Das Problem bleibt jedoch im Kern dasselbe. Die Umsetzung dieser Systeme wird nur möglich sein, wenn neben den politischen Regularien auch die nötige Technologie zur Verfügung steht, um Transparenz und Fairness zu gewährleisten und eine entsprechende Mitteilung durch Unternehmen ohne Systembrüche und mit minimalem Aufwand zu ermöglichen.
Neuverteilung
Hinzu kommen globale Ansätze etwa auf OECD-Ebene mit Pillar 1 und 2 des BEPS-Projekts, bei dem die Staatengemeinschaft um eine Besteuerung der Digitalwirtschaft und um einer Mindestbesteuerung ringt und sich eventuell in diesen Monaten auf der Zielgeraden einer Einigung befindet. Oder auch der Common Reporting Standard (CRS), einem internationalen Verfahren zum Austausch von Finanzkonteninformationen, wird seinen Teil dazu beitragen, dass immer mehr Daten vorliegen und das Steuerrecht in den kommenden Jahren grundlegend verändert werden wird.
Das Problem bleibt jedoch im Kern dasselbe. Die Umsetzung dieser Systeme wird nur möglich sein, wenn neben den politischen Regularien auch die nötige Technologie zur Verfügung steht, um Transparenz und Fairness zu gewährleisten und eine entsprechende Mitteilung durch Unternehmen ohne Systembrüche und mit minimalem Aufwand zu ermöglichen. Die potenzielle Rechenleistung eines Quantencomputers könnte hier eine zentrale Rolle spielen – gerade auch, um vorab mögliche Folgen für die Verteilung des Steuersubstrats zu simulieren.
Steuerliche Wirkungsanalysen sind auch deshalb gefordert, weil im Zuge der Pandemiebekämpfung die Staatsverschuldung in allen Ländern in die Höhe schnellt und gesellschaftspolitische Herausforderungen wie Klimawandel und demografische Entwicklung auch die Steuerwelt betreffen. Der Datenhunger ist enorm und der Bedarf an verlässlichen Wirkungsanalysen groß.
ADIMA – Big Data im großen Stil
Seit kurzem versucht die OECD selbst, solche Daten zu ermitteln und zu analysieren. Nicht anders ist die Initiative ADIMA zu erklären. Dabei steht das Kürzel ADIMA für Analytical Database on Individual Multinationals and Affiliates. Es geht darum, 500 multinationale Unternehmen unter die Lupe zu nehmen und zu verstehen, wo sich die Unternehmen und ihre Wertschöpfungsketten auf der Welt befinden, wie sie arbeiten und wo sie Steuern zahlen. Dazu hat die in Paris ansässige Organisation ihre Datenanalysten, Statistiker, Informatiker und Programmierer in einer Projektgruppe zusammengebracht und vor zwei Jahren eine Datenbank installiert. Begründet wird das Vorgehen damit, dass bisher nur wenige amtliche Statistiken zu einzelnen multinationalen Unternehmen vorlägen und deren Verhalten eine zunehmend wichtige Bedeutung für einzelne Länder habe. Die OECD will die Datenbank kräftig ausbauen und über die in Unternehmensberichten üblichen Informationen hinausgehen, indem sie offene Big-Data-Quellen wie Jahresabschlüsse, Thomson Reuters, Internetseiten und Wikidata auswertet. In ersten veröffentlichten Berichten, in denen zunächst nur die Top-100-ADIMA-Unternehmen untersucht wurden, wurde durch Datenanalyse in Open-Source-Quellen festgestellt, dass 85 von 100 Unternehmen in Großbritannien aktive Geschäftstätigkeiten hatten, jedoch offizielle Jahresabschlüsse nur 75 Firmen auswiesen.
Die Beispiele geben einen Einblick in die staatlichen Bemühungen, verlässliche Daten zu sammeln, damit sie sich ihren Anteil am Steuersubstrat sichern können, um Staatsausgaben auch zukünftig finanzieren zu können. Doch gibt es aktuell überhaupt ausreichend Rechenkapazitäten, wenn all diese Daten vorliegen würden? Lassen heutige Computer umfassende Wirkungsanalysen zu, die bis in die tiefsten Verästelungen unternehmerischen Handeln überall auf der Welt reichen?
Vision für das Jahr 2050
Nehmen wir an, Quantencomputer wären künftig universell einsetzbar. In Anbetracht der vielfältigen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen auf der Welt, aber auch eines Wettbewerbs um staatliche Einnahmequellen, könnten die Superrechner auch dazu dienen, einen globalen Ansatz für alle unternehmensbezogenen Steuern zu finden, der wirtschaftliche Fairness schafft. Theoretisch wäre eine Verbindung von leistungsfähigem Quantencomputing und komplizierten internationalen Steuerregeln möglich, auch wenn in der Praxis der dafür notwendige politische Kompromiss eine mindestens genauso hohe Hürde wäre wie die Anwendung der Technologie.
Visionen sind nicht nur erlaubt – sie sind geboten. So sollten etwa im Jahr 2050 die Ausgleichs- und Lenkungsfunktionen nationaler Besteuerungssysteme auf ein globales, einheitliches, alle unternehmensbezogenen Steuern betreffendes System ausgeweitet werden. Bislang ist ein solches System schon aus technischer Perspektive kaum umsetzbar. Heutige Rechner sind nicht schnell genug, um auf der Basis von Gesetzesänderungen die Steuerwirkungen in Echtzeit, weltweit und für jeden Staat einzeln aufzuzeigen und die Durchsetzung der Regelungen zu überwachen. Eine Vielzahl sehr leistungsfähiger Quantencomputer hingegen könnte große Datenmengen deutlich schneller analysieren und auswerten.
Ein konkretes Anwendungsbeispiel: Kommunen finanzieren ihren Haushalt größtenteils aus Gewerbesteuereinnahmen, die jedoch konjunkturbedingten Schwankungen unterliegen. Mithilfe von Quantencomputern könnten anhand einer Vielzahl von Variablen die erwarteten Einnahmen der Unternehmen und damit der Kommunen prognostiziert und durch einen Zuschlag zur Ertragsteuerbelastung erhoben werden. So könnte etwa vermieden werden, dass notwendige Sanierungen öffentlicher Einrichtungen um Jahre verschoben werden müssen. Grundlage für Verteilungen zwischen den Kommunen könnten Rechenmodelle sein. In der aktuellen Pandemiesituation mag keine größere Ladenkette an eine Umverteilung von reichen zu armen Kommunen denken, jedoch wird es irgendwann wieder darum gehen, Einkaufsmeilen und Marktplätze mit Leben zu befüllen.
Auch bei der anstehenden Grundsteuerreform in Deutschland sind Daten zu Immobilien und Flächen dringend gesucht. Die Öffnungsklausel ermöglicht es Bundesländern, vom Bundesgesetz abweichende Grundsteuerreformen auf den Weg zu bringen. Einzelne Bundesländer veröffentlichen bereits erste Gesetzentwürfe. Jedoch wären alle auf der sicheren Seite, wenn Immobiliendaten vorlägen und die Länder nicht anhand verschiedener Modelle künftige für ihre Einnahmen wertbildende Attribute zur Steuerfestsetzung generieren müssten.
Aus politischer Sicht wäre die Realisierung eines globalen Steuerleitsystems eine Herkulesaufgabe. Neue nationale und internationale Normen müssten festgesetzt, Bemessungsgrundlagen definiert und Kontrollgremien einberufen werden. Jedoch zeigt das BEPS-Projekt, dass eine engere Zusammenarbeit in sensiblen, tief in die nationale Souveränität eingreifenden Steuerfragen durchaus möglich wäre oder aber anonymisierte Daten den Entscheidungsträgern in Echtzeit zur Verfügung stehen könnten.
Fazit
Der Einsatz von Quantencomputern würde in der Steuerwelt einen ökologischen, ökonomischen und sozialen Mehrwert schaffen. Politik und Wirtschaft sollten die Möglichkeiten der Zukunftstechnologie auf der Agenda haben, selbst wenn diese noch in weiter Ferne zu liegen scheinen. Vor ein paar Jahren hat es auch noch niemand für möglich gehalten, dass künstliche Intelligenz Einzug in unternehmerische Entscheidungsprozesse findet.
Dieser Artikel ist zuerst im Fachmagazin beck.digitax Heft 6/2020 erschienen.