„Irreführend“ sei die Verwendung von „klimaneutral“ laut der Wettbewerbszentrale, „da die Maßnahmen mit dem werbenden Unternehmen und seinen Produkten gar nichts zu tun haben, obwohl dies suggeriert wird, und der Kauf von Zertifikaten in der Werbung verschwiegen wird“.
Hintergrund ist, dass die angeklagten Unternehmen sich das Attribut vornehmlich über die sogenannte Kompensation oder auch Offsetting beschaffen. Dabei wird durch den Kauf von CO2-Zertifikaten oder die finanzielle Unterstützung von Klimaschutzprojekten zwar ein Ausgleich der eigenen Emissionen – beispielsweise im Produktionsprozess – geschaffen, sie werden damit allerdings weder vermieden noch reduziert. Gerichte befinden nun über die Voraussetzungen, unter denen ein Unternehmen sich oder sein Produkt als „klimaneutral“ bezeichnen darf. Die ausstehenden Urteile werden erwartungsgemäß großen Einfluss auf die Haltung und das Handeln vieler weiterer Firmen nehmen.
Unvermeidbare Emissionen sollten kompensiert werden
Tristan A. Foerster, der mit seiner Firma ClimatePartner Unternehmen berät, erklärt: „Klimaneutralität steht für: Messen, Reduzieren, Vermeiden sowie Ausgleichen von unvermeidbaren Restemissionen. Bei einem Produkt bezieht sich das auf dessen gesamten Lebenszyklus, angefangen bei den Emissionen aus der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung. Diese Emissionen werden zusammengenommen, um dann zu sehen: Wie kann ich sie reduzieren? Ansätze sind Design, Verpackung, recycelte Anteile, weniger Material bei gleicher Qualität.“ Unvermeidbaren Emissionen werden dann kompensiert, „indem ich beispielsweise einen Wald schütze oder den ärmsten Menschen zu sauberem Trinkwasser verhelfe, damit sie kein Holz mehr verbrennen, um es abzukochen. Die Kombination vieler Maßnahmen ergibt in der Summe ein klimaneutrales Produkt“, argumentiert Foerster.
Nicole Richter, Leiterin Climate Change and Sustainability Services bei EY, hebt die Herangehensweise von der Produkt- auch auf die Unternehmensebene, da beide Prozesse Hand in Hand gehen sollten. „Wenn zwar ein Produkt klimaneutral ist, sich insgesamt im Unternehmen aber wenig hierzu bewegt, besteht das Risiko, dafür rechtlich oder auch in der Reputation abgestraft zu werden.“ Ihr Rat an Unternehmen lautet daher, Standards zu nutzen, die sich über die vergangenen Jahre bereits entwickelt und etabliert haben – unabhängig davon, ob manche Begrifflichkeiten noch nicht abschließend geklärt sind. „Das heißt: Ein ambitioniertes Ziel für die Reduzierung von Treibhausgasen zu setzen, das wissenschaftlich basiert ist, zum Beispiel über die Science Based Targets initiative (SBTi). Dieses Ziel dann in konkrete Maßnahmen überführen und über die auch berichten. Denn es nützt nichts zu sagen: ‚Wir wollen 2030 klimaneutral sein‘, aber niemand weiß, was 2022 passiert. Da zählt Klarheit, da sollten Weg und Fortschritt begleitet werden. Transparenz ist sehr wichtig.
Es nützt nichts zu sagen: ‚Wir wollen 2030 klimaneutral sein‘, aber niemand weiß, was 2022 passiert. Da zählt Klarheit, da sollten Weg und Fortschritt begleitet werden. Transparenz ist sehr wichtig.
Dr. Axel Kölle vom Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung (ZNU) schließt sich dem an: „Den mehrstufigen Prozess zu gehen ist ein ganz wichtiger Punkt in Richtung Glaubwürdigkeit. Es geht nicht darum, Kunden zu vermitteln: ‚Wir sind die Schönsten, Tollsten, Schnellsten.‘ Sondern einfach ehrlich zu sein: ‚Wir haben uns auf den Weg gemacht, wir vermeiden Emissionen, investieren massiv in Energieeffizienzmaßnahmen, haben unseren Fuhrpark umgestellt usw. Wir wissen, wir sind noch nicht am Ende, aber wir gehen den Schritt.‘“ Um die zunehmend kritischen Verbraucher zu erreichen, sei dazu noch ein anderer Aspekt wichtig und richtig: dass Händler und Hersteller ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten gemeinsam in Richtung Konsumenten kommunizieren.
Umweltschutz als Wettbewerbsvorteil
Die Klage der Wettbewerbszentrale gegen die womöglich irreführende Verwendung des Begriffs „klimaneutral“ zielt genau auf diese Kundenkommunikation ab. Denn es sind die Kunden, bei denen die Botschaft verfälscht ankommen könnte. „Das Thema Umweltschutz ist mittlerweile dermaßen wettbewerbsrelevant, dass Begrifflichkeiten wie ‚klimaneutral‘ zweifelsohne die Kaufentscheidung von Kunden beeinflussen, zum Teil sogar treiben“, bestätigt Hubertus Kleene, Rechtsanwalt und Associate Partner bei EY.
Aus Sicht der Wettbewerbszentrale bestehe jedoch eben keine ausreichende Klarheit darüber, was Klimaneutralität ist und ob es als Label so eingesetzt werden kann, dass Kunden auf Anhieb verstehen, was dahintersteckt. Die Urteile zu den aktuellen Verfahren könnten die Entscheidungspraxis zukünftig in eine eindeutige Richtung lenken. Grundsätzlich gilt: „Wenn ich mich als Unternehmen absichern will, sollte ich möglichst klar schreiben und darstellen im jeweiligen Kontext, was ‚klimaneutral‘ bedeutet beziehungsweise was ich an Umweltschutz betreibe und inwiefern sich das auf das jeweilige Produkt bezieht.“
Das Thema Umweltschutz ist mittlerweile dermaßen wettbewerbsrelevant, dass Begrifflichkeiten wie ‚klimaneutral‘ zweifelsohne die Kaufentscheidung von Kunden beeinflussen, zum Teil sogar treiben.
Abschließend betont Politikwissenschaftler Peter Renner, es gehe schließlich „darum klarzustellen, dass die Verantwortlichen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aufgefordert sind, die Bürde nicht erst jenseits von 2030 den Menschen – und gerade den jungen – aufzuerlegen. Jeder in verantwortlicher Position ist angehalten, eine ganzheitliche Strategie mitzuprägen und mitzuverantworten, die sicherstellt, dass wir den Herausforderungen, die der Klimawandel uns stellt, gerecht werden.“
Fazit
Einige Unternehmen werben für sich oder ihre Produkte mit der Bezeichnung „klimaneutral“, beziehen sich dabei aber auf die Kompensation von Treibhausgasen durch den Kauf von Zertifikaten. Die Wettbewerbszentrale hat wegen möglicher „Irreführung“ daher gegen vier Unternehmen Klage eingereicht. Das EYCarbon Lunch Break Panel mit dem Titel „Game Changer or Claim Changer“ diskutiert die Implikationen.