4 Minuten Lesezeit 22 Oktober 2019
Elektroauto an der Ladestation

Ladeinfrastruktur: Was Städte und Industrie jetzt tun müssen

Autoren
Constantin Gall

Managing Partner Strategy and Transactions

Hat jahrzehntelange Erfahrung in der Strategie- und Transaktionsberatung sowie in der Automobilbranche. Ist auch privat ein Autoenthusiast und geht gerne mit Familie und Freunden auf Reisen.

Björn Schaubel

Partner, Automotive Manufacturing and Mobility, EY Strategy & Transactions GmbH I Deutschland

Unterstützt seine Mandanten bei der Transformation vom traditionellen Player in der Automobilindustrie zu Mobilitätsdienstleistern der Zukunft. Lebt mit seiner Frau und seinen 2 Söhnen in Stuttgart.

4 Minuten Lesezeit 22 Oktober 2019

Die Technologie einer Ladeinfrastruktur für E-Mobilität ist da. Was fehlt, ist der zügige und flächendeckende Aufbau.

Mit der Elektromobilität verhält es sich wie mit der Henne und dem Ei: Was muss zuerst vorhanden sein, E-Autos oder Ladesäulen? Ohne eine signifikante Anzahl von Elektrofahrzeugen ist das Betreiben einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur ein Verlustgeschäft. Umgekehrt schrecken die Kunden vom Kauf eines E-Autos zurück, zum einen sind die Preise hoch, die Technologie ist noch nicht ausgereift, es herrschen noch Sorgen um die Reichweite und das jederzeitige Laden.

Denn wer heute ein Elektroauto kauft, muss vor allem bei längeren Strecken gut planen. Zwar ist die Zahl der öffentlich zugänglichen Ladesäulen zwischen Flensburg und Garmisch zuletzt deutlich auf knapp 21.000 gestiegen. Doch von dem im Koalitionsvertrag von 2018 avisierten Ziel von mindestens 100.000 zusätzlichen Ladepunkten bis 2020 ist Deutschland weit entfernt – abgesehen davon, dass auch diese für eine flächendeckende Infrastruktur nicht ausreichen. Und betrachtet man die aktuellen Ladepunkte genauer, so sind nur knapp ein Viertel schnellladefähig, so dass das Laden im Zeitraum von 20 bis 45 Minuten möglich ist. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Regel nur hochpreisige Modelle überhaupt in der Lage sind, diese Schnellladeinfrastruktur zu nutzen.

Steigerung der zugelassenen Elektrofahrzeuge

54,4 %

mehr Elektrofahrzeuge als im Vorjahr wurden 2018 in Deutschland angemeldet.

Entsprechend hinkt der Verkauf von Elektrofahrzeugen den einst ambitionierten Plänen hinterher: Von den knapp 65 Millionen Fahrzeugen in Deutschland waren zum Jahresende 2018 laut Kraftfahrtbundesamt nur gut 83.000 Elektroautos und rund 341.000 Hybrid-Pkw. Trotz eines deutlichen Anstiegs zum Vorjahr ist die Elektromobilität (noch) nicht alltagstauglich.

Ohne die Elektromobilität – so weit sind sich Automobilindustrie und Politik einig – wird das ambitionierte Ziel einer nachhaltigen CO2-konformen Mobilität, wie es die europäische Gesetzgebung verlangt und auch in den Pariser Klimazielen vereinbart wurde, nicht erreicht. Die wichtigsten Voraussetzungen für den Hochlauf der Elektromobilität sind neben dem Ausbau der Ladeinfrastruktur ein entsprechend großes und erschwingliches Angebot an Fahrzeugen sowie der entsprechende rechtliche Rahmen und nicht zuletzt der Aufbau zirkulärer Systeme z. B. für Batteriepakete. Auch letzteres erfordert einen entsprechenden regulierten und standardisierten Rahmen.

Der Rahmen: Bund ist in der Pflicht

Die aktuelle Entwicklung und die Erfahrungen aus den Energiewende-Bemühungen zeigen, dass für einen kontinuierlichen, bedarfsgerechten Ausbau der bundesweiten Infrastruktur ein übergreifendes Konzept und ein verbindlicher Rahmen notwendig sind. Hier ist der der Bund in der Pflicht, bundesweit Ziele und Meilensteine für den Ausbau der Ladepunkte zu definieren und diese zumindest zu koordinieren, wenn nicht gar selbst in Form von Betreibermodellen zu realisieren.

Wenn der Bund die Steuerung der Elektromobilität nicht in die Hand nimmt, bleibt es bei einem Flickenteppich.

Dies gilt sowohl für den planerischen als auch für den rechtlichen Rahmen.

Planung: Ebenso wie es – laut Einschätzung vieler Experten und Planer – für den bundesweiten Ausbau der erneuerbaren Energien grundsätzlich einer Bundesraumordnung bedarf, so ist auch die Elektromobilität mit ihrer Infrastruktur eine raumwirksame Herausforderung, der strategisch auf dieser Ebene begegnet werden sollte. In einer Bundesraumordnung sollten die Ziele und der Handlungsrahmen für die E-Mobilität, auch im Zusammenspiel mit Wasserstoff, Methanol/Ethanol sowie allen Mischformen fossiler Brennstoffe (z. B. Ultrahybrids), und Batterieelektromobilität festgelegt werden. Zudem sollten die bundesweiten Überlegungen zur verkehrlichen Entwicklung wie der Bundesverkehrswegeplan von einer reinen Bedarfssammlung zu einer strategischen Mobilitätsplanung werden, die nachhaltige Mobilität fördert. Darüber hinaus müsste die gesamte E-Mobilität, um ihrem Anspruch einer de facto nachhaltigen Mobilitätsalternative gerecht zu werden („Well-to-wheel“-Betrachtung), in zirkuläre Ökosysteme eingebunden werden um hier einen optimalen und ressourcenschonenden Umgang mit den Batterien bzw. einen möglichst „grünen“ Energiemix zu gewährleisten.

Rechtlicher Rahmen: In einem künftig intelligenten Stromnetz – Stichwort Smart Grid – sollen die Stromnutzer gleichzeitig zu Stromlieferanten werden, indem die Batterien der Elektroautos als Zwischenspeicher dienen. Dies ist auch für die privaten und halb-öffentlichen Betreiber der Ladeinfrastruktur relevant, die vielerorts noch gesucht werden: Nur eine hohe Auslastung der Ladesäulen und die Möglichkeit des bidirektionalen Ladens ermöglichen einen wirtschaftlichen Betrieb der Infrastruktur. Noch fehlt es dafür an einer rechtlichen Grundlage, die durch eine Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) geschaffen werden könnte. Nimmt der Bund die Steuerung nicht in die Hand und überlässt die Umsetzung der Elektromobilität weiterhin den mal mehr, mal weniger finanzstarken Kommunen, bleibt es bei einem Flickenteppich. Ziel muss es sein, in den kommenden fünf Jahren den rechtlichen Rahmen abzustecken.

Die Umsetzung: Städte als koordinierende Kraft

Bevorzugte Parkplätze und geringere Parkgebühren für Elektrofahrzeuge, die Freigabe von Sonderspuren, Ausnahmen bei Zufahrtsbeschränkungen und Durchfahrtsverboten: Bislang machen die Kommunen von den Möglichkeiten des Elektromobilitätsgesetzes (EmoG), Elektrofahrzeuge zu privilegieren, vergleichsweise wenig Gebrauch. Damit das urbane Leben auch künftig lebenswert ist – mit intelligenter Mobilität und sauberer Luft –, müssen die Städte das Steuer übernehmen und die intelligente intermodale Verkehrsplanung zur obersten Priorität machen. Eine intelligente Ladeinfrastruktur mit Schnellladepunkten auf öffentlichen, halböffentlichen und privaten Flächen (Parkraum, Wohn- und Industriegebiete), sollte in allen Stadtplanungsprozessen mit bedacht und eingefordert werden. Zudem sollte es eigene Elektromobilitäts-Masterpläne geben, die den strategischen Rahmen in den Kommunen setzen. Eine übergeordnete regionale Masterplanung mit Anbindung des Umlands ist hierbei ebenfalls anzudenken.

Warum sollten die Kommunen im öffentlichen Raum nicht selbst zum Betreiber von Ladestationen werden?

Im Übrigen sehen private Betreiber keinen Nachteil, wenn die Städte einen klaren Rahmen vorgeben. Im Gegenteil: dies könnte die Schaffung von Industriestandards beschleunigen und so eine schnellere und ökonomisch attraktive Skalierung der E-Mobilität ermöglichen. So wissen sie, woran sie sind. Finanzielle Anreize oder Förderprogramme können das Ziel unterstützen, bis 2022 flächendeckend Ladepunkte einzurichten und in dem entstehenden Ökosystem eine stärkere Rolle spielen. Und warum sollten die Kommunen im öffentlichen Raum nicht auch selbst zum Betreiber von Ladestationen werden? Hier bieten sich vor allem Public-private-Partnership-Modelle an.

Letztlich müssen auch praktische Hemmnisse aus dem Weg geräumt werden. Allen voran braucht es einfachere und schnellere Genehmigungsverfahren. Die beteiligen Ressorts müssen sich untereinander und mit den Partnern aus dem Energiesektor und Verkehrsbetreibern sowie den künftigen Nutzern enger abstimmen, um der Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Partner: Energie neu gedacht

Die öffentliche Hand kann den flächendeckenden Ausbau der Ladeinfrastruktur kaum alleine stemmen. Zwar können die Stadtwerke ihre Rolle neu definieren und zusätzlich zu ihrer Rolle als Stromlieferanten für Privathaushalte und Unternehmen auch den individuellen und öffentlichen Verkehr mit Ladeinfrastruktur versorgen. Ohne die Unterstützung privater Anbieter wie Energieunternehmen, Telekommunikationsanbieter, Arbeitgeber, Wohnungsbaugesellschaften, Hauseigentümer, Restaurants, Hotels und Einzelhändler in Zusammenarbeit mit der Automobilindustrie wird es jedoch kaum gelingen.

Damit aus vielen Einzelmaßnahmen eine intelligente Infrastruktur wird, müssen Städte und private Anbieter den Dialog suchen.

Beispiele gibt es zahlreiche: Inzwischen bieten Akteure wie Lebensmittelketten auf ihren Parkflächen Ladesäulen zum Stromtanken an. Damit aus vielen solcher Einzelmaßnahmen eine intelligente Infrastruktur wird, müssen Städte und private Anbieter den Dialog suchen.

Für eine effektive und schnelle Umsetzung der Ladeinfrastruktur ist es notwendig, eine Vielzahl von elektrischen Fahrzeugen mit entsprechenden Mobilitätskonzepten zu etablieren. Dadurch werden neue Ökosysteme mit verschiedenen Playern sowohl aus etablierten Industrien als auch neuen Industrien entstehen, die zum jetzigen Zeitpunkt noch keine wesentliche Rolle in der heutigen Mobilität spielen. Umso wichtiger ist die Steuerung durch den öffentlichen Sektor, um einen langfristigen Rahmen für diese Entwicklung zu setzen.

Fazit

Ohne eine signifikante Anzahl von Elektrofahrzeugen ist das Betreiben einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur ein Verlustgeschäft. Umgekehrt schrecken die Kunden vom Kauf eines E-Autos zurück, weil sie sich nicht sicher sein können, dass sie es jederzeit aufladen können. Ein Dilemma, das sich nur mit gemeinsamen Anstrengungen von Bund, Städten und Industrie lösen lässt.

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Constantin Gall

Managing Partner Strategy and Transactions

Hat jahrzehntelange Erfahrung in der Strategie- und Transaktionsberatung sowie in der Automobilbranche. Ist auch privat ein Autoenthusiast und geht gerne mit Familie und Freunden auf Reisen.

Björn Schaubel

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Unterstützt seine Mandanten bei der Transformation vom traditionellen Player in der Automobilindustrie zu Mobilitätsdienstleistern der Zukunft. Lebt mit seiner Frau und seinen 2 Söhnen in Stuttgart.