13 Minuten Lesezeit 31 Mai 2022
Zwei Arme reichen sich bei Sonnenuntergang

„Der heutigen Komplexität kann man nur mit Kooperation erfolgreich begegnen“

Von EY Deutschland

Building a better working world

13 Minuten Lesezeit 31 Mai 2022

Christian Meyer-Hammerström, Geschäftsführer der Osterholzer Stadtwerke, erklärt im Interview, warum Kooperation das Gebot der Stunde ist.

Überblick:

  • Wir stehen vor einem gewaltigen Umbau des gesamten Energiesystems in Deutschland.
  • Ein Stadtwerkeunternehmen ist in allererster Linie ein Lösungsanbieter für die Kommune und die Menschen einer Region.
  • Irgendwann muss man sich die Frage stellen, ob man noch wettbewerbs- und leistungsfähig genug bleiben kann, ohne private Investoren einzubeziehen.

EY: Im Fokus unserer diesjährigen Stadtwerkestudie stehen Kooperationen. Die Osterholzer Stadtwerke sind aus einer Kooperation hervorgegangen, gleichzeitig ist das Unternehmen Mitglied in weiteren Kooperationen. Warum sind Kooperation für Sie ein so wichtiges Feld? 

Christian Meyer-Hammerström: Das kommt ja immer auf den Grad der Kooperation an, bis hin zu einer Fusion. Bei uns ist das historisch entstanden, durch die Gesellschafterstruktur. Ich wurde 2004 Geschäftsführer von zwei Unternehmen, in denen die Organisation und auch die Geschäftsführung für zwei Unternehmen gearbeitet haben. Das waren damals die Gemeindewerke Lilienthal und die Gemeindewerke Ritterhude, und bei beiden Unternehmen war zu nahezu 49 Prozent die swb aus Bremen beteiligt, als gemeinsamer Minderheitsgesellschafter.

Man braucht für eine Kooperation immer ein verbindendes Element; das kann ein gemeinsamer Gesellschafter sein oder ein gemeinsam genutztes IT-System. Jede Kooperation braucht eine Story – nicht um irgendwas zu erzählen, sondern um eine ernsthafte Begründung zu haben für die Kooperation. Man muss auch sagen können, warum gerade mit diesem Partner und nicht mit einem anderen.

Das geht nicht von heute auf morgen. Denn ich gebe ja auch immer etwas von meinem Einfluss ab. Daher hat Kooperation viel mit Vertrauen zu tun, von der Mitarbeiter- bis zur Gesellschafterebene. Die Stichworte sind hier Kooperationsbereitschaft, -fähigkeit und -attraktivität.

1365614868

Download: Stadtwerkestudie 2022

Wie Stadtwerken durch Kooperation der Spagat zwischen Finanzierungsdruck und Transformationsbedarf gelingen kann

Jetzt herunterladen

  • Zur Person: Christian Meyer-Hammerström

    Christian Meyer-Hammerström (geb. 29.03.1968) ist Alleingeschäftsführer der Osterholzer Stadtwerke GmbH & Co. KG, Geschäftsführer und zusätzlich ist der Geschäftsführer des regionalen Energieversorgers BDEW-Vizepräsident im Bundesvorstand des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und vertritt dort die Interessen der kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) in Deutschland.

    Außerdem ist er Vorsitzender des Fachvorstandes KMU und damit Mitglied des Landesvorstands der BDEW-Landesgruppe Nord. Weiterhin ist er Mitglied im Aufsichtsrat der Trianel GmbH, der führenden Kooperation von Stadtwerken aus Europa, an der die Osterholzer Stadtwerke mit 57 weiteren Gesellschaftern beteiligt sind.

In Ihrem Fall wurde aus der Kooperation ja sogar eine vollständige Fusion. Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine solche Entscheidung?

Als wir die Fusion vollzogen haben, aus der die Osterholzer Stadtwerke hervorgingen, da ging es allen drei kleinen Unternehmen gut. Wir konnten uns also aus einer Position der Stärke heraus zusammenschließen. Da war keiner dabei, der sonst morgen zum Amtsrichter hätte laufen müssen, um Insolvenz anzumelden. Das war noch vor Fukushima und ganz vielen anderen Veränderungen, aber wir wussten damals schon, dass wir zu klein waren, um auf Dauer allein zu überleben. In unserer heutigen Größe und im Eigentum von drei Kommunen sowie der swb als Gesellschafter „vom Fach“ sind wir sehr stabil aufgestellt, arbeiten sehr vertrauensvoll zusammen und alle tragen aktiv zur Weiterentwicklung der Osterholzer Stadtwerke bei. Damit ist es aber jetzt natürlich nicht für alle Zeiten gegessen. Ich muss heute also wieder schauen, was zu tun ist, damit ich in zehn Jahren noch mal genauso reden kann. Ich würde generell sagen: Je kleiner ich bin, desto wacher muss ich unterwegs sein. 

Wenn man also Kontrolle abgeben muss, warum kooperiert man dann trotzdem? 

Die Energiewirtschaft ist so komplex geworden, dass Unternehmen nicht mehr in der Lage sind, die Themen in der Breite so zu durchdringen, dass sie seriös und vernünftig die richtigen Entscheidungen treffen können.

Aus meiner Sicht geht es nicht mehr, in allen Themen allein unterwegs zu sein. Die Herausforderung für kleine und mittlere Unternehmen ist in Zukunft im Wesentlichen, mit der Komplexität umgehen zu können. Dazu braucht man Kooperationspartner.

Wo finden solche Kooperationen denn statt und wie helfen sie, durch die neue Komplexität zu navigieren?

Wir kooperieren beispielsweise mit einem Landwirt hier vor Ort, der Biogas erzeugt und einspeist. Daraus erzeugen wir Strom und Wärme. Wir sind ein großer Freund solcher lokaler Kooperationen. Jeder macht das, was er gut kann. Wir haben keine Ahnung davon, Gülle für Biogas zu sammeln. Aber wir können Gas sicher transportieren und verstromen. Natürlich hätten wir auch sagen können, wir bauen jetzt eine eigene Biogasanlage. Aber das ergibt keinen Sinn. So waren wir viel schneller und sind viel effizienter und nachhaltiger. 

Findet so etwas auch auf einem höheren Komplexitätsniveau statt?

Denken wir mal an Photovoltaikanlagen auf Einfamilienhäusern, die jetzt aus der EEG-Förderung laufen. Da fragt mich doch der Endkunde sofort: Okay, und was mache ich jetzt? Da müssen Sie als Stadtwerkeunternehmen eine Antwort haben. Sie müssen in der Lage sein, diese Anlagen zusammenzuschalten, den Strom von diesen Anlagen zu übernehmen, zu bilanzieren, Modelle und Angebote zu entwickeln – das kriegen Sie als Stadtwerkeunternehmen schon IT-seitig allein nicht hin, geschweige denn, dass Sie die inhaltliche Komplexität der Modelle so managen können, dass Sie einigermaßen sicher da durchkommen.

Mit wem würde ein kleines oder mittleres Stadtwerkeunternehmen in so einem Fall kooperieren?

Neben hilfreichen Branchenverbänden wie z. B. dem BDEW kann man sich, wie wir, in ein wertvolles Kooperationsnetzwerk wie z. B. die Trianel begeben. Parallel bzw. ergänzend dazu kooperiert man mit großen Versorgern wie zum Beispiel der RheinEnergie. In Köln gibt es eben ein etwas größeres Budget für Forschung und Entwicklung als hier in Osterholz. Gemeinsam kann man das dann auf die Beine stellen. Kleinere können so etwas nicht selbst entwickeln. Es kommen also Player der unterschiedlichsten Größen zusammen, allerdings nicht nach dem Motto: „Ich bin der Große, und ich mach das jetzt mal für dich.“ Das wäre keine Kooperation auf Augenhöhe.

Gibt es noch mehr Beispiele für Kooperationen mit den Großen?

Wir hatten hier eine Erdgastankstelle. Das ist wirtschaftlich kein vergnügungsteuerpflichtiges Thema. Also haben wir uns nach Kooperationspartnern umgesehen, und haben dann mit E.ON zusammengearbeitet: E.ON Gas Mobile konnte so eine Erdgastankstelle viel besser betreiben als wir. Aber im kommunalen Umfeld hieß es natürlich gleich: Jetzt holst du dir hier den Hecht in den Karpfenteich! Dabei kann man auch als kleines und mittleres Unternehmen mit einer E.ON eine vernünftige und verlässliche Vereinbarung treffen, die für beide Seiten passt.

Wer sind für Stadtwerke die interessanteren Kooperationspartner – andere Stadtwerke oder Unternehmen aus anderen Sektoren?

Wenn zwei Unternehmen dasselbe Problem haben, dann werden sie es nicht unbedingt besser lösen, wenn sie sich zusammentun. Man muss immer auf die aktuelle Herausforderung schauen und dann überlegen: Wer kann mir da am besten helfen? Und das ist eben nicht zwingend das benachbarte Stadtwerkeunternehmen oder der vorgelagerte Netzbetreiber. Auch deshalb suchen sich ja viele große Unternehmen Start-ups, um mit ihnen neue Geschäftsfelder zu entwickeln. Wir steuern da also auf eine bunte Mischung zu. Wir kooperieren z. B. bereits seit vielen Jahren sehr erfolgreich mit den Volksbanken in unserem Landkreis. In deren Filialen sitzen Mitarbeitende von uns und sind für die Kunden vor Ort persönlich ansprechbar. Darüber hinaus ergibt sich aus dieser Kooperation das Potenzial für Cross-Selling-Lösungen zum Nutzen der Kunden beider Häuser. Übrigens hat diese Kooperation auch einen hohen Mehrwert für die Volksbanken, die in ihrer Branche ähnliche Herausforderungen wie wir in der Energiewirtschaft zu meistern haben.

Interessant! Denn in unserer Befragung zeigt sich, dass Stadtwerke fast ausschließlich untereinander kooperieren. Außerdem hat der Großteil offenbar keine dezidierte Meinung dazu, was es bedeutet, wenn jetzt ganz neue Player wie Tesla oder Google ins Geschäft der Stadtwerke einfallen …

Das kann ich nicht so bestätigen. Viele Geschäftsführer von kleinen und mittleren Stadtwerken, die ich kenne, sind sehr wach unterwegs und schauen sich diese sogenannten Game Changers ganz genau an. Man muss aber auch immer die Perspektive wahren. Wenn ich jetzt zum Beispiel als VW-Vorstand auf Tesla schaue, ist das zwar eine Riesenherausforderung, gerade weil die so viel Intelligenz verbauen – aber Tesla muss es dennoch erst mal schaffen, ein Auto wie VW zu bauen, an dem nach zehn Jahren die Tür immer noch nicht klappert. Man darf sich also nicht verrückt machen lassen, aber man muss immer wach bleiben und schauen: Was machen die denn eigentlich besser? Wie bilden sie die heutigen Kundenwünsche vielleicht besser ab als wir?

Geben Sie doch mal ein Beispiel für diese neue Welt, auf die die Stadtwerke reagieren müssen.

Heutzutage sitzen die Kunden auf dem Sofa und bestellen per Mausklick bei Amazon. Daraufhin kriegen sie eine Benachrichtigung, wann das Päckchen wo ist und wann genau es ankommt. Das gemeine Stadtwerkeunternehmen hingegen schreibt die Kunden per Brief an und sagt: „Nächste Woche ist Zählerwechsel, und zwar im Zeitraum X“, der dann meist ziemlich großzügig bemessen ist. Das erfüllt so nicht mehr die Erwartungen der Kunden, denn Otto Normalverbraucher unterscheidet ja nicht zwischen einem Stadtwerkeunternehmen und einem anderen Dienstleister da draußen.

Gäbe es einen bestimmten Game Changer, mit dem sich aus Ihrer Sicht eine Kooperation anbietet?

Wir schauen uns da durchaus den ein oder anderen an, der Dinge tut, die wir allein so nicht hinbekommen werden.

Spätestens mit der russischen Invasion in der Ukraine hat im Energiesektor eine Zeitenwende begonnen. Mit welcher Art Kooperationen können Stadtwerke darauf reagieren, dass die Welt sich scheinbar immer schneller dreht?

Man muss das aus zwei Perspektiven sehen: Erstens stehen wir vor einem gewaltigen Umbau des gesamten Energiesystems in Deutschland. Da werden auf uns als Stadtwerke eine große Vielzahl neuer Themen zukommen. Die Frage wird also sein: Wie können wir das alles überhaupt umsetzen? Hier dürfen wir unserer Fantasie keine Grenzen setzen. Nur ein Beispiel: Ich hätte Ihnen vor fünf Jahren noch nicht sagen können, dass es demnächst so etwas geben wird wie Redispatch 2.0, also gezielte Eingriffe in die Erzeugungsleistung konventioneller Kraftwerke, um Überlastungsspitzen durch regenerative Energien zu verhindern, wenn zum Beispiel lange starker Wind bläst an der Küste. Aber nun ist das längst Realität.

Und die zweite Perspektive?

In einem zweiten Schritt wird es auch in Bereichen zu Kooperationen kommen, über die ich heute noch sage: „Das sind unsere Kronjuwelen, unser Kerngeschäft, in dem wir nie mit anderen zusammenarbeiten werden.“ Solche Grenzen werden mehr und mehr verschwimmen.

Liegt das auch daran, dass die Ertragskraft von Stadtwerken sinkt? Die Eigenkapitalverzinsung fällt, während die Energiebeschaffungskosten steigen …

Ja, wenn man sich unser Kerngeschäft ansieht, dann wird sie auf jeden Fall sinken. Damit meine ich den Betrieb des Strom-, Gas- und Wassernetzes, Stichwort: Absenkung der Eigenkapitalverzinsung auf ein aus meiner Sicht unverantwortliches niedriges Maß und den Vertrieb von Strom, Gas und Wasser. Wir versuchen daher, ein drittes Standbein über Dienstleistungen zu schaffen. Wir müssen unseren Kunden vor Ort Leistungen anbieten, die über Strom, Gas und Wasser hinausgehen. Diese neuen Services müssen wir aber erst mal „zum Fliegen“ bringen, sodass die Menschen überhaupt wissen, was wir da als Stadtwerkeunternehmen noch alles Neues anbieten.

Welche Kooperationen in welchen Aufgabenbereichen nutzen Sie dazu bereits?

Es hat sich zum Beispiel noch nicht genug herumgesprochen, dass wir über Kooperationspartner Alarmanlagen vertreiben oder auch Solar-Carports zum Festpreis in Kooperationen mit Zimmereibetrieben. Und jetzt gerade sind wir dabei, Glasfaserangebote als Geschäftsfeld auf die Straße zu bringen. Solche Dinge müssen wir heute anstoßen, solange wir noch das nötige Geld und die Position der Stärke haben. Wenn man damit erst in ein paar Jahren loslegt, kann es schon zu spät sein.

Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund den Finanzbedarf und die Finanzierungsfähigkeit von Stadtwerken? Wenn sich die Passivseite negativ entwickelt, die Finanzierungen steigen und die Liquidität sinkt – wie können Stadtwerke da die täglich wachsenden Zukunftsaufgaben schultern? 

Das ist meines Erachtens tatsächlich der kritischste Erfolgsfaktor. Wer heute 2 Millionen Euro in die Erhaltung eines Netzes investieren muss, muss morgen schon 5 Millionen Euro in den Umbau stecken. Da stelle ich mir schon die Frage, wie einige Stadtwerke das überhaupt schultern sollen. In dem jetzigen Regulierungsregime finde ich den optimalen Punkt in den Netznutzungsentgelten, wenn ich Investitionen mit 40 Prozent Eigenkapital hinterlege. Wenn ich aber ein Stadtwerkeunternehmen mit Ergebnisabführungsverträgen habe, ist das schlicht unmöglich; das ist die Quadratur des Kreises. Deshalb glaube ich, dass das Wohl und Wehe vieler Stadtwerke genau davon abhängen wird: Kann ich es mir finanziell leisten, die geforderten Leistungen überhaupt noch zu erbringen? Habe ich Zugang zu Kapital?

Ein Beispiel aus Ihrer Praxis?

Stichwort Glasfaser: Ich habe immer gesagt, es ergibt keinen Sinn für uns, als Dritter oder Vierter Glasfaserinfrastruktur im Boden zu verlegen, weil wir unser Kapital für unser Kerngeschäft Strom, Gas, Wasser und bei uns auch noch die Entwässerung brauchen – außer ich kann meiner Kommune sagen, dass es in diesem Jahr dann eben keine Dividende geben kann. Nur: Welche Stadtwerke-Geschäftsführer können das so aussprechen? Die wenigsten! Dabei ist das genau der Kern: Wenn es irgendwann wirklich hart auf hart geht, wird es nur gemeinsam gehen. Denn die Kommune braucht das Stadtwerkeunternehmen, zum Beispiel um ihre Bäder zu betreiben oder angemessen darauf zu reagieren, wenn auf einmal im Rat der Klimanotstand ausgerufen wird. Und die Stadtwerke müssen der Kommune diese Lösungen anbieten. Wenn man hier gut zusammenarbeitet, wird man sich dann auch einigen können, wenn es enger wird.

Wird es für mehr Stadtwerke notwendig sein, neue Wege der Finanzierung zu finden, zum Beispiel über private Investoren, die langfristige, sichere Anlagen suchen?

Ich glaube, das wird irgendwann kommen. Das ist aber natürlich auch ein Volumenthema: Um wie viel Kapital geht es und ist das für Investoren interessant? Darüber hinaus gibt es noch große kulturelle Unterschiede zwischen Kommunen und Finanzinvestoren, die erst einmal überbrückt werden müssten. Bei uns hier im Norden hat die EWE AG, mehrheitlich in kommunaler Hand, jetzt seit mehr als zwei Jahren einen neuen Großaktionär. Der internationale Investor Ardian ist dort mit 26 Prozent beteiligt, eine Private-Equity-Beteiligungsgesellschaft mit Sitz in Paris. Es ist sicher nicht einfach, die verschiedenen Kulturen der Gesellschafter übereinzubringen.

Aber irgendwann muss man sich eben die Frage stellen, ob man mittel- bis langfristig noch wettbewerbs- und leistungsfähig genug bleiben kann, ohne Investoren einzubeziehen. Andernfalls muss die Kommune dann Defizite ausgleichen oder die Anforderungen nach unten schrauben.

Im Extremfall wäre auch denkbar, dass sich die Kommune sich dann von ihrem Stadtwerk ganz trennen muss. Wenn die finanziellen Anforderungen an die Stadtwerke so weitersteigen, werden sich einige Kommunen leider entscheiden müssen, denn einen „Schmerz“ werden sie dann wohl ertragen müssen. 

Was passiert denn, wenn sich eine Kommune von ihrem Stadtwerk trennt?

Dann geht das Licht nicht aus, und auch die Heizung bleibt an. Aber die Chancen, gemeinsam mit den Stadtwerken die Kommune im Sinne der Lebensqualität für die Bürger:innen weiterzuentwickeln, die sind dann natürlich weg.

Sie haben einmal gesagt: „Ein gesundes Stadtwerkeunternehmen ist der Treiber für eine gesunde und attraktive Kommune“…

Ja, aber ich glaube nicht, dass alle Geschäftsführer von Stadtwerken meine These unterschreiben würden. Ich glaube, ein Stadtwerkeunternehmen ist in allererster Linie ein Lösungsanbieter für die Kommune und die Menschen einer Region. Und das ergibt auch Sinn, wenn es um Dinge geht wie Bäder, ÖPNV, Smart City oder die klimaneutrale Stadt. Es ist jedoch nicht sinnvoll, dass die Osterholzer Stadtwerke einen Stromladen in Düsseldorf aufmachen. Das ist nicht der Markenkern, der liegt eben in der eigenen Region. Natürlich ist es wirtschaftlich nicht so sexy, ein Schwimmbad zu betreiben – aber die Stadtwerke sind eben wie das Schwimmbad ein integraler Bestandteil einer Kommune. Wenn man sie dort herausnehmen würde, hätte das starke Auswirkungen auf das Leben der Menschen vor Ort.

Wem werden die Versorgungsinfrastrukturen im Jahr 2045 mehrheitlich gehören?

Diese Frage kann man seit dem Ukraine-Krieg noch weniger beantworten als jemals zuvor. Wir werden uns viel mehr vergegenwärtigen müssen, dass die Netze die Lebensadern einer Volkswirtschaft und auch sehr, sehr sicherheitsrelevant sind. Wenn das die richtige Antwort ist, kann es nur bedeuten, dass sich die Netze auch 2045 noch mehrheitlich in kommunalem Eigentum befinden müssen, selbst wenn die Versorgerlandschaft bis dahin etwas anders aussieht. Aber alles andere wäre verantwortungslos. Was passieren kann, wenn der Staat seinen Einfluss komplett an die Privatwirtschaft abgibt, konnte man bei Beginn des Ukraine-Krieges zum Beispiel bei den deutschen Gasspeichern sehen. Wir haben hier in Niedersachsen einen riesigen Speicher, in Rehden. Dort lag der Füllstand zu Beginn der Invasion bei 3,5 Prozent! Dieser Speicher ist nämlich im Besitz der russischen Gazprom.

Wenn Sie einen Wunsch an die Bundesregierung äußern könnten, welcher wäre das?

Zunächst wünsche ich mir von der Politik, dass häufiger mal die Realität eine Rolle spielt, und damit meine ich auch die Physik. Manches, was da diskutiert wird, ist nämlich physikalisch gar nicht möglich und manchmal fehlt – etwas übertrieben – das Verständnis, was zum Beispiel der Unterschied zwischen einem Kilowatt (kW) und einer Kilowattstunde (kWh) ist.

Es ist richtig, heute über den Ausbau regenerativer Energien zu sprechen und zum Beispiel den Ausbau von LNG-Terminals zu forcieren, aber das sind alles Lösungen, die erst in mehreren Jahren substanziell zum Tragen kommen. Solche Fristen müssen Politiker im Auge behalten.

Von der Bundesregierung wünsche ich mir mehr Geschwindigkeit. Wir neigen in Deutschland dazu, alles genau beschreiben, überregulieren zu müssen, bis auf die letzte Unterlegscheibe. Da blickt am Ende kein Mensch mehr durch und es ist somit nicht mehr vermittelbar. Wenn wir mit dem Ausbau der Erneuerbaren schneller vorankommen wollen – was wir ohne Zweifel und jetzt mehr denn je müssen –, muss auch mal 70 oder 80 Prozent Planungsgenauigkeit reichen. Von daher appelliere ich an die Entscheider auf Bundes und Landesebene: Haben Sie ein wenig mehr Mut zur Lücke!

Fazit

Aktuellen und künftigen Herausforderungen können Stadtwerke kaum mehr allein begegnen, unterstreicht Christian Meyer-Hammerström, Geschäftsführer der Osterholzer Stadtwerke, im Interview. Ob mit anderen Stadtwerken, mit großen Versorgern oder mit lokalen Landwirten – Kooperation ist das Gebot der Stunde, so sie denn auf Augenhöhe stattfindet.

Über diesen Artikel

Von EY Deutschland

Building a better working world