1 Minuten Lesezeit 3 September 2021
Frau mit Virtual-Reality-Headset

Wie COVID-19 der digitalen Avantgarde den Ritterschlag verleiht

Von Andreas Teller

Partner, Consumer Products & Retail, EY Strategy & Transactions GmbH I Deutschland

Vollblut-Stratege. Vorausschauender Denker und Macher. Gemeinsam für die Sache. Immer das Ziel vor Augen – nicht nur als Sportler und Triathlet.

1 Minuten Lesezeit 3 September 2021

Weitere Materialien

Noch mehr Erfolg für die digitalen Pioniere, aber immer noch ein strenger Blick auf den Preis: So verändert die Pandemie den Onlinehandel.

Überblick

  • Mehr als 40.000 Kundenbewertungen allein in Deutschland zeigen, welcher von über 100 bewerteten Händlern die Pandemie nutzen konnte.
  • Online-Käufe sind vor allem für einkommensstärkere Käufer noch wichtiger geworden.
  • Ältere wie jüngere Kunden messen dem Onlinehandel mehr Wichtigkeit bei als vor der Pandemie – aber legen auf unterschiedliche Aspekte wert.

Kartenzahlung funktioniert plötzlich auch für kleinste Beträge und zum Café-Besuch gehört auf einmal das Einchecken per QR-Code: COVID-19 hat die Digitalisierung in vielen Bereichen des Einzelhandels und bei Dienstleistungen stark beschleunigt. Welche Stärken und Probleme aus Sicht der deutschen Kundinnen und Kunden dabei konkret aufgetreten sind, zeigt das EY-Parthenon-Performance-Ranking 2021.

EY-Parthenon hat für die aktuelle Auflage der bereits seit mehreren Jahren durchgeführten Erhebung allein in Deutschland über 40.000 Einschätzungen von 8.000 Konsumenten zu mehr als 100 Händlern ausgewertet: In welcher Altersgruppe gewinnen welche Händler in den Augen der Konsumenten besonders hinzu? Wie wichtig wird Nachhaltigkeit im Handel? Und, bedeutend nicht nur im Corona-Jahr: Welche Online-Angebote lohnen sich für die Kunden wirklich?

Das EY-Parthenon-Performance-Ranking 2021

100

Händler wurden von 8.000 Kundinnen und Kunden mit über 40.000 Beurteilungen eingeschätzt.

Die Umfrage zeigt, wie deutlich COVID-19 bestehende Entwicklungen verstärkt hat: Um das Thema E-Commerce kommt wirklich kein Händler mehr herum. Digitale Transformationsprozesse in Logistik, Produktpräsentation und Zahlungsabwicklung, die bisher oft Jahre dauerten, mussten nun oft innerhalb weniger Monate gestemmt werden. Auch wenn in vielen Branchen mit deutlich erhöhter Nachfrage zu Beginn der Pandemie (z. B. Lebensmitteleinzelhandel oder DIY) die Lieferlogistik am Anschlag war, hat sich gezeigt, dass Investitionen in neue Technologien und Vertriebswege sich gelohnt haben und neue Kunden gewonnen werden konnten.

Was unter anderem abgefragt wurde: Digitale Fähigkeiten

Für das EY-Parthenon-Performance-Ranking werden u.a. die digitalen Fähigkeiten der Händler in vier Dimensionen bewertet:

  1. Convenience: Wie reibungslos läuft der Einkaufsprozess digital ab? Wie gut findet man sich auf der Seite zurecht? Wie schnell kommt man zum Warenkorb? Wie einfach ist der Bezahlprozess? 
  2. Digitale Inspiration: Inwiefern hilft die Webseite dabei, das individuell richtige Produkt zu finden? Wie gut und hilfreich sind die Produktinformationen?
  3. Spaß: Lädt die Seite zum „Stöbern“ ein? Bewegt man sich gerne auf der Seite?
  4. Multi-Channel-Aspekte: Lässt sich online überprüfen, ob eine Filiale die gewünschten Artikel vorrätig hat? Wie sind die Click-and-Collect-Möglichkeiten? Kann online bestellte Ware in der Filiale retourniert werden?  

Hinzu kommt eine Reihe weiterer Fragen zur Zufriedenheit, zu kaufentscheidenden Aspekten und zum soziodemografischen Hintergrund der Befragten.

Was gut ankam: Ein starker Online-Auftritt zahlt sich aus

Auf den Spitzenplätzen liegen einige der gleichen Händler wie schon 2020.

Klar ist auch, dass sich das Investment in digitale Fähigkeiten auszuzahlen scheint. Denn jene Händler, die bessere Urteile bei den genannten digitalen Fähigkeiten einfahren als in den Vorjahren, konnten auch in der Gesamtbewertung zulegen. Und: Auch während stationäre Händler in den vergangenen Jahren Boden gutgemacht haben, sind reine Onliner aus Kundensicht bei den digitalen Fähigkeiten weiterhin vorne – aber der Abstand schmilzt!

Darüber hinaus zeigt sich der verstärkende Effekt der Pandemie auch hier: Zu den deutlichen Gewinnern aus Kundensicht zählen jene Händler, die schon vorher eine gutes digitales Leistungsversprechen hatten – darunter beispiels-weise OBI im Bereich der Bau- und Heimwerkermärkte. Es fällt quer durch alle Branchen auf, dass COVID-19 für die Unternehmen entweder zum Ritterschlag ihrer bisherigen Aktivitäten wurde — oder zum Todesstoß für halbherzige Digitalangebote.

Händler, die schon vorher gut online positioniert waren, zählen zu den deutlichen Siegern aus Kundensicht. COVID-19 wurde für die Unternehmen entweder zum Ritterschlag ihrer bisherigen Aktivitäten – oder zum Todesstoß für halbherzige Digital-Angebote.

Beispiele für Aufsteiger im Textilbereich sind Breuninger, Zara und About You, und Zalando ist zurückgekehrt. Deichmann, Reno, s.Oliver und Esprit dagegen fallen weiter zurück und auch Bonprix konnte die Online-Chance der Pandemie nicht nutzen. 123gold ist bei den Juwelieren ein Sprung nach vorne gelungen, im Beauty-Bereich befindet sich eine bekannte Parfümeriekette weiter unter Druck.

Im Lebensmitteleinzelhandel ist der Erfolg aus Kundensicht von REWE bemerkenswert. Als einziger stationärer Händler mit Online-Lieferangebot versucht das Unternehmen auch, den Wocheneinkauf junger Familien neu zu gestalten. EDEKA fehlt ein solches eigenes Angebot, das Unternehmen ist aber an der neu geschaffenen Marke Picnic beteiligt und stellt deren Warenversorgung sicher. In der Folge haben beide Unternehmen ihre Plätze im Ranking getauscht. Darüber hinaus sorgen vor allem neue Angebote wie beispielsweise Schnelllieferdienste für hohen Innovationsdruck. Auch sie kämpfen um Marktanteile, wenn auch bisher noch mit anderen Nutzungsszenarien – das kann sich aber schnell ändern. 

Diese Branche ist nicht die einzige, die bisher eher stationär geprägt und ohne starkes Online-Leistungsangebot aufgestellt war, in der Corona aber möglicherweise zu einer Wachablösung geführt hat: Bei Möbeln attestieren die Kundinnen nun einem Online-Möbelhändler bessere Werte als dem Preis-Champion XXXLutz, bei Non-Food-Discountern war bisher Action sehr erfolgreich, nun aber scheint es dem Unternehmen an einem klaren Online-Versprechen zu mangeln. 

Wer gewann: Branchen ohne Lockdownfrust

Besonders häufig stellen die Kunden Händlern aus Branchen, die eher wenig von den Corona-Maßnahmen betroffen waren, nun ein besseres Urteil aus. Baumärkte / Gartencenter, Möbelhäuser und Non-Food-Discounter konnten von der Krise nicht nur finanziell, sondern auch im Performance-Ranking profitieren.

Dagegen sank die Gesamtzufriedenheit in Branchen, wenn diese beispielsweise häufiger schließen oder ihre Zutrittsregeln anpassen mussten oder das Einkaufserlebnis aufgrund der Corona-Verordnungen massiv gelitten hat. Die Zeit nach der Pandemie wird zeigen, ob diese Verschiebungen in der Wahrnehmung der Kundinnen von Dauer sind. 

Wem online wichtig ist: Einkommen und Alter zählen

Der Anteil von Online-Käufen ist besonders in einkommensstärkeren Klassen noch weiter gestiegen und gerade dort sind die digitalen Fähigkeiten aus Kundensicht noch wichtiger geworden. Durch ausgebliebene Urlaube entstanden sogar zusätzliche Budgets für Produkte im Handel, wie beispielsweise für Renovierungen oder persönlichen Luxus. 

Bei einkommensschwächeren Kunden, die oft auch härter durch Kurzarbeit und Entlassungen während der Pandemie getroffen wurden, ist der Preis weiterhin ein wichtigeres Kriterium als in anderen Bevölkerungsgruppen.

Jüngere sehen anders als früher auch das Digitale längst als Inspirationskanal. Die Formel, sich im Geschäft Anregungen zu holen, um dann daheim zu bestellen, gilt so nicht mehr.

Auffällig sind auch Unterschiede in der Bedeutung von Online-Fähigkeiten unter den Altersgruppen: Auch Ältere haben während der Pandemie stärker im Netz eingekauft. Sie legen besonders Wert auf den Teilaspekt Convenience und für sie ist der Online-Kanal eher auf die reine Transaktion beschränkt. Für jüngere Konsumenten muss online verstärkt eine ganz andere Art der Inspiration geboten werden – Bekleidung wird in Lookbooks nicht einzeln, sondern als komplettes Outfit gezeigt oder Möbel stehen in vollständig eingerichteten Räumen statt einzeln fotografiert auf den Webseiten.

Was jetzt zu tun ist: Die Post-Pandemie-Strategie für die eigene Branche finden

Das aktuelle Performance-Ranking hat damit nicht nur erneut die Herausforderungen in einzelnen Branchen offengelegt, sondern auch grundsätzlich unterstrichen: Ohne ein starkes Digitalangebot geht es in keiner Branche mehr. Wer dachte, diesen Wandel noch herauszögern zu können, wurde durch die Pandemie überrascht. 

Welche digitalen Leistungsversprechen und Kundenerwartungen erfüllt werden müssen, unterscheidet sich aber von Branche zu Branche und Kunden im Textilhandel legen auf andere Aspekte wert als Käufer von Lebensmitteln oder in Baumärkten. Hinzu kommt, dass in vielen Bereichen noch unklar ist, welches Versprechen und Geschäftsmodell für die Kundinnen besonders wichtig ist, beispielsweise ob die Schnelllieferdienste im Lebensmitteleinzelhandel langfristig Kunden überzeugen (und profitabel agieren können).

Weiter in die Zukunft gedacht, wird womöglich die digitale Transformation weit über einen rein digitalen Verkaufskanal hinausgehen, wenn Bots und Apps Kaufentscheidungen übernehmen.

Auch wenn das noch Zukunftsmusik ist, gilt es aber schon jetzt für die Handelsunternehmen, die besonders wichtigen Teilaspekte der Digitalisierung in den jeweiligen Branchen zu identifizieren und diese entlang ihrer eigenen Stärken zu interpretieren. Erfolgreiche Go-to-Market-Strategien müssen deshalb sowohl branchenspezifisch als auch mit Blick auf die digitalen Erwartungen der Kunden formuliert sein – eine Traditionsmodemarke mit älterer Zielgruppe wird eher Schwerpunkte auf das Thema Sichtbarkeit der Produkte und einen reibungslosen Einkaufsprozess setzen müssen, als Marken mit Teenager-Käufern, die wie oben beschrieben eine ganz andere Art der Inspiration bieten müssen (z.B. über die Darstellung ganzer Looks oder Produkte im Sortimentszusammenhang).

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Download: EY-Parthenon- Performance-Ranking-2021

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Vorjahres-Rankings zum Download

 

EY-Parthenon-Performance-Ranking 2020

 

EY-Parthenon-Performance-Ranking 2019

 

EY-Parthenon-Performance-Ranking 2018

Fazit

Das neueste EY-Parthenon-Performance-Ranking zu den deutschen Top-100-Händlern zeigt, dass sich Investitionen in digitale Fähigkeiten auszahlen. Reine Onliner liegen zwar immer noch häufig vorne, Händler mit stationärer Herkunft haben aber „digital“ an Boden gewonnen. Die Corona-Pandemie hat gezeigt: Wer vorher bereits stark online unterwegs war, hat in der Kundenbewertung noch einmal zugelegt – wer schon vorher digital nicht klar positioniert war, dessen Probleme sind nun noch weiter gewachsen.

Co-Autor: Jan Sauerbrey

Über diesen Artikel

Von Andreas Teller

Partner, Consumer Products & Retail, EY Strategy & Transactions GmbH I Deutschland

Vollblut-Stratege. Vorausschauender Denker und Macher. Gemeinsam für die Sache. Immer das Ziel vor Augen – nicht nur als Sportler und Triathlet.