Aktenordner der Marke Leitz

Warum Leitz-Ordner problematisch für Steuerstrafverfahren sind

In einem Steuerstrafverfahren rückt die Behörde beschlagnahmte Originaldokumente nicht heraus. Zwei Gerichte urteilen unterschiedlich.


Überblick

  • In einem Steuerstrafverfahren wurden 64 Leitz-Ordner beschlagnahmt, was zu unterschiedlichen Urteilen zweier Nürnberger Gerichte führte.
  • Der Beschuldigte forderte die Herausgabe der Originaldokumente, während die Behörde auf der Beschlagnahme bestand.
  • Die Entscheidung des Landgerichts wirft Fragen zur Verhältnismäßigkeit und Digitalisierung von Beweismitteln auf.

Papierlose Zeiten sind bei Strafverfolgungsbehörden immer noch Zukunftsmusik. Mit der Rolle von Aktenordnern mussten sich nun zwei Nürnberger Gerichte befassen. Im zugrunde liegenden Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO wurden originäre Geschäftsunterlagen beschlagnahmt. Der Beschuldigte begehrte teilweise deren Herausgabe oder hilfsweise die Anfertigung und Aushändigung von Kopien. Zunächst lehnte das Amtsgericht Nürnberg den Antrag des zuständigen Finanzamtes Nürnberg-Süd auf Beschlagnahme u. a. der 64 Leitz-Ordner als unverhältnismäßig ab und ordnete deren Herausgabe an (Az.: 57 Gs 731/24). Nach Beschwerde der Bußgeld- und Strafsachenstelle (BuStra) hob anschließend das Landgericht Nürnberg-Fürth den Beschluss der Vorinstanz auf und ordnete die Beschlagnahme an (Az.: 18 Qs 14/24).

Der Fall

Der Beschuldigte ist alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH und fungiert ferner als Kommanditist einer GmbH & Co. KG, deren Komplementärin die GmbH ist. Die BuStra leitete gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Hinterziehung betrieblicher Steuern ein. Das Drama begann mit Durchsuchungen an verschiedenen Orten am 18. Juli 2023, sowohl beim Beschuldigten als auch bei Dritten. Dabei wurden sowohl elektronische Datenträger als auch die besagten 64 Leitz-Ordner aufgefunden und zur Durchsicht in der Behörde sichergestellt. Bereits am 24. August 2023 teilte die Steuerfahndung mit, dass die im Rahmen der Durchsuchung sichergestellten IT-Geräte forensisch ausgewertet seien und der Beschuldigte einen Termin zur Rückgabe vereinbaren könne.

Allgemein ist anzumerken, dass für den Beschuldigten die Rückgabe elektronischer Daten oder sichergestellter Computer häufig viel wichtiger ist als die von Papierunterlagen. Wer von einer Durchsuchung betroffen ist, sollte daher immer versuchen, noch während der Maßnahme Kopien von elektronischen Daten zu erstellen und – soweit möglich – die Sicherstellung oder Beschlagnahme von Computern gänzlich zu vermeiden. Dies gilt insbesondere für betrieblich notwendige elektronische Systeme wie z. B. Server oder elektronische Kassensysteme.

Grafik: Anzahl der von Bussgeld- und Strafsachenstellen abgeschlossenen Strafverfahren nach Ergebnissen

Der Verteidiger tritt auf den Plan

Im September 2023 erhielt der Verteidiger Akteneinsicht und monierte deren Unvollständigkeit. So seien ihm die 64 Ordner nicht zur Verfügung gestellt worden, weswegen eine sachgerechte Verteidigung nicht möglich sei. Die Steuerfahndung erlaubte lediglich eine Einsichtnahme im Amt. Es bestehe auch kein Anspruch auf die Aushändigung von Kopien. Kopien oder Scans der sichergestellten Unterlagen könnten durch den Verteidiger bzw. dessen Büropersonal an Amtsstelle gefertigt werden. Anfang 2024 beantragte die Behörde beim zuständigen Amtsgericht Nürnberg die Beschlagnahme von 82 näher bezeichneten Gegenständen als Beweismittel, wozu offensichtlich auch einige der 64 Leitz-Ordner zählten.

Zunächst Sieg auf ganzer Linie

Das Amtsgericht Nürnberg lehnte am 14. Februar 2024 eine Beschlagnahme der Unterlagen im Original als unverhältnismäßig ab. Die Finanzbehörde habe nicht nachvollziehbar darlegen können, weshalb nicht eine Kopie der entsprechenden Daten für die Sicherung des Verfahrens genüge. Zudem sei nicht ersichtlich, warum nicht wenigstens eine Digitalisierung der Unterlagen erfolgt sei, um der Verteidigung ihre Arbeit und dem Beschuldigten die Fortführung seines Unternehmens zu ermöglichen. Bemerkenswert ist die Feststellung des Gerichts, dass „im Jahr 2024 von einer Dienststelle, die in Steuerstrafverfahren des vorliegenden Umfangs selbständig ermittelt, erwartet werden muss, dass sie zu einer Digitalisierung von Unterlagen dieses Umfangs in der Lage ist“. Danach mussten die sichergestellten Unterlagen – unter Einschluss der 64 Leitz-Ordner – an den Beschuldigten herausgegeben werden. 

Grafik: Anzahl der von Staatsanwaltschaften und Gerichten abgeschlossenen Strafverfahren nach Ergebnissen

Landgericht gibt der Behörde recht

Da die BuStra die Originale ihrer Beweismittel zu verlieren drohte, legte sie Beschwerde ein. Das angerufene Landgericht Nürnberg-Fürth kam in seinem Beschluss vom 1. August 2024 zu einer diametral entgegengesetzten Entscheidung: Der beantragten Beschlagnahme wurde stattgegeben und das Begehren der Verteidigung auf Zurverfügungstellung der sichergestellten Unterlagen bzw. vollständiger Kopien oder Scans zurückgewiesen. Eingescannte Dokumente könnten niemals ein identisches Bild des Originals liefern, so das Landgericht, etwa bei handschriftlichen Bearbeitungsvermerken oder „geklammerten“ Papieren, Briefumschlägen oder unterschiedlichen Papierformaten. Dies bedeutet allerdings umgekehrt (was das Landgericht ausdrücklich zugestanden hat), dass sich die Ermittlungsbehörde auch mit Kopien oder Scans von Dokumenten zufriedengeben muss, wenn die vorgenannten Aspekte keine Rolle spielen.

Kopien oder Scans von der Behörde

Auch der Forderung der Verteidigung, dass – anstelle einer Herausgabe der Originalunterlagen – Kopien oder Scans seitens der Behörde kostenfrei zur Verfügung zu stellen seien, erteilte das Landgericht eine Absage. Angesichts der vorhandenen gesetzlichen Regelungen in der Strafprozessordnung und im Gerichtskostengesetz bestehe für die Ermittlungsbehörden kein Spielraum, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit oder des Aufwandes für die Erfassung der jeweiligen Dokumente von einer Kostenerstattung pauschal abzusehen. Im Übrigen bestehe kein pauschaler Anspruch auf Vervielfältigung sämtlicher sichergestellter bzw. beschlagnahmter Papierbeweismittel durch die Ermittlungsbehörden, unabhängig davon, ob diese im weiteren Verfahren in irgendeiner Weise zu Beweiszwecken verwendet und Aktenbestandteil werden sollen.

Sonderlich nachvollziehbar erscheint die Position des Landgerichts nicht, zumal bereits eine Vielzahl von Behörden mit elektronischen Akten arbeitet und der formale Kontakt mit Behörden und Gerichten vielfach nur noch auf elektronischem Weg erfolgen kann (und muss). Soweit das Landgericht auf fehlende personelle Ressourcen bei der Steuerfahndung für das Einscannen von Unterlagen verwiesen hat, erscheint dieser Aspekt nicht geeignet, daran eine Einschränkung der Rechte des Beschuldigten festzumachen. Bei allem Pragmatismus darf nicht übersehen werden, dass eine Durchsuchung und eine Sicherstellung von Unterlagen einen Grundrechtseingriff darstellen. 

Grafik: Hoehe der vorlaeufig festgestellten Mehrsteuern nach Steuerarten

Bei Durchsuchung sofort handeln

Der Streit über die im Original sichergestellten und später beschlagnahmten 64 Leitz-Ordner zeigt, wie wichtig das Management einer Durchsuchung in diesem Punkt ist. Die Praxis lehrt, dass mit späteren rechtlichen Streitverfahren mögliche Fehler während der Durchsuchung nicht bzw. allenfalls teilweise ausgebügelt werden können. Im vorliegenden Fall hätte es möglicherweise nahegelegen, bereits während der Durchsuchung den Umfang der sichergestellten Akten zu begrenzen. Es ist daher für betroffene Unternehmen sinnvoll, möglichst genau herauszuarbeiten, welcher Tatvorwurf erhoben wird und welche Art von Dokumentation notwendig ist, um diesen gerichtsfest beweisen zu können.

Elektronische Ablage

Sind im Übrigen Buchhaltungsdaten mit einer entsprechenden Archivierung der Buchungsbelege in elektronischer Form vorhanden („keine Buchung ohne Beleg“), könnte eine Beschlagnahme von Papierakten – je nach Sachverhalt – ohnehin unverhältnismäßig sein. Auch ist es denkbar, mit den Ermittlungsbehörden zu vereinbaren, dass Papierunterlagen nach einer Sichtung – ohne das Erfordernis einer Beschlagnahme – herausgegeben werden, wenn sich die Behörde von der Vollständigkeit einer elektronisch verfügbaren Ablage überzeugen konnte. Im vorliegenden Fall benötigte die Steuerfahndungsstelle genau fünf Monate, um die zunächst sichergestellten Unterlagen durchzusehen. In der Praxis sehen wir häufig sogar noch deutlich längere Zeiträume, die als Zeitfenster für sinnvolle Absprachen genutzt werden können.

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Fazit 

Die Beschlagnahme der 64 Leitz-Ordner im Steuerstrafverfahren wirft erhebliche rechtliche und praktische Fragen auf. Während das Amtsgericht die Herausgabe der Unterlagen als unverhältnismäßig einstufte, entschied das Landgericht zugunsten der Behörde. Diese widersprüchlichen Urteile verdeutlichen die Herausforderungen im Umgang mit physischen und digitalen Beweismitteln. Zudem wird die Notwendigkeit einer Digitalisierung von Unterlagen in modernen Ermittlungsverfahren betont. Letztlich zeigt der Fall, wie wichtig ein sorgfältiges Management von Durchsuchungen für die Rechte der Beschuldigten ist.



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