7 Minuten Lesezeit 23 September 2021
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Autonomes Fahren: Warum datengestützte Entwicklung so wichtig ist

Autoren
Constantin Gall

Managing Partner Strategy and Transactions

Hat jahrzehntelange Erfahrung in der Strategie- und Transaktionsberatung sowie in der Automobilbranche. Ist auch privat ein Autoenthusiast und geht gerne mit Familie und Freunden auf Reisen.

Jan Sieper

Partner Strategy and Transactions, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Ist Stratege und Umsetzer für die Digitalisierung des Autos und die Mobilität von morgen.

7 Minuten Lesezeit 23 September 2021

Die Entwicklung autonomer Fahrzeuge ist eine vielschichtige Herausforderung. KI und Daten können die Automobilbranche hierbei unterstützen.

Überblick
  • Die Entwicklung autonomer Fahrzeugsysteme und die zunehmende Menge von realen und synthetischen Daten, stellt Unternehmen vor zahlreiche Herausforderungen.
  • Lineare Entwicklungsprozesse sind nicht zeitgemäß. Automobilfirmen sollten einen kontinuierlichen und integrierten Entwicklungs- und Testansatz verfolgen.
  • Hersteller müssen die Softwareentwicklung für autonome Fahrzeugsysteme mithilfe Künstlicher Intelligenz und der intelligenten Nutzung von Daten neu gestalten.

Bei der Entwicklung, Markteinführung und dem Betrieb von autonomen Fahrzeugen gibt es so einige Hürden zu überwinden. Ob es um die Einhaltung rechtlicher Bestimmungen geht, um geringe Akzeptanz seitens der Kunden oder um die Suche nach tragfähigen Geschäftsmodellen – die Risiken und Kosten aufgrund der Entwicklungskomplexität von fahrerlosen Fahrzeugen sind hoch. Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren bei Entwicklung und Betrieb autonomer Fahrzeuge ist eine konsequent datengestützte Entwicklung. Dies beinhaltet die Fähigkeit, Daten sicher und effizient zu sammeln sowie zu verarbeiten und ein wirkliches Verständnis der riesigen Datenmengen zu entwickeln. All dies erfolgt in Milliarden von unterschiedlichen Umweltszenarien.

Fahrzeugsensoren (Radar, Lidar, Kamera, Ultraschall) und Echtzeitkarten sind Datenquellen aus der realen Welt. Allerdings reichen die von ihnen gesammelten Informationen nicht aus, um alle möglichen Situationen abzudecken, denen ein autonomes Fahrzeug begegnen kann. Es müssen zusätzlich synthetische Daten gewonnen werden. Unter anderem werden Szenarien generiert und der Daten-Output von simulierten Systemen in offener und geschlossener Schleife gesammelt. Die Menge dieser synthetischen Daten ist deutlich größer als die Daten der realen Welt. Daraus resultiert eine Gesamtdatenmenge, deren Volumen von mehreren Hundert Petabytes bis zu einigen Exabytes reichen kann.

Automatisierung: Autobranche steht vor neuen Herausforderungen

Die Automobilindustrie vollzieht den nächsten Schritt von der fortgeschrittenen Fahrerassistenz (L2+) hin zu Fahrzeugen, die teilweise, stark oder vollständig automatisiert sind (L3-L5). Dabei ergeben sich Herausforderungen primär auf dem Gebiet der Datenverarbeitung, da die Anzahl der für Entwicklung und Validierung benötigten Szenarien in die Millionen oder Milliarden steigt:

  • Datenmengen und -komplexität steigen exponentiell, überschreiten die Möglichkeiten der etablierten IT-Architekturen und bringen sogar das Fassungsvermögen öffentlicher Clouds an ihre Grenzen.
  • Automobilhersteller und -zulieferer kämpfen mit der Herausforderung, existierende Entwicklungsprozesse an die Erfordernisse der Entwicklung des autonomen Fahrens (AD) anzupassen. Ein auf künstliche Intelligenz (KI) fokussierter Ansatz wird benötigt, der auf der nahtlosen Integration von realen und synthetischen Daten basiert.
  • Neuartige Technologien und Datenströme erfordern neue Konzepte. Die Automobilindustrie muss nicht nur eine softwarezentrierte, sondern eine datenzentrierte Kultur entwickeln.
  • Die fünf SAE-Level des automatisierten Fahrens

    Level 1 (L1): Assistiertes Fahren

    Level 2 (L2): Teilautomatisiertes Fahren

    Level 3 (L3): Hochautomatisiertes Fahren

    Level 4 (L4): Vollautomatisiertes Fahren

    Level 5 (L5): Autonomes Fahren

    Quelle: Society of Automotive Engineers (SAE)

Diese zentralen Herausforderungen einer datengestützten Entwicklung von AD, sind ergänzend zu den allgemeinen Herausforderungen bei der der Entwicklung eines softwaredefinierten Fahrzeugs zu betrachten. Außerdem wird die wachsende Anzahl an AD-Fahrzeugen auf den Straßen dafür sorgen, dass zusätzlich steigende Mengen an Echtzeitdaten konsumiert und generiert werden. Diese erfordern eine intelligente dezentrale Verarbeitung im Fahrzeug („edge-computing“).

Autonomes Fahren benötigt neu gestaltete Prozesse

Bei einer direkten, intelligenten Verarbeitung von Echtzeitinformationen ist die Rolle von Daten und KI wesentlich größer als bei traditionellen, sequenziellen Entwicklungsprozessen (V-Modell). Es wird unabdingbar, Systeme basierend auf realen und synthetischen Daten zu trainieren und zu validieren. Daher sollten existierende Prozesse, Werkzeuge, Methoden, Architekturen und sogar Kulturen der Entwicklung an agile, datengestützte Entwicklungsansätze angepasst werden.

Aus der Sicht von EY und Luxoft sollten insbesondere drei Bereiche innerhalb einer datengestützten Entwicklung berücksichtigt werden, um das AD-Prozessdreieck effizient zu implementieren:

  1. Daten: Datenmanagement und KI in großem Maßstab, unter Integration realer, hybrider und synthetischer Daten.
  2. Software: Eine kontinuierliche Integration und Bereitstellung über den ganzen Soft- und Hardware-Entwicklungsprozess, die den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs abdeckt.
  3. Automatisierung: Die vollständige Automatisierung, um Fahrfunktionen innerhalb von Milliarden von Szenarien kontinuierlich zu validieren und zu verbessern.

Die Daten- und Softwareprozesse müssen von Anfang an in einer fortlaufenden Schleife zusammengebracht werden.

  • EY und Luxoft – eine gemeinsame Initiative

    EY und Luxoft bündeln ihre Erfahrungen als Unternehmensberater, Entwickler von Ökosystemen, digitale Designer und Software-Ingenieure, um die Probleme zu beleuchten, mit denen die Akteure im Automobil-Ökosystem konfrontiert sind. Ziel ist es, Erkenntnisse zu teilen und Empfehlungen auszusprechen, damit Herausforderungen überwunden oder sich bietende Chancen genutzt werden können. Dies betrifft die Themen autonomes Fahren, Aufbau von effizienten F&E-Funktionen und die Gestaltung eines herausragenden Kundenerlebnisses.

Die Daten und KI-Schleife

Gigantische Mengen an realen und synthetischen Daten werden kontinuierlich verarbeitet, um wahre Daten zu generieren sowie einen Algorithmus zu trainieren und fortlaufend weiterzuentwickeln, der Milliarden von Szenarien abdecken soll. Dieser Prozess endet nie, denn die Realität ändert sich schneller, als dieser Artikel geschrieben werden kann. Zudem ist es erforderlich, immer wieder neue Grenzfälle so schnell wie möglich zu identifizieren und herauszufiltern.

Die Software und Hardwareschleife

Die geschulte KI muss parallel in die Software und in das Fahrzeug gebracht werden. Auf jeder Stufe des Systems (Komponente, Funktion, Sub-System, komplettes System) muss zur Simulation eine Testreihe mit realen, synthetischen und hybriden Daten durchgeführt werden. Diese Tests sind mit unterschiedlichen HIL-Schritten (HIL = Hardware in the Loop; Testverfahren bei dem die zu testenden Komponenten in eine simulierte Anwendungsumgebung integriert werden) bis auf die Stufe des Fahrzeugs auszuführen. Der volle Umfang dieser Testreihen multipliziert mit sämtlichen verfügbaren Testszenarien ergibt die erforderliche Testmenge, um das korrekte Verhalten in allen operativen Einsatzbereichen („operational design domain“, kurz: ODD) nachzuweisen und schlussendlich die automobilen  Sicherheitsbestimmungen und Zulassungsvoraussetzungen zu erfüllen (Soft- und Hardwareschleife).

Vollständige Automatisierung

Um die Daten- und KI-Schleife und die Soft- und Hardwareschleife auszuführen und zu integrieren, werden ein kontinuierliches Datenmanagement, eine Verarbeitung in neuem Maßstab sowie CI/CD (Continuous Integration/Continuous Delivery, also die Sammlung von Techniken, Prozessen und Werkzeugen, um die Softwareentwicklung und -auslieferung zu optimieren) benötigt. Etablierte Prozesse und Systeme sollten nahtlos mit datengestützten Entwicklungsprozessen und -systemen integriert werden. Eine Entwicklungsumgebung, die es ermöglicht, alle Testarten für sämtliche Codeübergaben automatisch anzustoßen, durchzuführen und zu analysieren, verkürzt die Feedbackschleifen deutlich. Dies würde es wiederum den Entwicklungsspezialisten gestatten, nahezu ihre vollständige Zeit der Entwicklung von Funktionalitäten für die autonomen Fahrzeuge zu widmen.

Ausblick: Datenintegration und Künstliche Intelligenz als Erfolgsfaktoren

Datengestützt und KI-basiert wird sich die Softwareentwicklung für autonome Fahrzeugsysteme beschleunigen und verändern. Hierbei ist es von grundlegender Bedeutung, dass die Daten- und Software-Entwicklungsprozesse kontinuierlich interagieren und nicht als sequenzielle Prozesse betrachtet werden, die sich innerhalb von isolierten, funktionalen Entwicklungsteams und -abteilungen abspielen.

Dies ist mit der traditionellen Software-Architektur in Fahrzeugen oder deren evolutionärer Entwicklung nicht umsetzbar, denn dadurch würden die Fähigkeit eingeschränkt, den zukünftigen Daten- und KI-Anforderungen gerecht zu werden. Benötigt werden stattdessen eine echte Trennung von Soft- und Hardware, mehr Rechnerleistung und stärker spezialisierte Prozessoren, höhere Speicherkapazitäten, zentraler Zugriff auf von Fahrzeugsensoren generierte Daten und eine dynamische Nutzlastverteilung. Gleichzeitig muss die Integrität des gesamten sicherheitsrelevanten Systems erhalten bleiben.

Damit dies geschehen kann, sollten Automobilhersteller dringend Programme implementieren, um ihre Entwicklungstoolchain (systematische Sammlung von Werkzeug-Programmen in der Softwareentwicklung) neu zu gestalten. Dies sollte sämtliche Stränge der Entwicklung mit Fachleuten aus unterschiedlichen Bereichen (bspw. Automotive, Systemtest) umfassen. Benötigt werden eine Basis und ein Systemdesign, die skalierbar sind und Schritt für Schritt erweitert werden können.

Simulation und Virtualisierung sind in der Entwicklung richtungsweisend, wenn sehr viel komplexere Softwaresysteme in kürzerer Zeit implementiert, ein schnelleres Feedback (CI/CD) erzielt und dabei bereits erreichte Reife- und Qualitätsniveaus insgesamt erhalten werden sollen.

Fazit

Bei der Entwicklung und dem Betrieb autonomer Fahrzeuge stehen Automobilherstellern eine wachsende Menge an realen, durch Fahrzeugsensoren erzeugten, und synthetischen, durch Computerszenarien generierten, Daten zur Verfügung. Diese Daten sollten Unternehmen nutzen, um mithilfe von Künstlicher Intelligenz Softwarelösungen für die autonomen Fahrzeugfunktionen effizient in Serie zu bringen. Ein kontinuierlicher und integrativer Entwicklungsprozess ist dabei unerlässlich.

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Constantin Gall

Managing Partner Strategy and Transactions

Hat jahrzehntelange Erfahrung in der Strategie- und Transaktionsberatung sowie in der Automobilbranche. Ist auch privat ein Autoenthusiast und geht gerne mit Familie und Freunden auf Reisen.

Jan Sieper

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