Der Elektrotrend setzt sich auch im ersten Halbjahr 2021 fort, mit noch höheren Wachstumsraten – 140 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Diese Entwicklung wird sich noch beschleunigen, getrieben durch die immer härtere Regulierung und die Zielsetzungen für die CO2-Reduzierung, insbesondere in den Städten, die wachsende gesellschaftliche Akzeptanz der Elektrofahrzeuge und den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Nicht zuletzt bedeutet das Mitte Juli vorgeschlagene „Fit für 55“-Paket der EU ein Verkaufsende für neue Verbrenner im Jahr 2035.
Transformation hin zur Elektromobilität: Die Frage ist nicht, ob, sondern wie schnell
Die Herausforderungen für heute marktbeherrschende Akteure ist demnach, die Transformation zu den Geschäftsfeldern der Zukunft zu meistern, ein wesentlicher Zweig darin die Elektromobilität. Ob dies jedem Markteilnehmer gelingen wird, bleibt offen. Was an der Vielzahl der verkündeten Strategien und Zielsetzungen des Wandels hin zur elektrischen Flotte aber klar ersichtlich ist: Die traditionellen Automobilhersteller wissen um die Notwendigkeit, ihr Geschäft nachhaltig und CO2-neutral neu aufzustellen. Faktisch im Wochentakt verkünden Hersteller diverse Strategien zur Hybridisierung oder Elektrifizierung ihrer Flotten. Manche Hersteller erhöhen die Zielsetzungen für den Anteil elektrischer Fahrzeuge an den Neuverkäufen, während andere den Marktstart elektrisch betriebener Modelle vorziehen oder ihre eigene Zeitleiste für die Dekarbonisierung von Flotte und Unternehmen unterbieten.
Aktienkurse von aufstrebenden Elektrofahrzeugherstellern markierten zu Beginn dieses Jahres im Wochentakt neue Rekorde – doch wie reagieren die Kapitalmärkte auf die strategischen Ausrichtungen der traditionellen Hersteller? Auf den Kapitalmärkten spielen Zukunftsfähigkeit und Unsicherheit neben aktuellen Ergebnissen eine wesentliche Rolle. Wenn Analysten oder Investoren die Zukunftserwartungen an einen etablierten Automobilhersteller nicht sicher modellieren können, schreiben sie den Geschäftsmodellen deutlich höhere Risikofaktoren zu – was eine deutlich niedrigere Bewertung zur Folge hat. Und auch die Equity Story gilt es auf keinen Fall zu unterschätzen. Welche strategische Ausrichtung der Automobilhersteller wird auf den Kapitalmärkten entlohnt? Wie wichtig das ist, sieht man am rapiden Aktienkursverfall einer bis vor kurzem gehypten US-Ikone der Elektromobilität und am gleichzeitigen Kursgewinn eines der traditionellsten europäischen OEMs nach dessen Future Mobility Day.
Kapitalmarkt belohnt ein strategisch ausgerichtetes nachhaltiges Portfolio
Eine aktuelle Analyse von EY im Zeitraum von Mitte 2020 bis Ende Juni 2021 befasst sich mit der Frage, wie die Aktienkurse von 14 Automobilherstellern auf Ankündigungen der Umstellung des Portfolios auf elektrische betriebene Fahrzeuge (EV) reagieren, häufen sich doch gerade die Ankündigungen von Herstellern weltweit zum Thema „Ausstieg aus dem Verbrenner“. Diese strategische Ausrichtung ist mit massiven Investitionen, Umbrüchen in der Belegschaft und Unsicherheit in der künftigen Entwicklung verbunden – und dennoch reagiert der Kapitalmarkt eher positiv auf solche Ankündigungen.
Abschließend lässt sich sagen, dass sich die Ankündigung eines nachhaltigen Produktportfolios grundsätzlich lohnt, allerdings häufig noch verbunden mit der einschränkenden Antwort „Ja, aber …“. Von der überwiegenden Mehrheit der etablierten Automobilhersteller waren in jüngster Zeit portfoliobezogene Ankündigungen ihrer Neuwagenverkäufe zu finden, die in eine von drei Kategorien geclustert werden können:
- allgemeine Kommunikation zur Hybridisierung (HEV und PHEV) der Flotte
- Anteil von EV-Verkäufen (unter 100 Prozent) bis zu einem bestimmten Zeitpunkt
- Ziel von 100 Prozent EV-Verkäufen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt
Eine Analyse von Aktienkursen etablierter Hersteller in den 14 Tagen nach öffentlichen Ankündigungen zum Portfolio-Redesign mit Blick auf Elektrofahrzeuge zeigt folgende Ergebnisse:
Die Auswertung zeigt: Je ambitionierter das geplante Portfolio-Redesign, desto höher die Outperformance im Vergleich zum Nasdaq Global Automobile & Parts Index. Eine nur leichte Anpassung des Produktportfolios beziehungsweise eine Hybridisierung führen allerdings im selben Vergleich eindeutig zu einer Underperformance des Aktienkurses in einem Untersuchungszeitraum von 14 Tagen.
Offenbar werden trotz aller damit verbundenen Anstrengungen für die betroffenen Unternehmen ein nachhaltiges Portfolio und ein klarer strategischer Ansatz für das Zeitalter der Elektrifizierung belohnt. Denn die ambitionierteren Strategien (100 Prozent EV) bringen Klarheit für die Zukunft und sorgen dafür, dass duale Strategien nicht mehr benötigt werden und nicht in Verbrennungsmotoren und EVs zugleich investiert werden muss. Letztlich ist in einem Produktportfolio, das nur aus EVs besteht, auch die Komplexität der Organisationsstrukturen geringer. Somit belohnen Anleger schnelle und klare Ansätze zur Erschließung der künftigen Geschäftsfelder, was zu einer Outperformance der Aktien führt.
Was abzuwarten bleibt: Nachdem sich die EU 2035 vom Verbrenner verabschieden will, sind die traditionellen Hersteller nun ohnehin unter noch stärkerem Zugzwang. Demzufolge ist fraglich, ob die Ankündigung eines elektrischen Anteils allein noch einen positiven Effekt haben wird – oder schlicht als Notwendigkeit oder sogar als zu langsam und zu wenig ambitioniert gewertet wird. Außerdem gilt es, die Frage nach der Bestandsflotte und deren weiterem Verbleib zu stellen – auch hier können mit kreativen Ansätzen neue Ertragsquellen und somit Aktienkursanstiege („share price accretion“) generiert werden. Letzteres ist auch nur den traditionellen OEMs vorbehalten, was gegebenenfalls mittelfristig nochmals zu einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse führen kann.
Wie der CEO eines deutschen Herstellers über einen US-amerikanischen Elektrofahrzeugpionier sagte: „Sie sind nicht überbewertet, wir sind unterbewertet.“ Ob das stimmt oder nicht, bleibt abzuwarten – aber das Rennen um Elektrifizierung und Nachhaltigkeit läuft, mit einem sich weiter intensivierenden Wettbewerb.
Co-Autoren: Philipp Pölz, Constantin Wirschke
Fazit
Die Automobilindustrie steht unter hohem Transformationsdruck hin zur Elektromobilität. Dies erfordert weitreichende Anstrengungen, eröffnet aber auch zahlreiche attraktive Potenziale. Dabei gilt es vor allem, die regulatorischen Vorgaben sowie technologische Entwicklungen frühzeitig zu antizipieren. Je umfassender der Wandel ist, desto höher honoriert dies der Kapitalmarkt, der damit als Beschleuniger des Transformationsprozesses fungiert?