Beispiel 5: Datenbankstudie einer Vertriebsgesellschaft
Ein deutsches Unternehmen verkauft Waren an eine Vertriebsgesellschaft im Ausland. Die Vertriebsgesellschaft verdient eine Nettoumsatzrendite von 7 Prozent. Das Unternehmen lässt hierzu eine Datenbankstudie mit Vergleichsunternehmen anfertigen. Danach liegt die Interquartilsbandbreite zwischen 4 und 8 Prozent; vor Einengung endet die Bandbreite sogar bei 11 Prozent. Auf dieser Basis wird im Rahmen der Verrechnungspreisdokumentation gefolgert, dass die Verrechnungspreise gegenüber der Vertriebsgesellschaft angemessen sind. Im Rahmen der Betriebsprüfung ergibt sich jedoch, dass einige der Vergleichsunternehmen tatsächlich konzernabhängig sind. Außerdem weist die Betriebsprüfung Vergleichsunternehmen zurück, die in einer anderen Branche tätig sind. Die neu gebildete Interquartilsbandbreite endet bei 6 Prozent, vor Einengung bei 9 Prozent. Die Nettoumsatzrendite der ausländischen Vertriebsgesellschaft liegt demnach mit 7 Prozent außerhalb der neu gebildeten Interquartilsbandbreite. Allein mit dieser Begründung beabsichtigt die Betriebsprüfung eine Anpassung der Verrechnungspreise.
Für sogenannte Routineunternehmen wird die transaktionsbezogene Nettomargenmethode von der Finanzverwaltung ausdrücklich anerkannt. Folgt man dieser – keineswegs zwingenden – Sichtweise auch hier, wären Nettomargen auch als Fremdvergleichswerte gemäß § 1 Abs. 3a AStG zu qualifizieren. Ein Herausfallen aus der Bandbreite gemäß Beispiel 5 würde zu einer automatischen Korrektur des Verrechnungspreises führen.
So einfach geht es aber nicht. Selbst wenn man akzeptiert, dass die Nettomargen als Fremdvergleichswerte qualifizieren, gelten die Regelungen zur Beweislast auch hier. Die Nettomargen der Vergleichsunternehmen müssen von so hoher Qualität sein, dass nach dem Regelbeweismaß eigentlich kein begründeter Zweifel mehr besteht, dass der Verrechnungspreis falsch ist. Kritisch ist bei Datenbankstudien insbesondere die Vergleichbarkeit der Verhältnisse. Die Vergleichsunternehmen sind oftmals deutlich kleiner als konzerngebundene Vertriebsgesellschaften, sie agieren auf einer niedrigeren Handelsstufe und tragen höhere Risiken, um nur einige Punkte zu nennen. Neben diesen Unterschieden bestehen erhebliche Informationsdefizite, weil die Verhältnisse bei den Vergleichsunternehmen allenfalls durch eine Internetrecherche näher bestimmt werden können und damit vielfach nicht aufzulösen sind.
Renditekennziffern aus Datenbankstudien können aber vom Steuerpflichtigen für Zwecke der Verrechnungspreisdokumentation genutzt werden. Im Rahmen einer solchen Dokumentation legt der Steuerpflichtige dar, dass er sich „ernsthaft bemüht“, angemessene Verrechnungspreise zu vereinbaren. Für ein ernsthaftes Bemühen seitens des Steuerpflichtigen können die genannten Einschränkungen bei der Vergleichbarkeit sowie die genannten Informationsdefizite hingenommen werden. Dies gilt jedoch nicht für eine Korrektur der Verrechnungspreise seitens der Betriebsprüfung. Für eine Korrektur reicht kein „ernsthaftes Bemühen“ seitens der Betriebsprüfung, sondern der Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz muss mindestens mit hoher Wahrscheinlichkeit feststehen.
Es gilt also: Die „selektive“ Vorgehensweise gemäß Beispiel 5, lediglich einzelne Vergleichsunternehmen auszuschließen, genügt nicht. Weitere Ermittlungshandlungen der Betriebsprüfung sind erforderlich. Zu Recht fordern die Verwaltungsgrundsätze 2020, dass Vergleichsunternehmen „einzeln festzustellende Grundlagen“ bedeuten. So ist mindestens die Datenbankstudie des Steuerpflichtigen in ihrer Gesamtheit zu prüfen. An die Feststellung der Vergleichswerte seitens der Betriebsprüfung sind hohe Anforderungen in Bezug auf das Beweismaß zu stellen. Andernfalls wäre kaum die Feststellung zu rechtfertigen, dass allein ein Herausfallen aus der Bandbreite nach dem Regelbeweismaß (mindestens mit „hoher Wahrscheinlichkeit“) mit einem Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz gleichzusetzen ist. Dabei hat die Betriebsprüfung bestehende Beurteilungsspielräume grundsätzlich zugunsten des Steuerpflichtigen zu nutzen.
Die Thematik verschärft sich zusätzlich dadurch, dass § 1 Abs. 3a Satz 3 AStG erstmalig für Veranlagungszeiträume ab 2022 ausdrücklich vorschreibt, dass eine Interquartilsbandbreite zu bilden ist, wenn nicht die Werte der Bandbreite selbst Anhaltspunkte für eine bestimmte Einengung bieten. In der Praxis kommt die Interquartilsbandbreite auch schon in früheren Veranlagungszeiträumen fast immer zur Anwendung. 25 Prozent der Bandbreitenwerte scheiden dabei zulasten des Steuerpflichtigen aus, obwohl diese Bandbreitenwerte zuvor seitens der Betriebsprüfung als im Grundsatz vergleichbar festgestellt wurden. Auch in Beispiel 5 ist dies der Fall, denn es gibt Vergleichsunternehmen, die die erzielte Nettomarge von 7 Prozent durchaus unterstützen.
Gerade die Interquartilsbandbreite ist regelmäßig keine sinnvolle Methode der Einengung, weil bei der Eliminierung von Vergleichswerten eben nicht auf das Maß der Vergleichbarkeit abgestellt wird. Auch die OECD scheint der Ansicht zu sein, dass statistische Verfahren allenfalls anzuwenden sind, wenn die Bandbreite „eine beträchtliche Anzahl von Vergleichsunternehmen enthält“. Und selbst die gerade neu veröffentlichten Verwaltungsgrundsätze 2023 verlangen für die Anwendung der Interquartilsbandbreite, dass bezogen auf die jeweiligen Vergleichswerte statistische Methoden „sinnvoll“ anwendbar sind. Die Betriebsprüfung wird sich mit diesen Einwendungen begründet auseinandersetzen müssen, wenn die Einengung auf die Interquartilsbandbreite erfolgt und der Wert des Steuerpflichtigen – wie im Beispielfall – in der vollen Bandbreite vor Einengung liegt. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass allein das Herausfallen aus der Interquartilsbandbreite keine automatische Korrektur des Verrechnungspreises rechtfertigt.