Die Autobranche braucht die Unterstützung der Politik. Aber bitte ohne technologische Scheuklappen, fordert Prof. Dr.-Ing. Peter Gutzmer.
Finanzkrise, CO2-Debatte, Umweltzonen und Fahrverbote, Dieselskandal: Die Automobilindustrie ist in den vergangenen Jahren heftig durchgeschüttelt worden. Doch dann kam die Corona-Pandemie und traf Hersteller und Zulieferer mit voller Wucht. Ein Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Peter Gutzmer, ehemaliger Technologievorstand und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Schaeffler AG, über das Vertrauen der Autokäufer und Hilfen der Politik.
EY: Herr Prof. Gutzmer, die Autoindustrie hatte in den vergangenen Jahren zahlreiche Krisen zu bewältigen. Ist die Corona-Pandemie nur eine weitere auf der langen Liste?
Prof. Peter Gutzmer: In der Tat ist die Branche krisengestählt. Und überraschenderweise hatten die bisherigen Krisen wie die CO2-Debatte oder der Dieselskandal keine negativen Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Erfolg der gesamten Autoindustrie, einzelne Tiefschläge ausgenommen. Im globalen System gab es immer eine Ausgleichsmöglichkeit: In der Finanzkrise haben Wirtschaft und Politik an einem Strang gezogen. Wie auch im Dieselskandal konnte China mit seinem enormen Nachholbedarf die eingebrochene Nachfrage in Europa und den USA ausgleichen. Die Corona-Pandemie mit einem globalen Stillstand fast aller Volkswirtschaften ist jedoch ein nie dagewesener Einschnitt. Die Erholungsphase wird lange andauern und wir müssen damit rechnen, dass trotz längerer Kurzarbeit etliche Arbeitsplätze in den gesamten Wertschöpfungsketten verloren gehen, auch wenn die Politik bei ihren Unterstützungsmaßnahmen an die Grenzen des Möglichen gehen sollte.
Das Problem ist dabei nicht ausschließlich der Stillstand der Produktion. Der ließe sich – wenn auch unter Mühen – wieder auffangen. Schwieriger wird es, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen. Die Angst vor Ansteckung, der fehlende Impfstoff, die Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz, die rasant gestiegene Arbeitslosigkeit: In den vergangenen Krisen herrschte ein gewisser Optimismus, dass wir gemeinsam aus dieser Situation herauskommen. In der Corona-Pandemie fehlt einfach der Bedarf. Die Leute haben andere Sorgen, als sich ein neues Auto zu kaufen. Vertrauen und Optimismus sind neben finanziellen Anreizen erforderlich, um Bedarfe zu wecken.
Findet sich im Krisen-Werkzeugkasten der Vergangenheit auch etwas, das in der aktuellen Situation weiterhilft?
Um die Nachfrage wieder anzukurbeln, braucht die Autoindustrie, besonders der Zulieferbereich und der Mittelstand, die Unterstützung der Politik. Neben verlängerter Kurzarbeit, befristeten Verkaufsprämien und Steuererleichterungen, müssen auch erforderliche Investitionen in die Zukunft unterstützt werden. Dabei sollten Innovationen etwa für den Klimaschutz im Zentrum stehen. Das bedeutet aber nicht, einseitig auf Elektrofahrzeuge zu setzen. Solange die Batterieherstellung und die Stromgewinnung aus fossilen Quellen so viel CO2 erzeugen, lösen Elektroautos unser Klimaproblem nicht. Wir müssen weg von diesem Schwarz-Weiß-Denken. Es gilt die nüchterne Erkenntnis, dass die Mobilität der Zukunft, die auch der Umwelt hilft, verschiedene Lösungen braucht. Dieselfahrzeuge und Benziner der neuesten Generation müssen ebenso Bestandteil der Klimapolitik sein wie biobasierte und auf elektrischem Wege synthetisierte Kraftstoffe. Über die Wasserstofftechnologie diskutieren wir schon viel zu lange ohne signifikante Ergebnisse. Deutschland droht hier gegenüber Asien den Anschluss zu verlieren. Die Politik sollte bei ihrer Förderung auf eine breite Technologiebasis setzen.