Wie lässt sich das begründen?
Zum einen sehen wir ja die guten Ergebnisse für 2022. Was soll denn jetzt, 2023, anders sein? Um es einmal auf den Punkt zu bringen: Die Risiken, die diskutiert wurden und werden und die es zweifellos gibt, die haben wir doch in unsere Preise einkalkuliert – vorausgesetzt dass ordentlich gearbeitet wurde. Wir etwa haben uns im Einkauf viele Gedanken gemacht, insbesondere dazu, dass wir wohl teuer nachkaufen und unter Umständen günstig wieder verkaufen müssen. Wir haben uns auch im Rahmen unserer Preisgestaltung darauf vorbereitet, dass wir Verluste durch uneinbringliche Forderungen bei Kunden zu verzeichnen haben.
Was ich mir eher vorstellen kann, ist, dass einige Unternehmen gewisse Liquiditätsprobleme im Zuge der Gaspreisbremse bekommen. Wir müssen die Rechnung im Januar, Februar oder März zahlen, während die Erstattung vom Staat vielleicht erst Ende März kommen. Da fehlen dem ein oder anderen womöglich vorübergehend ein paar Millionen in der Liquiditätslinie, was es zu überbrücken gilt. Aber im Jahresergebnis wird sich das nicht spiegeln.
Was erwarten Sie bei den Preisentwicklungen für Endverbraucher? Kommen die derzeit sinkenden Großhandelspreise bei ihnen an – oder sind sie die Verlierer der stark schwankenden Preise?
Wir werden die Preise für Strom und Gas im Mai senken – allerdings nicht so deutlich wie manch anderer Versorger. Ich denke mir meinen Teil, wenn der Strompreis von 0,62 auf 0,42 Euro sinkt oder der Gaspreis von 0,28 auf 0,18 Euro. Wir bewegen uns eher im einstelligen Bereich, merken im Moment aber auch sehr stark, dass der Wettbewerb bei Gas beginnt. Insgesamt glaube ich, dass die Kunden, auch in Lippstadt, sehr wohl vernommen haben, was wir als Stadtwerke leisten und wie wir agieren. Wir werden die Preissenkungen zum Beispiel auch an Kunden mit Preisbindungen in ihren Verträgen weitergeben.
Die Motivation dahinter ist Kundenbindung? Wie wichtig ist diese für Sie und wie erfolgreich sind Sie damit angesichts einer unverkennbar gestiegenen Wechselbereitschaft der Kunden?
Wir pflegen seit 20 Jahren eine Geschäftsphilosophie: Wir wollen keinen Gewinn machen. Es gibt eine Art stilles Agreement zwischen Gremien, Stadtrat und Geschäftsführung, wonach wir versuchen, möglichst günstige Tarife für Privatkunden und Industrie zu bieten. Wir nennen das Standortsicherung und Wirtschaftsförderung. Die Idee dahinter ist, durch günstige Standortbedingungen Zuwachs an Gewerbe und Bevölkerung und dadurch höhere Gewerbesteuereinnahmen und höhere Einkommensteueranteile etc. zu generieren. Die Aussage zum Gewinn ist immer relativ, hat aber dazu geführt, dass wir als Stadtwerke in den vergangenen 15 Jahren keine Vollausschüttung durchgeführt haben. Sicherlich hat die Stadt einen Gewinnanteil auf ihr Stammkapital erhalten, aber alles, was darüber hinaus erwirtschaftet wurde, ist bei uns verblieben – mit dem Ergebnis einer Eigenkapitalquote von knapp unter 50 Prozent. Dementsprechend gelingt es bei Investitionen mit Fremdkapitalbedarf vergleichsweise leicht, diese Mittel zu bekommen.
Wo sehen Sie sich in Ihrem Leistungsportfolio im Jahr 2030? Wie wird das Produktspektrum aussehen?
Vor allen Dingen werden wir in die Infrastruktur investieren. Ich sehe unsere primäre Aufgabe als Stadtwerke darin, ein Netz zur Verfügung zu stellen, damit die Energiewende funktioniert. Dafür brauchen wir aber mehr Klarheit und Planbarkeit, denn bei der Intensität des Zubaus der erneuerbaren Energien kommen auch wir so langsam an die Leistungsgrenze. Und doch gibt es keine Alternative.
Produktseitig werden wir weiter Energie, nach meiner Lesart aber keine Wärme vertreiben. Ja, wir bauen auch Ladesäulen, aber daran kann man als Stadtwerke weder Rendite noch Spaß finden. Als Ingenieur bin ich von der Technologie nicht überzeugt – ebenso wenig wie übrigens von Wasserstoff als Energieträger in der Größenordnung unserer Gasverteilung. Vor allen Dingen glaube ich auch nicht, dass die Masse der Ladevorgänge im öffentlichen Bereich stattfindet. Das geschieht eher beim Arbeitgeber oder zu Hause.
Wo sehen Sie angesichts dieser sicherlich berechtigten Skepsis Möglichkeiten für die erforderliche Dekarbonisierung?
Zum einen sind viele Stadtwerke anders aufgestellt als wir, weshalb sich die Antworten hier unterscheiden dürften. Wenn ich im Ruhrgebiet auf Fernwärme setzen kann, sollte ich das natürlich tun. Da Lippstadt kein Fernwärmenetz hat, bietet sich das für uns nicht an, ebenso wenig die Nutzung industrieller Abwärme. Bessere Möglichkeiten, Energie zu sparen, sehe ich in mehr Energieeffizienz. Neubauten nach KfW-40- oder KfW-55-Standard kann man mit einer Flächenheizung, Solaranlage und Wärmepumpe problemlos beheizen. Der Bestand ist bekanntermaßen eine wahnsinnige Herausforderung. Wenn ich heute ein Wärmenetz plane, kann ich nicht die Verbräuche von heute zugrunde legen – ich muss mit künftigen Verbräuchen rechnen.
Ein ganz wesentlicher Hebel ist zudem die Preisgestaltung. Für die Wärme- bzw. Energiewende konnte uns eigentlich nichts Besseres passieren als höhere Preise. Wir machen – überspitzt formuliert – kaum etwas anderes mehr, als Anträge für Solaranlagen zu unterschreiben. Warum ist das so? Klar, die Anlagen rechnen sich bei einem Strompreis von knapp unter 40 Cent. Und bei einem Gaspreis von 20 Cent denken Sie auch eher darüber nach, Ihr Gebäude zu isolieren, um weniger Energie zu verbrauchen. Das war bei 5 Cent grundlegend anders. Das Problem dieser Preisstellung sind die sozialen Verwerfungen, weil eine Vielzahl der Menschen diese Preise nicht bezahlen kann. Umso wichtiger ist es, klarzumachen: Die Energiewende kostet Geld, viel Geld, weil wir momentan zwei Energiesysteme vorhalten.
Was uns direkt zu dieser Frage führt: Wenn Sie einen Wunsch an die Bundesregierung äußern könnten, welche wäre das?
Es geht darum, genau diese Tatsache deutlich zu kommunizieren. Wir sagen es schon länger: Der Preis muss viel höher sein. Frühere Generationen haben etwa beim Hausbau nicht ansatzweise über die Energiekosten nachgedacht. Energie war ja günstig. Nun ist sie teuer und wir denken darüber nach. Doch jetzt subventionieren wir das Ganze auch mit Hunderten von Milliarden Euro. Wenn Energie wieder billiger würde, kämen wir nicht voran. Das ist ein elementares Problem. Es müsste eigentlich teuer bleiben. Dann wiederum muss man sich überlegen, wie man die Menschen mitnimmt, die es sich nicht leisten können. Denn die größte soziale Ungerechtigkeit, die dieses Land die letzten 20 Jahre hervorgebracht hat, ist die Energiewende.
Dass sie alternativlos ist, steht außer Frage, doch das Wie ist nicht zu Ende gedacht. Einsparungen, ob bei Wasser, Gas oder Strom, führen vorerst zwangsläufig zu höheren Preisen. Man mag an der Ressource selbst sparen, aber Fixkosten, Personalkosten etc. bleiben oder erhöhen sich in der Folge sogar, um die Infrastruktur zu erhalten. Das muss den Menschen offen und ehrlich gesagt werden – nur so können wir sie mitnehmen. Das ist nicht zu verwechseln mit Panikmache, von der wir momentan auch einiges sehen. Gewiss würde es helfen, Vertreter von Energieversorgern hier aktiv einzubinden – am besten schon bei der Entwicklung von Ideen und Maßnahmen.
Vielen Dank für das Gespräch!