4 Minuten Lesezeit 9 Februar 2023
lächelnde junge frau auf couch

Langfristiger Erfolg mit dem Direct-to-Consumer-Modell

Von Michael Renz

Leiter EY Global Retail Technology, EY Consulting GmbH | Deutschland

Fokussiert auf die Transformation von Unternehmen von innen nach außen. Agent des Wandels. Achtsam in der Zusammenarbeit. Skifahrer. Vater.

4 Minuten Lesezeit 9 Februar 2023

D2C kann für Unternehmen ein weiterer Vertriebskanal und damit eine zusätzliche Einnahmequelle sein. Es gibt jedoch einiges zu beachten.

Überblick
  • Der ständig mobile Kunde von heute erwartet ein auf ihn persönlich zugeschnittenes Einkaufserlebnis und zuverlässige Verfügbarkeit der Ware – und all das zu einem günstigen Preis.
  • Möchten Unternehmen das D2C-Modell ausprobieren, müssen sie – um gegenüber der immer größer werdenden Konkurrenz bestehen zu können – dem Kunden dieses Erlebnis bieten.
  • Um die Kunden an sich zu binden und damit langfristig erfolgreich zu sein, sind Investitionen vor allem in den Online-Auftritt und die Lieferkette nötig.

Corona hat die Welt verändert – auch die Shoppingwelt: Ganze 47 Prozent der Verbraucher besuchen seltener den Laden vor Ort, 39 Prozent kaufen mittlerweile sogar Produkte online, die sie vorher im Einzelhandel gekauft hatten.

Um im Online-Geschäft bestehen zu können, bedarf es allerdings mehr als nur eines Internetauftritts. Denn die digital versierten Verbraucher von heute erwarten ein individuelles, personalisiertes Einkaufserlebnis, zuverlässige Produktverfügbarkeit und eine problemlose und schnelle Abwicklung und Lieferung – und all das möglichst zu einem günstigen Preis. Denn aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage sind 67 Prozent der Kunden beim Thema Geldausgeben vorsichtiger geworden, 75 Prozent nannten den Preis gar als eines der Top-Kriterien für den Kauf eines Produkts. Dies ändert jedoch nichts an ihren hohen Erwartungen.

Investieren, investieren, investieren

„User Experience“ und „Customer Journey“ lauten daher die Zauberworte, die für Kundenbindung und damit langfristigen Erfolg und Umsatz sorgen. Das gilt auch für Unternehmen, die die Direktvermarktung ihrer Produkte – ohne Umwege über Zwischenhändler und Verkaufsplattformen wie Zalando & Co. – anbieten wollen. Denn gerade für etablierte Marken hat ein hervorragendes Online-Kauferlebnis auch einen erheblichen Einfluss auf den Markenwert und die Wahrnehmung. Und da immer mehr Unternehmen das Direct-to-Consumer-Modell testen, müssen Verbrauchermarken geschickt agieren, um hier wettbewerbsfähig zu sein. Daher sollten unbedingt die Möglichkeiten des Online-Shoppings verbessert, flexiblere Zahlungs- und Vertriebsmöglichkeiten angeboten und die Abwicklungsprozesse modernisiert werden. Kurzum: Sollen die Vorteile dieses Vertriebsmodells genutzt werden, sind Investitionen nötig.

Zuallererst geht es darum abzuwägen, welche Produkte sich am besten für einen D2C-Versuch eignen. Hier muss eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigt werden, etwa Größe, Preis und Transportkosten pro Einheit. Ist dieser Schritt geschafft, sollten sich Unternehmen um das Kundenerlebnis kümmern. Laut dem amerikanischen Marktforschungsinstitut Forrester haben fast 20 Prozent der globalen Marken eine Verschlechterung der Kundenerfahrung festgestellt. Dabei profitieren nicht nur die Kunden von einem verbesserten Kauferlebnis, sondern auch die Unternehmen selbst. Denn so können Daten über den Verbraucher gesammelt werden – etwa der durchschnittliche Bestellwert, der Customer Lifetime Value oder das Kundenverhalten –, die einen 360-Grad-Blick auf den Verbraucher gestatten. Dies ermöglicht dann wiederum eine personalisierte Interaktion durch maßgeschneiderte Werbeaktionen und Treueprogramme. Eine schrittweise Verbesserung bei der Gestaltung des Kundenerlebnisses könnte so zu einem exponentiellen Anstieg des Online-Kanal-Umsatzes führen.

Unzufriedenheit durch Versandkosten und vergriffene Waren verhindern

Wie also kann die Kundenerfahrung beim Online-Shopping verbessert werden? Hierzu sollten Unternehmen auf entkoppelte Headless-Technologien setzen: Während sich ein flexibles und kurzfristig veränderbares Frontend um eine positive Nutzererfahrung und Kundenbindung kümmert, ist das langlebige und stabile Backend für Zahlungsverarbeitung und Rechnungsstellung, Datenanalyse, Warenkorbverwaltung, Bestandskontrollen, Verfügbarkeit und Betrugsauthentifizierung zuständig. So kann ein zuverlässiger und konsistenter Service gewährleistet werden.

Genau wie eine schlechte Verkaufsplattform können auch hohe Versandkosten die Kundenzufriedenheit beeinträchtigen. Für ganze 31 Prozent der Online-Käufer sind sie gar ein Hauptgrund für Unzufriedenheit. Daher müssen Unternehmen eine dynamische Strategie für die Beschaffung und Ausführung von Aufträgen entwickeln, um den Kunden einen hervorragenden Service zu bieten und gleichzeitig ihre Kosten so niedrig wie möglich zu halten.

Ein weiteres großes Ärgernis für die Verbraucher – für 21 Prozent sogar das größte – sind vergriffene Waren. Ganz wichtig daher: eine hohe Lagerverfügbarkeit. Damit es allerdings nicht zum gefürchteten Bullwhip-Effekt kommt, bei dem eine zeitverzögerte Kommunikation und schlechte Abstimmung zwischen den einzelnen Stufen einer Lieferkette sowie die Bestellung eines zusätzlichen Sicherheitsbestandes auf jeder Ebene für zu hohe Lagerbestände sorgen, sind eine Echtzeit-Transparenz der Bestände und bessere Bestandsverwaltungsfunktionen wichtig. Die Schaffung optimaler ATP-Fenster (Available-to-Promise) durch die Implementierung intelligenter Lösungen kann Out-of-Stock-Situationen für die Kunden reduzieren.

Nadelöhr Lieferkette

Alles steht und fällt aber mit der Lieferkette. Sie ist von ganz wesentlicher Bedeutung für den Erfolg eines D2C-Modells. Um eine dynamische und widerstandsfähige Lieferkette aufzubauen, sind ebenfalls Investitionen nötig. So kann es etwa erforderlich sein, das Nearshoring voranzutreiben – also die Produktion in östlicher gelegene Länder zu verlagern – um die Personalkosten zu senken. Außerdem muss das Risiko im gesamten Liefernetzwerk optimiert, die Beschaffungspolitik geändert und neue Geschäftsbeziehungen aufgebaut werden. Um die logistische Effizienz zu steigern, ist es außerdem wichtig, die Ressourcenplanung und -nutzung zu verbessern. Der wahrscheinlich wichtigste Faktor für die Rentabilität ist jedoch die Zustellung auf der letzten Meile. Branchenschätzungen zufolge könnte sie bis zu 53 Prozent der Gesamtkosten für den Versand ausmachen und den Gewinn bei Online-Lieferungen um bis zu 26 Prozent beeinträchtigen. Die schlechte Nachricht: 34 Prozent der befragten Supply-Chain-Experten betrachten die Verfügbarkeit von Zustelldiensten für die letzte Meile als kritischen Aspekt bei der Bereitstellung eines überragenden Kundenerlebnisses. Hier sind technologiegestützte Lösungen und Partnerschaften vonnöten, um Zuverlässigkeit zu gewährleisten.

Während Rücksendungen im Online-Handel zwar bis zu 20 Prozent des gesamten Bestellvolumens ausmachen, können sie Unternehmen andererseits auch einen großen Dienst erweisen. Denn indem mit ihrer Hilfe Erkenntnisse über das Verbraucherverhalten, nämlich zu Art und Grund der Rücksendung, gesammelt werden, bieten sie eine große Chance für Verbesserungen. Mithilfe moderner Technologien können die Verbraucher während des gesamten Rückgabeprozesses eingebunden werden – was für Kundenzufriedenheit sorgt –, während eine dynamische Verfolgung und die Optimierung der Routen die Logistikplanung verbessern und Kosten minimieren.

Zu guter Letzt ist natürlich auch das richtige Personal entscheidend für den Erfolg: Führungskräfte und Talente müssen die technischen Anforderungen verstehen, damit die Geschäftsziele erreicht werden können. Und – vor allem für große Unternehmen wichtig: Durch eine Glokalisierung der Unternehmensrichtlinien wird die Relevanz sowohl global als auch für lokale Märkte gewährleistet.

Alles in allem lässt sich also festhalten, dass Unternehmen, die das Direct-to-Consumer-Modell anbieten möchten, einiges beachten und vor allem Investitionen in den Online-Auftritt und die Lieferkette nicht scheuen sollten. Eine benutzerfreundliche, moderne Verkaufsoberfläche allein reicht für Kundenbindung und damit langfristigen Erfolg und Gewinn jedenfalls nicht aus. Glücklicherweise können Unternehmen aber einiges tun, um an den richtigen Stellschrauben zu drehen und ihre Käufer nachhaltig zufriedenzustellen.

Fazit

Der Kunde von heute shoppt am liebsten online – und wünscht sich dementsprechend personalisierte und nachhaltige Einkaufserlebnisse zu einem günstigen Preis. Für Unternehmen, die das Direct-to-Consumer-Modell als zusätzlichen Vertriebskanal ausprobieren möchten, gibt es daher vieles zu beachten, wenn sie mit diesem Modell langfristig erfolgreich sein möchten.

Über diesen Artikel

Von Michael Renz

Leiter EY Global Retail Technology, EY Consulting GmbH | Deutschland

Fokussiert auf die Transformation von Unternehmen von innen nach außen. Agent des Wandels. Achtsam in der Zusammenarbeit. Skifahrer. Vater.