4 Minuten Lesezeit 7 März 2024
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Verrechnungspreise: Wann eine Korrektur berechtigt ist

Von Tax & Law Magazine

Das Kundenmagazin von EY Deutschland zu aktuellen Steuer- und Rechtsthemen.

4 Minuten Lesezeit 7 März 2024

Betriebsprüfer missachten häufig den Grundsatz der „hohen Wahrscheinlichkeit“, wenn sie Änderungen verlangen. Beispiele aus der Praxis

Überblick

  • Der Gesamtgewinn im Konzern ist einer der wenigen objektiven Maßstäbe auf dem Gebiet der Verrechnungspreise.
  • Streitigkeiten sollten also auf eindeutige Fälle beschränkt sein.
  • Ein Helikopterblick liefert für den Steuerpflichtigen einen wesentlichen Baustein für die Risikokontrolle im Vorfeld einer Betriebsprüfung.

Verrechnungspreise werden in der Praxis der Betriebsprüfungen häufig kontrovers diskutiert. Dabei vertreten die Verwaltungsgrundsätze 2020 eine vergleichsweise klare Position: Der vom Steuerpflichtigen gewählte Verrechnungspreis muss u. a. mit einer „hohen Wahrscheinlichkeit“ falsch sein. Streitigkeiten sollten also auf eindeutige Fälle beschränkt sein. Bloße abweichende Meinungen über den richtigen Verrechnungspreis reichen offensichtlich nicht aus. In der Praxis wird jedoch in Betriebsprüfungen dem Kriterium der „hohen Wahrscheinlichkeit“ wenig Beachtung geschenkt – und viel zu schnell über die Höhe der Anpassung gestritten.

Häufig stellen Betriebsprüfer unmittelbar pauschale Anpassungsforderungen in den Raum. Unternehmen sollten sich aber davon nicht beeindrucken lassen. Stattdessen ist es ihr gutes Recht, zunächst einmal eine begründete Darlegung zu verlangen, weshalb im konkreten Sachverhalt ein Verrechnungspreis (mindestens) mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ gegen den Fremdvergleichsgrundsatz verstößt. Es geht schließlich um die Rechtsstaatlichkeit des Steuerverfahrens.

Der Steuerpflichtige hat daher einen Anspruch auf eine begründete Darlegung der Argumentation der Betriebsprüfung. Dabei ist ein konkreter Bezug auf das Beweismaß erforderlich. Der Steuerpflichtige sollte darüber hinaus auf die Anwendung des Regelbeweismaßes pochen. Denn eigentlich reicht nach herrschender Meinung selbst die „hohe Wahrscheinlichkeit“ nicht aus. Das Regelbeweismaß verlangt, dass eine Korrektur sogar mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ feststeht. Deshalb sind von der Betriebsprüfung die typischerweise vorhandenen Beurteilungsspielräume bei der Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes zugunsten des Steuerpflichtigen zu nutzen. 

Die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit überhaupt dem Grunde nach eine Anpassung der Verrechnungspreise zulässig ist, wird dennoch oft kontrovers diskutiert. Strittig ist vor allem die Frage der Beweislastverteilung bei der Schätzbefugnis des Finanzamtes nach § 162 Abs. 1 und 2 AO. Es geht um die Frage, welche Partei den Nachteil zu tragen hat, wenn sich die Verwirklichung eines Sachverhalts mit Bezug auf die Verrechnungspreise nicht zweifelsfrei klären lässt. Selbst bei voller Mitwirkung des Steuerpflichtigen bleiben im Bereich der Verrechnungspreise fast immer gewisse Zweifel zum Sachverhalt bestehen.

Zu kritisieren bleibt, dass die Finanzverwaltung ein Kriterium der „hohen Wahrscheinlichkeit“ einführt, ohne dieses näher zu erklären. Verwaltungshandeln muss aber begründet sein. Im Rahmen der Betriebsprüfung sollte der Steuerpflichtige jedenfalls auf die Einhaltung des Regelbeweismaßes bestehen. Der Betriebsprüfer hat dann unter anderem darzulegen, inwieweit das Kriterium der „hohen Wahrscheinlichkeit“ für den verwirklichten Sachverhalt ggf. zur Anwendung eines niedrigeren Beweismaßes als das Regelbeweismaß führt. Die nachfolgenden Beispiele versuchen eine Annäherung an die Thematik. Es handelt sich um Sachverhalte, die in der Praxis der Betriebsprüfung sehr häufig und besonders streitanfällig sind.

Beispiel 1: Vertriebsgesellschaft mit Verlusten (acht Jahre)

Eine inländische Vertriebsgesellschaft bezieht zu 100 Prozent Waren der Muttergesellschaft zum Verkauf an konzernfremde Kunden. Die Muttergesellschaft ist profitabel. Die Vertriebsgesellschaft erzielt bereits seit acht Jahren durchgehend Verluste. Besondere Gründe für das Vorliegen von Verlusten werden nicht vorgebracht.

Im Allgemeinen darf hier davon ausgegangen werden, dass die Verrechnungspreise selbst nach dem strengen Regelbeweismaß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz verstoßen. Es ist nicht erkennbar, warum – bei gedachter Unabhängigkeit – die Vertriebsgesellschaft Verluste über einen solch langen Zeitraum akzeptieren sollte. Wenn keine besonderen Gründe vorliegen, wird eine solche Sichtweise von Finanzverwaltung, Rechtsprechung und den OECD-Leitlinien geteilt. In diesem Beispiel hat die Korrektur bereits im Rahmen der Steuererklärung zu erfolgen. Steuerpflichtige sollten in diesem Zusammenhang ein Risikokontrollsystem auch für Zwecke der Verrechnungspreise etablieren. Mittels eines weitgehend standardisierten Prozesses ist die Gewinnhöhe pro Gruppengesellschaft anhand einfacher Renditekennziffern zu überprüfen, um offensichtlich falsche Gewinnverteilungen (Verluste, aber auch Übergewinne) zu erkennen.

Verständigungsverfahren mit Deutschland: Entwicklung der Verfahrensdauer

Beispiel 2: Vertriebsgesellschaft mit Verlusten (fünf Jahre)

Dieser Fall ist ähnlich, nur dass die Verlustperiode fünf statt acht Jahre beträgt. Außerdem trägt die Vertriebsgesellschaft besondere Gründe für die Entstehung der Verluste vor. Zum einen hat sie fortlaufend ihre Umsatzziele verfehlt, u. a. wegen einer hohen Fluktuation bei den Vertriebsmitarbeitern. Auch verfolgte das Management zunächst eine falsche Strategie der Kundenakquise. Mittlerweile sei man aber auf einem guten Weg und tatsächlich ist die Gesellschaft im sechsten Jahr profitabel. Auch zeigt ein Vergleich mit anderen verbundenen Vertriebsgesellschaften in den Nachbarländern, dass Umsätze und relative Marktanteile in Deutschland deutlich geringer sind.

In der Abwandlung des ersten Beispiels wird die Einschätzung weniger eindeutig. Zwar sprechen weiterhin gewichtige Gründe für eine Anpassung der Verrechnungspreise. Denn eine Verlustperiode von fünf Jahren ist immer noch erheblich. Die Betriebsprüfung wird den Vortrag des Steuerpflichtigen prüfen, um festzustellen, mit welcher Wahrscheinlichkeit unangemessene Verrechnungspreise vorliegen.

Allerdings lag eine ungewöhnlich hohe Mitarbeiterfluktuation vor und die Marktstrategie wurde inzwischen geändert. Das dürfte sich auf die Umsätze und auf die Gewinnsituation auswirken. Ein Vergleich mit den erfolgreicheren Nachbarländern unterstützt die Position. Auch erscheint es plausibel, dass zwischen fremden Dritten entsprechend niedrigere Umsätze nicht durch niedrigere Einkaufspreise ausgeglichen werden und damit die finanziellen Auswirkungen grundsätzlich von der Vertriebsgesellschaft zu tragen sind.

Aus Beratungssicht scheidet eine Verrechnungspreiskorrektur jedenfalls dann aus, wenn die lokal verursachten Effekte näherungsweise die Verluste begründen können. In einem solchen Fall ist der Vortrag des Steuerpflichtigen plausibel. Es wäre jedenfalls nicht mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ davon auszugehen, dass unter fremden Dritten das Lieferunternehmen für die Verluste aufkommt. Dies dürfte selbst dann gelten, wenn das Kriterium der „hohen Wahrscheinlichkeit“ so verstanden wird, dass Restzweifel zur Angemessenheit der Verrechnungspreise bestehen dürfen. Nach dem Regelbeweismaß der mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit wäre die Schlussfolgerung umso eindeutiger.

Beispiel 3: Einkaufsgesellschaft mit hohem Gewinn (nur drei Beschäftigte)

Eine ausländische Einkaufsgesellschaft mit drei Mitarbeitenden erzielt seit ihrer Gründung vor wenigen Jahren jährliche Gewinne von 6 Millionen Euro, obgleich die Muttergesellschaft Verluste erwirtschaftet. Die Einkaufsgesellschaft bündelt die Nachfrage der einzelnen Konzerngesellschaften, aber übernimmt darüber hinaus keine wesentlichen Funktionen. Die Einkaufskommission in Höhe von 2 Prozent wird aus Vertreterprovisionen abgeleitet, die die Muttergesellschaft in geringem Umfang mit fremden Einkaufsvertretern vereinbart hat. Besondere Rechtfertigungen für den hohen Gewinn werden nicht vorgetragen. 

In Beispiel 3 dürfte erneut ein Anscheinsbeweis zulasten des Steuerpflichtigen bestehen. Bei gedachter Unabhängigkeit wäre nicht nachvollziehbar, warum die Muttergesellschaft akzeptieren sollte, dass eine Einkaufsgesellschaft einen solch hohen Gewinn macht. Denn es besteht die offensichtliche Handlungsalternative, die Einkaufsfunktion mit gerade einmal drei Beschäftigten selbst aufzubauen oder einen günstigeren Anbieter zu finden. 

An dieser Schlussfolgerung ändert auch die Tatsache nichts, dass fremde Einkaufsgesellschaften ebenfalls eine Kommission von 2 Prozent erzielen. Das über die Einkaufsgesellschaft abgewickelte Handelsvolumen ist so hoch, dass der vermeintliche Fremdvergleichswert von 2 Prozent zu einem offensichtlich überhöhten Gewinn führt. Eine ausreichende Vergleichbarkeit der Geschäftsbeziehungen muss hier bereits wegen des Mengenunterschieds verneint werden. Es gelten die Schlussfolgerungen des Grundfalls von Beispiel 1. 

Gewerbe- und Industriegebiet in Bukarest in Rumaenien

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Beispiel 4: Einkaufsgesellschaft mit hohem Gewinn (zehn Beschäftigte)

Der Fall hier entspricht Beispiel 3, nur dass die ausländische Einkaufsgesellschaft zehn Mitarbeitende hat und bereits seit zehn Jahren besteht. In den Anfangsjahren erzielte sie Verluste. Die Mitarbeitenden haben persönliche Kontakte zu Lieferanten aufgebaut. Ein von der Einkaufsgesellschaft gesteuertes Netz an Subagenten in wichtigen Herkunftsländern hilft bei der Überwindung sprachlicher und kultureller Barrieren. Eine große Lieferantendatenbank hilft der Muttergesellschaft, die Einkaufskonditionen zu verbessern. Die Mitarbeitenden kontrollieren zudem besondere Risiken im Hinblick auf die Herkunft und die Qualität der Produkte sowie die Einhaltung internationaler Gesetze zu sozialen Standards. Die von der Einkaufsgesellschaft beschafften Waren gehören zum unternehmerischen Kern der Gruppe, weil Versorgungssicherheit und Einkaufskonditionen wesentlichen Einfluss auf den Konzernerfolg haben. Der Gewinn der Einkaufsgesellschaft beträgt im Prüfungsjahr weiterhin 6 Millionen Euro. Wie in Beispiel 3 erfolgt die Herleitung der Einkaufsprovision aus Vertreterprovisionen, die der Konzern in geringem Umfang mit fremden Einkaufsvertretern geschlossen hat.

In der Abwandlung zu Beispiel 3 erscheint der Gewinn zwar immer noch erheblich, die Einkaufsgesellschaft verfügt aber über Alleinstellungsmerkmale, die über einen langen Zeitraum aufgebaut wurden und die alternative Einkaufsvertreter nicht ohne Weiteres bieten können (z. B. ein Netz an Subagenten, eine besondere Lieferantendatenbank, persönliche Beziehungen zu Lieferanten etc.). Diese Merkmale sprechen erst einmal gegen eine Korrektur der Einkaufsprovision. Dann wären noch in einem weiteren Schritt die wirtschaftlichen Vorteile für die Muttergesellschaft zu schätzen, zum Beispiel eine größere Versorgungssicherheit oder die Minderung von Risiken.

Zu schätzen sind vor allem die Vorteile, die auf Alleinstellungsmerkmalen der Einkaufsgesellschaft beruhen und deshalb durch alternative Einkaufsgesellschaften nicht ohne Weiteres erzielt werden könnten. Verbleibende Unsicherheiten sind bei dieser Schätzung unvermeidlich. Dies bedeutet aber nicht, dass qualitative Aspekte keine Berücksichtigung finden. Auch Faktoren wie die Vermeidung von Reputationsschäden wegen verhinderter Qualitätsmängel oder die Vermeidung von Produktionsausfällen aufgrund einer stabileren Versorgung sind einer Quantifizierung zugänglich. Wie eingangs dargelegt dürfen nach den allgemeinen Beweislastregeln Unsicherheiten bei der Bewertung nicht zulasten des Steuerpflichtigen wirken.

Die geschätzten Vorteile sind in einem abschließenden Schritt ins Verhältnis zum Gewinn der Einkaufsgesellschaft zu setzen. Beträgt der wirtschaftliche Vorteil der Muttergesellschaft im Beispiel 12 Millionen Euro, dann hätte die Gewinnzuweisung an die Tochtergesellschaft in Höhe von 6 Millionen Euro genau zu einer hälftigen Aufteilung der Vorteile geführt. Eine solche – hier vereinfacht dargestellte – Herleitung entspricht der Vorgehensweise beim hypothetischen Fremdvergleich gemäß § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG. Eine solche hälftige Aufteilung wäre mit Blick auf § 1 Abs. 3a Sätze 5 und 6 AStG nicht zu beanstanden.

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Beispiel 5: Datenbankstudie einer Vertriebsgesellschaft

Ein deutsches Unternehmen verkauft Waren an eine Vertriebsgesellschaft im Ausland. Die Vertriebsgesellschaft verdient eine Nettoumsatzrendite von 7 Prozent. Das Unternehmen lässt hierzu eine Datenbankstudie mit Vergleichsunternehmen anfertigen. Danach liegt die Interquartilsbandbreite zwischen 4 und 8 Prozent; vor Einengung endet die Bandbreite sogar bei 11 Prozent. Auf dieser Basis wird im Rahmen der Verrechnungspreisdokumentation gefolgert, dass die Verrechnungspreise gegenüber der Vertriebsgesellschaft angemessen sind. Im Rahmen der Betriebsprüfung ergibt sich jedoch, dass einige der Vergleichsunternehmen tatsächlich konzernabhängig sind. Außerdem weist die Betriebsprüfung Vergleichsunternehmen zurück, die in einer anderen Branche tätig sind. Die neu gebildete Interquartilsbandbreite endet bei 6 Prozent, vor Einengung bei 9 Prozent. Die Nettoumsatzrendite der ausländischen Vertriebsgesellschaft liegt demnach mit 7 Prozent außerhalb der neu gebildeten Interquartilsbandbreite. Allein mit dieser Begründung beabsichtigt die Betriebsprüfung eine Anpassung der Verrechnungspreise.

Für sogenannte Routineunternehmen wird die transaktionsbezogene Nettomargenmethode von der Finanzverwaltung ausdrücklich anerkannt. Folgt man dieser – keineswegs zwingenden – Sichtweise auch hier, wären Nettomargen auch als Fremdvergleichswerte gemäß § 1 Abs. 3a AStG zu qualifizieren. Ein Herausfallen aus der Bandbreite gemäß Beispiel 5 würde zu einer automatischen Korrektur des Verrechnungspreises führen. 

So einfach geht es aber nicht. Selbst wenn man akzeptiert, dass die Nettomargen als Fremdvergleichswerte qualifizieren, gelten die Regelungen zur Beweislast auch hier. Die Nettomargen der Vergleichsunternehmen müssen von so hoher Qualität sein, dass nach dem Regelbeweismaß eigentlich kein begründeter Zweifel mehr besteht, dass der Verrechnungspreis falsch ist. Kritisch ist bei Datenbankstudien insbesondere die Vergleichbarkeit der Verhältnisse. Die Vergleichsunternehmen sind oftmals deutlich kleiner als konzerngebundene Vertriebsgesellschaften, sie agieren auf einer niedrigeren Handelsstufe und tragen höhere Risiken, um nur einige Punkte zu nennen. Neben diesen Unterschieden bestehen erhebliche Informationsdefizite, weil die Verhältnisse bei den Vergleichsunternehmen allenfalls durch eine Internetrecherche näher bestimmt werden können und damit vielfach nicht aufzulösen sind. 

Renditekennziffern aus Datenbankstudien können aber vom Steuerpflichtigen für Zwecke der Verrechnungspreisdokumentation genutzt werden. Im Rahmen einer solchen Dokumentation legt der Steuerpflichtige dar, dass er sich „ernsthaft bemüht“, angemessene Verrechnungspreise zu vereinbaren. Für ein ernsthaftes Bemühen seitens des Steuerpflichtigen können die genannten Einschränkungen bei der Vergleichbarkeit sowie die genannten Informationsdefizite hingenommen werden. Dies gilt jedoch nicht für eine Korrektur der Verrechnungspreise seitens der Betriebsprüfung. Für eine Korrektur reicht kein „ernsthaftes Bemühen“ seitens der Betriebsprüfung, sondern der Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz muss mindestens mit hoher Wahrscheinlichkeit feststehen.

Es gilt also: Die „selektive“ Vorgehensweise gemäß Beispiel 5, lediglich einzelne Vergleichsunternehmen auszuschließen, genügt nicht. Weitere Ermittlungshandlungen der Betriebsprüfung sind erforderlich. Zu Recht fordern die Verwaltungsgrundsätze 2020, dass Vergleichsunternehmen „einzeln festzustellende Grundlagen“ bedeuten. So ist mindestens die Datenbankstudie des Steuerpflichtigen in ihrer Gesamtheit zu prüfen. An die Feststellung der Vergleichswerte seitens der Betriebsprüfung sind hohe Anforderungen in Bezug auf das Beweismaß zu stellen. Andernfalls wäre kaum die Feststellung zu rechtfertigen, dass allein ein Herausfallen aus der Bandbreite nach dem Regelbeweismaß (mindestens mit „hoher Wahrscheinlichkeit“) mit einem Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz gleichzusetzen ist. Dabei hat die Betriebsprüfung bestehende Beurteilungsspielräume grundsätzlich zugunsten des Steuerpflichtigen zu nutzen.

Die Thematik verschärft sich zusätzlich dadurch, dass § 1 Abs. 3a Satz 3 AStG erstmalig für Veranlagungszeiträume ab 2022 ausdrücklich vorschreibt, dass eine Interquartilsbandbreite zu bilden ist, wenn nicht die Werte der Bandbreite selbst Anhaltspunkte für eine bestimmte Einengung bieten. In der Praxis kommt die Interquartilsbandbreite auch schon in früheren Veranlagungszeiträumen fast immer zur Anwendung. 25 Prozent der Bandbreitenwerte scheiden dabei zulasten des Steuerpflichtigen aus, obwohl diese Bandbreitenwerte zuvor seitens der Betriebsprüfung als im Grundsatz vergleichbar festgestellt wurden. Auch in Beispiel 5 ist dies der Fall, denn es gibt Vergleichsunternehmen, die die erzielte Nettomarge von 7 Prozent durchaus unterstützen.

Gerade die Interquartilsbandbreite ist regelmäßig keine sinnvolle Methode der Einengung, weil bei der Eliminierung von Vergleichswerten eben nicht auf das Maß der Vergleichbarkeit abgestellt wird. Auch die OECD scheint der Ansicht zu sein, dass statistische Verfahren allenfalls anzuwenden sind, wenn die Bandbreite „eine beträchtliche Anzahl von Vergleichsunternehmen enthält“. Und selbst die gerade neu veröffentlichten Verwaltungsgrundsätze 2023 verlangen für die Anwendung der Interquartilsbandbreite, dass bezogen auf die jeweiligen Vergleichswerte statistische Methoden „sinnvoll“ anwendbar sind. Die Betriebsprüfung wird sich mit diesen Einwendungen begründet auseinandersetzen müssen, wenn die Einengung auf die Interquartilsbandbreite erfolgt und der Wert des Steuerpflichtigen – wie im Beispielfall – in der vollen Bandbreite vor Einengung liegt. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass allein das Herausfallen aus der Interquartilsbandbreite keine automatische Korrektur des Verrechnungspreises rechtfertigt. 

Verständigungsverfahren in Monaten

Schlussfolgerung

Steuerpflichtige sind gut beraten, erst dann überhaupt über die Höhe einer Verrechnungspreiskorrektur zu verhandeln, wenn die Berechtigung zur Anpassung dem Grunde nach feststeht. Bloße Meinungen genügen nicht. Der Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz muss für den Einzelfall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen sein und mit Bezug auf die Regeln zur Beweislast von der Betriebsprüfung begründet werden. Erst dann ist der Basar eröffnet.  

Fazit

Rechtliche Argumente mit Bezug zur Beweislast stärken die Position in der Betriebsprüfung. Falls notwendig sollte der Einspruch und Klageweg ebenfalls in Erwägung gezogen werden. Auch ist ein Blick von oben auf die Gewinnverteilung im Konzern zu fordern. Immerhin ist der Gesamtgewinn im Konzern einer der wenigen objektiven Maßstäbe auf dem Gebiet der Verrechnungspreise. Dauernde Verluste oder außergewöhnlich hohe Gewinne sind gerade im laufenden Liefer- und Leistungsverkehr regelmäßig eine notwendige Voraussetzung für die Annahme, dass ein Verrechnungspreis mindestens mit einer „hohen Wahrscheinlichkeit“ gegen den Fremdvergleichsgrundsatz verstößt. Mit dem „Helikopterblick“ kann die Betriebsprüfung genau solche Geschäftsbereiche im Schwerpunkt prüfen. Andere Geschäftsbereiche können dann außer Betracht bleiben, weil eine zulässige Korrektur ohnehin nicht zu erwarten ist. Ein Helikopterblick in diesem Sinne liefert auch für den Steuerpflichtigen einen wesentlichen Baustein für die Risikokontrolle im Vorfeld einer Betriebsprüfung.

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