6 Minuten Lesezeit 23 Februar 2022
Fußballplatz zwischen vergilbten Herbstbäumen in Zaretschje

Fair Play: Stärkung der Nachhaltigkeit im Profifußball

Von Andreas Pyrcek

EY Global Forensics Integrity, Compliance & Ethics Leader; Global Forensics Sector Leader, Technology, Media & Entertainment and Telecommunications, EY GmbH & Co. KG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft | Deutschland

Erfahrener Partner für proaktive Compliance-, Ethik- und Integritätsfragen. Darüber hinaus steht er bei der Reaktion auf Betrug, Bestechung und Korruption weltweit, beratend zur Seite.

6 Minuten Lesezeit 23 Februar 2022

Im deutschen Profifußball ist immer mehr Compliance-Management gefordert. In welchen Bereichen die Vereine handeln müssen.

Überblick
  • Environment, Social & Governance (ESG) sind die drei Säulen der Nachhaltigkeit und kommen nun in Form neuer Kriterien endgültig im deutschen Profifußball an.
  • Ende 2021 hat die DFL einen Grundsatzbeschluss zum Thema Nachhaltigkeit im deutschen Profifußball gefasst.
  • Die Einhaltung der künftigen Nachhaltigkeitskriterien ist gesellschaftlich von größter Bedeutung und auch für die jährliche Spielberechtigung relevant.

Das Thema Nachhaltigkeit etabliert sich zunehmend in unserer Gesellschaft und in Unternehmensstrategien. Im März 2021 beschloss die Bundesregierung die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, die das Ziel hat, Wirtschaft und Gesellschaft auch für zukünftige Generationen lebenswert zu machen. Auch der Profifußball ist von diesen Entwicklungen nicht ausgenommen. Im Dezember 2021 hat die DFL (Deutsche Fußball Liga e. V.) das Thema Nachhaltigkeit auf ihre Agenda gesetzt und entwickelt nun Nachhaltigkeitskriterien, die für die Saison 2023/24 verpflichtend für die Lizenzvergabe bei Profivereinen werden sollen.

Steigender Leistungsdruck und die Wettbewerbsfähigkeit erfordern häufig ökonomisches Wachstum und Kommerzialisierung. Investoren-Engagements und das wirtschaftliche Wachstumspotenzial kollidieren nicht selten mit den Interessen der Vereinsbasis und Forderungen nach Transparenz und Nachhaltigkeit – und dies in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld, bedingt durch COVID-19.

Im Jahr 2007 hatte die Europäische Kommission mit ihrem „Weißbuch Sport“ Maßnahmen zur Stärkung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rolle des Bereichs Sport vorgestellt. In diesem Zusammenhang wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten schrittweise auf verschiedenen Verbandsebenen im Fußball mehr Compliance-Maßnahmen eingeführt. Auch das Financial Fairplay der UEFA trat 2010 in Kraft und wurde über die Jahre immer weiter ausgebaut. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat im Jahr 2016 die Einführung eines Compliance-Management-Systems und eines hauptamtlichen Compliance-Beauftragten beschlossen. Auf globaler Ebene hat der Weltfußballverband FIFA, ebenfalls 2016, ein Compliance-Programm sowie eine Compliance-Abteilung geschaffen. Die Entwicklungen in den Bereichen Compliance, Integrität und Nachhaltigkeit zeigen, dass der Fußball seiner Verantwortung zunehmend gerecht werden will. Erst im Dezember 2021 hatten die UEFA im Rahmen ihrer UEFA Football Sustainability Strategy 2030 und der DFL in seiner Mitgliederversammlung mehr Nachhaltigkeit im Profifußball beschlossen. 

DFL fasst einen Grundsatzbeschluss über die Einführung der neuen Kriterien

Nun hat die DFL – bestehend aus den 36 Proficlubs der Bundesliga und der 2. Bundesliga – Ende 2021 ein Zeichen gesetzt und die grundsätzliche Einführung von Nachhaltigkeitskriterien zur Vergabe der Lizenzen beschlossen. Das Lizenzierungsverfahren selbst besteht aus mehreren Phasen, in denen u. a. sieben verschiedene Kriterien überprüft werden. Neben den finanziellen Anforderungen sind z. B. sportliche, rechtliche, personelle und administrative Kriterien zwingend einzuhalten. Die Clubs müssen sich jedes Jahr erneut um die Lizenz bewerben. Somit ist dieses Verfahren für die Bundesligisten von höchster Bedeutung, da im Falle eines Verfehlens die Spielberechtigung nicht erteilt werden könnte. Mit der zukünftigen Nachhaltigkeitsrichtlinie kommen auf die Vereine neue Herausforderungen zu. Das ganzheitliche ESG-Management (Environment, Social, Governance) ist für viele Fußballclubs zumindest in Teilen Neuland und es bedarf ggf. neuer, effektiver Prozesse, aber auch Strukturen. Die Richtlinie wird von externen Experten, einer Arbeitsgruppe der DFL und in Abstimmung mit zahlreichen Vereinen entwickelt. Danach werden die ökologischen, ökonomischen und sozialen Kriterien in der Nachhaltigkeitsrichtlinie der DFL verankert.

Das Konzept fußt dabei auf drei Kategorien von Nachhaltigkeitskriterien und orientiert sich unter anderem an den Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen. So umfasst die Kategorie I die Mindestkriterien, die für die Clubs zwingend sein werden. In Kategorie II finden sich erweiterte Kriterien, d. h. zwingende Kriterien, die anteilig zu erfüllen sind. Abschließend umfasst die Kategorie III Anreizkriterien, also solche, die empfehlenden Charakter haben und deren Erfüllung finanziell und nichtfinanziell incentiviert ist. In den kommenden Monaten soll die DFL-Mitgliederversammlung die konkretisierten und finalisierten Kriterien beschließen. Erstmals testweise in Kraft treten soll die Nachhaltigkeitsrichtlinie im Rahmen einer Pilotphase in der Spielzeit 2022/2023. Die erste lizenzrelevante Bewertung erfolgt dann schließlich zur Spielzeit 2023/2024.

Für die 36 Clubs der Bundesliga und der 2. Bundesliga haben diese Vorhaben direkte Auswirkungen. Die neuen Kriterien müssen mit der bestehenden ESG-Strategie abgeglichen werden. Sofern ein Club noch keine fundierte ESG-Strategie hat, bedarf es gar einer Neuentwicklung. Darüber hinaus bleibt offen, wie weitreichend die Maßnahmen der Novelle sein werden und ob auf Vereinsebene noch mehr im Bereich Nachhaltigkeit getan werden muss. Fakt ist, dass wenig Zeit bleibt, alle Weichen so zu stellen, dass die Anforderungen rechtzeitig erfüllt sind. 

Die umweltbewusste und sozialverantwortliche Unternehmensführung ist kein neues Thema, dennoch stellt ESG viele Unternehmen und Proficlubs, insbesondere in der holistischen Betrachtung mit ihren neuen Entwicklungen, vor diverse Herausforderungen.

Mit welchen ESG-Herausforderungen könnten Profi-Fußballvereine in Deutschland konfrontiert werden?

Der Fußball genießt in Deutschland einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Deshalb ist die soziale Nachhaltigkeit ein wesentlicher Bestandteil der kommenden Leitlinie. Insbesondere auf Mitarbeiterebene kommt es hier zu vielfältigen Herausforderungen. Die klare Einhaltung des Arbeitsrechts sowohl im Profibereich als auch in den Nachwuchsleistungszentren (NLZ) könnte vermehrt in den Fokus rücken, was mehr Fairness zur Folge hätte. Wird in den NLZ angemessen und korrekt vergütet, um Ausbeutung zu verhindern, und soziale Unterstützung angeboten? Werden die Werte Respekt, Toleranz, Solidarität und Fairplay gelebt? Wie wird mit Homophobie oder psychischen Problemen umgegangen? Werden Diskriminierungen jeglicher Art aufgearbeitet und entsprechend sanktioniert? Außerdem geht es um die Zusammenarbeit mit externen Partnern und mit Sponsoren. Bei Kooperationen mit Partnern ist zum Beispiel die zum Großteil händische Produktion von Merchandise durch Kinderarbeit ein Thema. Werden Partner und Sponsoren vertraglich aufgefordert, soziale Nachhaltigkeitskriterien einzuhalten, und wenn ja, wie wird dies überprüft?

Schwerpunktthemen sozialer Nachhaltigkeit:

  • Vergütung in Nachwuchsleistungszentren
  • Soziale Unterstützung
  • Gerechte Wohlstandsverteilung
  • Respekt, Toleranz, Solidarität, Fairplay
  • Homophobie
  • Diskriminierung
  • Psychische Belastungen und Depression
  • Zusammenarbeit mit Partnern und Sponsoren

Ziel der ökologischen Nachhaltigkeit ist es, die Umwelt inklusive aller natürlicher Ressourcen zu schützen und zu schonen. Durch einen bewussteren Umgang mit Wasser, Energie und endlichen Rohstoffen sollen Schäden des Ökosystems minimiert werden. Die Folgen dieser Schäden betreffen nicht nur Menschen, sondern auch das Umweltklima und die Biodiversität. Ökologische Nachhaltigkeit ist die Grundlage für künftige Generationen. Im Fußball ist dies zum Beispiel im Rahmen von Großveranstaltungen und dem damit zusammenhängenden CO2-Austoß relevant. Angefangen beim Bau der Stadien über Abfallreduzierung bei Spielen bis hin zu den Materialien und Rohstoffen, die zur Produktion von Merchandise genutzt und benötigt werden, gilt es, ökologisch nachhaltig zu handeln. Des Weiteren geht es darum, Nachhaltigkeit rund um die Themen Mobilität und Ernährung zu berücksichtigen.

Schwerpunktthemen ökologischer Nachhaltigkeit:

  • Wasser, Energie, begrenzte Rohstoffe
  • CO2-Ausstoß bei Großveranstaltungen
  • Bau von Gebäuden und Stadien
  • Abfall
  • Verwendete Materialen und Produktion (Merchandising)
  • Mobilität
  • Ernährung

Ökonomische Nachhaltigkeit setzt insbesondere organisatorische Maßnahmen voraus. Es bedarf entsprechender Compliance-Management-Systeme, um beispielsweise Korruptions- oder Betrugsfällen vorzubeugen. Außerdem müssen einerseits Regularien wie die UEFA Financial Fair Play Regulation von 2012 eingehalten werden, andererseits müssen die Spieler angemessen vergütet werden und deren Altersvorsorge sichergestellt sein. Hierfür müssen die Weichen so gestellt werden, dass Nachhaltigkeit strukturell in allen Bereichen eingeführt wird. Außerdem geht es um die formale Integration von Fans und Stakeholdern und um eine transparente Vereinsführung. Integritätsmanagement schützt im Wesentlichen vor Fehlverhalten in Bezug auf ethische Werte, die in einem Unternehmen oder auch einem Profifußballverein immer stärker fokussiert werden. Ebenso sind die entsprechenden Third-Party-Integrity-Management-Systeme von großer Bedeutung und aktueller denn je. Viele soziale und ökologische Maßnahmen führen oft automatisch zu ökonomischer Nachhaltigkeit, also dazu, dass der Verein nachhaltig Gewinne maximiert.

Schwerpunktthemen ökonomischer Nachhaltigkeit:

  • Verhinderung von Korruption und Bestechung
  • Verhinderung von Geldwäsche
  • Kartellrecht
  • Financial Fair Play
  • Transparente Vereinsführung
  • Integrity-Management

Die großen Wirtschaftsskandale des vergangenen Jahrzehnts haben gezeigt, was mit der Reputation und dem ökonomischen Erfolg eines Unternehmens passieren kann, wenn die Strafverfolgungsbehörden aufklären. Dabei ist Integrität mehr als nur Risikominimierung. Langzeitstudien zeigen, dass Integrität stark mit erhöhter Produktivität, Innovation, Zufriedenheit, Mitarbeiterbindung und Attraktivität korreliert. Außerdem werden Unternehmen aufgrund der großen Herausforderungen der aktuellen Zeit (z. B. Klimawandel, Ressourcenknappheit, soziale Ungerechtigkeit etc.) vermehrt in die Pflicht genommen, genau diesen Herausforderungen mit innovativen Maßnahmen und ernsthafter unternehmerischer Verantwortung entgegenzuwirken.

Ein starkes Compliance- und Integritätsmanagement entwickelt sich abseits des Spielfeldes zunehmend zum Wettbewerbsvorteil. Daher sollte es auch im Profifußball wie auch bei anderen professionellen Sportorganisationen auf der Agenda stehen.

Co-Autor: Matthias Richter

Fazit

Die Einführung diverser Nachhaltigkeitskriterien in der Bundesliga und der 2. Bundesliga zeigt, dass der Fußball Nachhaltigkeit ernst nimmt. Die DFL wird in den kommenden Monaten die Kriterien konkretisieren und finalisieren. Somit steht der Pilotphase, beginnend mit den Starts der beiden höchsten Spielklassen in Deutschland, nichts mehr im Wege. Dann liegt es an den Vereinen, die richtigen Prozesse und Strukturen dafür aufzusetzen und in bestehende Strategien zu implementieren.

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