EY: Können Sie uns an einem Beispiel erläutern, was Sie mit „zusammen denken“ meinen?
Christian Feuerherd: Es wird nötig sein, den Endenergieverbrauch von Gebäuden zu senken. Die Beschränkung auf Einzelmaßnahmen wäre jedoch, auf den gesamten Gebäudebestand gesehen, volkswirtschaftlich kostenineffizient. Es braucht hier vielmehr eine politische Steuerung, welche die vorhandenen Ressourcen am effizientesten einsetzt
Dabei müssen wir Infrastrukturen und Sektoren zusammen denken. Vor allem die Kommunen müssen relativ schnell dafür Sorge tragen, dass es einen zielgerichteten, konsistenten Weg nach vorn gibt, der alle relevanten Akteure aus Gebäude-, Energie- und weiteren Sektoren mit einschließt. Der Ausbau des Stromnetzes und der Wasserstoffinfrastruktur sowie die kommunale Wärmeplanung sind die großen Projekte, die auf allen Ebenen durchdacht werden müssen – hier braucht es ein Miteinander statt eines Gegeneinanders, um am Ende eine erfolgreiche Lösung zu haben.
EY: Trotz der aktuellen Hemmnisse und Probleme, in welchen Bereichen des Marktes haben Sie in den letzten Jahren Fortschritte gesehen?
Christian Feuerherd: Es gibt neben den ganzen Herausforderungen und Problemen in der Tat eine ganze Reihe von relevanten Entwicklungen, die wir bereits in der Vergangenheit beobachten konnten. Das BEW wird dafür sorgen, dass Technologien, die sich bislang aus ökonomischen Gründen nicht gegen bestehende Lösungen durchsetzen konnten, zunehmend einen Platz im System finden werden. Dazu zählen vor allen Dingen Wärmepumpen und „Power to Heat“-Anwendungen. Hierbei stellt die BEW nicht nur eine Förderung für die Anlagenerrichtung bereit, sondern auch eine Betriebskostenförderung, was zu einer noch größeren Verbreitung der Technologie beiträgt. Allerdings ist schon heute absehbar, dass das BEW dringend mit zusätzlichen Finanzmitteln ausgestattet und bis 2030 verlängert werden muss.
Der bereits erwähnte Grundsatz „Nutzen statt Abregeln“, also die Integration von „Power to Heat“-Anwendungen in die Wärmesysteme, ermöglicht eine Nutzung des überschüssigen erneuerbaren Stroms und wird bereits heute praktiziert. Diese Regelung läuft leider 2023 aus und sollte unbedingt bis 2030 verlängert werden.
EY: Wo sehen Sie noch Bedarf zur Weiterentwicklung von Technologien oder zur Ausweitung der Anwendungen von Technologien?
Christian Feuerherd: Auf der Grundlage der heute bekannten Technologien können wir bereits ein konsistentes und zukunftsfähiges Energiesystem bauen. Insbesondere im Speicherbereich gibt es Technologiebausteine, die wir heute zwar kennen, die aber noch keine echte Marktreife haben. Bei Vattenfall haben wir zum Beispiel Salz- und Eisenspeicher ausprobiert. Da wird es sicherlich noch weitere Anstrengungen brauchen, um die technologischen und ökonomischen Optima zu ergründen.
An den Fortschritten im Bereich der Wärmepumpe sehen wir jedoch sehr deutlich, dass sich die Anstrengungen lohnen und hier noch viel Potenzial zur Weiterentwicklung vorhanden ist.
EY: Was meinen Sie mit der Weiterentwicklung der Wärmepumpe genau?
Christian Feuerherd: Die Wärmepumpe hat in Deutschland leider noch immer einen schlechten Ruf. Im Neubau ist sie nicht mehr wegzudenken, aber im Bestand wird sie noch mit Zurückhaltung eingesetzt. Viele Leute denken, dass sie nur in gut gedämmten und mit Fußbodenheizung ausgestatten Gebäuden installiert werden kann, da die Vorlauftemperatur zu gering ist. Dieses Wissen ist veraltet: Für den Endnutzer im Gebäudebereich gibt es mittlerweile sogenannte Sanierungswärmepumpen, die effizient auch 70 Grad warmes Wasser in den Vorlauf einbringen können und somit auch mit alten Heizungssystemen kompatibel sind.
Wir selbst realisieren zusammen mit Siemens eine Hochtemperatur-Wärmepumpe am Potsdamer Platz in Berlin – dort erreichen wir bedarfsgerecht sogar noch höhere Temperaturen. Die Entwicklung befindet sich in vollem Gange und ist mit Blick auf Effizienzen und Kosten noch nicht am Ende angekommen.
EY: Welche Entwicklungspotenziale in Bezug auf die Wärmewende sehen Sie noch in Ihrem eigenen Unternehmen?
Christian Feuerherd: Im Hinblick auf den Technologieeinsatz für die Wärmewende gibt es einige offene Themen, die wir noch weitertreiben müssen. Unsere Erfahrung aus der Errichtung und dem Betrieb mit Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen deckt nicht die Kompetenzen ab, die es für zukünftige Technologien wie die Großwärmepumpe braucht – da müssen wir in die Ausbildung unserer lokalen Teams investieren und uns im Rahmen von echten Projekten ausprobieren. Gleichzeitig muss das Wissen in der Organisation so verbreitet werden, dass es die Basis für zukünftige Projektentwicklung bildet. Wir haben hierfür Reallabore mit verschiedensten Technologiekombinationen, an denen wir genau diese Dinge ausprobieren. Partnerschaften sind hierbei ein wichtiger Schlüssel, auch außerhalb der Energiewirtschaft. Heutzutage sind die Lösungen viel kleinteiliger als das frühere Geschäft mit Großkraftwerken.
EY: Muss sich Vattenfall noch stärker im Sinne der Sektorenkopplung öffnen?
Christian Feuerherd: Wir werden neue Partnerschaften eingehen, auch außerhalb der Energiewirtschaft. Mein Lieblingsbeispiel hierfür sind Partnerschaften mit Rechenzentrumsbetreibern. Deren Abwärme wird über das Dach abgeführt und wir sind ein neuer Abnehmer dafür. In der Vergangenheit war unser Geschäft häufig von klassischen Lieferantenbeziehungen abhängig. Die wird es in Zukunft sicherlich auch noch brauchen, aber eben auch sehr viel mehr Partnerschaften.
EY: Wie sieht in der nahen Zukunft das Zusammenspiel von Wärmeversorger und lokalen Stakeholdern aus?
Christian Feuerherd: Das geht nur im engen Zusammenspiel mit den Kundinnen und Kunden vor Ort, mit der Industrie sowie weiteren Stakeholdern im Rahmen einer kommunalen Wärmeplanung. Auch für andere Zukunftstechnologien benötigt es hier ein geordnetes Zusammenspiel.
EY: Eine weitere mögliche Zukunftstechnologie für klimafreundliche Wärme ist die Geothermie. Welches Potenzial sehen Sie in diesem Gebiet?
Christian Feuerherd: Das ist eine der Schlüsseltechnologien, vor allem die tiefe Geothermie. Leider tragen Geothermieprojekte Risiken in sich, die manchmal zu groß sind, um sie allein zu schultern. Manche Akteure wünschen sich eine Diversifikation dieser Risiken, verteilt auf verschiedene Träger. Spannend finde ich aber auch die Frage, ob die Unternehmen der Energiewirtschaft immer auch der Eigentümer und Betreiber der Geothermieanlage sein müssen oder ob es da nicht ganz andere Unternehmen gibt, die diese Aufgabe übernehmen. Wir wären dann als Wärmeversorger lediglich Abnehmer der Wärme aus der Anlage, die jemand anderem gehört und von ihm betrieben wird. Solche Konstellationen sind für uns in Zukunft durchaus denkbar.
EY: Mit dem Osterpaket 2022 will die Regierung den Ausbau der Erneuerbaren noch mehr beschleunigen. Wie bewerten Sie die Auswirkungen der Beschlüsse auf den Wärmesektor?
Christian Feuerherd: Das Paket kam in einer hektischen Zeit zustande. Aus Sicht der Wärme hat es noch nicht alle Bedürfnisse hinreichend gedeckt. Es hat zwar wichtige, aber eben nur kleine Impulse gesetzt. Das Osterpaket ist hauptsächlich ein wichtiger Hinweisgeber für das Thema Sektorenkopplung gewesen. Ausgelöst von den anvisierten Ausbauzielen der Erneuerbaren stellen wir uns auf wachsende Mengen fluktuierender Einspeisungen im Stromnetz ein. Genau dies löst wiederum Entwicklungen in der Wärme aus, sei es Power to Heat, Großwärmepumpen oder auch Energiespeicher und damit auch das Thema Wasserstoff.
Das Osterpaket war also wichtig, aber mein Gefühl ist, dass der Politik auch zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bewusst war, dass das noch zu wenig ist. Dies wurde deutlich, als das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zwei Tage nach der Verabschiedung des Osterpakets im Bundesrat bereits über neue Gebäudestandards diskutiert hat. Von daher gehe ich davon aus, dass noch ein umfassendes „Wärmepaket“ kommen wird, bei dem wir dann entsprechend die notwendigen Regularien und Anreize sowohl für den Wärmesektor als auch für den Gebäudesektor sehen werden.