4 Minuten Lesezeit 10 März 2020
Männer stehen auf einem Neubau

Warum die Immobilienbranche viel nachhaltiger denken muss

Von Oliver Schweizer

Partner, Real Estate, Hospitality & Construction, EY Real Estate GmbH | Deutschland

Immobilien-Professional mit Schwerpunkt Transformation, Transaktion und Strategie; Freizeit bestimmt von der Familie mit zwei Söhnen; Hobbys: Skifahren, Architektur und Automobile.

4 Minuten Lesezeit 10 März 2020

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Der Gebäudesektor verursacht ein Drittel des deutschen CO2-Ausstoßes. Mehr Investitionen in energetische Sanierung sind dringend notwendig.

Nicht erst seit dem Weltwirtschaftsforum 2020 in Davos ist Nachhaltigkeit in aller Munde. Der Begriff prägt längt mehr als nur die öffentlichen Debatten. Weltweit haben Regierungen und Unternehmen die Dringlichkeit des Themas erkannt und entsprechende Maßnahmen initiiert. So drängt nicht mehr nur die junge Schwedin Greta Thunberg zu entschlossenem Handeln, sondern viele Unternehmen und Investoren setzen sich verstärkt für den Klimaschutz ein. Und die Europäische Union (EU) will mit dem sogenannten „Green Deal“ Investitionen von bis zu einer Billion Euro ertüchtigen.

Tatsächlich ist der Klimawandel fast immer das wichtigste Thema bei Gesprächen mit unseren Kunden überall auf der Welt. Von Europa bis Australien, von Südamerika bis China, von Florida bis Oregon.
Laurence Douglas „Larry“ Fink
Vorstandsvorsitzender und CEO bei BlackRock Inc.

Immobilienwirtschaft mit Nachholbedarf

Und die Immobilienwirtschaft? Bemerkenswerterweise behandelt die Branche das Thema Nachhaltigkeit noch recht stiefmütterlich. Im aktuellen EY-Trendbarometer Immobilien-Investmentmarkt 2020 liegt der Klimawandel bei den Megatrends, die die Immobilienbranche prägen werden, an letzter Stelle.

EY Trendbarometer Immobilien-Investmentmarkt 2020

63%

der Befragten schreiben dem Klimawandel eine Relevanz zu.

Dabei sollte man meinen, dass die Immobilienwirtschaft beim nachhaltigen Wirtschaften voranschreitet. Schließlich ist der Gebäudesektor für einen großen Teil des Endenergieverbrauchs verantwortlich, entsprechend groß sind die Einsparpotenziale. Aber nicht einmal eine öffentlich breit diskutierte CO2-Abgabe findet in der Branche größere Beachtung. Weniger als die Hälfte der Befragten identifizieren sie als potenzielle Gefahr für das Geschäftsmodell. Das könnte sich rückblickend als fahrlässig erweisen.

Der Gebäudesektor ist für rund ein Drittel des gesamten CO₂-Ausstoßes in Deutschland verantwortlich. Die Immobilienwirtschaft muss im Hinblick auf eine mögliche CO₂-Bepreisung dringend aufwachen und sich vorbereiten. 

Nachhaltige Potenziale in allen Phasen des Lebenszyklus – und darüber hinaus

Die Immobilienwirtschaft beachtet Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung noch nicht wirklich – und das obwohl die Voraussetzungen denkbar gut sind. Ansatzpunkte für nachhaltiges Wirtschaften finden sich in allen Phasen des Lebenszyklus einer Immobilie und auch in den Unternehmen selbst.

Das beginnt bereits beim Bau der Gebäude. Traditionelle Baustoffe wie Zement, Beton oder Stahl haben häufig eine mangelhafte Ökobilanz und sind für hohe CO2-Emissionen verantwortlich. Inzwischen gibt es aber zahlreiche klimafreundlichere Alternativen, die nicht immer mit höheren Kosten verbunden sein müssen. Die Nachhaltigkeit von Neubau-Immobilien kann mit Gebäudezertifizierungen wie LEED (Leadership in Energy and Environmental Design), BREEAM (Building Research Establishment Environmental Assessment Methodology) oder hierzulande durch die DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) nachgewiesen werden. Die Zertifikate sind insbesondere für institutionelle Investoren eine wichtige Grundlage für die Kaufentscheidung.

Mindestens ebenso wichtig ist die nachhaltige Bewirtschaftung von Bestandsgebäuden. Hier schlummert das größte Einsparpotenzial, sind doch die meisten Gebäude bereits gebaut. Und selbst die nachhaltigsten Neubauten können immer nur einen Bruchteil des Gesamtbestands ausmachen. Entscheidend ist, wie viel Energie und Wärme ein Gebäude verbraucht und wie dieser Verbrauch optimiert werden kann. Dazu dienen neben energetischen Sanierungsmaßnahmen auch digitale Möglichkeiten in der Bewirtschaftung.

ESG-Steuerungskennzahlen: Nachhaltigkeit betrifft mehr als nur die Ökologie

Während die genannten Zertifizierungen sich hauptsächlich auf die ökologische Dimension von Nachhaltigkeit beziehen, die unbestreitbar von hoher Relevanz ist, müssen bei einer Gesamtbetrachtung der Immobilienwirtschaft zwingend auch weitere Perspektiven eingenommen werden.

Der ESG-Managementansatz umfasst neben den ökologischen auch soziale Kennzahlen und solche zur Unternehmensführung. Mithilfe von ESG-Kennzahlen (Environmental, Social, Governance) lässt sich nicht nur das verwaltete Portfolio messen, benchmarken und steuern, sondern auch das eigene Unternehmen.

  • Environmental: Umweltkriterien

    Das „E“ umfasst den engeren, ökologischen Nachhaltigkeitsbereich. Hier werden etwa Umweltverschmutzung oder Emissionen gemessen. Auch Themen wie Energieeffizienz oder Ressourcenverbrauch fallen in diesen Bereich.

  • Social: Soziale Kriterien

    Unter die sozialen Kriterien fallen nicht nur das gesellschaftliche Engagement oder Spenden, sondern auch Themen wie die Arbeitssicherheit oder Antidiskriminierung.

  • Governance: Unternehmensführung

    Nachhaltige Unternehmensführung betrifft interne Prozesse wie das Risikomanagement oder auch die Compliance.

Fazit

Rund ein Drittel des CO2-Ausstoßes in Deutschland entfallen auf den Gebäudesektor. Dennoch denkt die Immobilienwirtschaft noch zu wenig an den Klimawandel, wie das EY-Trendbarometer Immobilien-Investmentmarkt 2020 zeigt. Dabei bieten Bestandsgebäude, Neubauten und Immobilienunternehmen selbst ein enormes Einsparpotenzial.

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Von Oliver Schweizer

Partner, Real Estate, Hospitality & Construction, EY Real Estate GmbH | Deutschland

Immobilien-Professional mit Schwerpunkt Transformation, Transaktion und Strategie; Freizeit bestimmt von der Familie mit zwei Söhnen; Hobbys: Skifahren, Architektur und Automobile.