4 Minuten Lesezeit 9 März 2020
Frau im Labor

Akquisition von Start-ups: Wann eine vollständige Integration sinnvoll ist

Autoren
Jens Körner

Partner, Technologieberatung im Bereich Consulting, EY Consulting GmbH | Deutschland

Begleitet seine Kunden engagiert und lösungsorientiert durch herausfordernde Unternehmenstransformationen. Begeistert sich besonders für innovative Technologien und ist passionierter Familienvater.

Constantin Gall

Managing Partner Strategy and Transactions

Hat jahrzehntelange Erfahrung in der Strategie- und Transaktionsberatung sowie in der Automobilbranche. Ist auch privat ein Autoenthusiast und geht gerne mit Familie und Freunden auf Reisen.

4 Minuten Lesezeit 9 März 2020

Der Trend im Life-Sciences-Bereich geht zu kleineren Bolt-on-Akquisitionen. Mit einem BASIC Integration Blueprint gelingt deren Integration.

Trotz hoher Bewertungen, geopolitischer Spannungen und erhöhter regulatorischer Auflagen gab es 2019 in der Life-Sciences-Branche zahlreiche Unternehmenstransaktionen. Dies verdeutlicht nicht nur den Wert, den Fusionen und Übernahmen (M&A) für Innovation und Wachstum besitzen, sondern auch die wirtschaftlichen Vorteile.

Für den Firepower Report hat EY über einen Zeitraum von zehn Jahren 5.500 Transaktionen analysiert. Ein Kernergebnis: Life-Sciences-Unternehmen, die strategische Unternehmenskäufe und -verkäufe durchführen, setzen ihr Unternehmenskapital in der Regel um 60 Prozent effizienter ein als Unternehmen, die strategische Käufe außer Acht lassen.

Transaktionsvolumen

357 Mrd. US-$

betrug das Transaktionsvolumen in der Life-Sciences-Branche 2019.

Im Zuge steigender M&A-Aktivitäten erhöhte sich das Transaktionsvolumen auf 357 Milliarden US-Dollar. Um mit dem Tempo des Marktes mitzuhalten, setzen die Akteure verstärkt auf Transaktionen kleineren Umfangs, die weniger auf eine vollständige Transformation abzielen. Der Firepower Report hat eine Zunahme um 17 Prozent bei den sogenannten Bolt-on-Akquisitionen (ergänzende Akquisitionen) ermittelt. Diese Akquisitionen machen weniger als 25 Prozent der Marktkapitalisierung des Käufers aus und fallen oft in die Kategorie der Start-up-Unternehmen.

M&A fördern das Wachstumspotenzial des Unternehmens

Es geht vor allem darum, durch M&A das Wachstumspotenzial des Unternehmens in schnell wachsenden Marktsegmenten zu fördern. Der Schwerpunkt sollte dabei auf Forschung und Entwicklung (F&E), Technologie und kommerzieller Leistungsfähigkeit liegen, sodass das Unternehmen von den Chancen der externen Innovation profitieren kann.

Unternehmen, die auf die Beruhigung der Märkte warten, könnten es aufgrund der steigenden Marktbewertungen und einer sinkenden Anzahl an potenziellen Kaufobjekten schwer haben, in der Zukunft wachstumsstarke Unternehmen zu erwerben. 

Nach der Akquisition ist vor der Integration

Bei der Frage, wie mit den neu erworbenen Unternehmen zu verfahren ist, müssen die Mutterunternehmen eine klare Entscheidung treffen. Eine Möglichkeit ist, das Bolt-on-Unternehmen vollkommen unangetastet zu lassen. Das ist jedoch unter Compliance- und Sicherheitsaspekten meist nicht durchführbar – und auch nicht zu empfehlen. Da die unterstützenden Funktionen bei Bolt-on-Unternehmen häufig wenig ausgereift sind, können diese Unternehmen bestimmte Standards nicht gewährleisten, die nach dem Erwerb durch ein größeres Unternehmen eigentlich eingehalten werden müssen. Dies trifft insbesondere auf die Life-Sciences-Branche sowie für börsennotierte Unternehmen zu.

Vollständige Integration: sinnvoll oder nicht?

Eine andere Option ist, das Bolt-on-Unternehmen unmittelbar nach dem Erwerb vollständig zu integrieren. In diesem Fall treten beim Integrationsmanagement jedoch häufig erhebliche Probleme auf, die verhindern, dass die agilen Zukäufe während der Integrationsphase und danach ihr volles Wert- und Wachstumspotenzial entfalten. Ursache dafür ist oft, dass die Integrationen nicht speziell auf die Bedürfnisse der Bolt-on-Unternehmen ausgerichtet sind.

Bei einem unspezifischen Integrationsansatz besteht das Risiko, dass die einzigartigen strategischen Merkmale der Bolt-on-Unternehmen wie Unternehmenskultur, Prozesse oder F&E geschwächt oder geschädigt werden. Dadurch kann wiederum die strategische Flexibilität eines Bolt-on-Unternehmens, mit der es disruptiven Marktentwicklungen und veränderten strategischen Ausrichtungen begegnet, verloren gehen. Eine vollständige Integration birgt zudem das Risiko, dass wesentliche Prozesse und die reguläre Funktionsfähigkeit des Unternehmens beeinträchtigt werden, insbesondere während kritischer Phasen wie Produkteinführungen oder Endphasen der klinischen Entwicklung.

Integrationsstrategie: Spannungen zwischen Käufer und Bolt-on-Unternehmen vermeiden

Ohne einen genauen Plan für eine Integration besteht die Gefahr, entscheidende Abhängigkeiten nicht zu berücksichtigen, was Integrationsprojekte in die Länge ziehen und Kosten in die Höhe treiben kann. So entstehen Spannungen zwischen dem Bolt-on-Unternehmen und dem Mutterunternehmen, zumal sich Bolt-on-Unternehmen aufgrund von Zukunftssorgen, einem möglicherweise unzulänglichen Change Management und Kommunikationsmängeln ohnehin schon häufig den Integrationsbestrebungen widersetzen. Letztendlich kann dies zur Abwanderung von Schlüsselmitarbeitern führen, weil sie wegen der Vorgehensweise des Mutterunternehmens, der eingesetzten Prozesse und überhöhter Erwartungen frustriert sind.

Der disruptive Wandel in der Life-Sciences-Branche wird sich auch weiterhin grundlegend darauf auswirken, wie diese Unternehmen ihre M&A-Transaktionen gestalten. Der Erwerb kleinerer Unternehmen ohne deren vollständige Integration ist für das zukünftige Geschäftsportfolio und die Innovationsstrategie von entscheidender Bedeutung.

Angesichts dieser Herausforderungen ist eine standardisierte BASIC Integrationsstrategie erforderlich, die auf die Besonderheiten einer Branche und eines Mandanten ausgerichtet ist, den Wert der Akquisitionstransaktion maximiert und den Druck auf das Bolt-on-Unternehmen minimiert.

4 Prinzipien der BASIC Integrationsstrategie

  1. Gewährleistung von Sicherheit und Compliance
  2. Schutz von Mitarbeitern und Vermögenswerten
  3. Transfer und Einsatz wichtiger Führungskompetenzen 
  4. Vorleben von Pragmatismus und Zusammenarbeit

Diese Prinzipien bilden den Rahmen für eine BASIC Integration. Der Leitfaden hilft bei der Integration von Bolt-on-Unternehmen und berücksichtigt dabei sämtliche relevante Geschäftsfunktionen. Damit ist die BASIC Integration nicht einfach ein Strategiepapier, sondern ein praktisches und sofort anwendbares Regelwerk, das die spezifischen Anforderungen des Käufers und des erworbenen Unternehmens berücksichtigt.

Der Umfang der Integration ist nicht verhandelbar – so viele Funktionen wie nötig bzw. so wenige wie möglich – und wird mit dem Ziel abgesteckt, die Integration im Verlauf der ersten sechs Monate nach Abschluss der Akquisitionstransaktion durchzuführen. Während dieser Phase gewinnen die beiden Unternehmen genügend strategische Flexibilität, um sich an die jeweiligen Bedürfnisse beider Seiten anzupassen, die weiteren Integrationsschritte gründlich zu planen und damit die bestmögliche langfristige Integrationsstrategie umzusetzen.

Diese Integrationsstrategie enthält Entscheidungsbäume, Roadmaps sowie Kriterien für den Geschäftsumfang und geschäftliche Entscheidungen, die von potenziellen Synergien, der Unternehmensgröße, Alleinstellungsmerkmalen und Transaktionszielen bis zu dringlichen Geschäftserfordernissen reichen. Für den Ansatz werden alle Geschäftsbereiche beider Unternehmen miteinbezogen, um ein ganzheitlich erfolgreiches Ergebnis der Akquisition zu erreichen.

Fazit

Umfangreiche Life-Sciences-Transaktionen werden durch die Akquisition kleinerer Unternehmen mit Schwerpunkten auf F&E, Technologie und kommerzieller Leistungsfähigkeit abgelöst. Auch wenn die erwarteten Umsatzziele mit Bolt-on-Akquisitionen doppelt so schnell erreicht werden können, ist das Ergebnis für die Beteiligten oft nicht zufriedenstellend. Die Prozesse und Erwartungen des Käuferunternehmens sowie eine langwierige Integration können die Start-up-Mentalität des Bolt-on-Unternehmens beeinträchtigen, zur Abwanderung wichtiger Mitarbeiter führen und so Innovationspotenzial und erwartete Rendite gefährden.

EY hat mit einem Fortune 500-Mandanten aus der globalen Life-Sciences-Branche den BASIC Integration Blueprint entwickelt. Damit können Unternehmen innerhalb von sechs Monaten eine gezielte, umfänglich begrenzte und effektive Integration kleinerer Unternehmenserwerbe durchführen. 

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Jens Körner

Partner, Technologieberatung im Bereich Consulting, EY Consulting GmbH | Deutschland

Begleitet seine Kunden engagiert und lösungsorientiert durch herausfordernde Unternehmenstransformationen. Begeistert sich besonders für innovative Technologien und ist passionierter Familienvater.

Constantin Gall

Managing Partner Strategy and Transactions

Hat jahrzehntelange Erfahrung in der Strategie- und Transaktionsberatung sowie in der Automobilbranche. Ist auch privat ein Autoenthusiast und geht gerne mit Familie und Freunden auf Reisen.