5 Minuten Lesezeit 10 Juni 2020
Balanceakt auf einem Seil

„Es wird schwierig, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen“

Von EY Deutschland

Building a better working world

5 Minuten Lesezeit 10 Juni 2020

Die Autobranche braucht die Unterstützung der Politik. Aber bitte ohne technologische Scheuklappen, fordert Prof. Dr.-Ing. Peter Gutzmer.

Finanzkrise, CO2-Debatte, Umweltzonen und Fahrverbote, Dieselskandal: Die Automobilindustrie ist in den vergangenen Jahren heftig durchgeschüttelt worden. Doch dann kam die Corona-Pandemie und traf Hersteller und Zulieferer mit voller Wucht. Ein Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Peter Gutzmer, ehemaliger Technologievorstand und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Schaeffler AG, über das Vertrauen der Autokäufer und Hilfen der Politik.

EY: Herr Prof. Gutzmer, die Autoindustrie hatte in den vergangenen Jahren zahlreiche Krisen zu bewältigen. Ist die Corona-Pandemie nur eine weitere auf der langen Liste?

Prof. Peter Gutzmer: In der Tat ist die Branche krisengestählt. Und überraschenderweise hatten die bisherigen Krisen wie die CO2-Debatte oder der Dieselskandal keine negativen Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Erfolg der gesamten Autoindustrie, einzelne Tiefschläge ausgenommen. Im globalen System gab es immer eine Ausgleichsmöglichkeit: In der Finanzkrise haben Wirtschaft und Politik an einem Strang gezogen. Wie auch im Dieselskandal konnte China mit seinem enormen Nachholbedarf die eingebrochene Nachfrage in Europa und den USA ausgleichen. Die Corona-Pandemie mit einem globalen Stillstand fast aller Volkswirtschaften ist jedoch ein nie dagewesener Einschnitt. Die Erholungsphase wird lange andauern und wir müssen damit rechnen, dass trotz längerer Kurzarbeit etliche Arbeitsplätze in den gesamten Wertschöpfungsketten verloren gehen, auch wenn die Politik bei ihren Unterstützungsmaßnahmen an die Grenzen des Möglichen gehen sollte.

Das Problem ist dabei nicht ausschließlich der Stillstand der Produktion. Der ließe sich – wenn auch unter Mühen – wieder auffangen. Schwieriger wird es, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen. Die Angst vor Ansteckung, der fehlende Impfstoff, die Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz, die rasant gestiegene Arbeitslosigkeit: In den vergangenen Krisen herrschte ein gewisser Optimismus, dass wir gemeinsam aus dieser Situation herauskommen. In der Corona-Pandemie fehlt einfach der Bedarf. Die Leute haben andere Sorgen, als sich ein neues Auto zu kaufen. Vertrauen und Optimismus sind neben finanziellen Anreizen erforderlich, um Bedarfe zu wecken.

Findet sich im Krisen-Werkzeugkasten der Vergangenheit auch etwas, das in der aktuellen Situation weiterhilft?

Um die Nachfrage wieder anzukurbeln, braucht die Autoindustrie, besonders der Zulieferbereich und der Mittelstand, die Unterstützung der Politik. Neben verlängerter Kurzarbeit, befristeten Verkaufsprämien und Steuererleichterungen, müssen auch erforderliche Investitionen in die Zukunft unterstützt werden. Dabei sollten Innovationen etwa für den Klimaschutz im Zentrum stehen. Das bedeutet aber nicht, einseitig auf Elektrofahrzeuge zu setzen. Solange die Batterieherstellung und die Stromgewinnung aus fossilen Quellen so viel CO2 erzeugen, lösen Elektroautos unser Klimaproblem nicht. Wir müssen weg von diesem Schwarz-Weiß-Denken. Es gilt die nüchterne Erkenntnis, dass die Mobilität der Zukunft, die auch der Umwelt hilft, verschiedene Lösungen braucht. Dieselfahrzeuge und Benziner der neuesten Generation müssen ebenso Bestandteil der Klimapolitik sein wie biobasierte und auf elektrischem Wege synthetisierte Kraftstoffe. Über die Wasserstofftechnologie diskutieren wir schon viel zu lange ohne signifikante Ergebnisse. Deutschland droht hier gegenüber Asien den Anschluss zu verlieren. Die Politik sollte bei ihrer Förderung auf eine breite Technologiebasis setzen.

Wir müssen weg von dem Schwarz-Weiß-Denken. Die umweltfreundliche Mobilität der Zukunft braucht verschiedene Lösungen.
Prof. Dr.-Ing. Peter Gutzmer
ehemaliger Technologievorstand und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Schaeffler AG

Ist eine neue Abwrackprämie der Weg?

Die Abwrackprämie ist negativ belegt, auch weil ihre Wirkung umstritten war. Natürlich kann ein Zuschuss für Elektrofahrzeuge, den es ja schon gibt, Kunden zum Kauf bewegen. Allerdings nur jene, die der Technologie ohnehin positiv gegenüberstehen. Die Autohersteller werden 2020 wahrscheinlich 2,4 Millionen Fahrzeuge in Deutschland absetzen können, 30% weniger als 2019. Wenn davon dank einer Kaufprämie mehr als ein Zehntel Elektro- oder Hybridfahrzeuge wären, könnte das eine positive Botschaft sein. Die bessere Lösung aus meiner Sicht wären jedoch technologieunabhängige Kaufanreize. Es spräche auch nichts dagegen, die Höhe der Prämien etwa nach dem CO2-Ausstoß zu staffeln.

Das Wichtigste ist, jetzt schnell zu handeln. Die Politik muss dafür sorgen, dass die Menschen wieder Vertrauen schöpfen. Um ihnen die Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes zu nehmen, könnte das Kurzarbeitergeld verlängert werden. Die Unternehmen müssten bei ihren Forschungsausgaben steuerlich begünstigt werden. Vor allem sollten wir den deutschen Mittelstand stützen, sonst verlieren wir unsere wertvolle Basis. China schielt schon jetzt auf preiswerte Übernahmekandidaten.

  • Benzin im Blut, neue Antriebe im Kopf: Prof. Dr.-Ing. Peter Gutzmer

    Prof. Peter Gutzmer blickt auf eine, im wahrsten Sinne des Wortes, bewegte Karriere zurück. Nach dem Maschinenbaustudium in Stuttgart und Promotion in der Fachrichtung Verbrennungsmotoren blieb er zunächst in der Forschung. Es folgten verschiedene Stationen bei Porsche, bevor er 2001 seine Karriere bei Schaeffler startete: Erst in der technischen Produktentwicklung, später leitete er die LuK in Bühl, dann war er stellvertretender Vorsitzender der Division Automotive von Schaeffler. Von 2009 bis 2011 führte Gutzmer den Geschäftsbereich Motorsysteme im Bereich Powertrain bei der Continental AG. Er richtete das Geschäft neu aus und initiierte diverse Gemeinschaftsprojekte von Schaeffler und Continental. Mit der Umfirmierung zur Schaeffler AG im Jahre 2011 wurde er Vorstand Forschung und Entwicklung. Ab 2014 war Gutzmer Vorstand Technologie und stellvertretender Vorstandsvorsitzende der Schaeffler AG, wo er neue Mobilitätskonzepte förderte, die Grundlagen für den Aufbau des Elektromobilitäts-Geschäftes legte, die unternehmensweite IT zukunftsorientiert aufstellte und den Bereich Digitalisierung schuf. Seit Januar 2020 ist Gutzmer im (Un)Ruhestand, unter anderem als Lehrbeauftragter und Honorarprofessor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sowie Mitglied der AG2 der Nationalen Plattform Mobilität der Zukunft (NPM) und Vorsitzender der Forschungsvereinigung Verbrennungskraftmaschinen eV (FVV).

Wie glauben Sie, wird die Corona-Krise die Automobilindustrie langfristig verändern?

Unsere Vorstellung von Mobilität verändert sich gerade massiv. Bis vor Kurzem schienen viele Dienstreisen noch unabdingbar. Das erzwungene Homeoffice hat ein Umdenken bewirkt, zumal die neuen Kommunikationsmöglichkeiten etwa per Videokonferenz richtig gut funktionieren. Das ist kein Strohfeuer, sondern wird unsere Arbeitswelt nachhaltig verändern. Ich bin absolut überzeugt, dass diejenigen, die jetzt einfach in die alte Welt zurückfallen, über kurz oder lang scheitern werden. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass die Menschen bereit sind, das Gewohnte hinter sich zu lassen und Neues zu wagen.

Die Krise hat gezeigt, dass die Menschen bereit sind, das Gewohnte hinter sich zu lassen und Neues zu wagen.
Prof. Dr.-Ing. Peter Gutzmer
ehemaliger Technologievorstand und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Schaeffler AG

COVID-19 verschafft auch der Digitalisierung und KI-Lösungen insgesamt einen großen Schub, der alle Wertschöpfungsketten und Prozessketten der Unternehmen beschleunigt und verändern wird. Schon heute sind Logistikketten weltweit vernetzt. Wir müssen in Zukunft viel produktiver, noch flexibler und agiler werden, unterstützt durch umfassende Echtzeitlösungen in der IT. Wenn sich einzelne Unternehmen immer noch scheuen, Informationen zu ihrer Produktion zu teilen, aus Sorge, die Wettbewerber könnten daraus einen Vorteil ziehen, verschenken sie wertvolle Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet.

Die Digitalisierung der Lieferketten wird auch das Gefüge zwischen Herstellern und Zulieferern in der Autoindustrie verändern. In Zukunft werden die Zulieferer nicht mehr überall da sein, wo die Hersteller sind. An die Stelle der Produktion in direkter Nachbarschaft tritt ein flexibles, globales Netzwerk in Asien, Europa/Osteuropa und Amerika, in dem alle Partner transparent vernetzt sind. Die Corona-Krise beschleunigt die notwendige Veränderung der Autoindustrie und deren Einbindung in die Volkswirtschaft.

Ist eine Krise eigentlich ein guter Moment für große Entscheidungen?

Krisen sind große Momente der Erkenntnis. Entscheidungen lassen sich danach verbessern, revidieren oder korrigieren. Aus dem Ärmel schütteln sollten wir sie nicht. Wir müssen bereit sein zum Wandel. Das schließt auch ein, nicht an einmal getroffenen Entscheidungen auf Biegen und Brechen festzuhalten, sondern sie zu überdenken, wenn es nötig ist. Gerade jetzt sind Agilität und Mut zu Veränderung angesagt.

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Fazit

Die Automobilindustrie ist in den vergangenen Jahren heftig durchgeschüttelt worden: Finanzkrise, CO2-Debatte, Umweltzonen und Fahrverbote, Diesel-Skandal. Im Gespräch erläutert Prof. Dr.-Ing. Peter Gutzmer, ehemaliger Technologievorstand und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Schaeffler AG, warum die Corona-Pandemie dennoch einen nie dagewesenen Einschnitt für die Branche darstellt, warum wir uns jetzt bewegen müssen und wieso der Fokus auf Elektromobilität uns nicht zum Ziel bringt.

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