Der demografische Wandel trifft die gesamte Wirtschaft. Doch im E-Commerce-Bereich, der durch rasante technologische Entwicklungen und einen intensiven globalen Wettbewerb geprägt ist, sind Fachkräfte hierzulande besonders knapp. Beim Anwerben von Expert:innen müssen Unternehmen oft auch im Ausland suchen. Die Sache hat allerdings einen Haken: Ob im Marketing, in der Logistik oder in der IT, bei globaler Trendbeobachtung oder Technologien – die großen Talente wollen nicht unbedingt nach Deutschland ziehen. Die Zielgruppe zeichnet sich überdies dadurch aus, dass sie bei der Jobentscheidung wert legt auf Homeoffice oder Workation. Auch längerfristige Einsätze, wie Entsendungen oder die Anstellung von sogenannten Foreign Local Hires, gewinnen an Bedeutung.
Ein Beispiel aus der Praxis: Eine britische Staatsbürgerin lebt mit ihrer Familie in der Schweiz. Sie ist SEO-Spezialistin und aufgrund ihrer Kenntnisse und ihres Netzwerks die Wunschkandidatin für einen deutschen E-Commerce-Konzern. Aus persönlichen Gründen kommt ein Arbeitgeberwechsel für die Kandidatin nur in Betracht, wenn die Tätigkeit zumindest in einem gewissen Umfang aus dem Homeoffice in der Schweiz möglich ist. Außerdem ist ein langfristiger Verbleib der Familie in der Schweiz geplant, weshalb sie weiterhin der Schweizer Sozialversicherung unterliegen möchte.
Unternehmen müssen wissen, dass die Mobilität von Mitarbeitenden über nationale Grenzen hinweg eine Vielzahl von Herausforderungen und komplexen Fragestellungen mit sich bringt. Im Folgenden beleuchten wir wesentliche Global-Mobility-Themen, um grenzüberschreitende Einsätze erfolgreich zu meistern und die Risiken für alle Beteiligten zu minimieren.
A wie Aufenthalts- und Arbeitsrecht
In vielen Konstellationen wird schon bei kurzen grenzüberschreitenden Einsätzen eine Arbeitserlaubnis oder ein Visum benötigt. Andernfalls drohen Arbeitgebern und Arbeitnehmenden zivil- und strafrechtliche Konsequenzen sowie auch Reputationsschäden. Arbeitsrechtlich tritt bei grenzüberschreitenden Beschäftigungen eine Reihe von Fragen auf: Welches lokale Arbeitsrecht gilt für die Arbeitszeit, für Urlaubsansprüche oder Kündigungsrechte? Wird eine zusätzliche Vereinbarung zum Arbeitsvertrag benötigt? Droht gar das Risiko einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung?
Da die Wunschkandidatin aus der Schweiz keine EU-Staatsbürgerin, sondern Britin ist, sind rechtzeitig die erforderlichen aufenthaltsrechtlichen Schritte – v. a. die Beantragung eines Arbeitsvisums in Deutschland – zu prüfen und in die Wege zu leiten. Arbeitsrechtlich stellen sich die Fragen, welche Möglichkeiten es für die Anstellung gibt (z. B. lokaler Arbeitsvertrag in Deutschland oder Employer-of-Record-Modell in der Schweiz), ob ein Arbeitsvertrag zwingend nach deutschen oder nach Schweizer Rechtsvorschriften aufzusetzen ist oder ob vielmehr die jeweils vorteilhafteren Regelungen gewählt werden dürfen.
B wie Betriebsstättenrisiko
Nicht nur für Mitarbeitende, sondern auch für das Unternehmen kann die Tätigkeit in einem anderen Land erhebliche steuerliche Auswirkungen haben. Je nach Rolle, Tätigkeitsprofil oder Dauer der Auslandstätigkeit besteht ein Risiko der Begründung einer steuerlichen Betriebsstätte durch das Unternehmen. Dann entstehen im Einsatzland plötzlich Körper- und Umsatzsteueransprüche gegenüber dem Unternehmen.
Das Tätigkeitsprofil der Kandidatin sollte einer sorgfältigen Überprüfung unterzogen werden. Besonders wenn davon Zeichnungs- oder umfassende Vertretungsbefugnisse umfasst sind, kann das Risiko der Begründung einer Betriebsstätte erheblich sein. Zudem ist es wichtig, auch den zeitlichen Umfang sowie die Vereinbarung und Ausgestaltung der Homeoffice-Tätigkeit im Vorfeld auf potenzielle Betriebsstättenrisiken zu analysieren.
E wie Einkommensteuern
Doppelbesteuerungsabkommen, Auslandstätigkeitserlass, Wegzugsbesteuerung – die Liste der Regelungen, die es in Fällen des grenzüberschreitenden Einsatzes zu beachten gilt, ist lang. Verstärkt wird die Komplexität durch die Notwendigkeit, diese Regelungen korrekt und rechtzeitig in enger Abstimmung zwischen allen beteiligten Ländern anzuwenden. Zeitlich gesehen kommen einkommensteuerliche Schritte oftmals erst zum Schluss, mitunter lange Zeit nach dem grenzüberschreitenden Einsatz. Umso überraschter sind die Steuerpflichtigen dann, wenn das (ehemalige) Gastland plötzlich Steueransprüche erhebt oder das Einreichen einer Steuererklärung fordert.
Bei einem deutschen Arbeitgeber, der die Kandidatin an ihrem Wohnsitz in der Schweiz einstellen möchte, sind die Regelungen des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und der Schweiz zu prüfen. Es kommt hier zu einem Besteuerungsrecht beider Länder: in der Schweiz aufgrund des dortigen Lebensmittelpunktes und in Deutschland aufgrund der Gehaltstragung durch einen deutschen Arbeitgeber, es sei denn, es greifen abweichende Regelungen für z. B. leitende Angestellte oder Grenzgänger. Die Aufteilung des Gehalts zwischen beiden Ländern ist anhand der tatsächlichen Arbeitstage vorzunehmen, was eine entsprechende Dokumentation – z. B. in Form eines Reisekalenders – durch die Arbeitnehmerin erfordert.
P wie Payroll
Vielen mag die Gehaltsabrechnung ein Buch mit sieben Siegeln sein. Wird man grenzüberschreitend tätig, erhält man aber oft nicht nur eine, sondern zwei oder mehr Gehaltsabrechnungen. Der Arbeitgeber hat dabei einen erhöhten administrativen Aufwand. Herausfordernd ist hier die korrekte lohnsteuerliche Würdigung aller Gehaltsbestandteile nach den entsprechenden lokalen Vorschriften. So ermittelt sich beispielsweise der geldwerte Vorteil für einen Firmenwagen unterschiedlich in den verschiedenen Ländern. Auch Einzahlungen in Pensionspläne oder aktienbasierte Vergütungen unterliegen nicht überall denselben lohnsteuerlichen Regelungen. Und zu guter Letzt muss sichergestellt werden, dass es nicht bereits auf der lohnsteuerlichen Ebene zu einer Doppelbesteuerung zulasten der Arbeitnehmenden kommt, was zumindest zu Liquiditätsschwierigkeiten führen kann.
In unserem Beispielsfall gilt der deutsche Konzern bei einer lokalen Anstellung als sogenannter inländischer Arbeitgeber für lohnsteuerliche Zwecke. Er muss – zumindest insoweit eine Steuerpflicht in Deutschland besteht – für den deutschen Fiskus den entsprechenden Lohnsteuereinbehalt sicherstellen. Auch auf Schweizer Seite kann eine (Schatten-)Gehaltsabrechnung erforderlich sein, selbst wenn sich der Arbeitgeber außerhalb der Schweiz befindet.
S wie Sozialversicherung
Risiken bei grenzüberschreitendem Arbeiten birgt auch die Sozialversicherung. Mal eben aus der Ferienwohnung auf Mallorca zu arbeiten, mag dank der guten Flugverbindungen aus Deutschland einfach klingen. Doch stolpert man dort auf dem Weg vom Schreibtisch zur Kaffeemaschine und bricht sich den Arm, entstehen einige Probleme, wenn man sich vor Antritt einer solcher Workation nicht mit den sozialversicherungsrechtlichen Erfordernissen beschäftigt hat. Die Sozialversicherung deckt aber nicht nur die Versicherungskomponente ab, sondern auch Themen wie Kinder- oder Elterngeld. Wie in der Einkommensteuer gibt es zwischen einer Vielzahl an Ländern bilaterale Sozialversicherungsabkommen. Jedoch liegen diese eben nicht für alle Länderkonstellationen vor und gelten beispielsweise auch nicht immer für alle Versicherungszweige.
Zurück zu unserer Wunschkandidatin, die weiterhin im Schweizer Sozialversicherungssystem bleiben will. Dies erfordert, dass sie mindestens 25 Prozent ihrer Tätigkeit in ihrem Wohnsitzstaat Schweiz ausübt. Als Nachweis ist eine A1-Bescheinigung beim zuständigen Schweizer Sozialversicherungsträger einzuholen. Diese Lösung gilt allerdings nur, wenn die Kandidatin bereits am 31.12.2020 in der Schweiz gelebt hat. Denn nur dann greifen die europäischen Regelungen auch nach dem Brexit weiterhin.
Falls die Kandidatin erst nach dem 31.12.2020 in die Schweiz gezogen ist, gelten die europäischen Koordinierungsregelungen nicht mehr. Stattdessen kommt das bilaterale Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz zur Anwendung. Dieses basiert auf dem Erwerbsortsprinzip, was bedeutet:
- Für Arbeitstage, die in der Schweiz verbracht werden, gilt die Schweizer Sozialversicherung.
- Für Arbeitstage, die in Deutschland verbracht werden, gilt die deutsche Sozialversicherung.
In diesem Fall ist eine Aufteilung der Sozialversicherungspflicht erforderlich. Die Beiträge sind entsprechend anteilig in beiden Ländern zu entrichten, und es müssen jeweils die nationalen Melde- und Nachweispflichten erfüllt werden.