6 Minuten Lesezeit 1 Juni 2017

Vier Zukunftsthemen für die Automobilindustrie

Von Randy Miller

EY Global Advanced Manufacturing & Mobility Leader

Champion for women and diversity & inclusiveness in the Advanced Manufacturing & Mobility industries. Passionate about manufacturing, mobility and disruption.

6 Minuten Lesezeit 1 Juni 2017

Automobilhersteller brauchen zukunftsorientierte Strategien, die sich um die Themen Unternehmenszweck, Agilität, Fachkräfte und Change Management zentrieren.

Die vierte industrielle Revolution – gekennzeichnet durch Technologien wie Robotik, maschinelles Lernen und selbstfahrende Autos – bedroht Unternehmen in allen Branchen. Automobilhersteller müssen sich neuen Geschäftsmodellen zuwenden, denn ihre Branche verändert sich geradezu in Lichtgeschwindigkeit. Es braucht einen Paradigmenwechsel vom Erbauer zum Mobilitätsanbieter.

Erstausrüster (Original Equipment Manufacturers (OEM)) verhalten sich bei Innovationen bisher zögerlich, weshalb bald schwierige Entscheidungen auf sie zukommen könnten. Denn in einer derart volatilen Marktumgebung ist es ungleich schwerer, Marktveränderungen zu antizipieren. Außerdem sind Automobilhersteller traditionell nicht darauf ausgerichtet, exponentielles Wachstum durch neue Geschäftsmodelle umzusetzen.

Wollen sich OEM und Zulieferer auf die Zukunft der Mobilität vorbereiten, müssen sie dies auf globaler Ebene tun und dabei die Kunden und Mitarbeiter nicht aus den Augen verlieren.

Unsere Forschung und Umfrage unter Führungskräften der Automobilbranche, Wissenschaftlern und anderen Branchenexperten ergab eine Reihe von Themen, die für die Transformation der Branche entscheidend sind. Aus diesen sowie aus unserer langjährigen Erfahrung bei der Prüfung von erfolgreichen Unternehmen lassen sich einige zukunftsweisende Wege ableiten.

Sechs zukunftsträchtige Trends

Viele Faktoren deuten darauf hin, dass die Transformation von der Produkt- zur Kundenzentrierung unvermeidbar ist:

  • Kampf um Beziehungen: Wer bindet den Kunden – und gewinnt dessen Aufmerksamkeit, Daten und nicht zuletzt dessen Geld? Diese Frage wurde traditionell zwischen Herstellern und Händlern ausgefochten. Doch jetzt mischen neue Marktteilnehmer mit.
  • Digitalisierung der Wertschöpfungskette: Wer den Kunden gewinnt, gewinnt auch die Hoheit über die Kunden- und Fahrzeugdaten, um daraus neue Umsatzstrukturen, Maßnahmen zur Kundenbindung und mehr zu generieren sowie die Effizienz zu erhöhen. Doch es gibt Cyber-Risiken und Datenschutzherausforderungen.
  • Ressourcensicherung für den Unternehmensbestand: In dieser disruptiven Zeit gehören nicht nur Fabriken, Materialien, Autohäuser und Kapital zu den strategischen Ressourcen. Auch nicht greifbare Assets wie hoch qualifizierte Mitarbeiter, Wissen, geistiges Eigentum und die Anpassungsfähigkeit gehören dazu.
  • Diverse Unsicherheitsfaktoren: Wer in allen großen Märkten präsent ist, muss sich mit zahlreichen Unwägbarkeiten auseinandersetzen: soziale und demografische Kräfte, ökonomische Unsicherheit, geopolitische Instabilität, sich verschiebende nationale Prioritäten, Protektionismus und mehr.
  • Beispiellose Prüfungsintensität: Der Druck durch Aufsichtsbehörden, Investoren, Interessengruppen und die Öffentlichkeit steigt und belastet eine Branche zusätzlich, die sowieso schon mit dem Wandel zu kämpfen hat. Unternehmen müssen transparentere Informationen zur Ethik ihrer Geschäftspraktiken veröffentlichen und gleichzeitig höhere Renditen erwirtschaften.
  • Mehr Wettbewerb und Innovation: Die neuen Marktführer in der Automobilindustrie sind keine Hersteller – es handelt sich vielmehr um Tech-Unternehmen und Mobilitätsanbieter. Daraus entsteht eine völlig neue Wettbewerbsintensität. Auch die Regeln an sich haben sich geändert. Traditionelle Unternehmen werden von diesem schnellen Wandel fast überrollt und müssen schnell aktiv werden, um ihre Position zu behaupten.

Die vier Säulen von dynamischen Unternehmen

Die eben genannten Trends, die nicht nur die Automobilindustrie betreffen, werden von einem neuen Unternehmenstyp besonders geschickt umgesetzt. Dieser Unternehmenstyp reagiert schnell auf alle sich ergebenden Veränderungen. Außerdem verfügt er von Natur aus über eine effektive Kräftemobilisierung sowie Implementierung und ist ausnehmend agil und anpassungsfähig. Derartig aufgebaute Unternehmen ruhen auf vier zentralen Säulen.

1. Unternehmenszweck

Unsere Untersuchungen ergeben, dass Unternehmen wesentlich besser in diesen unsicheren Zeiten erfolgreich sein können, wenn sie einen klaren Unternehmenszweck formulieren und all ihre Aktivitäten auf diesen Zweck ausrichten. Wird der Unternehmenszweck zum Strategiefaktor und Teil der Entscheidungsfindung, zeigen sich Unternehmen innovationsfreudiger, transformationsoffener und letztendlich umsatzstärker.

Die (negative) Wahrnehmung der Automobilindustrie durch den Kunden wird im Wesentlichen von medienwirksamen Problemen bei Qualitätskontrollen und der Missachtung von Umwelt-, Handels- und Sicherheitsvorschriften bestimmt. Der Unternehmenszweck kann diese Wahrnehmungen und Einstellungen zum Positiven verändern.

Hersteller und Zulieferer können das Vertrauen wiederherstellen, wenn sie sich selbst neu ausrichten und auf Unternehmenszweckinitiativen setzen, bei denen es um Nachhaltigkeit geht. Zu solchen Maßnahmen gehören letztendlich auch neue Fahrzeuggenerationen und Mobilitätsangebote, die das Leben der Gemeinschaft verbessern.

Die Wertschöpfung aus dem Unternehmenszweck hängt davon ab, wie gut dieser Zweck in das Unternehmen integriert ist. Die Integration bringt immer Vorteile. Wer jedoch nur über den Unternehmenszweck redet, setzt sein Unternehmen unter Umständen einem großen Risiko aus.

Inzwischen hat sich eine sozial verankerte Definition des Unternehmenszwecks etabliert, die vorranging von den heute beliebtesten Unternehmen konturiert wurde. Hier finden Kunden Werte, die über Produkte hinausgehen. Mitarbeiter generieren Vorteile, die mehr sind als eine reine Entlohnung. So entsteht Unternehmenszweck als eine auf den Menschen ausgerichtete Perspektive, die nicht mehr nur den Unternehmenswert im Blick hat.

2. Agilität – Unternehmen der zwei Geschwindigkeiten

Erschwingliche Technologien und ihre zahllosen Anwendungsmöglichkeiten haben viele Unternehmen schlichtweg überrumpelt. Zwar wurde bereits viel über die digitale Transformation der Branche geschrieben, doch nur wenige Automobilhersteller haben sie bisher auch wirklich vollzogen.

Erfolgreiche Unternehmen verteidigen nicht einfach nur ihr Kerngeschäft, sondern gehen auf Wachstumskurs. Dazu investieren sie in neue Fähigkeiten und arbeiten mit neuen Geschäftsmodellen. Sie nutzen ihren stabilen Kern als Cash-Flow-Rückgrat, mit dem sie intensiv in neue Geschäftsmodelle investieren und gleichzeitig darüber nachdenken, wie sie flexibel bleiben.

Für diese Ausrichtung muss jedoch eine Plattform geschaffen werden. Außerdem braucht es den entsprechenden Weitblick, um die notwendigen Fähigkeiten des digitalen Zeitalters zu identifizieren und zu entwickeln. Dazu gehören auch Techniken im Umgang mit Entscheidungsfindungen und Ko-Kreationen sowie Unternehmergeist und eine Orientierung auf den Unternehmenszweck auf individueller Ebene. Derartige Kompetenzen sind förderbar, etwa über Weiterbildungen, Coachings und neue Lernformen.

3. Erfahrene Mitarbeiter

Die Erwartungen von Kunden und Mitarbeitern sind so hoch wie nie. Unternehmen, die über besonders erfahrene Mitarbeiter verfügen, sind tendenziell erfolgreicher darin, hoch qualifizierte Fachkräfte anzuziehen.

Unter Mitarbeitererfahrung sollte man in diesem Zusammenhang ein breites Feld verstehen, das nicht nur die physische Arbeitsumgebung, sondern auch die Tools und Technologien umfasst, durch die Mitarbeiter produktiv arbeiten können. Die Mitarbeitererfahrung lässt sich in sieben Bereichen verbessern:

  • Teambildungsmaßnahmen
  • Digital Leadership
  • Gemeinsamer Unternehmenszweck
  • Physische Arbeitsumgebung
  • Leistung und Belohnung
  • Technologie
  • Klare Perspektiven
4. Wandel

Ein Change Management, das weit über die etablierten Grenzen des Lean Managements oder der Qualitätsoptimierung hinausgeht, muss Teil der unternehmerischen DNA werden, wenn Unternehmen den Transformationsprozess erfolgreich abschließen wollen. Automobilhersteller sollten Change Management als laufend benötigte Kompetenz ansehen.

Bisher wird Wandel eher als punktuelles Ereignis verstanden. Change-Programme wurden zum Beispiel in der Finanzkrise, der anschließenden Rezession oder in anderen besonderen Umständen durchgeführt. Zukünftig muss der Wandel größere Bereiche abdecken und als schrittweiser Unternehmensprozess verstanden werden.

Genauso wie wir Menschen von unserer rationalen Seite profitieren, die durch unsere kreative Seite ergänzt wird, können Unternehmen die Vorteile ihrer analytischen Kapazitäten vergrößern, wenn sie humanistische Aspekte einbeziehen und einen echten Wandel anstoßen. Humanistische Change-Ansätze erkennen den Menschen als Mittelpunkt aller Veränderungsanstrengungen an: Denn ohne Verhaltensänderungen ist Wandel nicht von Dauer.

Eine profitable Zukunft für uns alle

Selbstverständlich bietet keiner dieser Vorschläge eine schnelle und simple Lösung für all die Probleme, mit denen sich die Branche auseinandersetzen muss.

Vielmehr sind sie der perfekte Ausgangspunkt, um den Weg für eine Zukunft zu ebnen, in der OEM, Zulieferer und andere Parteien der Automobilbranche mit einem gemeinsamen Zweck zusammenarbeiten, um nachhaltige Angebote für Kunden auf der ganzen Welt zu entwickeln.

Fazit

Erfolgreiche Unternehmen verteidigen nicht mehr einfach nur ihr Kerngeschäft, sondern investieren in neue Fähigkeiten, verfolgen neue Geschäftsmodelle und verlieren dabei nie den Unternehmenszweck aus dem Blick.

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Von Randy Miller

EY Global Advanced Manufacturing & Mobility Leader

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