8 Minuten Lesezeit 22 Januar 2021

            Großvater markiert Größe des Enkels auf Hauspfeiler

Wie standardisierte Kennzahlen für langfristige Wertschöpfung sorgen

Von Carmine Di Sibio

Global Chairman, designierter CEO, Global Managing Partner, Client Service I USA

Setzt sich mit Leidenschaft für unsere Kunden und unser globales Unternehmen ein. Wachstums- und Innovationsmotor. Netzwerker. Sportbegeistert.

8 Minuten Lesezeit 22 Januar 2021

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Der International Business Council des Weltwirtschaftsforums (WEF-IBC) hat eine Reihe standardisierter Kennzahlen vorgeschlagen. Sie sollen Anreize für Unternehmen bieten, nachhaltige Werte zu schaffen. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung –wenn wir ihn bewusst gehen. 

Überblick
  • 120 Vorstandsvorsitzende aus aller Welt bilden das WEF-IBC. Im September 2020 haben diese Wirtschaftsführer eine Reihe standardisierter Kennzahlen vorgeschlagen, die es ermöglichen, langfristige Wertschöpfung zu messen.
  • Ein Kern von 21 Kennzahlen und 34 erweiterte Kennzahlen ermöglichen über Branchen und Regionen hinweg konsistente und vergleichbare Angaben zu den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG: Environment, Social, Governance).
  • Sie sollen den Übergang der Arbeitswelt von einer Fokussierung auf kurzfristige Finanzziele zu langfristiger Wertschöpfung begleiten.

Gemeinsam mit einer Reihe von globalen Unternehmen, Regulatoren und internationalen Institutionen hat der WEF-IBC anderthalb Jahre lang umfassende, konstruktive Gespräche geführt. Dabei ging es um die Frage, wie man nachhaltiges, inklusives Wachstum auf vergleichbare und konsistente Weise messen kann – ein längst überfälliger Schritt. 

Als Führungskräfte wissen wir, dass ein erfolgreiches Unternehmen langfristige Werte für alle Stakeholder schaffen muss. Im Gegensatz zu den etablierten Finanzkennziffern gibt es jedoch keinen festen Standard zur Messung nichtfinanzieller Informationen. Dazu gehören die Werte, die wir für unsere Stakeholder jenseits des Aktienwertes schaffen – Informationen, die oft in die ESG-Angaben (Environment, Social, Governance) eingebettet sind. In der Tat gibt es zu viele Möglichkeiten, Nachhaltigkeit zu messen. Einer Erhebung zufolge gibt es dazu mehr als 600 Rahmenwerke und Tausende von Messgrößen. In Anlehnung an den großen Ökonomen Peter Drucker: Man kann nicht verbessern, was man nicht messen kann. 

Das ist ein Grund, warum die Arbeit des WEF-IBC so wichtig ist. Unterstützt wird das International Business Council dabei von den Big Four der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, darunter EY, und der Bank of America.

  

Die Kennzahlen sind ein Schritt in Richtung eines allgemein verbindlichen ESG-Reporting-Standards. Sie zeigen deutlich, warum es wichtig ist, die Schaffung langfristigerUnternehmenswerten zu priorisieren. 

Die Herausforderung besteht nun für uns alle darin, diese Chance zu ergreifen.

Kennzahlen: die Tür zu langfristigen Unternehmenswerten

Im August 2019 haben sich 181 Vorstandsvorsitzende, darunter auch ich, verpflichtet, eine Erklärung des Washingtoner Business Roundtable zu unterstützen. Sie fordert eine Wirtschaft, die allen Menschen dient, nicht nur den Aktionären. Die WEF-IBC-Initiative für standardisierte Kennzahlen bietet uns selbst und allen Stakeholdern und Investoren nun eine Möglichkeit, uns an dieser Verpflichtung messen zu lassen.

Auf Einladung von Professor Klaus Schwab, Vorsitzender des Weltwirtschaftsforums, und Brian Moynihan, Vorsitzender des International Business Council und Chairman und CEO der Bank of America, haben die Big-Four-Wirtschaftsprüfungsgesellschaften zusammengearbeitet, um einen Standardsatz von Kennzahlen zu erstellen. Er ermöglicht eine vergleichbare und konsistente ESG-Berichterstattung über verschiedene Regionen und Sektoren hinweg. Gleichzeitig fördert er die Konvergenz in Richtung eines globalen Standards für die nichtfinanzielle Berichterstattung. „Measuring Stakeholder Capitalism: Toward Common Metrics and Consistent Reporting of Sustainable Value Creation“, veröffentlicht im September 2020, identifiziert 21 Kern- und 34 erweiterte Kennzahlen (abgeleitet von bestehenden Setzern von Rechnungslegungsstandards wie SASB, GRI und TCFD). Diese Initiative soll die traditionellen Standardsetzer nicht ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen.

Festlegung des Purpose: der erklärte Sinn und Zweck der Organisation, mit dessen Hilfe das Unternehmen Lösungen für wirtschaftliche, ökologische und soziale Fragen liefern will

Zusammensetzung der Unternehmensführung: Definition des höchsten Leitungsorgans und seiner Ausschüsse

Wesentliche Themen mit Auswirkungen auf die Stakeholder: Themen, die für die Stakeholder und das Unternehmen wesentlich sind, wie die Themen identifiziert wurden und wie die Stakeholder einbezogen wurden

Antikorruption: Antikorruptionsschulungen, die Anzahl und Art der Vorfälle, sowie Initiativen und Stakeholder-Engagement zur Korruptionsbekämpfung

Geschützte Ethikberatungs- und Meldemechanismen: interne und externe Mechanismen, um Rat einzuholen und Bedenken über unethisches/rechtswidriges Verhalten zu melden

Integration von Risiken und Chancen in Geschäftsprozesse: wesentliche ESG-Risiken, mit denen das Unternehmen konfrontiert ist (einschließlich wesentlicher ökonomischer, ökologischer und sozialer Herausforderungen wie Klimawandel und Datenverantwortung), Risikobereitschaft, Veränderung der Risiken im Laufe der Zeit und Reaktion auf Veränderungen

Vielfalt und Inklusion (%): Anteil der Mitarbeiter pro Mitarbeiterkategorie (Altersgruppe, Geschlecht und andere Indikatoren für Vielfalt)

Lohngleichheit (%): Grundgehalt/Vergütung für jede Mitarbeiterkategorie nach wesentlichen Betriebsstandorten für die vorrangigen Bereiche der Gleichstellung

Lohnniveau (%): Verhältnis des Standardeintrittslohns nach Geschlecht im Vergleich zum lokalen Mindestlohn und das Verhältnis der jährlichen Gesamtvergütung des CEO zum Median der jährlichen Gesamtvergütung seiner Mitarbeiter, außer CEO

Risiko von Kinder-, Zwangs- oder Pflichtarbeit: eigene Geschäftsaktivitäten und Lieferanten mit erheblichem Risiko von Kinder-, Zwangs- oder Pflichtarbeit

Gesundheit und Sicherheit (%): Anzahl, Rate und Art der Todesfälle und arbeitsbedingten Verletzungen; Zugang der Arbeitnehmer zu medizinischen und Gesundheitsdiensten außerhalb des Arbeitsplatzes (einschließlich Umfang des Zugangs)

Durchgeführte Schulungen (#, $): Durchschnittliche Schulungsstunden nach Geschlecht und Mitarbeiterkategorie; Kosten für Schulung/Entwicklung pro Vollzeitmitarbeiter

Treibhausgasemissionen: Berichte über alle relevanten Treibhausgase in (t CO2e) als Scope-1- und Scope-2-Emissionen nach dem Treibhausgasprotokoll (GHG Protocol); außerdem Schätzung/Bericht über wesentliche vor- und nachgelagerte Emissionen (GHG Protocol Scope 3)

TCFD-Umsetzung: Vollständige Umsetzung der Empfehlungen der Expertenkommission „Task Force on Climate-related Financial Disclosures“ (TCFD) der G20 oder falls erforderlich Offenlegung des Zeitplans für die Implementierung und Verpflichtung zur Festlegung von THG-Standards im Einklang mit den Zielen des Pariser Abkommens

Landnutzung und ökologische Empfindlichkeit: Anzahl und Fläche von eigenen, gepachteten oder verwalteten Grundstücken, die in geschützten und/oder wichtigen Biodiversitätsgebieten (Key Biodiversity Areas) liegen

Wasserverbrauch und -entnahme in wasserarmen Gebieten: Bericht für den Betrieb, mit Angaben zu eingesetztem Material, Wasserverbrauch in Megaliter und prozentualem Anteil in Regionen mit hoher oder extrem hoher Grundwasserknappheit; zusätzlich Schätzung und Bericht für die gesamte Wertschöpfungskette

Absolute Anzahl und Anteil der Beschäftigung: Anzahl und Anteil der Neueinstellungen und Mitarbeiterfluktuation nach Altersgruppe, Geschlecht, anderen Indikatoren für Vielfalt und Region

Wirtschaftlicher Beitrag: 1) direkt erzeugter und verteilter wirtschaftlicher Wert (EVG&D), 2) von der Regierung erhaltene finanzielle Unterstützung

Finanzieller Investitionsbeitrag: 1) Investitionen minus Abschreibungen, 2) Aktienrückkäufe plus Dividendenzahlungen

Gesamtausgaben für F&E ($): Kosten im Zusammenhang mit Forschung und Entwicklung

Gesamte gezahlte Steuern: gesamte vom Unternehmen global getragene Steuer, einschließlich Körperschaftsteuern, Grundsteuern, nicht anrechenbarer Mehrwertsteuer (MwSt) und anderer Verkaufssteuern, vom Arbeitgeber gezahlte Lohnsteuern und andere Steuern, die Kosten für das Unternehmen darstellen, nach Steuerkategorien

Für Unternehmen, die erst mit der Berichterstattung zu ESG-Kennzahlen beginnen, bieten diese einen sinnvollen Einstieg. Für Unternehmen mit einer anspruchsvolleren Berichterstattung können die Kennzahlen eine Gelegenheit sein hervorzuheben, wo und wie ihr eigener Ansatz unverwechselbar, ambitioniert und fortschrittlich ist.

Darüber hinaus sind alle ESG-Kennzahlen integraler Bestandteil der langfristigen Wertschöpfung. Sie sind eng verbunden mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs: Sustainable Development Goals) der Vereinten Nationen: Planet, Menschen, Wohlstand und Governance. Die Überzeugung, dass es uns allen besser geht, wenn Unternehmen ihre Ziele mit diesen Zielen in Einklang bringen, ist für die Mission der Initiative zentral.


            Grafik 1

Im Wesentlichen sollen die Kennzahlen dazu beitragen, den Wandel der Wirtschaft zu unterstützen – vom Hauptfokus auf kurzfristigen Quartalsergebnissen hin zu einem breiteren Fokus auf langfristigen Werten in den Bereichen Mensch, Kunde, Gesellschaft und Finanzen. Letztlich bieten sie Unternehmen eine greifbare Gelegenheit, ihre Kunden besser zu bedienen und zu Motoren eines breit angelegten Wohlstands zu werden.

Das ist gut für die Gesellschaft, aber es ist auch gut für unsere Unternehmen. Es gibt immer mehr Belege dafür, dass die Fokussierung auf langfristige Wertschöpfung nicht nur „das Richtige“ ist – sie ist auch finanziell sinnvoll. Jüngste Untersuchungen von JUST Capital haben gezeigt, dass Unternehmen, die im Jahr 2020 ihre Belegschaft überdurchschnittlich unterstützten, besser abschnitten als der Markt.

Nachhaltige Wertschöpfung 

Die gute Nachricht ist, dass die Stakeholder-Kapitalismus-Bewegung bisher auf allen Ebenen Anklang gefunden hat: Vorstände und Aufsichtsräte wissen, dass es wichtig ist, strategische Fragen zu stellen und einen besseren Weg in die Zukunft zu finden, und Mitarbeiter und Verbraucher fordern dies von ihnen. Außerdem setzen Investoren ihr Geld dort ein, wohin diese Strategien deuten: Das in ESG-Fonds investierte Vermögen wächst rapide und Unternehmen, die auf die Schaffung langfristiger Werte ausgerichtet sind, profitieren von niedrigeren Kapitalkosten.

Wie passt also die Offenlegung von ESG in die langfristige Gesamtstrategie eines Entscheiders? Das WEF-IBC-Projekt fordert Experten aus verschiedenen Funktionen innerhalb von Organisationen zu einem Beitrag auf - unter anderem den CEO, den Chief Sustainability Officer, den Chief Financial Officer, den Chief Risk Officer und den Chief Strategy Officer. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die ESG-Offenlegung ein Kernstück der Gesamtstrategie ist und nicht nur ein Randaspekt. Selbst wenn die Offenlegungen der richtige erste Schritt sind, sollten die genannten Funktionsinhaber auf jeden Fall Zeit darauf verwenden, einen frischen Blick darauf zu werfen, wie das Unternehmen Werte für seine Mitarbeiter, Kunden, die Gesellschaft und die Aktionäre schafft.

Jedem Bereich kommt eine wichtige Rolle zu. So bietet die Integration von ESG in die Unternehmensstrategie eine Chance, sich zu differenzieren, wenn es darum geht, langfristigen Wert für alle Stakeholder zu schaffen.

Bei EY ist unser erster Schritt, uns auf das Long-Term-Value-Rahmenwerk zu konzentrieren, das dem tieferen Sinn und Zweck unseres Unternehmens entspricht. Wir sehen dies als einen dreistufigen Prozess an.

Erstens: Richten Sie Vorstand und Aufsichtsrat auf Ihr Ziel aus, langfristige Werte für Ihre Mitarbeiter, Kunden, die Gesellschaft und Aktionäre zu schaffen. Zweitens: Machen Sie sich an die Arbeit, Ihr Unternehmen so umzugestalten, dass es seinen Sinn und Zweck (Purpose) und seine Strategie des langfristigen Unternehmenswertes erfüllt. Dazu bewerten Sie alle Geschäftsfähigkeiten und investieren in sie, um Werte für alle Stakeholder zu schaffen. Abschließend sollten Sie anhand von Kennzahlen, Berichterstattung und Kommunikation die Auswirkungen (Impact) dieser Strategie aufzeigen und damit Vertrauen schaffen. Eine effektive, langfristige Wertstrategie bettet ESG-Überlegungen direkt in die Art und Weise ein, wie Sie Ihr Geschäft angehen. Dabei helfen die WEF-IBC-Kennzahlen: Mit ihnen können Unternehmen ihre Leistung branchen- und länderübergreifend vergleichen und benchmarken.

Unsere langfristige Strategie „NextWave“ zielt auf die Umsetzung unseres Ziels ab, eine bessere Arbeitswelt zu schaffen und langfristige Werte für unsere Kunden, unsere Mitarbeiter und die Gesellschaft zu schaffen. Im Rahmen dieser Strategie legen wir Rechenschaft über eine Reihe von Kennzahlen ab, die für jeden Stakeholder spezifisch sind. Die WEF-IBC-Kennzahlen integrieren wir nun in diese Angaben.

Mitmachen für den Wandel

Wir hoffen, dass die Erarbeitung und Übernahme der WEF-IBC-Kennzahlen einen entscheidenden Wendepunkt für den Wandel der Arbeitswelt markiert – hin zu einer inklusiveren, nachhaltigeren und sinnorientierteren Form des Kapitalismus. Das Rahmenwerk aus Kennzahlen eröffnet eine neue Perspektive, durch die wir die Wertschöpfung weit über den engen Fokus kurzfristiger Ergebnisse und rein finanzieller Berichterstattung hinaus sehen und messen können. Es trägt zu einem echten Wandel im Ökosystem der Berichterstattung bei. Es ist ein Fokus, der uns hilft, wirklichen Wert neu zu definieren, unsere Zukunft neu zu gestalten und eine bessere Arbeitswelt für alle aufzubauen.

Fazit

Das WEF-IBC-Projekt und seine Kennzahlen sind Ausgangsbasis und Sprungbrett für einen universellen ESG-Berichtsstandard. Die starke Unterstützung, die das Projekt erhalten hat, und die Maßnahmen, die der private Sektor zur Übernahme der Kennzahlen ergriffen hat, spiegeln einen sich abzeichnenden neuen Konsens wider: Langfristiger Unternehmenswert wird demnach geschaffen, indem nicht mehr einzig die Interessen der Aktionäre berücksichtigt werden, sondern die Interessen der Gesellschaft als Ganzes.

Über diesen Artikel

Von Carmine Di Sibio

Global Chairman, designierter CEO, Global Managing Partner, Client Service I USA

Setzt sich mit Leidenschaft für unsere Kunden und unser globales Unternehmen ein. Wachstums- und Innovationsmotor. Netzwerker. Sportbegeistert.