5 Minuten Lesezeit 29 August 2019
Geschäftsmann auf einem E-Scooter in der Stadt - Elektromobilität

Wie die Balance zwischen Mobilität und lebenswerter Stadt gelingt

Von Constantin Gall

Managing Partner Strategy and Transactions

Hat jahrzehntelange Erfahrung in der Strategie- und Transaktionsberatung sowie in der Automobilbranche. Ist auch privat ein Autoenthusiast und geht gerne mit Familie und Freunden auf Reisen.

5 Minuten Lesezeit 29 August 2019

In einem Ökosystem Mobilität müssen viele Akteure zusammenarbeiten. Wie das Zusammenspiel funktioniert, lässt sich herleiten

Ab Mitte Juni 2019 ist es im deutschen Straßenverkehr voller geworden. Seit der Gesetzgeber E-Scooter gestattet hat, stellen immer neue Anbieter Leih-Tretroller mit Elektroantrieb in deutschen Städten auf.

Ob die Hoffnung aufgeht, dass viele Bürger ihr Auto stehen lassen und auf die Kombination von E-Scooter und öffentlichem Nahverkehr umsteigen, muss sich noch zeigen. Bislang nehmen vor allem Touristen das Angebot gerne wahr, um die Stadt bequem auf zwei Rädern zu erkunden. E-Scooter ziehen damit eher Fußgänger als Autofahrer an, was die vollen Straßen nicht entlastet. In Paris, Wien oder Berlin stoßen die Massen an E-Scootern bereits auf Ablehnung bei vielen Bürgern.

E-Scooter in Deutschland

13.200

Elektro-Tretroller waren im Juli 2019 auf den deutschen Radwegen und Straßen unterwegs.

Nun sind E-Scooter eine vergleichsweise kleine Ergänzung des bestehenden Mobilitätsangebotes aus Auto, Bahn, Fahrrad und öffentlichem Nahverkehr. Doch bereits hieran zeigt sich, dass das Ökosystem sehr sensibel auf Veränderungen reagiert.

Die Konkurrenz um den öffentlichen Raum – sei es um Parkplätze, Grünflächen, Straßen oder Wohnraum – nimmt in Anbetracht des Wachstums der Städte in Zukunft eher zu als ab.

Wie wird die Reaktion erst auf künftige Mobilitätskonzepte wie autonome Fahrzeuge, Paketdrohnen oder Flugtaxis ausfallen? Sollte man einfach abwarten und darauf vertrauen, dass sich eine Balance von selbst einstellt? Schon jetzt, und auch in Zukunft, bedarf es einer angebotsübergreifenden Koordination.

Der lange Weg zum Gleichgewicht

Die Konkurrenz um den öffentlichen Raum – sei es um Parkplätze, Grünflächen, Straßen oder Wohnraum – nimmt in Anbetracht des Wachstums der Städte in Zukunft eher zu als ab. Insbesondere die historisch gewachsenen Städte in Europa sind nicht auf Massen von Fahrzeugen ausgelegt. Fahrradwege sind häufig zu wenig oder gar nicht vorhanden. Lieferfahrzeuge blockieren aus Platzmangel die Fahrbahn, Fußgänger- oder Radwege. Autofahrer suchen oft lange nach einem Parkplatz.

Dass es so nicht weitergehen kann, ist vielen bewusst. Jahrzehntelang stand das eigene Auto für Freiheit und Mobilität. Das Gefühl der Freiheit verblasst jedoch angesichts überfüllter Straßen und langwieriger Parkplatzsuche. Mit Blick auf die Kosten stellen sich viele Menschen die Frage, ob sich ein eigenes Auto lohnt – zumal es die meiste Zeit nur steht.

Schon vor der Debatte um die Belastung durch Feinstaub und Kohlendioxid in den Städten haben Umweltaspekte an Bedeutung gewonnen. Alternative Angebote wie Carsharing und Ridesharing, ein verbesserter öffentlicher Nahverkehr oder Leihfahrräder erleichtern es, auf ein eigenes Auto zu verzichten. Auch Entwicklungen wie der Online-Handel oder Homeoffice relativieren den Bedarf an individueller Mobilität.

Kurzfristig wird es noch enger auf Straßen, Parkplätzen, Rad- und Fußwegen.

Neue Angebote wie die E-Scooter ergänzen das bestehende Mobilitätsangebot. Um von den Nutzern als wirkliche Alternative zum eigenen Auto akzeptiert zu werden, müssen die Sharing-Angebote als stets verfügbar, zuverlässig und preislich attraktiv gelten. Kurzfristig wird es noch enger auf Straßen, Parkplätzen, Rad- und Fußwegen. Entfernen wir uns mit neuen Angeboten also noch weiter von dem Ideal einer lebenswerten Stadt? Erreichen wir das Gegenteil von Balance?

Mobil in einer lebenswerten Stadt

Damit aus vielen einzelnen Konzepten ein übergreifendes Mobilitäts-Ökosystem entsteht, müssen unterschiedliche Akteure zusammenarbeiten. Die Zukunft der urbanen Mobilität erfordert Innovation, Koordination und Investitionen – und eine aufeinander abgestimmte Strategie. Nachhaltigkeit könnte als gemeinsames Leitmotiv dienen. Die Städte und Kommunen, Nutzer und Anbieter haben dabei unterschiedliche Perspektiven und Interessen, die es zu berücksichtigen gilt.

  • EY-Initiativen für Mobilitäts-Ökosysteme

    Um ein ausbalanciertes Mobilitäts-Ökosystem zu erreichen, bedarf es der übergreifenden Zusammenarbeit verschiedener Akteure.

    Ein Beispiel für diesen Cross-Sektor-Austausch ist die 2016 gegründete Plattform „Urbane Mobilität“ des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), moderiert von EY. Sie hat das Ziel, im Dialog zwischen Städten und Industrie ein gemeinsames Verständnis darüber zu entwickeln, die die urbane Mobilität der Zukunft gestaltet werden kann. Auf dieser Basis will die Plattform gemeinsame Pilot- und Umsetzungsprojekte durchführen.

    Darüber hinaus arbeitet EY an Software-Lösungen, um auf Grundlage von verfügbaren Daten und unter der Einbeziehung verschiedener Akteure Plattformgeschäfte für die urbane Mobilität zu realisieren. Die cloudbasierte Lösung m.hub dient beispielsweise als Basis für dEYnapark – ein multimodales Park&Ride-Angebot, das Nutzer, Parkraumbewirtschafter, Städte und Mobilitätsanbieter zusammenbringt, um eine nachhaltige, effiziente und emissionsarme Mobilität zu ermöglichen.

Die Nutzer wollen einfach, schnell, sicher und bezahlbar von A nach B kommen.

Was können Nutzer, Städte und Mobilitätsanbieter tun?

Die Städte haben ein Interesse an einer optimalen Auslastung der vorhandenen Infrastruktur: Intelligente Parksysteme, die Steuerung des Verkehrsflusses in Echtzeit oder Anreize zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs in Zeiten hoher Verkehrsbelastung sind nur einige Konzepte von vielen. Die Städte legen dabei die Ziele und Rahmenbedingungen fest, allerdings müssen sie das schneller tun als bisher. Mit der dynamischen Entwicklung der Mobilitätsangebote können langwierige Prozesse derzeit nicht mithalten – siehe das Beispiel E-Scooter. 

Die Nutzer wollen einfach, schnell, sicher und bezahlbar von A nach B kommen. Je nach Bedarf entscheiden sie sich für die passende Option – mit dem Leihfahrrad zum Supermarkt, mit der S-Bahn zur Arbeit, eine Spritztour am Wochenende mit einem Carsharing-Fahrzeug. Um das passende Angebot ohne viel Aufwand zu finden, erwarten die Nutzer übergreifende Konzepte, die sämtliche Angebote mit einer transparenten, unkomplizierten Bezahlung verknüpfen.

Für die Anbieter von Mobilitätslösungen stehen neben einem wirtschaftlich tragfähigen Geschäftsmodell auch Innovationskraft oder ein positives Image, etwa durch die Reduktion der CO2-Emissionen oder die Nutzung von Ökostrom, im Fokus.

Wann lohnt sich das Ökosystem Mobilität für alle Akteure?

Um die komplexen Zusammenhänge, Wechselwirkungen und den jeweiligen Beitrag der einzelnen Akteure zum Ökosystem Mobilität besser verstehen zu können, lassen sich diese aus unterschiedlichen Perspektiven bewerten und quantifizieren.

Kostenfaktor von E-Scootern

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Minuten Fahrt mit dem Elektro-Tretroller sind bei vielen Anbietern teurer als ein Kurzstreckenticket im Nahverkehr.

Am Beispiel der E-Tretroller werden dazu Indikatoren und Kriterien definiert, die sowohl die heutigen Gegebenheiten als auch die erwartete künftige Entwicklung berücksichtigen. Neben rechtlichen Rahmenbedingungen sind dies etwa ökologische, ökonomische und soziale Aspekte. Während E-Scooter hinsichtlich ihrer Flächeneffizienz eher gut abschneiden, ist ihr Kostenfaktor bereits in die Kritik geraten. Bei einigen Anbietern übersteigt der Preis bereits ab einer Fahrt von fünf Minuten die Kosten eines Kurzstreckentickets im Nahverkehr.

Solche und weitere beispielhaften Aspekte werden unter den sozialen Gesichtspunkten der bezahlbaren Mobilität herangezogen. So geben sie einen Einblick in die Zusammenhänge, die zur analytischen Betrachtung eines nachhaltigen Gleichgewichtes für das Ökosystem Mobilität notwendig sind.

Fazit

Die Zukunft der urbanen Mobilität erfordert Innovation, Koordination und Investitionen. Damit aus vielen Einzelkonzepten ein übergreifendes Ökosystem Mobilität entsteht, müssen die Interessen unterschiedlicher Akteure berücksichtigt werden. Ihr jeweiliger Beitrag und die gegenseitigen Einflüsse lassen sich bewerten.

Über diesen Artikel

Von Constantin Gall

Managing Partner Strategy and Transactions

Hat jahrzehntelange Erfahrung in der Strategie- und Transaktionsberatung sowie in der Automobilbranche. Ist auch privat ein Autoenthusiast und geht gerne mit Familie und Freunden auf Reisen.