5 Minuten Lesezeit 25 März 2021
Luftaufnahme einer kurvigen Straße im Wald

Wie Städte und Kommunen die Mobilität der Zukunft gestalten

Autoren
Constantin Gall

Managing Partner Strategy and Transactions

Hat jahrzehntelange Erfahrung in der Strategie- und Transaktionsberatung sowie in der Automobilbranche. Ist auch privat ein Autoenthusiast und geht gerne mit Familie und Freunden auf Reisen.

Andrea Weinberger

Partner, Strategy and Transactions, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Leidenschaft für Nachhaltigkeit; Sparringspartnerin für ganzheitliche Transformationen; 10 Jahre Erfahrung in der Automobilbranche; Naturliebhaberin, Besitzerin von drei Hunden.

5 Minuten Lesezeit 25 März 2021

Alle sprechen über die Elektrifizierung der Fahrzeuge. Stadtregulatorik bleibt außen vor. Ist sie der Schlüssel zur smarten Mobilität?

Überblick

  • Soll die Mobilitätswende nachhaltig gelingen, reicht es nicht, Autos zu elektrifizieren. Die Städte spielen eine immer größere Rolle.
  • Von Oslo bis Shenzhen: Städte ergreifen Maßnahmen, um die Mobilität der Zukunft zu gestalten.
  • Für Automobilhersteller geht es darum, diese Trends frühzeitig zu erkennen, in ihre Strategiefindung einzubeziehen und mitzugestalten.

Spricht man über die Veränderung der Automobilbranche, geht es aktuell fast ausschließlich um die Elektrifizierung der Fahrzeuge. Einige Länder haben das Ende des Verbrennungsmotors bereits beschlossen, selbst im Autoland Deutschland ist eine Diskussion darüber kein Tabubruch mehr. Die Fahrzeughersteller elektrifizieren ihr Produktportfolio in unterschiedlichen Geschwindigkeiten, Nachhaltigkeit übersetzen sie dabei zumeist mit Elektrifizierung.

Was wird die Mobilität der Zukunft neben neuen Antrieben wirklich prägen?

Weltweit gibt es Initiativen, die den regulatorischen Rahmen für Mobilität grundlegend verändern werden. Dabei haben sich viele Städte an die Spitze der Bewegung gesetzt. Emissionen, Lärm oder Konkurrenz um Flächen setzen vor allem sie unter Handlungsdruck. Einige Städte haben bereits drastische Maßnahmen beschlossen, die über die Frage des Antriebs hinausgehen. Vielerorts geht es heute schon um die Frage, ob es überhaupt noch private Autofahrten in der Innenstadt geben kann. Das macht deutlich: Die Transformation der Hardware ist ein Baustein.

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten. Städte sind für rund 70 Prozent des Energieverbrauchs und der energiebezogenen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Das macht sie zum wichtigsten Ansatzpunkt beim Kampf gegen den Klimawandel. In vielen Städten entstehen zukunftsweisende Mobilitätsideen. Ein Blick auf diese Ideen zeigt, was die Mobilität der nächsten 10 bis 15 Jahre prägen wird – und zwar über die reine Elektrifizierung von Fahrzeugen hinaus.

 „Superblocks“: Wie Barcelona mehr Platz für die Einwohner schafft

Barcelona ist ein Vorreiter beim Thema Nachhaltigkeit. Mit bis zu neun Häuserblocks umfassenden „Superblocks“ (auf Katalanisch „Superilles“) will die Stadt mehr Platz und mehr Grün schaffen. Auf bislang zweispurigen Straßen fällt eine Spur weg. Außerdem drosselt die Stadt das Tempo des Autoverkehrs, erlaubt sind maximal 10 bis 20 km/h. Das schafft Platz für die Menschen; Fußgänger und Radfahrer prägen das Stadtbild. Platz allein reicht Barcelona nicht – es soll auch grüner werden in der Stadt. Deshalb zieren bepflanzte Hochbeete, Blumentöpfe und schattenspendende Bäume die Superblocks.

Nachhaltige Stadtkonzepte

60 %

der bisher von Fahrzeugen genutzten Flächen will Barcelona für andere Nutzungsmöglichkeiten umwandeln.

Das Konzept der Superblocks ist Teil eines Konzepts für nachhaltige Mobilität, das die Stadt 2016 entwickelt hat. Die Widerstände waren damals groß: Geschäftsleute fürchteten Umsatzeinbußen aufgrund fehlender Kunden, Autofahrer wollten nicht auf ihre Fahrzeuge verzichten. Bewahrheitet haben sich die Befürchtungen bislang nicht – im Gegenteil: Die Zahl der Läden stieg sogar an. Insgesamt will Barcelona mehr als 500 Superblocks errichten – und bis zu 60 Prozent der heute von Fahrzeugen genutzten Flächen umwandeln.

Oslo: Wie ÖPNV und Fahrrad das Auto ersetzen

Die Anzahl der Einwohner Oslos wächst. Bis 2040 soll sie nach Prognosen des norwegischen Statistikamts um etwa 140.000 auf rund 850.000 steigen. Die Stadt wächst, die Menschen brauchen Wohnungen, auch das Verkehrsaufkommen legt zu. Das ambitionierte Ziel der Stadt: den Anstieg der Einwohnerzahl vollständig durch den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) abfangen. Zusätzlich sollen die Einwohner schon heute immer öfter auf private Autofahrten verzichten und auf den ÖPNV umsteigen. Deshalb baut Oslo sein ÖPNV-Angebot und -Netz systematisch aus.

Radverkehrsstrategie 2025

1,5 Mrd. €

will Oslo in die Verbesserung der Fahrrad-Infrastruktur investieren.

Eine weitere wesentliche Säule ist die Radverkehrsstrategie 2025. Der Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen soll bis zum Jahr 2025 auf 16 Prozent steigen. Umgerechnet 1,5 Milliarden Euro will die Stadt in die Verbesserung der Infrastruktur für Radfahrer und in das Radwegenetz von insgesamt 510 Kilometern investieren. 2025 sollen 85 Prozent der Einwohner einen Radweg in weniger als 200 Meter Entfernung von ihrem Wohnort vorfinden. Die Stadt fördert auch den Kauf eines elektrischen Lastenrades mit bis zu 1.100 Euro und weitet das Bikesharing-Angebot auf 145 Stationen und 1.600 Räder aus.

Wie Shenzhen den ÖPNV und die Logistik elektrifiziert

Shenzen ist bekannt als Chinas Technologiezentrum. Doch die Stadt macht nicht nur durch den Bau zahlreicher 5G-Stationen Schlagzeilen. Denn Shenzen gilt auch als kohlenstoffarme und elektrifizierte Vorzeigestadt und ist damit ein Paradebeispiel in China. Die Stadt fördert insbesondere die Infrastruktur zur Elektrifizierung des öffentlichen Nahverkehrs sowie der Logistik. Schon heute sind mehr als 17.000 E-Busse und mehr als 20.000 E-Taxis unterwegs, außerdem ist seit 2020 eine autonome Buslinie im Einsatz. Auch Logistiktransporte stellt die Stadt um, bereits heute sind etwa 30 Prozent der gesamten Frachtflotte elektrisch.

Mithilfe von einer Maut zur Netto-Nullemission: London

London verfolgt das Ziel von Netto-Null-Emissionen bis 2050. Statt mit Fahrverboten will die Stadt das Ziel mit Mautgebühren erreichen. Für alle Fahrzeuge, die die Londoner Innenstadt befahren wollen, gilt eine sogenannte Staugebühr (City-Maut). Zudem fallen Gebühren für die Ultra Low Emission Zone (ULEZ) und die Low Emission Zone (LEZ) auf oftmals ältere Fahrzeuge an, die in das Londoner Zentrum Londons einfahren und die entsprechenden Emissionskriterien nicht erfüllen. 2020 betrug eine einmalige tägliche Staugebühr 15 Pfund, die ULEZ-Tagesgebühr liegt bei 12,50 Pfund für die meisten Fahrzeugtypen. Schwere Fahrzeuge wie bestimmte Lastkraftwagen und Busse müssen mit bis zu 100 Pfund rechnen.

Was lässt sich aus diesen Beispielen für die Mobilität der Zukunft ableiten?

  • Weniger privater Fahrzeugverkehr: Viele Maßnahmen zielen darauf ab, die Anzahl der privaten Fahrten mit Pkws drastisch zu reduzieren. Es geht nicht nur darum, ein elektrisches Fahrzeug zu fahren, sondern um weniger Fahrzeuge insgesamt und eine höhere Effizienz der Nutzung jedes einzelnen Fahrzeugs.
  • Mehr Grün und mehr Platz für Menschen: Begrünungen von bisherigen Verkehrsflächen, mehr Bäume und begrünte Fassaden prägen das Stadtbild. Menschen erobern die Flächen zurück, die bislang für Fahrzeuge und für Parkflächen vorgesehen waren. In diesen Flächen wird private Mobilität anders aussehen: zu Fuß gehen, Radfahren und teils Scooter sind integrale Bestandteile einer künftigen urbanen Mobilität.
  •  „Öffis“ next level: Mit Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr erhöhen Städte dessen Attraktivität und Leistungsfähigkeit. Gleichzeitig reduzieren mehr Verbote für Pkws, weniger Parkplätze und zunehmende Kosten für die Einfahrt in bestimmte Innenstadtzonen die Attraktivität, ein Auto in der Innenstadt privat zu fahren. Der öffentliche Nahverkehr wird deshalb ein wesentlicher Baustein in der Mobilitätswende sein.

Aktuell liegt der Fokus in der Mobilitätswende meist auf der Elektrifizierung der Fahrzeuge. Dieser wichtige Schritt wird jedoch nicht allein die Mobilität 2030 gestalten. Vielmehr kommt es zu einer heterogenen Mobilitätslandkarte: Städte agieren mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, urbane und ländliche Mobilität entwickeln sich unterschiedlich. Die Herausforderung für die Unternehmen der Automobilbranche, Hersteller und ihre Zulieferer liegt darin, diese übergreifenden Trends rund um „Beyond Electric“ nicht nur mitdenken, sondern aktiv mitzugestalten. Im Dialog mit Kommunen, Städten und Landesregierungen können die Geschäftsfelder für lebenswerte Städte und nachhaltige Mobilität geschaffen werden.

EYCarbon

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Fazit

Die Automobilbranche steht vor großen Herausforderungen. Bisher dreht sich viel um die Elektrifizierung der Fahrzeuge – doch das allein wird nicht ausreichen. Was bedeutet Mobilität der Zukunft wirklich? Eins ist sicher: Die Hersteller müssen weit über die Fahrzeuge hinaus denken. Was noch kaum berücksichtigt wird: Nicht nur nationale und europäische Regulatorik verändern die Rahmenbedingungen, sondern Städte und Metropolen bestimmen, wie sich Märkte in Zukunft entwickeln. Von Oslo bis Shenzhen, von Bikesharing bis zu neu konzipierten Wohnblöcken und Umweltzonen – Städte geben schon heute vor, wie die Mobilität gestaltet wird.

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Hat jahrzehntelange Erfahrung in der Strategie- und Transaktionsberatung sowie in der Automobilbranche. Ist auch privat ein Autoenthusiast und geht gerne mit Familie und Freunden auf Reisen.

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