7 Minuten Lesezeit 7 Mai 2020
Frau im Home Office

COVID-19: Fünf Finanzthemen, die Unternehmen jetzt beachten sollten

Autoren
Gerd Winterling

Partner, Wirtschaftsprüfer, Head of Financial Accounting Advisory Services Germany, EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft | Deutschland

Unterstützt seine Mandanten beim Aufbau einer zukunftsfähigen Finanzfunktion und begleitet seine Kolleg:innen auf ihrer persönlichen Wachstumreise

Jörg Bösser

Partner Assurance Solutions, EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft | Deutschland

Blickt auf über 25 Jahre Berufserfahrung in der Prüfung und Beratung großer börsennotierter Gesellschaften und Familienunternehmen im In- und Ausland zurück.

7 Minuten Lesezeit 7 Mai 2020

Wertminderung, Arbeitnehmerbelange oder belastende Verträge: Die Corona-Krise wirkt sich auch auf die Finanzabteilungen aus.

Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie stellt Unternehmen auf der ganzen Welt vor große Herausforderungen, sowohl auf operativer Ebene als auch auf der Ebene der Finanzorganisation. Mit Blick auf die Abschlusserstellung sind etliche Fragestellungen zur IFRS-Bilanzierung zu berücksichtigen.

Einige Regulierungsbehörden unterschiedlicher Länder haben Entlastungen in Bezug auf die Erstellung und Einreichung von Jahresberichten und andere Regelungen in Betracht gezogen.

In Deutschland hat das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) mehrere fachliche Hinweise zu den Folgen der COVID-19-Pandemie auf Rechnungslegung und Prüfung veröffentlicht. Darin geht das IDW sowohl auf die Auswirkungen der Berichtsperioden ein, die am 31. Dezember 2019 enden, als auch auf die Auswirkungen auf Berichtsperioden, die nach dem 31. Dezember 2019 enden.

1. Wertminderung von Vermögenswerten (Impairment)

Unternehmen sind verpflichtet, regelmäßig (spätestens am Ende jeder Berichtsperiode) und anlassbezogen ihre langfristigen Vermögenswerte – allen voran den Goodwill – einem Werthaltigkeitstest zu unterziehen. Ein Vermögenswert ist in seiner Werthaltigkeit beeinträchtigt, wenn ein Unternehmen nicht in der Lage ist, seinen Buchwert entweder durch Nutzung oder durch Veräußerung des Gegenstandes wiederzuerlangen.

Anlass für den Werthaltigkeitstest ist ein sogenanntes Triggering Event, das auf internen oder externen Informationsquellen beruht. Beispiele für externe Informationsquellen sind gesunkene Börsen- oder Rohstoffpreise, fallende Markzinssätze oder eine sinkende Marktkapitalisierung. Interne Informationsquellen sind beispielsweise Produktionsstopps, Marktschließungen oder sinkende Nachfrage und Verkaufspreise für Waren und Dienstleistungen. In der Corona-Krise könnten eine mögliche Rezession und der beobachtbare Absturz der Aktienkurse Triggering Events sein.

Bei der Beurteilung der Wertminderung müssen Unternehmen die erzielbaren Beträge der Vermögenswerte bestimmen. Dafür schätzen sie die erwarteten zukünftigen Cashflows – auch unter Berücksichtigung möglicher Schwankungen. Dabei ist zu beachten, dass kurzfristige Einbrüche ein Indiz für eine Wertminderung seien können, der Werthaltigkeitstest jedoch an einen längerfristigen Planungshorizont gekoppelt ist. So ist für den Goodwill beispielsweise eine fünfjährige Detailplanung zu berücksichtigen, die in der ewigen Rente vereinfacht mit einer Wachstumsrate extrapoliert wird. Bei der Bestimmung des Fair Value abzüglich Abgangskosten muss der aktuelle Wert am Bilanzstichtag und nicht ein möglicher Zukunftswert bestimmt werden.

In jedem Fall ist jedoch die Unsicherheit am Abschlussstichtag zu berücksichtigen, und zwar in zweierlei Hinsicht: zum einem in der Planung und zum anderen, dazu äquivalent, in der Risikoprämie, d. h. im Kapitalisierungszins (WACC).

Bei der hohen Unsicherheit in der Prognose kann es hilfreich sein, in der Planung verschiedene Exit-Strategien aus dem Lockdown zu betrachten. Darauf basierend kann ein gewichteter Erwartungswert abgeleitet werden.

In der Folge steigen auch die erforderlichen Angaben im Anhang. Die Corona-Krise sorgt für eine große Unsicherheit. Umso wichtiger ist es, dass Unternehmen die getroffenen Annahmen, deren Beweise und die Auswirkungen einer Änderung der Annahmen detailliert offenlegen.

Im Zuge der COVID-19-Pandemie kann es passieren, dass bestehende Verträge durch die aktuelle Situation nicht mehr im vertraglich festgelegten Rahmen erfüllt werden können. 

2. Belastende Verträge prüfen

Unternehmen müssen prüfen, ob Verträge als „belastende Verträge“ gelten können, bei denen die unvermeidbaren Kosten zur Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen höher sind als der erwartete wirtschaftliche Nutzen.

Im Hinblick auf den Stichtag (Beispiel Quartalsabschluss) können aufgrund der COVID-19-Pandemie bestimmte Lieferverpflichtungen oder Abnahmeverpflichtungen möglicherweise nicht fristgerecht erfüllt werden. Dabei kann das Unternehmen als Lieferant, aber auch als Abnehmer von Lieferungen einen belastenden Vertrag halten. Besonders kritisch sind in der Krise insbesondere Verträge mit einer kurzen Restlaufzeit (ca. 3–4 Monate). So ist zum Beispiel ein fester, nicht kündbarer Energieliefervertrag, bei dem durch die Schließung von Teilbereichen eines Werks den Kosten kein Nutzen entgegensteht, ein belastender Vertrag. Wichtig ist jedoch auch hier die Betrachtung über die gesamte Vertragslaufzeit.

Rückstellungen für verlustbringende Verträge sind mit dem niedrigeren Wert aus Strafzahlungen für eine Beendigung des Vertrags und den Vertragserfüllungskosten zu bewerten. Verträge sollten auch auf mögliche Sonderregelungen zu höherer Gewalt geprüft werden; das gilt auch für die Frage, ob Verträge vorzeitig kündbar sind. Es gilt der Vorrang der verlustfreien Bewertung.

3. Wie sich die Corona-Krise auf Mieter und Vermieter auswirkt

Hotels, Büros oder Einzelhandelsläden sind derzeit nicht bzw. nur eingeschränkt nutzbar, Mieten müssen jedoch weiter gezahlt werden. Leasingnehmer können mit dem Vermieter über Mietstundungen, mietfreie Zeiträume oder eine Umstellung von fixen Mietzahlungen auf variable verhandeln. Außerdem sollten sie Klauseln zu höherer Gewalt (Force-Majeure-Klauseln) oder mögliche staatliche Zuschüsse betrachten, um die Mietlasten möglichst gering zu halten. Die Auswirkungen der Corona-Krise, zum Beispiel geschlossene Filialen, machen eine Neueinschätzung des Leasingzeitraums möglich, die dazu führen kann, dass optionale Verlängerungszeiträume nicht mehr zu berücksichtigen sind. Die unterschiedlichen Grundlagen für geänderte Mietzahlungen müssen jeweils entsprechend den geltenden Standards bilanziert werden. Bei anhaltender Nichtnutzung ist das Nutzungsrecht ebenfalls auf eine Wertminderung zu überprüfen.

Am 17. April 2020 hat das IASB einen einstimmig beschlossenen Entwurf veröffentlicht, auf dessen Basis der Leasingnehmer das Wahlrecht hat, gestundete oder (teilweise) erlassene Mietzahlungen als negative variable Zahlung zu erfassen, und im Zuge dessen nicht überprüfen muss, ob das Kriterium einer „Modifikation“ vorliegt. Grund für die Anwendung muss die aktuelle COVID-19-Pandemie sein. Für die Inanspruchnahme des Wahlrechts gelten folgende Voraussetzungen:

a) Die geänderten Leasingzahlungen müssen im Wesentlichen den Zahlungen vor der Änderung entsprechen (oder geringer sein).

b) Die (reduzierten) Leasingzahlungen dürfen nur im Jahr 2020 fällige Zahlungen betreffen.

c) Es dürfen keine wesentlichen Änderungen sonstiger Vertragskonditionen vorgenommen worden sein.

Dieser Entwurf gilt nicht für Leasinggeber und muss nach endgültiger Verabschiedung noch von der EU endorst werden.

Auch auf der Vermieterseite macht sich die COVID-19-Pandemie bemerkbar. Mieter fragen nach Mietstundungen, umsatzabhängige Mieten brechen ein und es gibt kaum Neuanmietungen von Gebäuden. Insgesamt besteht eine große Unsicherheit bezüglich der Bewertung von Immobilien.

4. Finanzinstrumente

Die Corona-Krise wirkt sich auch auf Finanzinstrumente aus. So können abgesicherte Transaktionen (z. B. geplante Umsätze, Einkäufe, Investitionen, Zinszahlungen) verschoben werden, ausfallen oder in deutlich geringerem Umfang als ursprünglich geplant erfolgen.

Die Klassifizierung der Sicherungsbeziehung in „Eintritt ist nicht mehr hochwahrscheinlich, aber immer noch zu erwarten“ und „Eintritt ist nicht mehr zu erwarten“ ist sehr wichtig und hat signifikante Auswirkungen auf das Hedge Accounting.

Außerdem können die Ausfallrisiken für Forderungen aus Lieferungen und Leistungen wie auch für Finanzierungen gestiegen sein, was eine Anpassung des Wertminderungsmodells nach IFRS 9 notwendig macht. Denn das erwartete Ausfallrisiko nach dem Expected Credit Loss-Modell beruht auf historischen Erwartungswerten, die auf eine Pandemie nicht zutreffen. Die historischen Werte müssen demnach angepasst werden.

Langfristig ausgegebene Darlehen, die Gegenstand des allgemeinen Wertberichtigungsprinzips sind, könnten durch Verschlechterung der finanziellen Lage der Gegenpartei von Stufe 1 (zwölfmonatige Betrachtung) des Wertberichtigungsmodells in Stufe 2 (Ausfallrisiko über gesamte Restlaufzeit zu berücksichtigen) rutschen.

Die Regierung hat unter anderem Unterstützungsmaßnahmen und umfassende Konjunkturpakete beschlossen. Dazu zählen beispielsweise direkte Subventionen, Steuerbefreiungen, verlängerte Laufzeiten für nicht genutzte Steuerverluste, zinsgünstige Darlehen oder die Einführung von Kurzarbeit.

5. Corona-Krise: Folgen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber

Für das Kurzarbeitergeld und die darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge dürfen Unternehmen keine Rückstellungen bilden. Denn das Anrecht auf Kurzarbeitergeld haben die Arbeitnehmer und der Arbeitgeber fungiert nur als Zahlstelle; das Geld stellt also einen durchlaufenden Posten dar. Die konkrete Leistungsverpflichtung liegt bei der Bundesagentur für Arbeit. Die Erstattungen der Sozialversicherungsbeiträge sind ein Zuschuss, der in den Anwendungsbereich des IAS 20 „Bilanzierung und Darstellung von Zuwendungen der öffentlichen Hand“ fällt. Die erstatteten Beträge sind entweder brutto als sonstige Erträge oder netto als Minderung der Personalaufwendungen zu bilanzieren.

Das Kurzarbeitergeld ist nur eines von vielen arbeitsrechtlichen Fragen der Corona-Krise. Andere große Themen sind die Flexibilisierung der Arbeitszeitkonten oder die Überprüfung von Pensionszusagen. Veränderte Unternehmensplanung und Prognosen verändern auch die erwarteten Unternehmensziele. Das führt zur Prüfung von kurz- und langfristigen Vergütungszusagen.

Handlungsempfehlungen

Je nach Branche und Unternehmen kann es weitere oder andere Themen geben, die ganz wesentlich die Finanzberichterstattung und die einschlägigen Kennzahlen wie z. B. EBITDA, Jahresüberschuss, Eigenkapitalquote oder Verschuldungsgrad und auch Covenants beeinflussen können.

Die aktuelle hohe Unsicherheit und teilweise schlechte Prognostizierbarkeit der Auswirkungen der Krise bedarf neben einer möglichst adäquaten Ermittlung im Wesentlichen auch einer klaren Angabe der mit der Erstellung eines Abschlusses verbundenen Unsicherheiten und der vorgenommenen Einschätzungen. Eventuell kann die Angabe von Sensitivitäten basierend auf den wesentlichen Unsicherheiten ein besseres Bild geben.

Darüber hinaus ist auch die Kommunikation mit dem Kapitalmarkt und mit Investoren zu berücksichtigen.

Als künftige Maßnahmen empfehlen wir nicht nur, die genannten Bilanzierungsthemen zu überprüfen, sondern solche aktuellen Fragestellungen in einen Regelbetrieb zu überführen. Gerade in der Krise zeigt sich, wo Lücken in den Finanzprozessen sind, die die Transparenz beeinflussen und auch zu zeitlichem Verzug führen können.

Entsprechend hoch sollte die Qualität eines Zwischenabschlusses sein, die ggf. durch eine freiwillige prüferische Durchsicht noch erhöht werden könnte.

Fazit

Infolge der Corona-Krise verändert sich auch die Finanzberichterstattung. Bei der Aufstellung der Finanzberichte müssen Unternehmen besonders auf die Themen Wertminderung von Vermögenswerten (Impairment), belastende Verträge, Leasing, Finanzinstrumente und Arbeitnehmerbelange achten.

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