4 Minuten Lesezeit 18 August 2022
Ältere hispanische Frau beim Einkaufen in einem Lebensmittelladen

Einkaufsverhalten eingeschränkt: Deutsche sind eher pessimistisch

Von Michael Renz

Leiter EY Global Retail Technology, EY Consulting GmbH | Deutschland

Fokussiert auf die Transformation von Unternehmen von innen nach außen. Agent des Wandels. Achtsam in der Zusammenarbeit. Skifahrer. Vater.

4 Minuten Lesezeit 18 August 2022

Das Einkaufsverhalten der Deutschen weicht teils stark vom internationalen Schnitt ab – weil wir eher pessimistisch sind.

Überblick
  • Die deutschen Verbraucher blicken eher pessimistisch in die nächsten Monate und machen sich viele Sorgen.
  • Vor allem steigende Kosten und die eigene finanzielle Situation bereiten den Deutschen Kopfschmerzen.
  • Bei anderen Herausforderungen wie dem Klimawandel und Nachhaltigkeit ist Deutschland aber in einer Vorreiterrolle.

Krieg in Europa, hohe Inflation, Klimawandel – die Welt durchlebt in der letzten Zeit eine tumultartige Phase. Dies wirkt sich zwangsläufig auf die Verbraucher in Deutschland und weltweit und auf deren Einschätzungen und Kaufentscheidungen aus. Im Rahmen des Future Consumer Index hat EY insgesamt 18.000 Menschen in den 24 wichtigsten Märkten weltweit befragt – in Deutschland haben 1.000 von ihnen an der Erhebung teilgenommen. Die Ergebnisse sind spannend: Immer wieder weichen die Deutschen vom internationalen Schnitt teils beträchtlich ab – ob beim Blick in die Zukunft oder bei der Einschätzung von Nachhaltigkeit.

Große Sorgen wegen internationaler Konflikte und Klimawandel

Fast alle befragten Menschen in Deutschland machen sich angesichts internationaler Konflikte und Kriege Sorgen. 38 Prozent geben an, mittelmäßig besorgt zu sein, während sechs von zehn Befragten (60 %) sogar äußerst besorgt sind. Weiterhin bereiten steigende Lebenshaltungskosten den Deutschen Kopfschmerzen: 61 Prozent sind äußerst besorgt, während 36 Prozent zumindest mittelmäßig besorgt sind – lediglich 3 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen das Thema Lebenshaltungskosten keine Sorgen bereitet. Das dritte große Sorgenthema ist der Klimawandel: Hier machen sich 48 Prozent große und 43 Prozent mittlere Sorgen – insgesamt 91 Prozent der Befragten in Deutschland.

Im internationalen Vergleich sehen viele Nationen diese Herausforderungen deutlich entspannter als die Deutschen. Während sich 57 Prozent der Italiener große Sorgen angesichts aktueller Kriege und Konflikte machen, sind es in Frankreich nur 46, in den USA nur 41 und in China sogar nur 26 Prozent. Auch bei den steigenden Lebenshaltungskosten sind die Sorgen nur in Indien mit 69 Prozent der Befragten größer als in Deutschland. Im Vereinigten Königreich (47 %), den USA (41 %) und in China (26 %) sind sie nicht so groß wie hierzulande.

Klimawandel und gesellschaftliche Konflikte sind Probleme in Indien – aber großer Optimismus für die Zukunft

Grundsätzlich haben die Menschen in Indien einige Sorgen. So bereitet 69 Prozent der Klimawandel große Sorgen (Deutschland: 48 %, USA: 37 %, internationaler Durchschnitt: 43 %), 55 Prozent machen sich große Sorgen wegen innergesellschaftlicher Konflikte (Deutschland: 37 %, USA: 38 %, internationaler Durchschnitt: 32 %). In beiden Kategorien ist das zweitgrößte Land der Welt Spitzenreiter.

Was die öffentliche Debatte seit einigen Wochen prägt, zeigt sich auch in den Ergebnissen des Future Consumer Index: Die Deutschen befürchten, dass steigende Kosten für Strom, Gas und Wasser im kommenden Jahr ihr Leben stark beeinflussen werden: Zwei Drittel der Befragten rechnen fest damit (67 %), das sind 8 Prozentpunkte mehr als im internationalen Vergleich. Bei Nahrungsmitteln sind es sechs von zehn Befragten (61 %) und damit 5 Prozentpunkte mehr als im weltweiten Schnitt. Auch angesichts steigender Kosten für Kraftstoffe (56 %) und wegen schlechterer Möglichkeiten, Geld zum Sparen zurückzulegen (34 %); machen sich die Deutschen Sorgen. Geringer sind die Bedenken beim Kauf einer Immobilie: Während im internationalen Vergleich drei von zehn Befragten der Aussagen zustimmen, dass sie eine schlechtere Chance haben würden, eine Immobilie kaufen zu können, sind es in Deutschland lediglich 23 Prozent.

Trotz der kurzfristigen Sorgen in Indien blicken die Menschen dort positiv in die Zukunft: So glauben 76 Prozent der Befragten, dass es ihnen in drei Jahren besser gehen wird. Auch Chinesen (62 %) und US-Amerikaner (46 %; 29 % pessimistisch) sind tendenziell optimistisch. In Europa sieht das Bild anders aus: Die meisten Einwohner europäischer Länder denken, dass es ihnen in drei Jahren schlechter gehen wird: 42 Prozent in Italien (25 % glauben, dass es ihnen besser gehen wird), 45 Prozent in Deutschland (16 % optimistisch) und ganze 57 Prozent in Frankreich. Im internationalen Vergleich ist das Bild ausgewogen: 31 Prozent der Befragten gaben an, dass es ihnen in drei Jahren eher schlechter gehen wird, 45 Prozent sehen es andersherum. Rechnerisch bedeutet dies, dass 24 Prozent nicht davon ausgehen, dass sich viel ändern wird.

Senior hispanic woman shopping in grocery store

Future Consumer Index - Wave 10

Viele Dinge, die wir für selbstverständlich hielten, wurden in den vergangenen zweieinhalb Jahren auf den Kopf gestellt. Auch Konsumverhalten und Kauferlebnisse der Kunden haben sich massiv verändert.

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Deutsche bei eigenen Finanzen pessimistisch

In Deutschland sind die Befragten insbesondere beim Thema persönliche Finanzen pessimistisch: Nur 18 Prozent glauben, dass sich ihre finanzielle Situation in den nächsten drei Jahren verbessern wird – 35 Prozent gehen von einer Verschlechterung aus. Damit ist die Bundesrepublik Schlusslicht im Vergleich aller befragten Länder. Am optimistischsten sind hier wieder die Menschen aus Indien: Mehr als acht von zehn Befragten gehen von einer Verbesserung ihrer persönlichen Finanzen in den nächsten drei Jahren aus (83 %), lediglich 4 Prozent erwarten, dass sich ihre Situation verschlechtert. Ebenfalls sehr optimistisch sind die Menschen in China (69 %). Auch in den USA (43 %), Schweden (34 %) und Finnland (31 %) überwiegt der Optimismus, allerdings häufig nur knapp. Im Vereinigten Königreich, Frankreich, Italien und Japan glauben mehr Menschen, dass sich ihre Situation verschlechtern wird. Global betrachtet sieht das Bild aber besser aus: 47 Prozent glauben an eine Verbesserung ihrer finanziellen Lage, nur 19 Prozent rechnen mit einer Verschlechterung.

Auch mit Blick auf andere Aspekte des Lebens zeigt sich der deutsche Pessimismus an vielen Stellen: Nur 8 Prozent glauben, dass sich ihre körperliche Gesundheit in den nächsten sechs Monaten verbessern wird (weltweit: 29 %), 9 Prozent erwarten eine berufliche Verbesserung (weltweit: 25 %). Auch bei der Entwicklung der nationalen Wirtschaft glauben nur 8 Prozent an eine Verbesserung (weltweit: 22 %). Allerdings rechnen in allen Aspekten die meisten Befragten aus Deutschland damit, dass sich am Status quo nicht ändern wird, und gehen nicht zwangsläufig von einer Verschlechterung aus.

Deutschland hinkt in der Versorgungslage hinterher

Auch bei der Versorgung von Produkten schneidet Deutschland im internationalen Vergleich schwach ab. Sagten weltweit im Februar 50 Prozent der Befragten, dass Produkte nicht vorrätig waren, die sie kaufen wollten, waren es in Deutschland nur 36 Prozent. Im Juni hatte sich der internationale Wert um 4 Prozentpunkte auf 46 Prozent reduziert – in Deutschland aber stieg er auf ganze 59 Prozent. Wegen der geringen Verfügbarkeit und gestiegener Preise versuchen 55 Prozent der Deutschen, weniger Geld für nicht notwendige Dinge auszugeben (weltweit: 51 %), 27 Prozent der Deutschen kaufen sogar nur noch notwendige Dinge (weltweit: 49 %). Etwa jeder dritte Deutsche steigt von Markenprodukten auf Eigenmarken um, um Geld zu sparen (35 %).

Insbesondere bei frischen (74 %) und verarbeiteten Lebensmitteln (73 %) fällt es den Deutschen leicht, auf Eigenmarken zu wechseln – damit stehen sie im internationalen Vergleich auf den Spitzenplätzen. Bei Bekleidung, Schuhen und Accessoires können sich zumindest 44 Prozent der Befragten noch vorstellen, auf Eigenmarken zu wechseln. Schwerer tun sich die Deutschen – und die internationale Gemeinschaft – beim Alkohol. Nur jeder Dritte (33 %) würde hier auf das Markenprodukt verzichten. Deutlich mehr sind es in Indien (58 %) und im Vereinigten Königreich (42 %). In Frankeich kann sich das nur gut jeder Sechste vorstellen (18 %).

Nachhaltigkeit: Deutschland in einer Vorreiterrolle

Beim Thema Nachhaltigkeit sind die Deutschen in einer Vorreiterrolle. So benutzen knapp acht von zehn Einkäufern (78 %) eine wiederverwendbare Tragetasche – weit mehr als im weltweiten Vergleich (58 %). 63 Prozent stimmen der Aussage zu, so viel Energie wie möglich zu sparen (weltweit: 47 %). 29 Prozent der Deutschen verzichten auf das Auto und nehmen stattdessen das Fahrrad, den Bus oder die Bahn – auch hier sind es mit 22 Prozent weltweit weniger. So hat das Thema Klimawandel in Deutschland einen vergleichsweisen hohen Stellenwert: Für 40 Prozent der Deutschen gehört es zu den drei dringendsten Themen in puncto Nachhaltigkeit. In den USA sind es nur 27 Prozent, in China 25. Dennoch scheuen sich viele Deutsche vor nachhaltigen Produkten, in erster Linie wegen hoher Kosten (70 % geben das als Grund an), aber auch wegen vermeintlich schlechter Qualität (58 %), irreführender Werbung (56 %) oder schlechter Verfügbarkeit (48 %). 38 Prozent der Deutschen haben kein Interesse daran, nachhaltige Produkte zu kaufen.

Der aktuelle Future Consumer Index zeigt: Die Deutschen weichen in einigen Punkten teils deutlich vom internationalen Durchschnitt ab, insbesondere wenn es um die Einschätzung der Entwicklung der nächsten Jahre angeht – hier ist in der Bundesrepublik tendenziell Pessimismus angesagt. Andererseits zeigen sich die Deutschen als Vorreiter bei der Nachhaltigkeit, sind Weltmeister bei der Nutzung wiederverwendbarer Tragetaschen und betrachten den Klimawandel mehr als die internationale Welt als eine große Herausforderung.

Fazit

Der Krieg in Europa, der Klimawandel und hohe Preissteigerungen – die Verbraucher in Deutschland und weltweit stehen vor mehreren Herausforderungen. Global betrachtet reagieren die Länder unterschiedlich darauf – das zeigt der neue Future Consumer Index von EY. Die Deutschen sind tendenziell pessimistisch und glauben nicht, dass sich ihre Situation bald bessern wird. In Sachen Nachhaltigkeit und Klimawandel können sich die anderen Länder allerdings noch einiges von Deutschland abschauen.

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Von Michael Renz

Leiter EY Global Retail Technology, EY Consulting GmbH | Deutschland

Fokussiert auf die Transformation von Unternehmen von innen nach außen. Agent des Wandels. Achtsam in der Zusammenarbeit. Skifahrer. Vater.