12 Minuten Lesezeit 22 August 2022
verschwommener Blick aus einem fahrenden Zug

Automobilhersteller: Mit der richtigen Aufstellung zum Erfolg

Autoren
Constantin Gall

Managing Partner Strategy and Transactions

Hat jahrzehntelange Erfahrung in der Strategie- und Transaktionsberatung sowie in der Automobilbranche. Ist auch privat ein Autoenthusiast und geht gerne mit Familie und Freunden auf Reisen.

Jan Sieper

Partner Strategy and Transactions, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Ist Stratege und Umsetzer für die Digitalisierung des Autos und die Mobilität von morgen.

Sebastian Binder

Senior Manager Automotive & Transportation, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Hat langjährige Erfahrung in der Strategie- und Transaktionsberatung sowie in der Autoindustrie; ist privat Familienmensch und sehr interessiert an globalen Finanzmärkten

12 Minuten Lesezeit 22 August 2022

Autonome Fahrzeuge stellen die Automobilbranche vor vielschichtige Herausforderungen.

Überblick
  • Das autonome Fahren bringt eine ganzheitliche Veränderung des Mobilsektors mit sich und verstärkt die Entwicklung hin zu softwaredefinierten Fahrzeugen.
  • Automobilunternehmen können in einer autonomen Welt nur dann erfolgreich sein, wenn sie ihr Betriebsmodell (TOM) ganzheitlich anpassen.
  • Mit der „Softwarisierung“ von Fahrzeugen können Automobilhersteller nur durch alternative Konzepte wie branchenweiten Kooperationen schritthalten.

Über Jahrzehnte operierten Automobilkonzerne auf der ganzen Welt erfolgreich in einem von linearen Wertschöpfungsketten und langfristigen Beziehungen mit Zulieferern geprägten Umfeld. Ihre Erlösmodelle beruhten größtenteils auf dem Verkauf von Hardware sowie Finanz- und Servicedienstleistungen im Rahmen vorhersehbarer Innovations- und Produktzyklen. Integrierte Software wurde als kostenlose Beigabe betrachtet. So optimierten die Unternehmen ihre Geschäfts- und Betriebsmodelle im Hinblick auf die Herstellung hochwertiger Produkte in hohen Stückzahlen und erzielten stabile Renditen auf das eingesetzte Kapital.

Disruptive Kräfte, ausgelöst durch die zentralen Trends Elektrifizierung, Konnektivität, Personalisierung und autonomes Fahren (Autonomous Driving, AD), verändern nun den Sektor auf beispiellose Art und Weise und verstärken die Entwicklung hin zu softwaredefinierten Fahrzeugen. Insbesondere automatisierte Fahrzeuge werden die Mobilität der Zukunft revolutionieren.

Um in dieser ganz wesentlich durch autonomes Fahren geprägten Zukunft erfolgreich zu sein, müssen sich die Automobilkonzerne nicht nur auf der Produktebene neu erfinden. Es geht außerdem darum, auch die zentralen strategischen Kontrollpunkte in disruptierten Wertschöpfungsketten zu identifizieren und neue Wege zur Monetarisierung von datengestützten Dienstleistungen wie auch von Soft- und Hardware zu finden. Zudem ist die säkulare Verlagerung der Kunden von Einzelpersonen zu Flottenbetreibern zu berücksichtigen, die den Schwerpunkt der Kaufentscheidung auf Total Cost of Ownership (TCO) legen.

  • EY und Luxoft – eine gemeinsame Initiative

    EY und Luxoft bündeln ihre Erfahrungen als Unternehmensberater, Entwickler von Ökosystemen, digitale Designer und Software-Ingenieure, um die Probleme zu beleuchten, mit denen die Akteure im Automobil-Ökosystem konfrontiert sind. Ziel ist es, Erkenntnisse zu teilen und Empfehlungen auszusprechen, damit Herausforderungen überwunden oder sich bietende Chancen genutzt werden können. Dies betrifft die Themen autonomes Fahren, Aufbau von effizienten F&E-Funktionen und die Gestaltung eines herausragenden Kundenerlebnisses.

Es sollten außerdem Alternativen zur traditionellen Optimierung von Stücklisten (Bills of Material, BOM) gefunden werden. Schlüsselfaktoren des Erfolgs sind in diesem Zusammenhang der wirksame Einsatz datengestützter Entwicklung (Data-driven Development, DDD) gepaart mit deren Erprobung in der realen Welt wie auch der Einsatz von Software-Updates in kontinuierlichen Feedback-Schleifen über das Internet.
Insgesamt ist ein ganzheitliches neues Betriebsmodell (Target Operating Model, TOM) erforderlich, um alle Aspekte zusammenzubringen und die angestrebte Wertschöpfung im zugrunde liegenden AD-Geschäft erzielen zu können.

Autonomes Fahren – unsere Perspektive

Beim Entwurf der perfekten Blaupause für ein Unternehmen, das an der Entwicklung und Einführung des autonomen Fahrens beteiligt ist, fungieren die Führungskräfte als „Architekten“ und sollten alle relevanten Aspekte der sechs TOM-Dimensionen umfassend berücksichtigen. Der ganzheitliche Ansatz beginnt mit der Definition einer strategischen Vision und der Erstellung von Leitprinzipien für die weiteren Schlüsseldimensionen Steuerung und Management, Organisation und Personal, Technologie und Daten, operatives Geschäft sowie Verwaltungs- und Hilfsfunktionen.

Strategie

Für Automobilkonzerne ist es von wesentlicher Bedeutung, die bestmögliche Strategie festzulegen, um die ideale Mischung an Geschäftsfeldern zu erhalten:

  • bereits existierende, traditionelle (z. B. intelligente Fahrerassistenzsysteme der Stufe L2, aktive Sicherheit)
  • innovative (z. B. hochautomatisiertes Fahren der Stufe L3)
  • „neue”, bislang unerschlossene (z. B. autonome Mobilitätspods der Stufe L4)

Das richtige Gleichgewicht optimiert die Kapitalallokation im Hinblick auf Risikoprofil, zukünftiges Wachstum und Rentabilität.

Ein erster Schritt ist die passende Segmentierung des Marktes in adressierbare Spielfelder. In Bezug auf autonomes Fahren könnte dies bedeuten, dass die Wertschöpfungskette zunächst in unterschiedliche Stufen und dann weiter in Segmente aufgeteilt wird. Die Granularität der Segmentierung sollte dabei auf die Besonderheiten und Schwerpunkte des betreffenden Automobilkonzerns zugeschnitten sein. Hersteller von Sensoren könnten beispielsweise in die Felder Laser, Radar, Wahrnehmungssoftware und Verarbeitungselektronik segmentieren, während ein global tätiger, auf Module spezialisierter Tier-1-Zulieferer zwischen L3- und L4-AD-Software, Sensormodulen und der Integration unterscheiden könnte:

Im Anschluss an die Segmentierung des Marktes ist eine multidimensionale, objektive und faktenbasierte Evaluation durchzuführen, um die attraktivsten Spielfelder zu bestimmen. Dazu ist ein Assessment von zwei Dimensionen erforderlich:

  • externe Faktoren (z. B. Wachstum des LIDAR-Marktes, Anzahl der LIDAR-Akteure und deren Marktkonzentration, technologische Innnovation)
  • interne Parameter (z. B. Produktionskapazität, Fachwissen im Bereich Sensoren, Laserexperten, finanzielle Ausstattung)

Anhand dieses Assessments kann eine umfassende Karte des AD-Ökosystems erstellt und die technologisch-kritischen, wirtschaftlich-attraktiven und erreichbaren Kontrollpunkte identifiziert werden. Die Priorisierung der entsprechenden Geschäftsfelder bestimmt das zukünftige Angebotsportfolio.

Die definierte Strategie ist ausschlaggebend dafür, wie die verbleibenden Dimensionen des neuen TOM auf die spezifischen Bedürfnisse des AD-Geschäfts sowie auf die Prioritäten und Ziele des Unternehmens abgestimmt werden (z. B. Maximierung interner Synergien, schnelle Markteinführung, Gewinnung externer Partner). Dies wiederum ist bestimmend für die wesentlichen operativen Erfolgsfaktoren bei der Entwicklung und Einführung des autonomen Fahrens:

  • effiziente Feedback-Schleifen und verkürzte Entwicklungszyklen
  • kosteneffiziente und stark automatisierte Entwicklungs- und Einführungsprozesse, wirksamer Einsatz datengestützter Prozesse
  • Entkopplung der Entwicklungszyklen von Hard- und Software durch adäquate Schnittstellen und Feedback-Schleifen
  • Verlagerung vom Hardware-Ingenieurwesen zur Softwareentwicklung
  • Architekturen, die das Zusammenspiel von fahrzeuginterner Software und Cloud-Backend berücksichtigen, wobei Sicherheit und Datenschutz während des gesamten Lebenszyklus gewährleistet werden
  • neue Erlösmodelle, die den Schwerpunkt auf wiederkehrende Umsätze legen
  • Management agiler und traditioneller Arbeitsmodelle
  • Förderung des notwendigen kulturellen Wandels

Steuerung und Management

Für eine erfolgreiche Entwicklung und Einführung von AD-Funktionalitäten ist es erforderlich, dass die verantwortlichen Personen diverse Arbeitsstile unterstützen und ermöglichen. Dazu ist die Balance zwischen hierarchischen Strukturen in traditionellen Geschäftsfeldern (z. B. Basis-Sensor-Modelle, Sensorentwicklung) und höchst agilen Ansätzen in „neuen“ Funktionen (z. B. datengestützter Softwareentwicklung) entscheidend. Entsprechende Steuerungsstrukturen und -werkzeuge stellen sicher, dass alle Maßnahmen harmonisiert werden und umfassend auf die Unternehmensstrategie und -vision abgestimmt sind.

Automobilkonzerne haben ihre finanziellen Steuerungsmodelle und die zugrunde liegenden Business Score Cards so aufgebaut, dass sie das Umsatzwachstum und die Gewinngenerierung einzelner Produktlinien und -modelle maximieren. Daher werden neue Funktionalitäten nur dann eingeführt, wenn sie entweder einen Mehrwert für die Kunden schaffen, die Kostenstruktur verbessern oder gesetzlich vorgeschrieben sind. Fortgeschrittene AD-Funktionalitäten erfordern die Erprobung in der realen Welt, die Erhebung substanzieller Datenvolumina zur Speisung von künstlicher Intelligenz (KI) und Algorithmen maschinellen Lernens sowie den Aufbau realer Testszenarien. Der wirksame Einsatz solcher Big Loops setzt voraus, dass Funktionalitäten wie umfassende Sensoreinheiten und Konnektivitätstechnologie mit hoher Übertragungsgeschwindigkeit in Fahrzeuge eingebaut werden, auch wenn sie nicht unmittelbar zu den zentralen Leistungskennzahlen (KPIs) beitragen, die üblicherweise zur Entscheidungsfindung dienen. Diese Investitionen amortisieren sich durch die Monetarisierung fortschrittlicher AD-Funktionalitäten und Dienstleistungen zukünftiger Fahrzeuggenerationen. Die finanzielle Steuerung sollte also bei gewissen AD-Technologien eine Lebenszyklus- oder Portfolioperspektive berücksichtigen, um im Hier und Jetzt Anreize für die richtigen Entscheidungen zu schaffen. Eine Möglichkeit wäre in diesem Zusammenhang die Einführung neuer KPIs, wie etwa Lebenszyklus-Deckungsbeiträge oder Lebenszyklus-Barwerte.

Organisation und Personal

Mit der fundamentalen Veränderung der Architektur autonomer Fahrzeuge, verändern sich auch die erforderlichen Qualifikationen der Mitarbeitenden grundlegend. Momentan sind seitens der Automobilkonzerne Tausende von offenen Stellen für Softwareentwickler, KI-Ingenieure oder Cloud-Architekten ausgeschrieben. Damit stehen die Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt nun in direkter Konkurrenz mit reinen Technologieunternehmen oder Start-ups, die nach den gleichen Qualifikationsprofilen suchen. Die entsprechenden Talente haben häufig ihre eigenen Vorstellungen bezüglich Vergütungspaketen, Stellenbeschreibungen und sogar Unternehmensvision und -kultur. Folglich sollten Automobilkonzerne ihre Personalgewinnungsstrategien überdenken.

Abgesehen von Maßnahmen, die unmittelbar auf die Beschäftigten abzielen (z. B. attraktive, zeitgemäße Vergütungspakete), können Unternehmen auch alternative Ansätze wirksam einsetzen, um der Personalherausforderung zu begegnen. Die Zahl der benötigten In-house-Spezialisten lässt sich beispielsweise deutlich reduzieren, indem branchenübergreifende Allianzen geschmiedet werden, um einheitliche Standards für ein AD-Betriebssystem zu entwickeln. Eine solche Kooperation verringert auch die Kosten pro Codezeile. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Kooperationspartner eine gemeinsame Vision entwickeln – und dass sich jedes beteiligte Unternehmen darüber im Klaren ist, welche Unterscheidungsmerkmale entscheidend für den Erfolg der eigenen Strategie sind. Solche Modelle sind nichts Außergewöhnliches, denn Allianzen bei der Beschaffung spielen in der Automobilindustrie bereits seit Jahren eine bedeutende Rolle. Zudem gestatten es ortsunabhängige Organisationsstrukturen den Automobilkonzernen, ein globales Netzwerk von Forschungs- und Entwicklungsstandorten aufzubauen. Dies trägt dazu bei, neue Talentpools in bislang noch nicht ausgeschöpften Regionen zu erschließen.

Technologie und Daten

Informationstechnologie (IT) wird traditionell häufig als reine Unterstützungsfunktion betrachtet, beispielsweise bei der Ressourcenplanung und im Kundenmanagement. Doch mittlerweile ist die Unterstützung durch Daten ein zentraler Erfolgsfaktor in der Entwicklung autonomer Fahrzeuge. Die Erhebung, Verarbeitung und Auswertung von Terabytes an Daten in Milliarden von verschiedenen Szenarien erfordert eine grundlegende Veränderung der Rolle der IT. Ihre Aufgabe ist es nunmehr, durch eine adäquate Infrastruktur und geeignete Prozesse, Methoden und Tools, der Forschung und Entwicklungs-Abteilung die Bewältigung enormer und komplexer Datenmengen zu ermöglichen. Ihr kommt somit eine differenzierende Rolle.

Die IT-Infrastruktur hat dabei eine besonders wichtige Funktion. Ein Backend-System, das rund um die Uhr in ausreichendem Umfang zur Verfügung steht, ist Voraussetzung dafür, dass die gesamte Fahrzeugflotte in Echtzeit (im „Schattenmodus“) Daten sammeln und liefern sowie neue AD-Funktionalitäten testen und analysieren kann. Weiter muss die Cloud-Infrastruktur daten- und rechenintensive Operationen in Echtzeit ermöglichen. Dies sind grundlegende Erfordernisse für die Implementierung von datengestützten Entwicklungsprozessen wie Big Loops, die bedeutende Wettbewerbsvorteile schaffen, insgesamt schneller sind als konventionelle Entwicklungsprozesse und die Betriebskosten zukünftig deutlich reduzieren werden. Allerdings ist der vorab zu leistende Kapitalaufwand gigantisch, sodass OEMs, Tier-1-Zulieferer und Technologieunternehmen Milliarden in den Aufbau der erforderlichen Infrastruktur investieren.

Operatives Geschäft

Das autonome Fahren wird nicht nur die Art und Weise verändern, in der Menschen und Güter bewegt werden, sondern auch bedeutende Auswirkungen auf die direkten Funktionen der Automobilkonzerne haben. Nicht nur wird die Automatisierung eine signifikante Rolle bei der Entwicklung autonomer Fahrzeuge und entsprechender Funktionalitäten spielen, sondern es wird bei den Kundengruppen eine Verlagerung von Einzelpersonen zu Flottenbetreibern stattfinden. Des Weiteren werden Erlösstrategien wie Einmalzahlungen sowie Leasing und Finanzierung von Fahrzeugen und Zusatzfunktionalitäten abgelöst durch nutzungsbasierte (z. B. Bezahlung pro Kilometer) oder wertbasierte (z. B. garantierte Betriebszeit eines autonomen Fahrzeugs) Preisgestaltung und andere wiederkehrende Umsatzmodelle. Dadurch müssen Automobilkonzerne ihre direkten Funktionen an die neue Realität anpassen.

In einem autonomen Fahrzeug ermöglichen neuartige Service- und IT-Dienstleistungen (beispielsweise Unterhaltung und Werbung an Bord, Echtzeitinformationen zur Straßenbeschaffenheit) zusätzliche Umsatzquellen. Klassische Transaktionsmodelle (Hardware gegen Geld) haben ausgedient. Mit der Verlagerung der Kunden hin zu Flottenbetreibern wird außerdem TCO zu einem wichtigen Kriterium bei der Beschaffung. Für diese Kundengruppen werden nutzungsbasierte Bezahlmodelle interessant, da sie es ermöglichen, einmalige Kapitalaufwendungen in zeitlich verteilte Betriebskosten zu überführen und so Zu- und Abflüsse von Barmitteln zu harmonisieren. Aus diesen Gründen wird eine Änderung aktueller Vertriebsansätze erforderlich:

  • Preisstrategie: Vom Festpreis hin zu Freemium-Modellen, das heißt, statt einen festen Preis zu entrichten, erhalten Kunden das Fahrzeug gratis und zahlen zum Beispiel pro gefahrenem Kilometer.
  • Erlösmodelle: Von der Verkaufstransaktion zum Abonnement, das heißt vom einmaligen zum wiederkehrenden Umsatz.
  • Angebotsdesign: Statt den Verkauf der Hardware/des Fahrzeugs vom Verkauf der Dienstleistungen (beispielsweise turnusgemäße Wartung) zu trennen, wird eine wertbasierte Kombination aus Hardware- und Servicekomponenten angeboten, etwa statt einem Sensor als Produkt plus Wartung der Sensor as a Service.
  • Anreize für das Verkaufspersonal: Statt den Schwerpunkt auf Anreize für Hardwareverkäufe zu setzen, werden Anreize für den Verkauf von Dienstleistungen geschaffen, das heißt, leistungsabhängige Boni werden beispielsweise nicht mehr nur an das Gesamtverkaufsvolumen oder die Rentabilität gekoppelt, sondern auch an den wiederkehrenden Umsatzanteil pro Kunde.
  • Verkaufskanäle: Vom stationären Verkaufspunkt hin zu On-Demand-Buchungen im Fahrzeug. Beispielsweise wird Zubehör nicht mehr gleichzeitig mit dem Fahrzeug verkauft, sondern Kunden erhalten individualisierte, situationsbezogene Angebote, wie etwa ein verbessertes Soundsystem und ein Unterhaltungspaket für Zeiten, in denen sie im Stau stehen.
  • Kundenbindung: Statt einer hohen Servicequalität bei sporadischen Interaktionen wird ein 360-Grad-Erlebnis mit hoher Kundenbeteiligung mittels einer Kombination aus physischen und virtuellen Events angeboten. Statt Interaktion lediglich bei Verkauf und Wartung anzubieten, kann diese zum Beispiel in hoher Frequenz durch die Mitgliedschaft in einem AD-Club mit physischen und virtuellen/ tokenisierten Accessoires und Events stattfinden.

Verwaltungs- und Unterstützungsfunktionen

Auch die Rolle der indirekten Funktionen, darunter Compliance, indirekter Einkauf, Steuern, Recht sowie Mergers & Acquisitions (M&A), ist im Einklang mit der Vision eines autonomen Mobilitätsökosystems anzupassen. Um einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen, sollten die indirekten Funktionen den Ansprüchen der neuen Realität gerecht werden:

  • Aufgrund der zunehmenden Bedeutung immaterieller und datenbezogener Vermögenswerte ist, unter anderem um als potenzieller Partner für andere Unternehmen attraktiv zu sein, ein besonders umsichtiges Management dieser Vermögenswerte erforderlich.
  • In Bezug auf autonome Fahrzeuge entstehen neue Risiken. Dies erfordert ein sorgfältiges Monitoring des rechtlichen Umfeldes, aber auch neue Funktionen wie die Einhaltung technologischer Vorgaben (z. B. um im Bedarfsfall den Nachweis zu erbringen, dass virtuelle Fahrerfunktionen nicht die Ursache für einen Unfall waren).
  • Das Ökosystem potenzieller Partner hat sich auf neue Unternehmenssektoren ausgeweitet, etwa SaaS-Anbieter, Chipentwickler und -hersteller sowie Cloud-Betreiber. Dadurch werden weniger administrative Schnittstellen, aber auch neue Systeme benötigt, beispielsweise eine Lohnbuchhaltung für Vergütungsmodelle, die auf Kapitalbeteiligung basieren.

Die M&A-Abteilungen der Unternehmen sollten das gesamte Spektrum verfügbarer Instrumente wirksam einsetzen, um innerhalb des AD-Ökosystems die Wettbewerbsposition zu stärken. Neben einem strategischen M&A-Ansatz ist es erforderlich, dass die M&A-Abteilungen eng mit den einzelnen Geschäftsbereichen zusammenarbeiten, um deren Zukunftsanforderungen und Unterscheidungsmerkmale wirklich zu verstehen und nicht reaktive M&A-Aktivitäten zu verfolgen. Zudem sollte die Vielfalt anorganischer Instrumente ausgebaut werden, beispielsweise indem Minderheitsbeteiligungen an neuen Technologien wie AD-Softwareentwicklung, aber auch Kollaborationen mit einem oder mehreren Partnern in Betracht gezogen werden – etwa Partnerschaften oder Joint Ventures mit Cloud-Betreibern. Partnerschaften gewinnen wegen ihrer zahlreichen Vorteile an Bedeutung, zum Beispiel weil sie weniger kapitalintensiv sind und Zugang zu neuen Kapazitäten ermöglichen.

Partnerschaften und Joint Ventures funktionieren naturgemäß anders als Übernahmen. Beide Instrumente setzen eine gemeinsame Vision und Anstrengungen voraus. Um die richtigen Partner zu gewinnen, ist es erforderlich, dass Automobilhersteller ihre Organisation „partnertauglich“ machen und die richtige „Mitgift“ anbieten (z. B. Nutzungsrechte an urheberrechtlich geschütztem geistigem Eigentum wie regionalen HD-Straßenkarten oder Teilen der AD-Software). Generell erfordert die Komplexität des AD-Ökosystems die Entwicklung unterschiedlicher Ansätze für verschiedene anorganische Instrumente, um die Investitionsrendite solcher Aktivitäten zu maximieren.

Neue Erlösmodelle und datengestützte Entwicklungskonzepte

Wie bereits in den vorhergehenden Teilen dieser Whitepaper-Reihe betont wurde, wird das autonome Fahren profunde Auswirkungen auf die Arbeitsweise der Automobilkonzerne haben. Die zugrunde liegenden Erfolgsfaktoren werden sich ebenfalls verändern. Durch das autonome Fahren verschieben sich die zentralen Kontrollpunkte entlang der Wertschöpfungskette. Dies erfordert eine klare Strategie im Hinblick darauf, in welchen Segmenten des AD-Ökosystems ein Unternehmen operiert, und wie es die neuen Kontrollpunkte etablieren möchte. Zudem werden sich die Erlösmodelle fundamental verlagern, weg von Hardwareverkäufen und hin zu Software und (unterstützenden) Dienstleistungen, wie Unterhaltung an Bord und Monitoring von Passagieren. Dies erfordert eine Neuordnung direkter Funktionen wie des Vertriebs, um die richtige Anreizstruktur und die benötigten Verkaufskanäle auch im Fahrzeug zu schaffen. Darüber hinaus werden datengestützte Entwicklungskonzepte die Menge der in Echtzeit zu verarbeitenden Daten massiv erhöhen. So steigen die Anforderungen an die IT, eine (Cloud-)Infrastruktur in angemessenem Umfang bereitzustellen. Ebenfalls erforderlich sind Big Loops, um einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen und die existierende Fahrzeugflotte wirksam für Praxistests einsetzen zu können. Um Gewinne zu maximieren, dürfen sich finanzielle Steuerungskonzepte nicht nur auf traditionelle Stücklistenoptimierung konzentrieren, sondern sollten den Wertschöpfungsbeitrag über mehrere Fahrzeuggenerationen berücksichtigen.

Generell wird die zunehmende „Softwarisierung“ von Fahrzeugen den Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte verschärfen. Dies führt dazu, dass sich Automobilhersteller alternativen Konzepten wie branchenweiten Kooperationen zuwenden, um der Herausforderung zu begegnen. Daher sollte sich auch die Rolle von Unterstützungsfunktionen wie M&A verändern, um organische Initiativen durch strategische anorganische Investitionen und Partnerschaften zu stärken. Diese ausgewählten Beispiele verdeutlichen, dass autonomes Fahren nicht nur echte durch virtuelle Fahrer ersetzen wird, sondern auch, Automobilunternehmen in einer autonomen Welt nur dann erfolgreich sein können, wenn sie ihr Betriebsmodell (TOM) ganzheitlich anpassen.

Fazit

Die Entwicklung autonomer Fahrzeuge stellt Automobilhersteller vor wachsende Herausforderungen. Denn disruptive Kräfte, ausgelöst durch die zentralen Trends Elektrifizierung, Konnektivität, Personalisierung und autonomes Fahren, verändern den Sektor und verstärken den Trend zu softwaredefinierten Fahrzeugen.
Um in einer durch automatisierte Fahrzeuge revolutionierten Zukunft erfolgreich zu sein, ist es für Automobilkonzerne unerlässlich, sich nicht nur auf der Produktebene neu zu erfinden, sondern ihre Geschäfts- und Betriebsmodelle ganzheitlich anzupassen.

Über diesen Artikel

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Constantin Gall

Managing Partner Strategy and Transactions

Hat jahrzehntelange Erfahrung in der Strategie- und Transaktionsberatung sowie in der Automobilbranche. Ist auch privat ein Autoenthusiast und geht gerne mit Familie und Freunden auf Reisen.

Jan Sieper

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Sebastian Binder

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