10 März 2023
Mann steht zwischen zwei hohen Mauern

Wie Circular Economy die Geschäfts- und die Umweltbilanz verbessert

Von Matthias Brey

EY Europe West Sustainability Leader, EY Consulting GmbH

Leidenschaftlicher Circuneer, der immer wieder auf das zurückgreift, was bereits existiert. Fördert Klimaneutralität durch die Kohlenstoffabscheidung aus Biomasse, um Wasserstoff und Carbon Black zu erzeugen. Liebt seine fünf Kinder.

10 März 2023

Kreislaufwirtschaft zählt zu den Megatrends. Dennoch bräuchte es mehr Unternehmen und Ökosysteme, die die Vision Wirklichkeit werden lassen.

Überblick
  • Der Umbau zur Kreislaufwirtschaft erfordert einen Umbruch – in Prozessen wie im Denken.
  • Bevor es an die große Aufgabe geht, sollten Unternehmen ein Grundverständnis für Funktion und Funktionalität von Circular Economy entwickeln.

Die Feinmechanik von Messtechnik enthält seit jeher viel Messing, einer Legierung mit einem Hauptanteil Kupfer. 2011 erreichte der Preis für dieses Metall ein Rekordhoch. Die meisten Hersteller wechselten daraufhin zu Kunststoff, einer jedoch nicht. Dieser designte stattdessen sein Produkt um, sodass es zurückgenommen und mit wenig Aufwand wieder in den Neuzustand versetzt werden konnte. Dafür wählte er sogar noch höherwertige Materialien. Während die Marge bei der Neuproduktion noch im Negativbereich lag, stieg sie nach dem ersten Wiederherstellungsprozess bereits weit über den üblichen drei bis fünf Prozent. Im dritten Zyklus verdreifachte sich die Marge, dabei war die mögliche Rückführungsquote noch längst nicht ausgeschöpft.

Dieser Hersteller entschied sich vor Jahren für einen anderen, einen neuen Weg – den in die Kreislaufwirtschaft, der Circular Economy (CE). Heute profitiert er davon auf höchstem Niveau.

Megatrend Circular Economy: Da schließt sich der Kreis

Hinzu kommt: Die Wirkung der Produkt-Neugestaltung schlug nicht nur beim Financial Reporting positiv zu Buche, sondern auch in der Umweltbilanz. Die Lebensdauer des Produktes verlängerte sich um ein Vielfaches – das sparte Geld, Abfall und Rohstoffe. Genau die Ziele, die die Circular Economy verfolgt.

Die Kreislaufwirtschaft bezeichnet das Gegenteil der linearen Wirtschaft, bei der aus neugewonnen Materialien neue Produkte zur einmaligen Verwendung konsumiert werden – bis sie wahlweise alt, kaputt oder einfach nicht mehr zeitgemäß sind. Doch diese Form des Wachstums kann die Weltwirtschaft nicht länger aufrechterhalten. Zumal die Rohstoffvorkommen schrumpfen, die Weltbevölkerung dagegen wächst und diese „Wegwerfwirtschaft“ immer mehr Müll und Treibhausgasemissionen erzeugt. Pro Jahr fällt in der EU bereits ein Gesamtabfallaufkommen von 2,5 Milliarden Tonnen an. Ein Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft gehört auch daher zu den Säulen des European Green Deal.

Abfallaufkommen

2,5 Mrd. t

Müll produziert allein die EU jährlich.

Die Maßnahmen des Aktionsplans fördern und fordern eine nachhaltigere Produktgestaltung (Ökodesign), weniger Abfall und die Stärkung des Verbraucherschutzes – zum Beispiel mit dem „Recht auf Reparatur“, das in Deutschland vorerst für einige Haushaltselektrogeräte seit März 2021 in Kraft getreten ist.

So lange wie möglich reparieren, teilen, aufarbeiten, up- und recyceln, um die Umwelt zu schützen, Rohstoffe zu sparen und damit zu sichern. Außerdem Wettbewerbsfähigkeit, Wertschöpfung und Wachstum gleichzeitig zu steigern: Das alles steht hinter Circular Economy im Hinblick auf Produkte und Feedstock (Ausgangsmaterialien).

Steuerliche Implikationen der Kreislaufwirtschaft

Kreislaufwirtschaft: Kleine Schritte zur großen Transformation

Circular Economy zählt zu den aktuellen Megatrends, in 20 bis 25 Jahren wird sie voraussichtlich Normalität und heutige Operational Excellence obsolet sein. Bis dahin steht Unternehmen eine umfassende Transformation bevor, manchen mehr, manchen weniger. Das Interesse an diesem Thema steigt derzeit: Es entstehen erste Projekte, die Regulatorik zeichnet den Weg in vielen Ansätzen vor, Geld zur Umsetzung ökologischer Vorhaben ist vorhanden. Es kann also eigentlich losgehen. Eigentlich.

Dem Start stehen jedoch in vielen Unternehmen ein Informationsdefizit und letztendlich auch eine Neuausrichtung der Denkweise entgegen. Doch erst wenn alle Beteiligten über diverse Ebenen und in verschiedenen Bereichen verstanden haben, worum es geht, worauf es hinausläuft, ist die Diskussionsgrundlage geschaffen, auf der Circular Economy als Chance für Zukunftssicherheit sowohl für das Unternehmen selbst als auch für den Planeten erkannt werden kann. Diese Basis gilt es zu legen und das in begreifbaren Kleinteilen, die sich am Ende zum großen Ganzen zusammenfügen.

Es ist wichtig, klein anzufangen, sich schrittweise Wissen in einem Training anhand von Modellprojekten anzueignen. Denn Wissen ist nicht nur Macht, sondern auch Voraussetzung dafür, etwas erfolgreich zu machen.

Ohne die Komplexität von CE zu erfassen, zu verstehen, was sie ist und kann und wie sie funktioniert, lässt sich keine Strategie definieren. Wenn sie effektiv wirken soll, erfordert das ein sehr weites Denken und Weiterdenken. Denn es geht schließlich darum, ein ganzes Produkt umzugestalten, das Geschäftsmodell, das komplette Ökosystem gegebenenfalls neu aufzustellen. Aus dem, was Unternehmen können und haben womöglich etwas ganz anderes hervorzubringen als bisher, übersteigt häufig die Vorstellungskraft der Verantwortlichen. Darum ist es wichtig, klein anzufangen, sich schrittweise Wissen in einem Training anhand von Modellprojekten anzueignen. Denn Wissen ist nicht nur Macht, sondern auch Voraussetzung dafür, etwas erfolgreich zu machen.

Schlüsselrollen für Chemie und Digitalisierung

Je multidimensionaler das Produkt, desto genauer sollten seine Komponenten und Materialien mit Blick auf CE abgeklopft werden. Für welche „Re-X“-Loops kommen sie einzeln betrachtet überhaupt in Frage und welche davon lohnen sich, welche nicht?

  • Die „Re-X“-Prinzipien der Circular Economy

    Mit der englischen Vorsilbe „Re” beginnen die Worte, die zu den Prinzipien von Circular Economy zählen:

    • Recovery (Wiedergewinnung)
    • Renature (Renaturierung)
    • Reuse (Wiederverwendung)
    • Repair (Reparatur)
    • Refurbishing (Generalüberholung)
    • Remanufacturing (Refabrikation)
    • Repurpose (Alternativer Einsatz)
    • Reduce (Materialreduktion)
    • Recycling (Wiederaufbereitung)

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Eine Schlüsselfunktion in der Circular Economy kommt dabei der Chemie zu. Denn nur die Chemieindustrie ist in der Lage, Materialien umzuformen oder zurück in kleinste Einheiten zu teilen, vom Polymer zum Monomer beispielsweise. Diese Auflösung schafft Ausgangsmaterial für eine Neugestaltung. Entsprechend sauber und präzise wie die Produktion beispielsweise eines Kühlschranks sollte auch seine Rückumwandlung ablaufen. Das Know-how dafür ist bereits vorhanden.

Lösungen wurden zum Beispiel bei der Energieversorgung gefunden, denn auch eine Kreislaufwirtschaft benötigt viel Energie. Hydrothermale Karbonisierung (HTC) treibt einen der größten CE-Loops an: Es ist der Prozess zur Energiegewinnung aus Biomasse, bei dem aus CO2 und Gas am Ende Biokohle entsteht, die bei ihrer Verbrennung nicht mehr CO2 emittiert, als die Pflanze vorher mittels Photosynthese gebunden hat – und damit CO2-neutral ist. Auch das ist Chemie.

Ebenso notwendig für eine funktionale CE ist die Digitalisierung. Durch die Verschiebung von einer linearen Wirtschaft hin zu den „Re-X“-Loops verlagert sich auch die einfache Supply Chain vom Hersteller zum Kunden hin zu einem breitflächigen Netz von Standorten, die alle mit der Serviceleistung von Instandhaltung und Reparatur bedient werden wollen. Das wäre für die Fülle an Produkten mit Fachkräften schlicht nicht umsetzbar – es funktioniert jedoch mittels Digitalisierung. Sie ist in der CE ein Vehikel, um Mitarbeitern jederzeit und überall eine klare Anweisung zu geben, was in welchen Schritten für ein Produkt zu tun ist. Was heute ein Angestellter in einer Fabrik ausführt, muss in Zukunft an Tausenden Orten gleichzeitig prozesssicher erfüllt werden können. Auch das Monitoring, die Überwachung von Produkten und Prozessen, wird sich künftig bedeutend breiter und individueller ausdehnen und wäre ohne digitale Tools nicht denkbar.

Noch ist kein Leuchtturmunternehmen in Sicht, das hinsichtlich seiner Produkte und Lieferketten für vorbildliche Kreislaufwirtschaft strahlt. Das würde als Beispiel dem Grundverständnis von CE dienen. Doch es lässt sich auch theoretisch aufbauen und kann dann Motivation dafür sein, selbst eines der ersten Leuchtfeuer zu entzünden.

Beim Thema Elektromobilität ist die deutsche Wirtschaft auf einen fahrenden Zug aufgesprungen, der längst in Gang gesetzt war. Beim Thema Circular Economy hätte sie mit einer gesunden Industrie und der Kompetenz in Maschinen- und Anlagenbau eine solide Basis und damit beste Chancen, Lokführer zu werden.

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Fazit

Circular Economy dient nicht allein der Reduktion von Emissionen und der Ersparnis von Rohstoffen. Sie kann für Unternehmen Vorteile über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg bedeuten, Kosten einsparen und neue Umsatzpotenziale erschließen. Notwendig ist dafür eine holistische Unternehmenstransformation, die ein Grundverständnis von Kreislaufwirtschaft voraussetzt.

Über diesen Artikel

Von Matthias Brey

EY Europe West Sustainability Leader, EY Consulting GmbH

Leidenschaftlicher Circuneer, der immer wieder auf das zurückgreift, was bereits existiert. Fördert Klimaneutralität durch die Kohlenstoffabscheidung aus Biomasse, um Wasserstoff und Carbon Black zu erzeugen. Liebt seine fünf Kinder.