9 Minuten Lesezeit 9 April 2019
Designer in Büro am Tablet

Wie Deutschland morgen arbeitet – Trends und Risiken bis 2030

Digitalisierung und automatisierte Produktionsprozesse werden die Arbeitswelt revolutionieren und neue Berufsbilder entstehen lassen.

Digitalisierung und Industrie 4.0 sorgen zunehmend für Veränderungen in der Arbeitswelt. Neue Technologien und automatisierte Prozesse verwandeln unsere Wirtschaft und unser Leben  grundlegend. Selbstfahrende Autos im Alltag und gedankengesteuerte Wearables werden schon bald keine Zukunftsmusik mehr sein.

Künftige Generationen werden in der Arbeitswelt von morgen Berufe ausüben, die es heute noch nicht gibt. Unsere Studie entwirft dafür verschiedene Szenarien und ermittelt die Trends und Risiken für die Zukunft der Arbeit bis 2030. Dabei zeigt sich, dass die deutsche Industrieproduktion zwar führend bei  der Automatisierung von Prozessen ist. Eine wesentliche Hemmschwelle für die weitere Digitalisierung hierzulande bildet aber die vor allem in ländlichen Gebieten fehlende Breitband-Infrastruktur.

Arbeitnehmer und Unternehmen können sich heute bereits für die Arbeitswelt 4.0 wappnen. Dafür sollte jeder bereit sein, neue Wege zu gehen: Für Berufstätige rücken Fähigkeiten wie Flexibilität und vernetztes Denken in den Mittelpunkt. Unternehmen sollten ihre Digitalisierung vorantreiben und ihre Mitarbeiter im digitalen Know-how schulen.

1. Kapitel: Deutschland auf Digitalisierungskurs

Der digitale Wandel in Deutschland schreitet voran, vor allem die Automatisierung der Industrie.

2. Kapitel: Jobverluste im Autobau, Wachstum in der IT-Industrie

Trends und Risiken, welche die Zukunft der Arbeit bis 2030 beeinflussen

3. Kapitel: Schreckgespenst Automatisierung

Fabriken werden immer intelligenter – wird der Mensch als Arbeitskraft überflüssig?

4. Kapitel: Was können Arbeitnehmer, Unternehmen und Regierungen tun?

Digitalisierung und Industrie 4.0 werden Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend verändern.

Geschäftsmann im Cafe
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Kapitel 1

Deutschland auf Digitalisierungskurs

Der digitale Wandel in Deutschland schreitet voran, vor allem die Automatisierung der Industrie.

Deutschland verfügt über eine High-Tech-Industrie mit gut ausgebildeten Fachkräften und über den größten Handelsüberschuss weltweit. Die Industrieproduktion hierzulande ist führend bei der Automatisierung von Prozessen: Mit 7,6 Robotern pro 1.000 Arbeitskräften in der Fertigung liegt Deutschland deutlich über dem EU-Schnitt von 2,7. Deutsche Unternehmen sind europaweit Vorreiter im Nutzen und Teilen elektronischer Informationen – ein Hauptindikator für die fortschreitende Vernetzung der Wirtschaft.

Auch außerhalb der Industrie wird die Digitalisierung angeschoben. Die Bundesregierung fördert die rasche Implementierung und Nutzung neuer Technologien mit Milliardeninvestitionen – zum Beispiel durch Programme wie den „DigitalPakt#D“ des Bundesbildungsministeriums zur Modernisierung der Schul-IT.

Gebraucht: MINT-Absolventen und Breitband-Infrastruktur

Im Zeitalter der Digitalisierung wächst die Bedeutung wissenschaftlicher Fächer wie Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) an Schulen und Universitäten. Bei der Zahl der MINT-Hochschulabsolventen liegt Deutschland zwar im europäischen Mittelfeld (Platz 11 von 28), rangiert damit aber noch über dem OECD-Schnitt. Mehr als ein Drittel der Absolventen des Tertiärbereichs erwirbt hierzulande einen Abschluss in den MINT-Fachrichtungen, während der OECD-Durchschnitt bei rund einem Viertel liegt.

Wesentliche Hemmschwellen für die weitere Digitalisierung bilden eine vor allem in ländlichen Gebieten fehlende Breitband-Infrastruktur sowie die zögerliche Einführung von E-Commerce durch Unternehmen – und das obwohl Deutschland eine der höchsten Raten für Online-Einkäufe in Europa verzeichnet.

Verhältnis Roboter zu Mensch

7,6

Roboter gibt es in Deutschland bereits je 1.000 Fabrikarbeiter. EU-weit sind es 2,7 Roboter.

Fertigungsstraße Automobilindustrie
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Kapitel 2

Jobverluste im Autobau, Wachstum in der IT-Industrie

Trends und Risiken, welche die Zukunft der Arbeit bis 2030 beeinflussen.

Infolge der demographischen Entwicklung werden deutschen Unternehmen im Jahr 2030 rund 3,5 Millionen Arbeitskräfte weniger zur Verfügung stehen als heute. Durch automatisierte Prozesse dürfte sich die Zahl der Beschäftigten vor allem im Automobilsektor quer durch alle involvierten Bereiche in etwa halbieren.

Gleichzeitig werden bis 2030 im deutschen Finanzsektor, in IT-Unternehmen, im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Immobilienbereich 3,8 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Dabei wird sich vor allem die IT-Industrie zum künftigen Wachstumstreiber für Deutschland entwickeln. Sollte das Digitalisierungstempo weiter anziehen, wird der Anteil des Finanzsektors und des IT-Geschäfts an der Gesamtwirtschaft um jeweils mehr als 40 Prozent steigen.

Fünf Trends für die Arbeit von morgen

  • Demografischer Wandel

    Die Vereinten Nationen prognostizieren für Deutschland einen Rückgang der Bevölkerung bis 2030. Gleichzeitig wird die Zahl der Pflegebedürftigen steigen, während Arbeitnehmer später in den Ruhestand gehen.

  • Maschinelles Lernen

    Innovative Technologien wie Machine Learning und Künstliche Intelligenz (KI) könnten sich als Produktivitätsmotor für zahlreiche Bereiche von Transport bis hin zur Herstellung erweisen und den digitalen Wandel beschleunigen.  

  • Vormarsch der Dienstleistungen

    Mit der Einführung neuer digitaler Anwendungen wächst auch der Dienstleistungssektor - häufig zu Lasten des traditionellen, herstellenden Gewerbes. Gleichzeitig entstehen neue Geschäftsmodelle, wie Software-as-a-Service (SaaS), die Unternehmen bestimmte Dienstleistungen zur Ergänzung ihres Portfolios bieten.

  • Digitales Know-how

    Digitale Fähigkeiten werden im Alltag und im Beruf immer wichtiger. Menschen sollten sich (fort-)bilden, Schulen ihre Lehrpläne anpassen. Zudem steigt der Bedarf an Fachkräften in Unternehmen.

  • Vernetzung

    Das Internet der Dinge (Internet of Things/IoT) sorgt für eine zunehmende digitale Verknüpfung von Anwendungen. Experten zufolge dürften bis 2020 gut 26 bis 50 Milliarden Endgeräte miteinander verbunden sein, was die Nachfrage von Unternehmen und Verbrauchern nach innovativen Lösungen weiter steigern wird.  

  • Weitere Trends

    Firmengröße

    Größere Unternehmen investieren zwar mehr in technologische Neuerungen als kleine und mittelgroße Firmen. Doch benötigen diese in der Regel auch mehr Zeit, um auf Trends zu reagieren als kleine Betriebe, in denen geringere strukturelle Hürden bestehen.

    Regierungsprogramme

    Regierungen entdecken Digitalisierung und Industrie 4.0 als wesentliche Wettbewerbsfaktoren und fördern deren Entwicklung. Mit der fortschreitenden Digitalisierung beginnt die Politik, verstärkt Innovationen durch Investitionen und Regulierung sowie durch Bildungsprogramme an Schulen und Hochschulen zu fördern.

    Jobverlust

    Nach wie vor herrscht Ungewissheit darüber, wie viele Stellen infolge der Automatisierung verloren gehen, wie viele neu geschaffen werden und wie viele Arbeitsplätze an die neuen Anforderungen angepasst werden müssen. Prognosen gehen davon aus, dass in den kommenden 20 Jahren bis zu 40 Prozent der Stellen der Automatisierung zum Opfer fallen werden.

    Clusterbildung

    Unternehmen tauschen zum gegenseitigen Vorteil verstärkt Wissen und Informationen untereinander aus. Das dürfte dazu führen, dass neue Gegenden wie das Silicon Valley entstehen, die zu einer Beschleunigung des digitalen Entwicklungstempos beitragen werden.

Fünf Risikofaktoren für die Arbeit von morgen

  • Regulierungstempo

    Neue Technologien werden innerhalb der Mitgliedsländer der Europäischen Union (EU), der USA oder Asiens unterschiedlich reguliert. Regierungen führen individuelle Vorgaben für neue Geschäftsmodelle, Blockchain-Technologien, Arbeitnehmerrechte oder Datenschutz ein. Uneinheitliche Rahmenbedingungen können langfristig zu einer Fragmentierung des Sektors führen. Außerdem ist teilweise noch offen, wann Regulierungen auf nationaler sowie auf internationaler und europäischer Ebene umgesetzt sind.

  • Digitale Bildung

    Der digitale Wandel stellt Verbraucher vor die Herausforderung, sich technologisches Know-how anzueignen. Wenn Firmen und Regierungen nicht entsprechende Bildungsmöglichkeiten anbieten, können technologische Lösungen nicht vollständig implementiert werden  umgekehrt kann ein entsprechendes Bildungsangebot den Standort stärken und das Digitalisierungstempo forcieren.

  • Zugang zu Kapital

    Die Einführung digitaler Technologien ist mit hohen Zusatzkosten verbunden. Kleine und mittelgroße Unternehmen in Deutschland benötigen daher häufig Unterstützung von Seiten der Politik oder privater Investoren. Die Verfügbarkeit von öffentlichen Geldern oder Fremdkapital wird die Geschwindigkeit beeinflussen, mit der neue Technologien eingeführt werden.

  • Akzeptanz

    Die Geschwindigkeit der Digitalisierung richtet sich maßgeblich nach der Nachfrage der Verbraucher nach einer engeren Vernetzung und Automatisierung. Die verbreitete Skepsis gegenüber Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) bremst weitere Entwicklungen in diesem Bereich.

  • Cyber-Sicherheit

    Die zunehmende Nutzung digitaler Technologien erhöht das Risiko von Datenverlusten, unbefugten Zugriffen und Systemausfällen. Fehlendes Vertrauen in die Cyber-Sicherheit kann die Nutzung von Robotics und vernetzten Systemen innerhalb eines Unternehmens beeinträchtigen.

  • Weitere Risiken

    Zugriff auf Technologien

    Die Einführung neuer Technologie-Plattformen verläuft häufig nicht linear und kann sich bisweilen verzögern. Patentfragen, Lieferengpässe und das Risiko, dass die Technologie nicht funktioniert, können den Zugang zu Innovationen beeinträchtigen.

    Arbeitskosten

    Je höher der Preis für Arbeitskosten, desto größer ist das Bedürfnis der Unternehmen nach Investitionen in eine zusätzliche Automation. Ein weiterer Zustrom von Arbeitskräften aus dem Ausland würde die Arbeitskosten niedrig halten und weniger Anreize zur Prozessautomatisierung geben.

    Immigration

    Die Entwicklung der Bevölkerungszahlen bis 2030 hängt stark von der Zahl der Einwanderer ab. Der Grad der Einwanderung wiederum hängt ab von externen Faktoren wie Konflikten oder Konjunktureinbrüchen in benachbarten Ländern.

Schweissroboter bearbeitet Unterbau
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Kapitel 3

Schreckgespenst Automatisierung

Fabriken werden immer intelligenter – wird der Mensch als Arbeitskraft überflüssig?

Digitalisierung, Automatisierung und Künstliche Intelligenz (KI) werden sich rasant weiterentwickeln und direkt in die Produktionsprozesse integriert.

Über den häufig beschriebenen Potenzialen von KI schwebt die Befürchtung vieler Menschen, durch den Einsatz von KI im Job überflüssig zu werden. Die Angst ist häufig unbegründet. Vielmehr bedeutet der Vormarsch neuer Technologien, dass Arbeit neu gedacht werden muss.

Die Rolle von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ändert sich. Es geht nicht mehr nur darum, als Mitarbeiter vorgegebene Aufgaben zu erfüllen, schließlich können Jobs und Arbeitsprozesse automatisiert werden. Der Fokus wird wieder mehr auf menschlichen Eigenschaften liegen, die nicht von Robotern oder KI ersetzt werden können. Empathie, Kreativität, vernetztes Denken und das Talent, andere und sich selbst zu inspirieren, werden zunehmend wichtiger.

Produktbesprechung in moderner Fabrik
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Kapitel 4

Was können Arbeitnehmer, Unternehmen und Regierungen tun?

Digitalisierung und Industrie 4.0 werden Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend verändern.

Industrie 4.0 als weitergehende Vernetzung von Menschen und Maschinen im Produktionsablauf und in den Wertschöpfungsketten wird für eine völlig neue Arbeitswelt und neue Arbeitsbiographien sorgen. Für Arbeitnehmer, Unternehmen sowie Länder und Regierungen entstehen neue Herausforderungen. Die notwendigen Weichen für die Arbeitswelt von morgen sollten heute bereits gestellt werden.

Organisationen haben jetzt die große Chance, den Begriff Talent neu zu denken.

Arbeitnehmer - Portfolio-Karrieren ausbauen

  • Lebenslanges Lernen und die Fähigkeit, neue Qualifikationen und Kompetenzen zu erwerben, werden essenziell.
  • Führungskräfte sollten sich auch mit übergeordneten Fragestellungen, etwa aus den Disziplinen Philosophie, Geschichte und Psychologie, beschäftigen.
  • Auch die Bereitschaft, neue Karrierewege zu erkunden, wird zunehmend wichtiger. Arbeitnehmer sollten flexibler und agiler werden, indem sie etwa regelmäßig ihren Job wechseln. Millennials sollten verschiedene Berufsbilder erkunden, um unterschiedliche Arbeitsweisen und Zusammenhänge kennenzulernen. Damit wandelt sich die klassische lineare Karriere zur Portfolio-Karriere mit einer Bandbreite an neuen Fähigkeiten.

Unternehmen - Mut zu Innovationen

  • Unternehmen sollten ihre Fortbildungsangebote für Mitarbeiter ausbauen und diese regelmäßig in zeitlich kurzen Abständen im Umgang mit digitalen Lösungen schulen.
  • Der Mittelstand als Rückgrat der deutschen Wirtschaft beschäftigt mehr als 60 Prozent der Arbeitnehmer. Gerade kleinere und mittelgroße Unternehmen müssen ihre Digitalisierung stärker vorantreiben, um Nachfrage und Kundenwünsche weiter erfüllen zu können. Zwar haben kleine Firmen häufig weniger finanzielle Spielräume bei der Entscheidung, auf welche neue Technologie sie setzen sollen. Eine allzu risikoscheue Einstellung wird jedoch dazu führen, dass Unternehmen vom Potenzial der Innovationen nicht umfassend profitieren können.
  • Industrie 4.0 wird in Schüben kommen, je nachdem, wann einzelne Technologien entwickelt und auf den Markt gebracht werden. Sorgfältige Tests innovativer Technologien sowie die Erarbeitung von Konzepten für eine Implementierung auf breiter Basis werden Firmen helfen, den Wert ihrer Investitionen zu maximieren und Produktivitätsgewinne zu sichern.
  • Die Manipulation von Daten durch Cyberkriminelle oder Systemausfälle haben bereits in der Vergangenheit zu Reputationsverlusten geführt. Daher sollten Unternehmen darauf achten, ihre Cybersecurity zu verstärken.
  • Ein klar definierter und von der gesamten Organisation getragener Unternehmenszweck („Purpose“) treibt Innovationen voran, fördert Teamwork und zielgerichtetes Arbeiten.

Politik und Gesellschaft - Treiber des digitalen Wandels

  • In Deutschland kann der digitale Wandel nur mit einer aktiven Beteiligung von Gesellschaft und Politik gelingen.
  • Die IT-Industrie wird ein künftiger Wachstumstreiber werden. Diese Rolle bringt hinsichtlich der Infrastruktur und Qualifikationen neue Anforderungen mit sich. Daher sollte die Schul- und Berufsausbildung im digitalen Zeitalter neu gedacht werden. Parallel dazu sind neue Regularien zum Schutz der Datensicherheit erforderlich.
  • Unternehmen und Regierungen sollten kooperieren und kurzfristig formale Prozesse etablieren, um Technologien zur Automatisierung von Abläufen zu erproben und zur Marktreife bringen zu können. Dies darf nicht in einem Vakuum, sondern im Rahmen eines kontrollierten und geregelten Verfahrens erfolgen.
  • Die Politik sollte den gesellschaftlichen Diskurs über das Potenzial von KI für die industrielle Wertschöpfung fördern. KI kann als Ressource eines Landes oder als Zugewinn für private Eigentümer betrachtet werden. Dies wird noch an Bedeutung gewinnen, wenn die Wertschöpfung durch Individuen in eine Wertschöpfung durch Technologien übergeht.

Es ist wichtig, dass Führungskräfte in der Lage sind, über die wirklich großen Fragen nachzudenken, zum Beispiel bei Kapitalismus, Klimawandel, Radikalisierung und den andauernden Herausforderungen für die Demokratie.

Fazit

Die Auswirkungen von Digitalisierung und Industrie 4.0 auf die Arbeitswelt werden nach wie vor unterschätzt. Welche Veränderungen sind bis 2030 zu erwarten? Wie können sich Arbeitnehmer, Unternehmen und Regierungen bereits jetzt auf die Arbeitswelt der Zukunft einstellen?

In der Studie „What if employment as we know today disappeared tomorrow?“ erkunden wir die derzeitigen Herausforderungen für Deutschland, untersuchen mögliche Veränderungen in verschiedenen Szenarien und beschreiben Weichenstellungen für die Arbeitswelt von morgen. 

Über diesen Artikel

Von EY Deutschland

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