Illustration: Umgeben von schwarzen Polygonen zeigt ein gebogener Pfeil aus Metall nach oben

Wie Unternehmen die Herausforderungen um Zölle, Blockaden und Disruption meistern können

Neue Lieferketten, neue Geschäftsmodelle und eine Neujustierung der Verrechnungspreise – mit einem Bündel von Maßnahmen können Unternehmen auf die neue Welt(un)ordnung reagieren.

Überblick

  • Unternehmen müssen sich an die neuen globalen Risiken anpassen, indem sie ihre Lieferketten und Geschäftsmodelle neu bewerten und optimieren.
  • Die aktuellen geopolitischen Spannungen und Handelskonflikte erfordern eine stärkere Resilienz und Flexibilität in den Wertschöpfungsketten.
  • Strategische Maßnahmen wie Zolloptimierung und die Überprüfung von Verrechnungspreisen sind entscheidend, um den Herausforderungen der Globalisierung 3.0 erfolgreich zu begegnen.

Anfang Februar erklärte der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, Moritz Schularick: „Die Zollkriege haben begonnen.“ US-Präsident Donald Trump hatte wenige Tage nach seiner Vereidigung 25 Prozent Zoll auf Waren aus seinen Abkommenspartnern Kanada und Mexiko und 10 Prozent Zusatzzölle auf (Ursprungs-)Waren aus China verhängt. Diese antworteten mit Gegenmaßnahmen, worauf wiederum die US-Regierung reagierte. Was manchen wie politische Spielchen erscheinen mag, setzt Tausende Unternehmen unter maximalen Stress. Kaum ein Land, kaum eine internationale Handelsverbindung ist vor plötzlichen Störungen sicher. Die Weltwirtschaft wird mit ihren Wertschöpfungsbeziehungen durcheinandergewirbelt. Hiervon sind multinationale Unternehmen, deren Wertschöpfungsketten sich über die gesamte Welt erstrecken, besonders betroffen.

Unternehmenslenker müssen im Jahr 2025 einmal mehr nicht nur taktische, sondern auch ihre strategischen Entscheidungen überdenken. Vorbei ist die Zeit grenzenloser Globalisierung, in der Handelshindernisse reihenweise fielen und Unternehmen ihre Wertschöpfungsketten einfach nach den günstigsten Produktionsstandorten und Handelsrouten der Welt knüpften. Die COVID-19-Pandemie, Lieferengpässe in China, gegenseitige Strafzölle zwischen den Wirtschaftsblöcken USA, China und EU, der Verlust osteuropäischer Märkte durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und nun die zweite Präsidentschaft von Donald Trump und die kommende einschneidende ESG-Regulatorik in der EU (CBAM, EUDR, CS3D usw.) – all diese Ereignisse bedeuten für Unternehmen: Sie müssen widerstandsfähiger gegenüber weiteren Disruptionen werden, gleichzeitig müssen die Strukturen wettbewerbsfähig und die Kosten unter Kontrolle bleiben.

Unternehmen könnten mit einer Vielzahl von Instrumenten auf die neue Handelsordnung reagieren. Der Instrumentenkasten reicht von taktischen Maßnahmen im Bereich der Zolloptimierung und Verrechnungspreisgestaltung (auf der Grundlage bestehender Lieferketten und Geschäftsmodelle) bis hin zu einer strategischen Neubewertung der Lieferketten, Produktionsstandorte und Geschäftsmodelle.

Von linearen Lieferketten …

In heftigen Schüben durchlebt die Weltwirtschaft gerade einen raschen Wandel der Globalisierung und ihrer Lieferketten. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, das Zeitalter der Globalisierung in unterschiedliche Epochen zu zerlegen.

„Globalisierung 1.0“ steht stellvertretend für ein schlankes Fertigungsmodell, bei dem die Kostenminimierung im Vordergrund stand. Unternehmen verlagerten Produktion ins Ausland, um von der Lohnkostenarbitrage und von geringeren Sozial- und Umweltstandards zu profitieren. Während der Globalisierung 1.0, in einer Zeit relativ freien Handels, zentralisierten Unternehmen ihre Geschäftsprozesse und schufen lineare Lieferketten.

Diese global ausgerichteten Lieferketten vollzogen sich entlang linearer Geschäftsprozesse, deren Steuerung sich ebenfalls für eine Zentralisierung eigneten. So gingen die global ausgerichteten, an linearen Prozessen orientierten Lieferketten nicht selten mit einer Zentralisierung strategischer Planungs- und Entscheidungsfunktionen auf der Ebene globaler oder regionaler Zentralgesellschaften (sog. Hubs) einher. Diese Zentralgesellschaften wurden häufig in Ländern errichtet, die neben steuerlichen Vorteilen auch über eine gute Infrastruktur, einen qualitativ hochwertigen Arbeitsmarkt und gute Lebensstandards verfügen. In diesen Hub- oder Prinzipalmodellen konzentrierten sich die lokalen Produktions- und Vertriebseinheiten auf die operative Ausführung der von der Zentrale vorgegebenen Geschäftsstrategien.

… mit ihren Vor- und Nachteilen …

Das schlanke Modell ermöglichte eine relativ einfache Steuerung des konzernweiten effektiven Steuersatzes und war besonders in Branchen mit hohen Margen und einem hohen Innovationsgrad wie der Konsumgüter-, der Life-Sciences- und der Technologiebranche beliebt.

Die hocheffizienten globalen Lieferketten hatten aber einen entscheidenden Nachteil: Ein einzelner Ausfall entlang einer solchen Lieferkette kann maximalen Schaden anrichten. Diese Schwäche wurde in den letzten Jahren durch Störungen wie Cyberangriffe, Naturkatastrophen, Pandemie, politische Disruptionen oder eine einzige Havarie im Suezkanal offenbar.

… über eine Teilregionalisierung …

Fast fließend folgte der Übergang zu einer Phase, die man als „Globalisierung 2.0“ bezeichnen kann. Unternehmen begannen mit einer Teilregionalisierung von Lieferketten, wenngleich immer noch sehr große Absatz- und Produktionszentren in Asien lukrativ blieben.

Grafik: Globale Disruptionen

… zur Globalisierung 3.0

Mit Trump 2.0 gewinnt ein neuer Prozess an Fahrt. Die „Globalisierung 3.0“ zeichnet sich durch eine starke Politisierung der Wirtschaft und eine Fokussierung auf nationale oder regionale Interessen aus. Dazu tragen auch die neuen EU-Regularien bei, die höhere Anforderungen an saubere Lieferketten setzen. Nicht zu vergessen auch das Re-Risking von Lieferketten in Bezug auf mögliche geopolitische Spannungen im asiatischen Raum. Man kann auch von einer „Pendelbewegung zurück“ sprechen: De-Globalisierung. Unternehmen setzen zunehmend auf Onshoring, Friendshoring und Nearshoring, um ihre Lieferketten zu optimieren und die Abhängigkeit von einzelnen Standorten zu verringern. Mit Blick auf die verschiedenen geopolitischen Wirtschaftsräume geht es um Diversifizierung, Flexibilisierung und Regionalisierung von Wertschöpfungsketten. Diese Strategien fördern die Resilienz und wirken Problemen bei geopolitischen Spannungen und wirtschaftlichem Nationalismus entgegen.

Agile Fertigung

Für Unternehmen bedeutet Globalisierung 3.0, dass sie agilere Strategien verfolgen müssen. Statt linearer spielen netzwerkbasierte Lieferketten eine zentrale Rolle. Unternehmen entscheiden natürlich weiterhin auch kostengetrieben, akzeptieren jedoch einen gewissen Kostenzuwachs, wenn dies die Geschäftsresilienz steigert und Nearshoring zu einer besseren Kundenanbindung („time to market“) führt. Man kann auch von einer hybriden Globalisierung sprechen und deren Aufgabe lautet: Wie schnell können wir Waren und Dienstleistungen an unsere Kunden liefern, wie können wir dies sicher ohne Störungen tun – und alles zu noch akzeptablen Kosten?

Ausfallpunkte vermeiden

Das agile Modell umfasst Cluster von lokalen, regionalen und globalen Partnern und hat eingebaute Sicherheitsnetze über die gesamte Wertschöpfungskette. Diese Schutzsysteme und Optionen machen die Lieferkette widerstandsfähiger, bringen Unternehmen aber gleichzeitig weiter von einer linearen und kosteneffizienten Struktur ab. Es geht darum, die einzelnen Ausfallpunkte des hocheffizienten Modells zu umgehen. Fällt ein Lieferant, eine Lieferbeziehung oder eine Produktionsstätte aus, gibt es eine Alternative mit zusätzlichen Kapazitäten, um die Produktion fortzusetzen. Dieses Konzept ist auf Seite 16 veranschaulicht. Dieser Trend wird auch durch eine deutlichere Fokussierung auf Nachhaltigkeitsfragen verstärkt (geringerer CO2-Fußabdruck durch transportbedingte Emissionen, Kreislaufwirtschaft durch kleinteiligere Arbeitsprozesse zur Weiternutzung von Produkten etc.).

Grafik: Globale Wertschoepfungsketten

Technologie total

Beim agilen Modell spielt die Digitalisierung eine enorme Rolle. Globalisierung 3.0 lebt noch mehr als die Phase 2.0 von neuen Technologien über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Das geht von der Verwendung von 3D-Druck für schnelles Prototyping in Forschung und Entwicklung über den Einsatz von digitalen Zwillingen und Robotik beim Design von Produktionslinien bis hin zu neuen E-Commerce-Plattformen, auf denen Kunden ihr eigenes personalisiertes Produkt konfigurieren. Daten sind das neue Gold, da nur so die Auswirkungen der oft sehr kurzfristig eintretenden geopolitischen Ereignisse zuverlässig und schnell analysiert und auf objektiven Daten basierte Entscheidungsoptionen erarbeitet werden können. Während bei der Globalisierung 1.0 die Nutzung von Technologie als entscheidendes Differenzierungsmerkmal („need to win“) galt, ist sie inzwischen zu einer Grundvoraussetzung geworden, um überhaupt am Marktgeschehen teilnehmen zu können („need to play“). Digitalisierung wird zur notwendigen Voraussetzung, um auf dem internationalen Spielfeld erfolgreich mitmischen zu können. Somit sind die Digitalisierung und die Herstellung von Datenhoheit wesentliche Treiber, die Konzerne zu einer höheren Transformationsfrequenz zwingen. Politische Herausforderungen setzen Unternehmen und Demokratien zunehmend unter Druck.

Amerikanisierung

Zurück zur aktuellen Disruption im Welthandel, die alle Unternehmen in den nächsten Jahren noch intensiv beschäftigen dürfte. Was US-Präsident Donald Trump bezweckt, machte er vor einigen Monaten klar: „Ich will, dass deutsche Autokonzerne zu amerikanischen Autokonzernen werden, ich will, dass sie ihre Fabriken hier bauen.“ Das Gleiche gilt für Chemie-, Pharma-, metallverarbeitende oder elektrotechnische Unternehmen, aus Deutschland, aus China, Kanada, Mexiko oder sonst woher. Sie alle sollen in den USA investieren und produzieren, dort Arbeitsplätze schaffen und das riesige Außenhandelsdefizit des Landes verringern. Statt Globalisierung will Trump eine Amerikanisierung großer Teile der Weltwirtschaft. Trump hat mächtige Hebel, vor allem Zölle und Steuern. Wer künftig noch Geschäfte am wichtigen US-Markt mit seinen 340 Millionen Einwohnern und einem Bruttonationaleinkommen von 28 Billionen Dollar machen möchte, soll dort mehr Wertschöpfung erbringen.

Was in der Gesamtbetrachtung oft nur am Rande erwähnt wird, ist der Umstand, dass die USA auf dem Feld der Dienstleistungen mit ihren global führenden Digitalkonzernen einen erheblichen Überschuss erwirtschaften. Das wiederum missfällt Staaten mit einem Defizit in diesem Sektor mit der Folge der Einführung von Digitalsteuern im Gegenzug.

US-Praesident Donald Trump hat am ersten Tag seiner Praesidentschaft im Oval Office des Weissen Hauses in Washington, DC, USA, zahlreiche Durchfuehrungsverordnungen erlassen
US-Präsident Donald Trump hat am ersten Tag seiner Praesidentschaft im Oval Office des Weissen Hauses in Washington, DC, USA, zahlreiche Durchfuehrungsverordnungen erlassen.

Steuer- und Zollfunktion gefordert

Für Unternehmen gilt es nun, mit kurz-, mittel- und längerfristigen Maßnahmen zu reagieren. Eine Schlüsselrolle spielen CFOs und ihre Steuer- und Zollabteilungen. Häufig außer in Bezug auf die ETR („effective tax rate“) als reines Compliance-fokussiertes Cost Center klassifiziert, kommt ihnen nun eine bedeutende Rolle als strategischer Werttreiber zu. In ihren Zuständigkeitsbereich fällt die Aufgabe, die Steuer- und Zollaktionen, mit denen Trump seine Ziele erreichen will, zu analysieren und darauf je nach Bedarf mit einem Bündel von Maßnahmen zu reagieren. Gleiches gilt umgekehrt in Bezug auf die Gegenmaßnahmen betroffener Staaten, die auf die US-Maßnahmen reagieren.

Gefordert ist das gesamte Instrumentarium der Gestaltung von Material- und Werteflüssen. Nimmt man kurzfristig die Materialflüsse als gegeben hin, sollten sich Konzerne zunächst auf die Werteflüsse im Konzern konzentrieren, womit wir beim Instrumentarium der Verrechnungspreisgestaltung wären. Für jedes Standort- und Lieferkettenszenario sind die jeweiligen Steuer- und Zollimplikationen durchzurechnen, um dem Management eine verlässliche Planungs- und Entscheidungsgrundlage bereitzustellen.

 

Customs Valuation Planning

Eine der wichtigsten kurzfristigen Maßnahmen lautet: Überprüfung der Verrechnungspreise entlang der Lieferketten. Es geht darum, die Bemessungsgrundlagen für Ertragsteuern und Zölle so zu modellieren und auszubalancieren, dass der Kostenanstieg durch Strafzölle (und die Veränderungen bei Ertrag- und anderen Gewinnsteuern) möglichst gering ausfällt. Eine „low hanging fruit“ ist die Überprüfung sogenannter Ketten- bzw. Reihengeschäfte innerhalb von Konzernen. Beim Zielland USA bietet es sich beispielsweise an, dem dortigen Zoll nicht die letzte Rechnung beim Import vorzulegen, es gibt zollwertrechtliche Alternativen.

 

First Sale Rule

Im besonderen Fall der USA können Unternehmen die „First Sale Rule“ anwenden. Sie gilt speziell für die USA und ermöglicht es Importeuren, den Zollwert bei Kettengeschäften in bestimmten Fällen auf der Basis des ersten Verkaufs in der Lieferkette zu bestimmen, anstatt nach dem Preis, den der Importeur zahlt. Diese Regel wurde durch eine Reihe von Gerichtsurteilen etabliert. Wegweisend war das Urteil des Court of Appeals for the Federal Circuit im Jahr 1992 in der Rechtssache Nissho Iwai America Corp. gegen die Vereinigten Staaten. Die Anwendung der First Sale Rule erfordert jedoch ein hohes Maß an Sorgfalt seitens der Importeure und eine enge Zusammenarbeit mit Lieferanten und Herstellern. Da die First Sale Rule sehr formalistisch und aufwendig ist, lohnt sich ihre Anwendung erst bei höheren Zollvolumen. Zudem können die Nachweise ohne Probleme oft nur bei Verkäufen in Intercompany-Konstellationen sichergestellt werden.

Ein Schlepper beteiligt sich an der Befreiung der Ever Given, einem Containerschiff der Evergreen Marine Corporation, das 2021 im Suezkanal festsitzt

Unbundling

Bei höheren Zöllen bietet sich auch ein Unbundling der Waren an. Im Bereich der Verrechnungspreise ist damit die Aufteilung der Abrechnung kombinierter Leistungspakete (bestehend aus Produkten und Dienstleistungen) in ihre einzelnen Bestandteile gemeint. Angenommen, ein deutsches Unternehmen (Unternehmen A) verkauft ein kombiniertes Produktpaket an seine Tochtergesellschaft in den USA (Unternehmen B). Dieses Paket besteht aus einer Maschine, einer Softwarelizenz und einem Wartungsvertrag. Der Gesamtpreis für das Paket beträgt 1.500.000 Euro. Beim Unbundling wird dieser Gesamtpreis auf die einzelnen Komponenten aufgeteilt, basierend auf deren Marktwert, wobei wir das Beispiel hier stark vereinfacht haben: 800.000 Euro Maschine, 400.000 Euro Softwarelizenz, 200.000 Euro Wartungsvertrag und die verbleibenden 100.000 Euro entfallen auf allgemeine Verwaltungskosten. Das Unbundling dient sowohl der Zolloptimierung als auch der Transparenz.

  • Zolloptimierung: In den meisten Jurisdiktionen gibt es Gestaltungsmöglichkeiten in Bezug auf die Bereitstellung von Software, sodass bestimmte Leistungsbestandteile aus dem Zollwert der grenzüberschreitend beförderten Maschinen exkludiert werden können. Auch bestimmte Arbeitstätigkeiten und Dienstleistungen (klassisch: „management fees“) können vom Zollwert abgezogen werden.
  • Transparenz: Eine detaillierte Aufschlüsselung der Kosten kann helfen, die Preisgestaltung gegenüber Steuer- und Zollbehörden zu rechtfertigen und Streitigkeiten zu vermeiden. Bei Bedarf kann die Steuer- bzw. zollwertrechtliche Behandlung mit den zuständigen Behörden abgestimmt und ggf. „rulings“ beantragt werden.

Verrechnungspreise überarbeiten

Ohnehin bieten höhere Zölle (und deren Androhung) einen guten Anlass, sich die eigenen, oft seit Jahren unveränderten Verrechnungspreissysteme genauer anzuschauen. Möglicherweise sind sie veraltet und bilden die Werteflüsse im Unternehmen nicht mehr hinreichend präzise ab, was dann zu erheblichen steuerlichen Risiken führen kann. Eine Überprüfung der Verrechnungspreise kann daher gleich mehrere Ziele verfolgen: Zum einen kann die Anpassung des Verrechnungspreissystems an neuere Entwicklungen im Bereich der Wertschöpfungsverteilung und des Geschäftsmodells das steuerliche Risiko minimieren, zum anderen bieten gerade transformative Veränderungen im Geschäftsmodell steuerliche Gestaltungsspielräume, um zusätzliche steuerliche Synergien zu generieren.

Die Fremdüblichkeit von Verrechnungspreisen hängt schließlich nicht nur von der genauen Produktspezifikation und der physischen Lieferkette ab, sondern es spielen vor allem auch funktionale und organisatorische Gesichtspunkte (Stichwort Substanz) bei der Charakterisierung von Konzerngesellschaften und der Wahl der angemessenen Verrechnungspreismethode eine Rolle.

Funktionen verlagern

In den USA wie auch den meisten anderen Ländern gilt das zolltarifrechtliche Prinzip, dass der Zolltarif (typischerweise) umso höher ist, je weiter die importierte Ware verarbeitet ist. Mit anderen Worten: Die Verlagerung einzelner Prozessschritte und Funktionen in die USA kann sich in niedrigeren Abgaben (beim Import von Komponenten anstatt von Fertigwaren) an der Grenze niederschlagen. Auch für die Betrachtung des Ursprungs können sich positive Kollateraleffekte ergeben.

Denkbar ist aber auch die alleinige Verlagerung strategischer oder taktischer Funktionen. Diese Strategie kann auch erhebliche Auswirkungen auf die Verrechnungspreissysteme haben, da sie die Art und Weise beeinflusst, wie Gewinne zwischen den verbundenen Unternehmen verteilt werden sollten.

DEMPE über den Atlantik

Ohne große physische Veränderungen an der Lieferkette kann ein Konzern strategische und taktische Funktionen verlagern, denen nach den internationalen Verrechnungspreisstandards eine besondere Bedeutung für die Zuordnung von Gewinnen im Konzern zukommt (sog. DEMPE- bzw. Risikokontrollfunktionen – das Akronym DEMPE steht für „Development, Enhancement, Maintenance, Protection and Exploitation“ von immateriellen Werten). Dabei geht es um diejenigen Funktionen, die in besonderem Maße zu den kritischen Erfolgsfaktoren eines Unternehmens beitragen und aus denen immaterielle Werte entspringen. In vielen Branchen ist dies insbesondere der Bereich der Innovation bzw. der Forschung und Entwicklung (F&E).

Möglicherweise bietet sich eine Verlagerung an, um das Funktionsprofil in den USA zu stärken und damit den Weg zu ebnen für geringere Verrechnungspreise für Warenlieferungen in die USA, um letztlich die Zollkosten zu verringern. Die Verlagerung immaterieller Vermögenswerte kann auch Auswirkungen auf die zukünftigen Cashflows haben, die vom vielerorts günstigeren steuerlichen Umfeld profitieren.

Was ein Automobilhersteller …

Ein Beispiel: Ein Automobilhersteller entwickelt ein neues Elektrofahrzeug. Verschiedene Tochtergesellschaften übernehmen unterschiedliche Rollen im Entwicklungsprozess. Die F&E-Abteilung in Deutschland entwickelt die grundlegenden Technologien des Elektrofahrzeugs, einschließlich Batterietechnologie und der Software für das Fahrzeugmanagement. Eine Tochtergesellschaft in Japan verbessert das Design und die Benutzeroberfläche des Fahrzeugs. Diese Einheit sammelt aktiv Feedback von Kunden und Märkten und nimmt Anpassungen vor, um die Benutzererfahrung zu optimieren. In den USA kümmert sich eine Servicegesellschaft darum, dass die Software regelmäßig aktualisiert wird und die Kunden bei technischen Problemen Unterstützung erhalten. Eine Rechtsabteilung in Europa schützt aktiv die Markenrechte und Patente des Elektrofahrzeugs. In Brasilien verkauft eine Vertriebsgesellschaft das Fahrzeug auf dem lokalen Markt. Diese Einheit analysiert die lokalen Marktbedingungen und passt die Preisgestaltung entsprechend an.

… in die USA verlagern kann

Natürlich sind auch andere Verteilschlüssel für die einzelnen Funktionen möglich – etwa zugunsten der USA. Bei neuen Modellen, Produkten oder Unternehmen ist die Verteilung noch vergleichsweise einfach. Bei bestehenden Konzernstrukturen wird es hingegen kompliziert. Die Komplexität beginnt damit, dass jede Tochtergesellschaft unterschiedliche Funktionen hat und unterschiedliche Wertbeiträge leistet, die oft nur schwer zu quantifizieren sind. Unternehmen müssen umfangreiche Datenanalysen durchführen, um den Wert jedes Wertbeitrags zu bestimmen und sicherzustellen, dass die Verrechnungspreise den tatsächlichen wirtschaftlichen Realitäten entsprechen. Zudem müssen sie die unterschiedlichen regulatorischen Anforderungen in den Ländern berücksichtigen, in denen sie tätig sind, was zu zusätzlichen Herausforderungen und potenziellen steuerlichen Risiken führen kann.

Vorsicht: deutsche „Sondersteuer“

Wenn ein Konzern Unternehmensfunktionen aus Deutschland abzieht und ins Ausland verlagert, ruft das den Fiskus mit einer auch als „Exitsteuer“ bezeichneten Sondersteuer auf den Plan. Das Thema Funktionsverlagerung hat sich gerade in Deutschland aufgrund der seit 2008 geltenden umfassenden Gesetzgebung zu einem Dauerbrenner in steuerlichen Betriebsprüfungen entwickelt. Teilweise wird das Regelwerk sogar als Restrukturierungshindernis wahrgenommen.

Das Finanzamt hinterfragt bei Konzernrestrukturierungen regelmäßig, ob eine Funktionsverlagerung vorliegt und ob die mit der Funktion ggf. zusammenhängenden immateriellen Werte und Geschäftschancen übertragen oder überlassen werden. Für Unternehmen ist daher bei der Verrechnungspreisgestaltung im Zusammenhang mit Funktionsverlagerungen besondere Sorgfalt geboten, um ungewollte „Entstrickungen“ von immateriellen Werten, aus denen empfindliche Einmalbesteuerungen fiktiver Gewinne resultieren können, zuverlässig zu vermeiden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verlagerung von Funktionen und immateriellen Vermögenswerten in die USA sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich bringen kann. Umso wichtiger ist es, die steuerlichen Auswirkungen, die Bewertung der Vermögenswerte und die regulatorischen Anforderungen sorgfältig zu analysieren.

Werke am wichtigsten Markt der Welt errichten

Eine schwerwiegende, langfristige Option ist die Errichtung von Fertigungsanlagen in den USA – ganz im Sinne von Präsident Trump. Angesichts des attraktiven amerikanischen Marktes sollten sich Unternehmen ohnehin immer wieder mit dieser Option beschäftigen, unabhängig von den aktuellen politischen Streitigkeiten. Die Frage lautet: Welche gewichtigen Standortvorteile sprechen für eine dauerhafte Ansiedlung in den USA?

Obiges Beispiel ist an hiesigen Unternehmen ausgerichtet. Für Konzerne, die eher mehr Waren aus den USA heraus exportieren, kann das sog. Dismanteling von Entwicklungsleistungen in den USA von Bedeutung werden. Es kann mehrere Vorteile im Kontext von Zollwertberechnungen bieten: Wenn ein Automobilhersteller Entwicklungsleistungen in den USA erbringt und die Fertigung in Deutschland oder Europa erfolgt, kann der Anteil der Entwicklungsleistungen, die in den USA erbracht wurden, aus dem Zollwert der importierten Waren herausgenommen werden. Dies kann zu einer Reduzierung der Zollkosten führen.

Neue Umweltabgaben mitdenken

Bei Standortverlagerungen sollten auch die zahlreichen neuen Umweltsteuern, Abgaben und Zertifikathandelsregime mitgedacht werden. Kein Abgabentyp wächst nach unserer Wahrnehmung weltweit so schnell, sei es durch die Einführung von Verbrauchsteuern und Abgaben auf die Entnahme natürlicher Ressourcen, den Verbrauch von Energieträgern, die Emission von Treibhausgasen, die Verwendung der Umwelt abträglicher Einsatzstoffe, die Verwendung von Einmalverpackungen, das Anbieten von Waren oder Dienstleistungen in nicht nachhaltigen Geschäftsmodellen und vieles mehr.

Besonders nennenswert im US-Kontext sind die amerikanischen Superfund Taxes auf bestimmte Chemikalien bzw. in diesen Chemikalien enthaltene Substanzen sowie auf EU-Seite der Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz CBAM). Wird also in den USA aufgrund der niedrigen Preise von Energieträgern emissionsintensiv produziert und werden die Waren dann in die EU exportiert, können bei der EU-Einfuhr erhebliche Zusatzkosten anfallen und eventuelle US-Wettbewerbsvorteile (über-)kompensieren. Dabei ist mitzudenken, dass der CBAM in den kommenden Jahren erheblich auf weitere Warenkategorien ausgedehnt werden soll und der Kohlenstoffpreis deutlich ansteigen wird.

Standortvorteile nutzen

Die USA bieten im Vergleich zu Deutschland und der EU eine Reihe von Standortanreizen. Dazu zählen die vergleichsweise niedrigen Körperschaftsteuersätze, die durch die Steuerreform von 2017 auf einen effektiven Satz von etwa 21 Prozent sanken, aber auch Wirtschaftszonen mit weiteren Vorteilen. Zahlreiche Bundesstaaten bieten darüber hinaus Steuererleichterungen oder Zuschüsse, insbesondere bei Forschung und Entwicklung oder erneuerbaren Energien. Attraktiv sind die niedrigeren Energiekosten, gerade in den energieproduzierenden Bundesstaaten. Zusätzlich profitieren Unternehmen von einer flexibleren Arbeitsmarktregulierung, die es ihnen ermöglicht, schneller auf Marktveränderungen zu reagieren. Ein weiteres Asset ist der kaufkräftigste Verbrauchermarkt der Welt. Die Innovations- und Forschungskapazitäten in den USA sind hoch, unterstützt durch renommierte Universitäten und Forschungseinrichtungen, die enge Partnerschaften mit der Industrie pflegen. Die Verfügbarkeit von Risikokapital und Investitionen in Technologie-Start-ups runden das Standortprofil ab. Schließlich genießen Unternehmen in den USA oft eine stärkere rechtliche Durchsetzung von geistigem Eigentum, was zusätzlichen Schutz für innovative Produkte und Technologien bietet. Diese Kombination aus steuerlichen Anreizen, niedrigeren Energiekosten, einem dynamischen Arbeitsmarkt, einem großen Verbrauchermarkt und starken Innovationskapazitäten macht die USA zu einem äußerst attraktiven Standort für Unternehmen, die international expandieren oder ihre Produktions- und Entwicklungsaktivitäten verlagern möchten. Andererseits ist eine Verlagerung ernsthaft zu prüfen, weil selbstredend auch diverse auf Bundes- und regionaler Ebene in den USA bestehende Standortnachteile und Herausforderungen zu beachten sind.

Was kommt nach dem IRA?

Der Inflation Reduction Act (IRA), der im Jahr 2022 in den USA verabschiedet wurde, bringt zusätzliche Vorteile für Unternehmen, insbesondere in den Bereichen erneuerbare Energien und Klimaschutz. Fraglich ist allerdings, ob der vom vorherigen US-Präsidenten Joe Biden initiierte IRA unter seinem Amtsnachfolger Trump noch eine lange Lebenserwartung hat. Dieser plant seinerseits neue Ansiedlungsanreize: Die Konzerne sollen etwa in Sonderwirtschaftszonen „die niedrigsten Steuern, die niedrigsten Energiekosten, die geringste Regulierungslast und freien Zugang zum besten und größten Markt der Welt“ erhalten. Ein Industriebotschafter solle ausländische Unternehmen in aller Welt davon überzeugen, in die USA umzusiedeln. Offen bleibt die Realisierung mit Blick auf die Möglichkeit zur vollen Gegenfinanzierung durch Zolleinnahmen, zumal auch die Finanzmärkte aufgrund der Gesamtstaatsverschuldung der USA vorsichtiger werden und die Zinsen für US-Staatsanleihen steigen und den Handlungsspielraum für Maßnahmen auf Pump einengen.

Die USA als Pars pro Toto

Derzeit richten Unternehmen ihren Blick zwar vor allem auf die USA, sie müssen aber angesichts der weltweiten Veränderungen – Stichwort Globalisierung 3.0 – ihre gesamten Wertschöpfungsketten überprüfen und gegebenenfalls neu ausrichten. Wie geht es weiter mit dem Chinageschäft? Welche Aufgaben kann ich noch in Deutschland belassen? Welche Rolle spielen die osteuropäischen Länder für mein Unternehmen? Wie kann ich die digitale Transformation nutzen, um neue, kundenorientierte Geschäftsmodelle zu schaffen? Und: Wie bekomme ich mehr Resilienz in meine Lieferkette und verbinde Anpassungen mit den neuen Anforderungen an Nachhaltigkeitsgesichtspunkte?

Umgang mit China

Die Globalisierung ist nicht ohne China zu denken. Seit den 1970er-Jahren haben wir große Offshoring-Wellen nach Asien gesehen. Das Reich der Mitte wurde mit dem politischen Öffnungskurs unter Deng Xiaoping zur globalen Werkbank. Spätestens seit der Pandemie geht jedoch für Konzerne aus aller Welt das Konzept des Offshorings nach China nicht mehr auf. Viele Unternehmen fanden sich von einem Tag auf den anderen ohne kritische Rohstoffe wieder. Aufgrund des fernöstlichen Shutdowns gingen etwa Pharmaunternehmen die Medikamente aus. Überdies wachsen seither die politischen Spannungen zwischen den USA und China sowie deren asiatischen Anrainerstaaten. Insbesondere die westlichen Verbündeten der Amerikaner können sich dem Konflikt nicht auf Dauer entziehen. Auch lässt sich beobachten, dass die Produktionskosten in China infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen sind und inzwischen andere Länder in Südostasien teilweise günstigere Kostenstrukturen aufweisen.

Nach Off- kommt Nearshoring

Tausende amerikanische und europäische Unternehmen müssen prüfen, wie sie ihre Abhängigkeit von China verringern und eine widerstandsfähigere Lieferkette aufbauen können, ohne den chinesischen Markt selbst zu vernachlässigen. Nach lean kommt agile und am Ende steht ein hybrides Modell. Nach dem Offshoring kommt das Konzept des Nearshorings oder Omnishorings. Die Strategie, die oft als „China + 1“ bezeichnet wird, bedeutet, dass Unternehmen sowohl einen (chinesischen) Offshore- als auch einen Nearshore-Fertigungsstandort einrichten. Das heißt, ein hiesiges Unternehmen behält zwar seine in China beginnende Lieferkette bei, da das 1,4 Milliarden Menschen zählende Land schließlich ein extrem wichtiger Markt bleibt und die dortigen Produktionsbedingungen noch immer attraktiv sind; aber dieses Unternehmen baut auch eine zweite Lieferkette mit Produktionskapazitäten und Vertriebskanälen auf, die näher an den europäischen Märkten liegen.

Detailansicht eines Harley-Davidson-Motorrads, geparkt auf der Whyte Avenue in Edmonton, Alberta, Kanada

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied in der Rechtssache Harley-Davidson Europe (C-297/23 P) über die zollrechtliche Bewertung von Produktionsverlagerungen. Diese Entscheidung ist vor dem Hintergrund zunehmender protektionistischer Tendenzen im internationalen Handel von Bedeutung. Der EuGH stellte fest, dass ein zeitlicher Zusammenhang zwischen handelspolitischen Maßnahmen wie Zöllen und betrieblichen Maßnahmen wie Produktionsverlagerungen eine rechtliche Vermutung für eine Umgehungsabsicht begründet. Unternehmen müssen in solchen Fällen diesen Zusammenhang widerlegen. Zudem muss die Umgehungsabsicht aus objektiven Anknüpfungstatsachen abgeleitet werden; wirtschaftliche Begründungen können sie nicht entkräften.

Die Entscheidung steht im Kontext der von der EU-Kommission ab dem 22. Juni 2018 eingeführten Zölle auf US-Waren, einschließlich Motorrädern von Harley-Davidson, als Reaktion auf Zölle der USA auf Stahl- und Aluminiumimporte aus der EU. Diese Maßnahme zeigt, wie Handelskonflikte zwischen den USA und der EU zu komplexen rechtlichen Herausforderungen führen können. Unternehmen sind gefordert, ihre Produktionsstrategien sorgfältig zu planen, um rechtliche Risiken zu minimieren und mögliche negative Auswirkungen auf ihre Geschäftsmodelle zu vermeiden. Die Entscheidung des EuGH könnte weitreichende Folgen für die internationale Handelslandschaft haben, insbesondere in Bezug auf die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Produktionsverlagerungen.

Mit Dritten kooperieren

Investitionen in neue Anlagen sind teuer und zeitaufwendig. Eine Alternative besteht darin, mit Drittanbietern als Vertragshersteller zu kooperieren. Doch selbst wenn die Drittanbieter-Vertragshersteller bereits an Bord sind, kann der Wechsel nicht so einfach erfolgen, wie es den Anschein haben mag. Beispielsweise müssen weiterhin Lieferverträge, die Ausrichtung der Rohstoffanbieter (Prozesse, Lieferort), Qualitätsanforderungen, Änderungen in der Logistik, Zollverfahren und das Auftragsmanagement berücksichtigt werden. Grundsätzlich gilt aber: Strategische Partnerschaften und Allianzen mit anderen Unternehmen können helfen, die Auswirkungen von Zöllen und die Neuordnung von Lieferketten durch das Bündeln von Ressourcen und das Teilen von Kosten zu reduzieren.

Bewertungskriterien

Das agile oder hybride Lieferkettenmodell bedeutet gegenüber der schlanken Variante eine breitere geografische Segmentierung. Unternehmen müssen die jeweiligen Standortoptionen bewerten, sei es in Ost- oder Südeuropa, Südostasien oder anderswo. Zu den Bewertungskriterien zählen das jeweilige Steuersystem, spezielle Investitionsanreize, die Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte, die Qualität der Verkehrsinfrastruktur, passende Immobilien, das Tempo bei Genehmigungen, die Lebensqualität sowie die allgemeine wirtschaftliche und politische Stabilität eines Landes. Jedes Unternehmen ist gut beraten, einen systematischen, ausreichend detaillierten Entscheidungsprozess aufzusetzen, Kriterien auszuwählen und zu gewichten und die verschiedenen Standortoptionen danach zu bewerten.

Wie die Gewinne verteilen?

Das vorangegangene USA-Beispiel zeigt, wie groß und vielschichtig die steuerlichen Herausforderungen sind, die mit den neuen Lieferkettenstrategien einhergehen. Aus Verrechnungspreisperspektive wird der Übergang vom schlanken zum agileren Lieferkettenmodell die Unternehmen zwingen, darüber nachzudenken, wie sie Gewinne auf die verschiedenen rechtlichen Einheiten und damit auf die Länder verteilen. Tendenziell übt eine agilere Lieferkette bei Konzernen mehr Druck auf die zentrale Gewinnverteilung an eine Hub- oder Prinzipalgesellschaft aus.

EY Global Trade Analytics

EY Global Trade Analytics bietet Unternehmen eine effektive Möglichkeit, ihre Zollbelastungen zu analysieren, Optimierungspotenziale zu identifizieren und ein robustes Compliance-Management zu implementieren. In einer Zeit, in der die Anforderungen an die Datenkontrolle in Lieferketten steigen, ist die Nutzung von Zolldaten entscheidend für die Identifikation von Einsparpotenzialen und die Verbesserung der Effizienz in Außenhandelsprozessen. Die Digitalisierung der Zollabwicklung hat es ermöglicht, dass Unternehmen ihre Deklarationsprozesse weitgehend elektronisch abbilden können. Diese Daten sind von unschätzbarem Wert, da sie durch strukturierte Auswertungen wertvolle Erkenntnisse liefern.

Ein praktisches Beispiel ist die Zolldatenanalyse für einen multinationalen Chemiekonzern, der in 34 Ländern tätig ist. Nach internen Umstrukturierungen und mit dem Ziel, Kosten zu optimieren, wurde die Zollfunktion beauftragt, Einsparpotenziale zu identifizieren. In 20 priorisierten Ländern stellte sich heraus, dass Freihandelsabkommen und besondere Zollverfahren nicht konsistent genutzt wurden. EY unterstützte das Unternehmen, indem es die Zollanmeldedaten in diesen Ländern einholte und ein komplexes Analysemodell entwickelte. Die Ergebnisse führten zu einer Erstattung von Zollabgaben in Höhe von etwa 10 Millionen Euro und jährlichen Einsparungen von rund 5 Millionen Euro. Zudem verbesserte sich das Inventory-Management, was die Effizienz der Lieferkette steigerte.

Wo Steuerexperten nervös werden

Agile Modelle sind wie bereits erwähnt stark auf Technologie und Daten angewiesen und netzwerkbasiert. Damit einher gehen eine verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit, mehr Datenaustausch und das Teilen von IP zwischen Ländern und Rechtsformen. Dies ist der Punkt, an dem Steuerpraktiker oft etwas nervös werden. Denn dies bedeutet, dass die Verrechnungspreise komplexer werden, möglicherweise mehr Gewinnaufteilungen oder mehr Fälle von lokal entwickelten immateriellen Vermögenswerten zu beachten sind.

Kettenreaktionen

Veränderungen in den Lieferketten führen zu Kettenreaktionen, die nicht alle sofort im Fokus stehen. Wenn das Unternehmen eine sog. „Cost Sharing“-Vereinbarung hat, sind direkt weitere Gesellschaften von den Auswirkungen einer Entscheidung in einem anderen Land betroffen. Innerhalb eines Konzerns bedeutet „Cost Sharing“-Vereinbarung eine Vereinbarung, bei der mehrere verbundene Unternehmen die Kosten für die Entwicklung, Produktion oder den Erwerb von Vermögenswerten oder Dienstleistungen gemeinsam tragen und die daraus resultierenden Vorteile teilen, sodass Ressourcen und Risiken über verschiedene Länder hinweg geteilt werden. Die Prüfung solcher Vereinbarungen erfolgt im Rahmen der Verrechnungspreisrichtlinien, um sicherzustellen, dass die Kostenverteilung und die daraus resultierenden Vorteile den Prinzipien des Fremdvergleichs entsprechen. Das bedeutet, dass die Bedingungen der „Cost Sharing“-Vereinbarung so gestaltet sein müssen, als wären sie zwischen unabhängigen Dritten abgeschlossen worden. Werden dann in einem Land Entscheidungen gefällt, sollten sich automatisch weitere Fragen anschließen: Wie wirkt sich der Wechsel des Produktionsstandorts auf die Berechnungen aus? Erlaubt der globale IP-Rahmen (z. B. Management von Produktions- und Vertriebsrechten) die geplanten Änderungen? Muss das Unternehmen neue Standorte eröffnen? Bedeutet die Vereinbarung womöglich zusätzliche Registrierungen? Ändern sich womöglich zollrechtliche Ursprünge und damit Zollsätze im Bestimmungsland? Rein organisatorische Fragen wie eine einzuberechnende Erhöhung der Reiseaktivitäten für Beschaffungs- und Einkaufspersonal treten dann schon fast in den Hintergrund, auch wenn dadurch auch das Risiko einer steuerpflichtigen Präsenz wächst. Im Kern: Ändert sich dann auch die Gewinnverteilung zwischen den Ländern?

Interdependenzen

Bei der Verlagerung des physischen Produktionsstandorts, sei es zu einem verbundenen oder zu einem unverbundenen Unternehmen, müssen die Unternehmen die Auswirkungen auf ihre Ansprüche auf die sogenannte Subpart-F-Herstellungsausnahme bewerten. Wichtig ist hier: Veränderungen in der Lieferkette für den US-Markt können zwar zu niedrigeren Zöllen führen, aber auch zu einer gleichzeitigen Erhöhung des US-Steuersatzes von 10,5 Prozent (dem globalen niedrig besteuerten Einkommen [GILTI]-Satz) auf 21 Prozent (den Subpart-F-Satz). Im Wesentlichen ermöglicht die Subpart-F-Herstellungsausnahme bestimmten Unternehmen, die in Ländern mit niedrigeren Steuersätzen tätig sind, eine Befreiung von der Besteuerung ihrer ausländischen Einkünfte in den USA, solange bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Diese Regelung soll verhindern, dass Unternehmen Gewinne in Niedrigsteuerländern ansammeln, ohne sie in den USA zu versteuern.

Sections 891 und 899: Trumps spezielle Instrumente

Diskriminierende und exterritoriale Besteuerung ausländischer Staaten zulasten von US-Unternehmen

Bereits am ersten Tag seiner Amtszeit unterzeichnete der neue US-Präsident Donald Trump mehrere Executive Orders im Steuerbereich, um gegen die aus US-Sicht diskriminierende und exterritoriale Besteuerung aus dem Ausland vorzugehen. Innerhalb von 60 Tagen soll geprüft werden, welche Steuern betroffen sind und gegen welche Staaten Gegenmaßnahmen implementiert werden sollen.

Im Fokus der neuen US-Administration steht dabei insbesondere die globale Mindeststeuer („Pillar 2“). Durch Pillar 2 soll sichergestellt werden, dass große Unternehmensgruppen in jedem Land einer Effektivsteuerbelastung von mindestens 15 Prozent unterliegen. Dabei soll die sog. Sekundärergänzungssteuer bewirken, dass Unternehmensgruppen mit Konzernmuttergesellschaft in Ländern, die Pillar 2 nicht implementieren, ebenfalls der Mindeststeuer von effektiv 15 Prozent unterliegen. Die Sekundärergänzungssteuer, die insbesondere die EU-Staaten eingeführt haben, ist den US-Republikanern schon lange ein Dorn im Auge.

Ein weiteres Augenmerk liegt auf den Digital Service Taxes, die einige Länder (nicht jedoch Deutschland) eingeführt haben und die vor allem die großen US-Digitalunternehmen treffen. Auch hier drängt die neue US-Regierung auf deren Abschaffung.

Staaten, die sich weigern, ihre aus US-Sicht diskriminierenden und exterritorialen Steuern abzuschaffen, droht Trump mit Gegenmaßnahmen, z. B. der Anwendung der bestehenden Section 891 des US-Steuerrechts oder einer möglichen neuen Section 899, die als Gesetzentwurf vorliegt.

Die Section 891 erlaubt es einem Präsidenten, über den Exekutivweg den Steuersatz für Personen aus Staaten, die diskriminierend und exterritorial besteuern, zu verdoppeln. Diese Regelung kam bisher noch nicht zur Anwendung, weshalb es auch keine praktischen Erfahrungen damit gibt.

Der Entwurf zur neuen Section 899 sieht dagegen konkret vor, dass die USA die Doppelbesteuerungsabkommen mit den entsprechenden Staaten nicht mehr anwenden und dazu neben der dann nationalen Quellensteuer von 30 Prozent auf Dividenden, Zinsen und Lizenzen aus den USA noch eine Zusatzsteuer erheben, die jedes Jahr um 5 Prozentpunkte auf bis zu 20 Prozent steigt. Ebenso würden Personen, die in den USA über Betriebsstätten aktiv sind, neben der nationalen Körperschaftsteuer von 21 Prozent zusätzlich eine Steuer zu entrichten haben, die ebenfalls pro Jahr um 5 Prozentpunkte steigt, bis die Gesamtsteuerbelastung 41 Prozent erreicht. Die Maßnahmen würden so lange gelten, bis die ausländischen Staaten ihre aus US-Sicht diskriminierende und exterritoriale Besteuerung beenden.

Die kommenden Monate werden zeigen, wie diese Maßnahmen umgesetzt werden und welche Auswirkungen sie auf die internationale Steuerlandschaft haben werden. Die Entwicklungen in diesem Bereich könnten die globalen Wirtschaftsbeziehungen nachhaltig beeinflussen.

Ansprechperson: Robert Polatzky

Multi-Hubs statt Prinzipalstrukturen

In der Praxis ist zu sehen, dass immer mehr Unternehmen sogenannte Multi-Hub-Modelle anstelle von Single-Hub- oder Prinzipalstrukturen schätzen. Diese Modelle versuchen, die Vorteile einer auf einem zentralisierten Operating Model basierenden Steuerstruktur mit den Vorteilen einer höheren Flexibilität zu kombinieren, um strategische Funktionen an zwei oder drei attraktiven Standorten zu lokalisieren und so letztendlich auch die steuerliche Streitposition des Unternehmens zu verbessern (siehe TLM 02/24).

Mittelfristige und langfristige Maßnahmen

Die Zielvorteile, die Unternehmen anstreben sollten, umfassen eine Vielzahl strategischer Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit. Zunächst ist die Reduzierung der Betriebskosten von zentraler Bedeutung, um die Effizienz zu steigern. Darüber hinaus sollte die Resilienz des Unternehmens verbessert werden, um besser auf globale Störungen reagieren zu können. Ein positiver Einfluss auf die CO2-Bilanz ist ebenfalls wichtig, um umweltfreundlicher zu agieren, und wird sich dem Erwartungswert nach positiv auf den Shareholder Value, also die Unternehmensgewinne, und die Reputation auswirken. Unternehmen sollten das Risiko globaler Störungen minimieren und sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, um Gewinne, die nicht nachhaltig sind, zu vermeiden. Dies kann durch ein Produkt- und Stücklisten-Reengineering oder strategische Veränderungen des Standorts wie Onshore- oder Nearshore-Fertigung erreicht werden. Zudem sollten Unternehmen ihr Betriebsmodell überdenken, indem sie Zentren für Exzellenz an kosteneffizienten Standorten einrichten. In einigen Fällen kann es sinnvoll sein, selektiv aus nicht nachhaltigen Märkten auszutreten und strategische Partnerschaften zu erkunden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.

Fazit

Globalisierung 3.0 bedeutet für Unternehmen: Sie müssen agiler werden. Offshoring muss durch Nearshoring flankiert werden. Das geflügelte Wort, eine Krise als Chance zu begreifen, gilt auch bei der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump. Durch technologischen Fortschritt, eine disruptive Weltpolitik und ein sich wandelndes Marktumfeld stehen Unternehmen ohnehin unter Veränderungsdruck. Bei der Neuordnung der Lieferketten sind komplexe steuerliche und rechtliche Implikationen zu beachten, sodass die Steuer- und Zollfunktion frühzeitig einzubeziehen ist.

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