aus allen Bereichen die Akzeptanz: Man lernt unter seinesgleichen.

Konkret setzt ein Change Office, beispielsweise innogy (ehemalige RWE-Tochter), EOS (Otto Group) oder auch UNIQA (Versicherung in Österreich), auf Mitarbeitende als Corporate Influencer. Diese übernehmen als Kommunikator:innen, Trainer:innen beziehungsweise Culture Hackers eine Zusatzrolle und werden dafür freigestellt. Sie werden für ihre neuen Rollen ausgebildet und tragen dann Inhalte, Haltungen und Arbeitsweisen in das Unternehmen hinein.

Change braucht den freiwilligen Einsatz der Mitarbeitenden

Hier ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden sich selbst für diese Rollen bewerben. Oftmals besteht in den Unternehmen der Wunsch, die Rollenvergabe von den Führungskräften bestimmen zu lassen. Das ist meistens weniger zielführend. Wie die Praxis zeigt, haben die dann Nominierten entweder schon eine ganze Reihe von Zusatzprojekten oder es sind diejenigen, von denen sich die Führungskraft ohnehin nicht so viel verspricht. Die Mitarbeitenden sollten sich selbst frei, divers und unabhängig von bisherigen Erfahrungen im Projektgeschäft nominieren können. Denn es geht um Akzeptanz: Und dafür braucht es nicht nur vorpreschende High Performers, sondern eine heterogene Besetzung des Change Office.

Entscheidend für den Erfolg des Change Office ist zudem, dass es schnell ins Handeln kommt, das heißt sichtbare Beiträge für das Tagesgeschäft und Lösungen für dessen Probleme erzeugt. Es geht also weniger darum, umfangreiche Programme für die nächsten Jahre „auf Vorrat“ zu entwickeln; vielmehr sollte grundsätzlich stärker auf einen Change in Form von Experimenten und kleinen, mühelosen Methoden – sogenannten „Hacks“ – gesetzt werden.

Dies liegt zum einen daran, dass das Change Office auf diese Weise Erfolge vorweisen kann, an denen es von seinem Auftraggeber – zum Beispiel einem Vorstandsmitglied – gemessen wird. Zum anderen entspricht diese Vorgehensweise den agilen Prinzipien, nach denen sich Unternehmen Schritt für Schritt transformieren, aus den Ergebnissen der ersten Schritte lernen und gleichzeitig immer wieder auf neue Herausforderungen und Themen reagieren können.

Von Hacks und Experimenten

Aufgrund dieser Ansprüche an das Change Office gewinnen Instrumente der Organisationsentwicklung wie Hacks und Experimente an Bedeutung.

Einen Hack kennt man als „Life Hack“: Mit einfachen Mitteln wird schnell und auf der Basis guter Erfahrungen eine Lösung ausprobiert – und zwar bei einem „Culture Hack“ ohne große Überzeugungsarbeit und Diskussion. Hier geht es darum, schnell in die Aktion zu kommen und danach gemeinsam zu entscheiden, ob sich der erwünschte Erfolg eingestellt hat oder nicht. Hacks sind häufig allgemein erprobte und standardisierte Instrumente für bestimmte Herausforderungen.

Allerdings werden die Hacks passend zu den organisatorischen und kulturellen Zielstellungen herausgesucht. Geht es beispielsweise darum, dass in der Mitarbeiterbefragung herauskam, dass es keine „Kultur der gegenseitigen Anerkennung“ gibt? Dann könnte die „Feedbackdusche“ als Hack helfen, bei der alle Teammitglieder einander so lange Feedback geben, bis alle dran waren. Oder bleiben zum Beispiel Zielstellungen wie „Kundenzentriertheit“ vage, sodass niemand im Alltag weiß, was das eigene Team nun anders machen soll? Dann hilft der „So-what“- oder „Heartbeat“-Workshop, bei dem das Team abstrakte Begriffe in übertriebenes, untertriebenes und genau passendes Verhalten runterbricht und sich dann auf eine Linie verständigt.

Experimente rund um neue förderliche Verhaltensweisen

Was dabei „gehackt“ wird, ist – eher durch das einfache, schnelle Tun – der Widerstand und die Irritation, die durch zu viel Zerreden vorher entstehen. „Einfach mal tun“ („behavioral route to change“) ist das Kennzeichen von Hacking. Es geht also darum, auch bekannte Methoden so zu verkürzen und als „Do it yourself“ anwendbar zu machen, dass sie als Hack in der Organisation ausrollbar sind.

Um die Hacks im Unternehmen zu verbreiten, werden Mitarbeitende als Hacker:innen ausgebildet. Im Anschluss setzen sie diese Methoden im eigenen Team um. Zudem gehen sie aktiv auf andere Teams zu und schlagen ihnen vor, sich auf die Erprobung der Hacks einzulassen.

„Einfach mal machen“ ist das Kennzeichen von Hacking.

Eine weitere Möglichkeit, schnell auf die Unternehmenskultur und die Art der Zusammenarbeit einzuwirken, ist das Experiment. Hier werden Changer:innen befähigt, Experimente rund um neue förderliche Verhaltensweisen zu starten. Dabei geht es zunächst darum, das eigentliche Problem auszumachen, um dann unter mehreren möglichen Lösungen die herauszufinden und im Unternehmen zu verbreiten, die wiederum am stärksten – und das ist entscheidend – zur gewünschten Kultur beiträgt. Anschließend wird das Erfolgserlebnis aufgeschrieben und in einer eigens dafür angelegten Bibliothek geteilt.

Mit der Wahl der Leitung ein Zeichen setzen

Bevor das Change Office auf diese Weise wirkungsvolle Impulse setzen kann, muss zunächst eine Führungskraft gefunden werden. Klar ist, dass mit dieser Wahl bereits ein Zeichen gesetzt wird. Benennt man jemanden, der sehr frei denkt und ein außergewöhnliches Profil hat? Oder wählt man jemanden, der stark von der bisherigen Kultur geprägt und daher – wie meistens – auf eine Vergangenheit in der Organisation hinweisen kann? Beides hat Vor- und Nachteile. Die Botschaft ist hier jeweils eine andere. Wichtig ist auf jeden Fall, dass die Person für den Wandel brennt. Um im nächsten Schritt das Change Office sauber aufzusetzen, gilt es drei grundlegende Kapitel auszuarbeiten – das „Why“, das „What“ und das „How“. Warum soll es das Office geben? Was bietet es an Services und Produkten? Und wie arbeitet es?

Why? Vom Purpose des Change Office

Zum Start findet idealerweise ein Purpose-Workshop statt. Darin wird geklärt: Warum gibt es das Change oder Culture Office überhaupt? Was ist sein Sinn und Zweck? Dieser ergibt sich zunächst aus dem Auftrag, den das Kompetenzzentrum bekommen hat. Es soll zum Beispiel darauf hinwirken, dass sich die Firmenkultur in eine bestimmte Richtung bewegt oder dass sich die Art der Führung ändert. Oder aber es bekommt den Auftrag, die Arbeitsweise in Projekten zu verbessern, da diese immer hektisch und konfliktreich sind. Wichtig ist auch zu definieren, dass das Change Office konkrete Verhaltensänderungen im Unternehmen herbeiführen soll. Wesentlich ist aus unserer Sicht auch genau festzuhalten, was das Change Office nicht machen soll, wo Grenzen der Machbarkeit erreicht sind.

How? Vom Belehren zum Inspirieren

Bei der Frage nach dem Wie geht es unter anderem darum, wo das Change Office in der Organisation verortet ist. Ist es eine nachgelagerte Strategieeinheit oder eine Serviceeinheit, die vom Vorstand berufen wird, um ein bestimmtes Thema zu bearbeiten? Oder kann das Change Office seine Aufträge selbst definieren? Berichtet das Kompetenzzentrum an die HR-Funktion oder direkt an die Geschäftsführung? Ebenfalls geklärt werden muss: Auf welche Art und Weise arbeitet das Change Office („ways of working“)? Konfrontiert es die Mitarbeitenden damit, was sie vorher falsch gemacht haben, und positioniert sich als Mahner? Oder will das Change Office – wie es zu empfehlen ist – eher inspirieren? Dann wird es nicht zum Projektmacher, könnte aber darunter leiden, dass sein konkreter Beitrag unklar wird. In diesem Fall könnte es zum Beispiel eine Initiative starten, bei der es den Teams neue Arbeitsweisen vorstellt. Wichtig ist auch, dass die Change-Office-Mitglieder nicht vermitteln, dass sie die Einzigen sind, die wissen, wie die neue Kultur aussehen soll. Vielmehr geht es um Akzeptanz des Bestehenden und das gemeinsame Erkunden neuer Möglichkeiten: „Alles, was ist, darf sein, alles was sein darf, verändert sich“ – das muss die Haltung dazu sein.

What? Produkte? Services? Beitrag?

Hier stellt sich das Team des Culture Office die Frage, welche konkreten Produkte und Services es anbieten will. Nicht selten „fremdeln“ die Mitglieder des Office mit diesen Begriffen, aber: Realistisch betrachtet wird das Office nur dann Akzeptanz in der restlichen Organisation finden, wenn es einen Vorteil, einen Beitrag für andere bietet. Sonst wird es als ewiger Mahner und Besserwisser ein baldiges Ende finden, sobald das Top-Management seine schützende Hand wegzieht.

Dieser Artikel ist zuerst in dem Fachmagazin changement! (Ausgabe Februar 2023) erschienen.

Fazit

Um schnell Verhaltensänderungen in Organisationen herbeizuführen, empfiehlt es sich, einen Schwerpunkt auf die in diesem Artikel vorgestellten Hacks und Experimente zu legen. Ebenso wichtig ist es, dass das Unternehmen die Erfolge der Maßnahmen auch im Blick behält. Dabei geht es darum, genau hinzuschauen, was im Unternehmen ankommt und wirkt, und nicht darum, mit aller Macht Hacks durchzusetzen, die das Change Office selbst am besten findet. Es hat immer seine Gründe, warum eine Organisation auch vermeintlich tolle Instrumente in einem bestimmten Moment nicht aufnehmen will oder kann. Es geht auch nicht darum, auf vermeintlich uneinsichtige Kolleg:innen zu schimpfen, sondern vielmehr darum, die eigene Vorgehensweise anzupassen: Letztendlich sollte der Fokus immer auf Akzeptanz und einem Beitrag zum Geschäftserfolg liegen, mittelbar oder unmittelbar. So fließen die Erfahrungen mit dem ersten Produkt in die Auswahl und Konzeption der nächsten Produkte ein. Der Wandel nimmt immer mehr an Fahrt und Sichtbarkeit im Alltag auf.

Über diesen Artikel

Von René Wagener

Director, People Advisory Services, EY Consulting GmbH | Deutschland

Studierter Jurist und Diplom-Organisationspsychologe, systemischer Organisationsentwickler und Coach; fokussiert auf menschliche Aspekte in Wandel und Transformation.