6 Minuten Lesezeit 30 Januar 2023
Riesige Solaranlage auf verlassenem Land

Wie grünes Ammoniak Deutschland bei der Dekarbonisierung helfen kann

Autoren
Daniel Eisenhuth

EMBA, Partner EY Sustainability, Strategy and Transactions, Valuation, Modelling & Economics, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Weitsichtiger Analytiker, der strategische Entscheidungen mit belastbaren Daten untermauert. Familienmensch, der sein Handeln an den zukünftigen Generationen ausrichtet.

Florian Huber

Co-Leiter EY Europe West Sustainability; Co-Founder und Leiter EYCarbon, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Transformations-Enthusiast, der es liebt, mit anderen zusammen Neues zu erschaffen. Original Münchner, wo er mit seiner Frau und 4 Kindern die typischen Hobbys pflegt.

Dr. Viktoriia Betina

Manager Goverment and Public Sector, Strategy and Transactions, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Beteiligung an einer Reihe globaler Aufträge zu Stadtplanung, Entwicklung öffentlicher Nahverkehrssysteme und Transportkorridore usw.; zudem Arbeit an Projekten im Bereich erneuerbare Energien

6 Minuten Lesezeit 30 Januar 2023

Klimaneutrale und politisch zuverlässige Energiequellen sind dringend nötig. Die Politik kann die Weichen stellen zur nachhaltigen Versorgung Deutschlands mit „Green Fuels“ wie grünem Ammoniak.

Überblick
  • Grünes Ammoniak wird für die Transformation und Dekarbonisierung der deutschen Industrie zunehmend wichtiger, nicht nur als Transportmittel für Wasserstoff.
  • Namibia bietet optimale Bedingungen für die zuverlässige Produktion. Ein Pilotprojekt ist bereits beschlossen.
  • Um die Finanzierbarkeit dieses und weiterer Wasserstoffprojekte zu sichern, muss die Bundesregierung wichtige politische Instrumente auf den Weg bringen.

Klimawandel, Energiekrise und der Krieg in der Ukraine stellen die deutsche Energieversorgung vor riesige Herausforderungen. Scheitert die nachhaltige Entwicklung, droht die Abwanderung ganzer Industrien und Unternehmen.

Bis 2045 will Deutschland treibhausgasneutral werden, der russische Krieg gegen die Ukraine hat den Druck noch einmal auf die Energiewende erhöht. Die Zeiten günstigen Erdgases sind bereits jetzt Geschichte. Dringend nötig sind Alternativen zu Energielieferungen aus Russland – klimaneutral und verlässlich.

Nur mit einer unabhängigen Versorgung durch Erneuerbare Energien oder entsprechende Energieträger kann Deutschland sowohl die Dekarbonisierung erreichen als auch die Energiepreise und damit den Industriesektor stabilisieren. Noch hat Deutschland aber keinen Lieferanten, der klimaneutral erzeugte „Green Fuels“, wie grünen Wasserstoff, auch nur annähernd in den benötigten Mengen bereitstellen könnte. Ganz besondere Chancen bietet die Produktion von grünem Ammoniak und Wasserstoff an geeigneten Standorten weltweit, wie zum Beispiel in Afrika. Ein Pilotprojekt in Namibia zum Beispiel könnte viele Vorteile bringen, aber um sie zu nutzen, müssen Risiken und Hürden überwunden und deren Minimierungsmaßnahmen umgesetzt werden. Erstens beeinflussen sie stark die Umsetzungsgeschwindigkeit von Megawasserstoffprojekten und begrenzen das Investitionsvolumen. Vordringlichstes Ziel der Politik sollte es sein, die Finanzierbarkeit solcher Megaprojekte durch geeignete politische Instrumente sicherzustellen.

Ganz besondere Chancen bietet die Produktion von grünem Ammoniak und Wasserstoff an geeigneten Standorten weltweit, wie zum Beispiel in Afrika.
Florian Huber
Co-Leiter EY Europe West Sustainability; Co-Founder und Leiter EYCarbon, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Warum ist grünes Ammoniak für Deutschlands und Europas Nachhaltigkeit so wichtig?

Ammoniak ist eines der wichtigsten Industriegase für Unternehmen und hat zudem Potenzial für viele andere „grüne“ Anwendungen:

  • Es wird für die Herstellung von Düngemitteln, Chemikalien, Fasern, Kunststoffen und Arzneimitteln benötigt.
  • Zukünftig bietet es sich an als Brennstoffzelle für Heizungssysteme oder in der Schifffahrt.
  • Als Träger für Wasserstoff kann es eine wesentliche ökologische Lösung sein, um grüne Energie zu speichern und kostengünstig über große Entfernungen zu transportieren. Im Gegensatz zu Wasserstoff erfordert es nur eine Kühlung auf -33° C, was den Transport auf Schiffen technisch einfacher und günstiger macht.

Gemessen am Stand heute ist Ammoniak allerdings noch weit davon entfernt, zur Lösung der Energiewende beizutragen.

  • 2021 betrug die Nachfrage nach Ammoniak in Deutschland „nur“ drei Millionen Tonnen.
  • Annähernd 100 Prozent werden aus „grauen“ fossilen Quellen wie Erdgas und Kohle gewonnen.
  • Pro Tonne produziertem Ammoniak werden in Deutschland 1,8 Tonnen CO2 ausgestoßen.
  • Ammoniak ist für ein Prozent der globalen Treibhausgasemissionen und 15 bis 20 Prozent der CO2-Emissionen des Chemiesektors verantwortlich.

Hoher Nachholbedarf

0,01%

der weltweiten Ammoniakproduktion sind derzeit „grün“.

Nötig ist also ein massiver Ausbau der Produktion von klimaneutral erzeugtem grünem Ammoniak. Als Wasserstoffderivat lässt es sich gewinnen, indem zunächst Windenergie und Solarstrom zur Produktion von grünem Wasserstoff mittels Elektrolyse genutzt werden. In einem weiteren Verarbeitungsschritt wird unter Zuführung von Luftstickstoff Ammoniak erzeugt.

Weil der Bedarf von Unternehmen weltweit stark zunehmen wird, sind derzeit viele Energieprojekte zur Herstellung von grünem Ammoniak in Planung. Nur wenige sind schon in Betrieb, andere befinden sich in der Bauphase, die meisten wurden noch nicht finanziert.

Vor allem die Produktionskosten sind für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ausschlaggebend – und die sind für grüne Energie in Deutschland zu hoch. Deutschlands Strategie muss es also sein, grünes Ammoniak aus zuverlässigen Quellen im Ausland zu beziehen, die demokratische Werte teilen und neben guten und sozialen Produktionsbedingungen stabile politische Verhältnisse aufweisen – und durch richtige Rahmenbedingungen Investitionen in diese Projekte attraktiv zu machen.

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Daniel Eisenhuth Florian Huber Dr. Viktoriia Betina

Warum bietet sich Namibia besonders für grünen Ammoniak an?

Vor allem die südlichen Regionen der Welt sind attraktiv. Quellen für Erneuerbare Energien sind in Ländern wie Namibia im Überfluss vorhanden. Exzellente klimatische Verhältnisse und Flächenverfügbarkeit machen es zu einem der weltweit attraktivsten Länder für die kostengünstige Produktion von grünem Ammoniak. Mit mehr als 300 Sonnentagen im Jahr können Photovoltaik-Anlagen in Namibia dreimal mehr nachhaltigen Strom produzieren als in Deutschland.

Zudem ist das Land im Südwesten Afrikas seit mehr als 30 Jahren eine stabile Demokratie. Es bietet Kapitalanlegern also gute Investitionsmöglichkeiten in Produktionsanlagen und Infrastruktur für Erneuerbare Energien. Als Ergebnis der 2021 zwischen Deutschland und Namibia geschlossenen „Green Hydrogen Alliance“ ist Hyphen („Hydrogen Power Hydrogen Energy“) bevorzugter Bieter für ein Gigawatt-Wasserstoffprojekt in Namibia und erhielt die Gelegenheit, mit der namibischen Regierung zu verhandeln, um die Machbarkeitsstudie und die Umsetzungsvereinbarung abzuschließen.

Quellen für Erneuerbare Energien sind in Ländern wie Namibia im Überfluss vorhanden. Exzellente klimatische Verhältnisse und Flächenverfügbarkeit machen es zu einem der weltweit attraktivsten Länder für die kostengünstige Produktion von grünem Ammoniak.

Der geplante Produktionsstandort in der Nähe des Hafens Lüderitz ist besonders geeignet für Windenergie und Photovoltaik. Geplant sind Wind- und Solaranlagen mit einer Kapazität von sechs bis sieben Gigawatt zur Stromerzeugung, Meerwasserentsalzung, Wasserstoffproduktion per Elektrolyse und Umwandlung in Ammoniak. Für die Verschiffung soll ein neuer Hafen errichtet werden. Die erste Lieferung von grünem Ammoniak ist für 2027 geplant.

Die Investitionen ins Hyphen-Projekt versprechen eine klassische Win-Win-Situation:

  • Deutschland und die EU erhalten Zugang zu grünem Ammoniak und attraktiven Preisen.
  • Als wichtiger Schritt zur Dekarbonisierung werden Erdgasimporte reduziert und Treibhausgasemissionen gesenkt.
  • Der demokratische EU-Partner Namibia profitiert in Form einer stabilen Wirtschaft, sozialer Entwicklungshilfe und Arbeitsplätzen für die Menschen vor Ort.
  • Es könnte das erste afrikanische Land werden, dessen Strom zu 100 Prozent aus nachhaltigen Energiequellen für die Wasserstoffproduktion stammt.

Welche Risiken und Hürden stehen künftigen Wasserstoffprojekten im Weg?

Um die Versorgung Deutschlands mit „Green Fuels“ am Beispiel von grünem Ammoniak aus Namibia zu fördern, hat EY eine Studie zu bestehenden Hürden und möglichen politischen Instrumenten durchgeführt.

Durch enge Kommunikation mit Hyphen, Banken, potenziellen Investoren, Hersteller (z. B. für Elektrolysen), Lieferanten, Generalunternehmern, Versicherungsgesellschaften und Forschern, konnte EY bestehende und potenzielle Risiken identifizieren. Basierend auf den durchgeführten Interviews hat EY drei Gruppen von Risiken herausgearbeitet, die zu adressieren sind:

  1. Marktrisiken
    • Noch lässt sich nicht vorhersagen, wie schnell sich ein Markt für grünes Ammoniak entwickelt und wie Nachfrage und Preisniveau in 15 bis 30 Jahren aussehen werden.
    • Aufgrund hoher Finanzierungskosten ist grünes Ammoniak im Wettbewerb mit seinem grauen Äquivalent noch nicht wettbewerbsfähig.
  2. ESG, politische und wirtschaftliche Risiken
    • Allein das Hyphen-Projekt sieht vor, eine Summe zu investieren, die Namibias Bruttoinlandsprodukt entspricht. Es darf nicht zu Beeinträchtigungen des Tsau-ǁKhaeb-Parks oder zu einer ablehnenden Haltung der lokalen Bevölkerung kommen.
    • Bürokratie und Mangel an erforderlichen Kenntnissen können zu Verzögerungen führen.
  3. Infrastruktur- und technische Risiken
    • Anlagen für Erzeugung von Strom und Elektrolyse müssen termingerecht verfügbar sein.
    • Es werden mehr Schiffe und auf der Abnahmeseite Importterminals sowie sonstige Infrastruktur benötigt.

Auf Basis dessen Hürden identifiziert, die eine zügige Umsetzung eines solchen Megaprojekts behindern:

Die Finanzierbarkeit ist dabei das entscheidende Thema. Sie spielt eine zentrale Rolle für den Erfolg von Hyphen und ähnliche Megaprojekte vergleichbarer Größenordnung.

Weil Erneuerbare Energien in Ländern wie Namibia im Überfluss vorhanden sind, wird grüner Ammoniak mit hohen Anfangsinvestitionen zunehmend wettbewerbsfähig werden. Doch den Weg dahin gilt es noch zu gestalten.

Kontaktieren Sie unser Expertenteam, um mehr über die Studie zu erfahren.

#EYSustainability #Dekarbonisierung

Daniel Eisenhuth Florian Huber Dr. Viktoriia Betina

Welche politischen Instrumente sollte die Regierung jetzt ergreifen?

Alle Lösungen, um die Energieversorgung der deutschen Wirtschaft zu transformieren, liegen auf der Hand. Nun müssten die Risiken verringert werden – mit den am besten dazu geeigneten politischen Instrumenten.

Im Rahmen der Studie erstellte EY eine Liste mit 12 möglichen Instrumenten und bewertete diese nach Befragung relevanter Stakeholder qualitativ und quantitativ, um nur die wirksamsten Instrumente auszuwählen.

So wurden die Instrumente nach Relevanz und Wirkungsgrad beurteilen und gewichten. Das Ergebnis sind klare Handlungsempfehlungen, die Projekte wie Hyphen beschleunigen und die zukünftige Versorgung Deutschlands mit grünem Ammoniak aktiv unterstützen können. 

Vier Instrumente müssen als Priorität umgesetzt werden:

  1. Die Bundesregierung sollte das Pilotprogramm für Klimaschutzverträge (Carbon Contracts for Difference, CCfD) auf Projekte zur Produktion von grünem Wasserstoff und Ammoniak ausweiten. Mit einem Festpreis könnten Produzenten ihre Kosten decken und eine angemessene Marge erzielen. Dieser garantierte Preis würde über eine Dauer von 15 Jahren sinken. Ohne CfD-Unterstützung können Megawasserstoffprojekte weder finanziert noch preislich wettbewerbsfähig werden.
  2. Deutschland sollte gemeinsam mit anderen EU-Ländern Experten nach Namibia entsenden, um die Entwicklung von politischen Rahmenbedingungen und die Projektplanung zu unterstützen und die Kapazitäten der lokalen Verwaltung auszubauen.
  3. In Deutschland muss eine öffentliche Infrastruktur entstehen, die den Import und die Verteilung von grünem Wasserstoff beziehungsweise Ammoniak an die Verbraucher ermöglicht.
  4. Analog zum Wasserstoff braucht es eine Beimischungsquote für grünes Ammoniak, um einen raschen Markthochlauf zu unterstützen. So würde auch das Risiko von CfD-Kompensationszahlungen sinken.

Ergänzend zu diesen Schlüsselinstrumenten empfiehlt EY zwei ergänzende Politikinstrumenten zu einem späteren Zeitpunkt

  1. Eine Reform des EU-Emissionshandels. Eine Erweiterung der CO2-Besteuerung oder die Limitierung von Zertifikaten würde die Attraktivität von grünem gegenüber grauem Ammoniak für die Endkunden sicherstellen.
  2. Eine politische unterstützte Erweiterung der Programme zur Aus- und Weiterbildung von Arbeitnehmern in Namibia. Aufgrund des Umfangs des Hyphen-Projekts, der erforderlichen Innovationen und des benötigten Fachwissens der vor Ort eingesetzten Arbeitskräfte sollte die derzeitige deutsch-namibische Forschungspartnerschaft mit 40 Millionen Euro ausgebaut und weitere ähnliche Programme ins Leben gerufen werden.

Angesichts der aktuellen Wirtschafts- und Energiekrise besteht dringender Handlungsbedarf. Die notwendigen politischen Maßnahmen sollten schnell in die Praxis umgesetzt werden.

Wie EY globalen Kunden bei Wasserstoffprojekten helfen kann?

Das EY-Team hat ein sehr starkes Wissen im Bereich der erneuerbaren Energien. Mit einem globalen Footprint bieten wir unseren Kunden einen Mehrwert für die Entwicklung von Wasserstoffstrategien und nachhaltiger Transformation. Durch verschiedene Projekte erstellt EY detaillierte Konzepte, Machbarkeitsstudien, Fördermöglichkeiten, die Schaffung von Anreize sowie rechtliche und regulatorische Unterstützung.

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Fazit

Projekte wie Hyphen machen deutsche und europäische Industrien zukunftssicher. Sie erhalten Arbeitsplätze, ermöglichen Dekarbonisierung und können Europa unabhängiger von Russland machen.

Deutschland bietet sich eine echte Chance, Technologieführer im Bereich der grünen Energieträger zu werden. Anstatt Klimaprobleme in den globalen Süden zu exportieren, sollten wir anfangen, Lösungen von dort zu importieren.

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Daniel Eisenhuth

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Dr. Viktoriia Betina

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