Durch innovative Industriepolitik kann der Staat nun das gesamte Mobilitätsökosystem umgestalten, statt nur einzelnen Akteuren unter die Arme zu greifen.
Auch dieses Mal werden ohne staatliche Unterstützung viele Unternehmen der Branche in Existenznöte geraten. Die Frage ist nur, an welcher Stelle der finanzielle Defibrillator angesetzt werden soll. Bei den Herstellern, den Zulieferern, den Händlern – oder bedarf es eines holistischen Ansatzes, das gesamte Mobilitätsökosystem zu verändern und die hierfür relevanten Protagonisten zu unterstützen? Statt den Unternehmen der Branche direkt Geld zu zahlen, wären Förderungen oder die Vorfinanzierung der Entwicklung alternativer Antriebe wie Elektro oder Wasserstoff ebenso denkbar wie die Unterstützung der Produktion leistungsstarker Batterien oder der Aufbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur. Auch Steuererleichterungen für umweltfreundliche Fahrzeuge oder die vollständige Anrechnung der Investitionskosten auf die Steuerlast der Unternehmen können probate Mittel sein. Damit ließen sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Das eingesetzte Geld würde helfen, die Klimaziele zu erreichen und die gesamte Autoindustrie zu stützen.
Noch ist ebenfalls unklar, wie eine Wiederbelebung der Produktion funktionieren soll. Solange die Zulieferer keine Produkte liefern, können die Hersteller ihre Bänder nicht wieder anlaufen lassen. Doch Zulieferer können nicht in der bloßen Hoffnung produzieren, dass ihre Kunden ihnen die Ware abnehmen. Die Händler müssen öffnen, um verkaufen zu können. Auch die Zulassungsstellen müssen wieder arbeiten. Ein klassisches Henne-Ei-Problem. Vertreter der Branche forderten bereits ein koordiniertes Vorgehen – zumindest auf EU-Ebene, am liebsten weltweit.
Um die Branche nicht zusätzlich zu belasten, werden Stimmen laut, die CO2-Flottenregeln der EU zeitweilig außer Kraft zu setzen. Für die Branche ein schwieriger Spagat: Einerseits will sie nicht als Klimasünder dastehen. Davon zeugt das lautstarke Bekenntnis zu den Klimazielen. Andererseits wären Strafzahlungen in Milliardenhöhe eine zusätzliche Bürde. Eine mögliche industriepolitische Lösung wäre es, statt Strafzahlungen von der Autoindustrie Investitionen in gleicher Höhe in umweltfreundliche Technologien oder Mobilitätsinfrastruktur einzufordern.
Krise treibt Digitalisierung voran
Krisen waren schon immer ein Katalysator für Veränderungen. Wenn sich der aktuellen Situation wenigstens etwas Gutes abgewinnen ließe, dann, dass die COVID-19-Pandemie die Wirtschaft mit Turbogeschwindigkeit in die digitale Zukunft befördert. Corona zwingt viele Unternehmen und Institutionen, jetzt Innovation voranzutreiben. Arbeiten im Homeoffice ist selbst dort Pflicht, wo es noch vor wenigen Wochen undenkbar war. Die Autohersteller treiben die Digitalisierung beim Autoverkauf voran und arbeiten an flankierenden Dienstleistungen wie dem Hol- und Bringservice bei einer Testfahrt. Strategische Überlegungen, wie viel Hardware die Branche in Zukunft noch verkaufen kann und wie sich das Geschäftsmodell auf Mobilitätsdienstleistungen trimmen ließe, erfahren ganz neuen Nachdruck.
Abkehr von der Globalisierung?
Angesichts unterbrochener Lieferketten wird in Teilen der Automobilindustrie laut darüber nachgedacht, wie die Produktion resistenter werden kann. Selbst die heilige Kuh Just-in-time-Produktion steht auf dem Prüfstand, treten die Kosten eigener Lagerbestände zugunsten der Flexibilität in den Hintergrund. Schon ist die Rede von Reshoring statt Offshoring – also wieder selber produzieren statt weltweit einkaufen. Verfechtern des grassierenden Lokalpatriotismus in den USA, Russland oder der Türkei dürfte das Aufwind verschaffen. Was sie verschweigen ist, dass ihre Landsleute am Ende die Zeche in Form höherer Preise zahlen müssten. Langfristig lässt sich die Globalisierung wohl nicht zurückdrehen – auch nicht durch ein weltweites Virus.
Fazit
Weltweit hat die Produktion in den Autowerken eine Vollbremsung hingelegt. Die ersten zaghaften Wiederanläufe zeigen das Ausmaß der Misere – fragile Lieferketten sowie verstopfte Absatzkanäle. Wie stark die Bremsspur am Ende wird, ist noch unklar. Doch schon jetzt zeichnen sich einige Entwicklungen ab. Neue Kommunikationsmöglichkeiten werden künftig viele Dienstreisen ersetzen und die Branche benötigt staatliche Hilfen, die es aber ohne ein umweltschonendes Nachhaltigkeitsversprechen nicht geben wird. Zudem beschleunigt die Krise den Technologiewandel zu alternativen Antriebsformen.