7 Minuten Lesezeit 30 Juli 2021
Eine Frau, die in einem Park spazieren geht und eine Stofftasche trägt.

Warum Klimaneutralität Game Changer oder nur Claim Changer sein kann

Von Florian Huber

Co-Leiter EY Europe West Sustainability; Co-Founder und Leiter EYCarbon, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Transformations-Enthusiast, der es liebt, mit anderen zusammen Neues zu erschaffen. Original Münchner, wo er mit seiner Frau und 4 Kindern die typischen Hobbys pflegt.

7 Minuten Lesezeit 30 Juli 2021

Werbung mit der Bezeichnung  „klimaneutral“ kann irreführend sein. Oder ein Nachweis für handfestes Engagement.

Überblick

  • Die Wettbewerbszentrale verklagt Unternehmen wegen „irreführender“ Verwendung des Begriffs „klimaneutral“.
  • Präzedenzfälle zeigen: Der Einfluss der Judikative auf klimabezogene Themen steigt – politisch und wirtschaftlich.
  • Mit der richtigen Handlungsstrategie können sich Unternehmen zukunftsfähig positionieren.

Die Niederlande zeigen, wie mit Klagen zum Klimaschutz große Dinge bewegt werden. Zwei Präzedenzfälle endeten hier mit wegweisenden Urteilen: 2015 verpflichtete ein Gericht erstmals die Regierung zu mehr Engagement beim Klimaschutz, Ende Mai dieses Jahres wurde ein Ölkonzern zu einer deutlichen CO2-Reduzierung verurteilt. Eine Grundsatzentscheidung, weil Justitia ein privates Unternehmen für die Einhaltung der Pariser Klimaziele in die Verantwortung nimmt. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Frühjahr eine Gesetzesänderung verfügt, die u. a. die Reduktionsziele für Treibhausgase ab 2030 genauer definieren soll.

Im Lunch Break Panel „Game Changer or Claim Changer? Die Klage zu ‚Klimaneutralität‘ als irreführende Werbeaussage“ diskutierten verschiedene Experten eine aktuelle Klage: die der Wettbewerbszentrale gegen vier Unternehmen. Der Verein gegen unlauteren Wettbewerb wirft diesen Firmen vor, den Begriff „klimaneutral“ sowohl „irreführend“ als auch „intransparent“ zu verwenden, „da die Maßnahmen mit dem werbenden Unternehmen und seinen Produkten gar nichts zu tun haben, obwohl dies suggeriert wird, und der Kauf von Zertifikaten in der Werbung verschwiegen wird“.

„Irreführend“ sei die Verwendung von „klimaneutral“ laut der Wettbewerbszentrale, „da die Maßnahmen mit dem werbenden Unternehmen und seinen Produkten gar nichts zu tun haben, obwohl dies suggeriert wird, und der Kauf von Zertifikaten in der Werbung verschwiegen wird“.

Hintergrund ist, dass die angeklagten Unternehmen sich das Attribut vornehmlich über die sogenannte Kompensation oder auch Offsetting beschaffen. Dabei wird durch den Kauf von CO2-Zertifikaten oder die finanzielle Unterstützung von Klimaschutzprojekten zwar ein Ausgleich der eigenen Emissionen – beispielsweise im Produktionsprozess – geschaffen, sie werden damit allerdings weder vermieden noch reduziert. Gerichte befinden nun über die Voraussetzungen, unter denen ein Unternehmen sich oder sein Produkt als „klimaneutral“ bezeichnen darf. Die ausstehenden Urteile werden erwartungsgemäß großen Einfluss auf die Haltung und das Handeln vieler weiterer Firmen nehmen.

Unvermeidbare Emissionen sollten kompensiert werden

Tristan A. Foerster, der mit seiner Firma ClimatePartner Unternehmen berät, erklärt: „Klimaneutralität steht für: Messen, Reduzieren, Vermeiden sowie Ausgleichen von unvermeidbaren Restemissionen. Bei einem Produkt bezieht sich das auf dessen gesamten Lebenszyklus, angefangen bei den Emissionen aus der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung. Diese Emissionen werden zusammengenommen, um dann zu sehen: Wie kann ich sie reduzieren? Ansätze sind Design, Verpackung, recycelte Anteile, weniger Material bei gleicher Qualität.“ Unvermeidbaren Emissionen werden dann kompensiert, „indem ich beispielsweise einen Wald schütze oder den ärmsten Menschen zu sauberem Trinkwasser verhelfe, damit sie kein Holz mehr verbrennen, um es abzukochen. Die Kombination vieler Maßnahmen ergibt in der Summe ein klimaneutrales Produkt“, argumentiert Foerster.

  • Diskussionsteilnehmer

    Tristan A. Foerster ist Geschäftsführer und Gesellschafter von ClimatePartner. Seit 2011 treibt der Diplom-Volkswirt mit großer Leidenschaft und Überzeugung Klimaschutz in Unternehmen voran: ClimatePartner unterstützt Firmen dabei, Treibhausgasemissionen zu berechnen und zu reduzieren sowie unvermeidbare Emissionen über anerkannte Klimaschutzprojekte auszugleichen. Ziel ist es, ein klimaneutrales Produkt in jeden Warenkorb zu bringen.

    Dr. Axel Kölle ist gemeinsam mit Dr. Christian Geßner Gründer und Leiter des ZNU – Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung der Universität Witten/Herdecke. Er ist seit mehr als 20 Jahren in der Weiterbildung, Forschung, Lehre und Beratung rund um das Thema Nachhaltigkeit tätig. Seine Schwerpunkte sind Nachhaltigkeitsstrategien inklusive Klimaschutz, Risikomanagement, Personal- und Organisationsentwicklung sowie Marketing.

    Peter Renner ist Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt „internationale Politik“. Er bekleidet seit 20 Jahren Führungspositionen in verschiedenen Nichtregierungsorganisationen. Seit fast 30 Jahren ist Renner zudem in der technischen Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit tätig und verfügt über umfassende Auslandserfahrung. Seine Aufgaben haben ihn unter anderem nach Osteuropa, Zentralasien und Afrika geführt. Zuletzt war er als Vorstand einer Stiftung für Entwicklungszusammenarbeit mit 640 Mitarbeitern tätig. 

    Mike Hatert ist Head of Renewables bei dem international tätigen Klimaschutzdienstleister First Climate in Frankfurt am Main und leitet alle Vertriebsaktivitäten in der DACH-Region. Der Energiespezialist ist Diplom-Ingenieur, hochschulzertifizierter Energiewirtschaftsmanager und Energiemanager IHK. Mike Hatert verfügt über mehr als 15 Jahre Berufserfahrung in der Energiebranche.

    Dr. David Strack ist Mitbegründer und Managing Partner der Fengda Factoring Ltd. Fujian, China, einem Spezialdienstleister für International Supply Chain Finance und Supply Chain Services im Handel mit China. Dr. Strack ist ein international erfahrener Handelsspezialist mit langjähriger Führungserfahrung in leitenden Positionen internationaler Handelskonzerne. Darüber hinaus berät und begleitet er Gesellschafter, Vorstände und Geschäftsführer als Beirat und Aufsichtsrat.

    EY-Teilnehmer:

    Florian Huber 

    Leiter Unternehmensentwicklung, Partner, Co-Leiter EY Carbon

    Nicole Richter

    Leiterin Climate Change & Sustainability Services, Partnerin, Co-Leiterin EY Carbon

    Anna Müller-Debus

    Leiterin CSR & Klimastrategie, EY (Moderation)

    Hubertus Kleene

    Associate Partner, Rechtsanwalt, EY Law

Nicole Richter, Leiterin Climate Change and Sustainability Services bei EY, hebt die Herangehensweise von der Produkt- auch auf die Unternehmensebene, da beide Prozesse Hand in Hand gehen sollten. „Wenn zwar ein Produkt klimaneutral ist, sich insgesamt im Unternehmen aber wenig hierzu bewegt, besteht das Risiko, dafür rechtlich oder auch in der Reputation abgestraft zu werden.“ Ihr Rat an Unternehmen lautet daher, Standards zu nutzen, die sich über die vergangenen Jahre bereits entwickelt und etabliert haben – unabhängig davon, ob manche Begrifflichkeiten noch nicht abschließend geklärt sind. „Das heißt: Ein ambitioniertes Ziel für die Reduzierung von Treibhausgasen zu setzen, das wissenschaftlich basiert ist, zum Beispiel über die Science Based Targets initiative (SBTi). Dieses Ziel dann in konkrete Maßnahmen überführen und über die auch berichten. Denn es nützt nichts zu sagen: ‚Wir wollen 2030 klimaneutral sein‘, aber niemand weiß, was 2022 passiert. Da zählt Klarheit, da sollten Weg und Fortschritt begleitet werden. Transparenz ist sehr wichtig. 

Es nützt nichts zu sagen: ‚Wir wollen 2030 klimaneutral sein‘, aber niemand weiß, was 2022 passiert. Da zählt Klarheit, da sollten Weg und Fortschritt begleitet werden. Transparenz ist sehr wichtig.
Nicole Richter
Leiterin Climate Change and Sustainability Services EY

Dr. Axel Kölle vom Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung (ZNU) schließt sich dem an: „Den mehrstufigen Prozess zu gehen ist ein ganz wichtiger Punkt in Richtung Glaubwürdigkeit. Es geht nicht darum, Kunden zu vermitteln: ‚Wir sind die Schönsten, Tollsten, Schnellsten.‘ Sondern einfach ehrlich zu sein: ‚Wir haben uns auf den Weg gemacht, wir vermeiden Emissionen, investieren massiv in Energieeffizienzmaßnahmen, haben unseren Fuhrpark umgestellt usw. Wir wissen, wir sind noch nicht am Ende, aber wir gehen den Schritt.‘“ Um die zunehmend kritischen Verbraucher zu erreichen, sei dazu noch ein anderer Aspekt wichtig und richtig: dass Händler und Hersteller ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten gemeinsam in Richtung Konsumenten kommunizieren.

Umweltschutz als Wettbewerbsvorteil

Die Klage der Wettbewerbszentrale gegen die womöglich irreführende Verwendung des Begriffs „klimaneutral“ zielt genau auf diese Kundenkommunikation ab. Denn es sind die Kunden, bei denen die Botschaft verfälscht ankommen könnte. „Das Thema Umweltschutz ist mittlerweile dermaßen wettbewerbsrelevant, dass Begrifflichkeiten wie ‚klimaneutral‘ zweifelsohne die Kaufentscheidung von Kunden beeinflussen, zum Teil sogar treiben“, bestätigt Hubertus Kleene, Rechtsanwalt und Associate Partner bei EY.

EYCarbon

Die Dekarbonisierung treibt die nächste große Transformation voran, die unsere Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit umgestaltet. Um die Herausforderungen der Dekarbonisierung zu meistern und die Chancen zu nutzen, haben wir EYCarbon gegründet.

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Aus Sicht der Wettbewerbszentrale bestehe jedoch eben keine ausreichende Klarheit darüber, was Klimaneutralität ist und ob es als Label so eingesetzt werden kann, dass Kunden auf Anhieb verstehen, was dahintersteckt. Die Urteile zu den aktuellen Verfahren könnten die Entscheidungspraxis zukünftig in eine eindeutige Richtung lenken. Grundsätzlich gilt: „Wenn ich mich als Unternehmen absichern will, sollte ich möglichst klar schreiben und darstellen im jeweiligen Kontext, was ‚klimaneutral‘ bedeutet beziehungsweise was ich an Umweltschutz betreibe und inwiefern sich das auf das jeweilige Produkt bezieht.“

Das Thema Umweltschutz ist mittlerweile dermaßen wettbewerbsrelevant, dass Begrifflichkeiten wie ‚klimaneutral‘ zweifelsohne die Kaufentscheidung von Kunden beeinflussen, zum Teil sogar treiben.
Hubertus Kleene
Rechtsanwalt & Associate Partner EY

Abschließend betont Politikwissenschaftler Peter Renner, es gehe schließlich „darum klarzustellen, dass die Verantwortlichen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aufgefordert sind, die Bürde nicht erst jenseits von 2030 den Menschen – und gerade den jungen – aufzuerlegen. Jeder in verantwortlicher Position ist angehalten, eine ganzheitliche Strategie mitzuprägen und mitzuverantworten, die sicherstellt, dass wir den Herausforderungen, die der Klimawandel uns stellt, gerecht werden.“ 

Game Changer or Claim Changer?

Die Klage zu „Klimaneutralität“ als irreführende Werbeaussage

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Fazit

Einige Unternehmen werben für sich oder ihre Produkte mit der Bezeichnung „klimaneutral“, beziehen sich dabei aber auf die Kompensation von Treibhausgasen durch den Kauf von Zertifikaten. Die Wettbewerbszentrale hat wegen möglicher „Irreführung“ daher gegen vier Unternehmen Klage eingereicht. Das EYCarbon Lunch Break Panel mit dem Titel „Game Changer or Claim Changer“ diskutiert die Implikationen.

Über diesen Artikel

Von Florian Huber

Co-Leiter EY Europe West Sustainability; Co-Founder und Leiter EYCarbon, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

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