… in die USA verlagern kann
Natürlich sind auch andere Verteilschlüssel für die einzelnen Funktionen möglich – etwa zugunsten der USA. Bei neuen Modellen, Produkten oder Unternehmen ist die Verteilung noch vergleichsweise einfach. Bei bestehenden Konzernstrukturen wird es hingegen kompliziert. Die Komplexität beginnt damit, dass jede Tochtergesellschaft unterschiedliche Funktionen hat und unterschiedliche Wertbeiträge leistet, die oft nur schwer zu quantifizieren sind. Unternehmen müssen umfangreiche Datenanalysen durchführen, um den Wert jedes Wertbeitrags zu bestimmen und sicherzustellen, dass die Verrechnungspreise den tatsächlichen wirtschaftlichen Realitäten entsprechen. Zudem müssen sie die unterschiedlichen regulatorischen Anforderungen in den Ländern berücksichtigen, in denen sie tätig sind, was zu zusätzlichen Herausforderungen und potenziellen steuerlichen Risiken führen kann.
Vorsicht: deutsche „Sondersteuer“
Wenn ein Konzern Unternehmensfunktionen aus Deutschland abzieht und ins Ausland verlagert, ruft das den Fiskus mit einer auch als „Exitsteuer“ bezeichneten Sondersteuer auf den Plan. Das Thema Funktionsverlagerung hat sich gerade in Deutschland aufgrund der seit 2008 geltenden umfassenden Gesetzgebung zu einem Dauerbrenner in steuerlichen Betriebsprüfungen entwickelt. Teilweise wird das Regelwerk sogar als Restrukturierungshindernis wahrgenommen.
Das Finanzamt hinterfragt bei Konzernrestrukturierungen regelmäßig, ob eine Funktionsverlagerung vorliegt und ob die mit der Funktion ggf. zusammenhängenden immateriellen Werte und Geschäftschancen übertragen oder überlassen werden. Für Unternehmen ist daher bei der Verrechnungspreisgestaltung im Zusammenhang mit Funktionsverlagerungen besondere Sorgfalt geboten, um ungewollte „Entstrickungen“ von immateriellen Werten, aus denen empfindliche Einmalbesteuerungen fiktiver Gewinne resultieren können, zuverlässig zu vermeiden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verlagerung von Funktionen und immateriellen Vermögenswerten in die USA sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich bringen kann. Umso wichtiger ist es, die steuerlichen Auswirkungen, die Bewertung der Vermögenswerte und die regulatorischen Anforderungen sorgfältig zu analysieren.
Werke am wichtigsten Markt der Welt errichten
Eine schwerwiegende, langfristige Option ist die Errichtung von Fertigungsanlagen in den USA – ganz im Sinne von Präsident Trump. Angesichts des attraktiven amerikanischen Marktes sollten sich Unternehmen ohnehin immer wieder mit dieser Option beschäftigen, unabhängig von den aktuellen politischen Streitigkeiten. Die Frage lautet: Welche gewichtigen Standortvorteile sprechen für eine dauerhafte Ansiedlung in den USA?
Obiges Beispiel ist an hiesigen Unternehmen ausgerichtet. Für Konzerne, die eher mehr Waren aus den USA heraus exportieren, kann das sog. Dismanteling von Entwicklungsleistungen in den USA von Bedeutung werden. Es kann mehrere Vorteile im Kontext von Zollwertberechnungen bieten: Wenn ein Automobilhersteller Entwicklungsleistungen in den USA erbringt und die Fertigung in Deutschland oder Europa erfolgt, kann der Anteil der Entwicklungsleistungen, die in den USA erbracht wurden, aus dem Zollwert der importierten Waren herausgenommen werden. Dies kann zu einer Reduzierung der Zollkosten führen.
Neue Umweltabgaben mitdenken
Bei Standortverlagerungen sollten auch die zahlreichen neuen Umweltsteuern, Abgaben und Zertifikathandelsregime mitgedacht werden. Kein Abgabentyp wächst nach unserer Wahrnehmung weltweit so schnell, sei es durch die Einführung von Verbrauchsteuern und Abgaben auf die Entnahme natürlicher Ressourcen, den Verbrauch von Energieträgern, die Emission von Treibhausgasen, die Verwendung der Umwelt abträglicher Einsatzstoffe, die Verwendung von Einmalverpackungen, das Anbieten von Waren oder Dienstleistungen in nicht nachhaltigen Geschäftsmodellen und vieles mehr.
Besonders nennenswert im US-Kontext sind die amerikanischen Superfund Taxes auf bestimmte Chemikalien bzw. in diesen Chemikalien enthaltene Substanzen sowie auf EU-Seite der Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz CBAM). Wird also in den USA aufgrund der niedrigen Preise von Energieträgern emissionsintensiv produziert und werden die Waren dann in die EU exportiert, können bei der EU-Einfuhr erhebliche Zusatzkosten anfallen und eventuelle US-Wettbewerbsvorteile (über-)kompensieren. Dabei ist mitzudenken, dass der CBAM in den kommenden Jahren erheblich auf weitere Warenkategorien ausgedehnt werden soll und der Kohlenstoffpreis deutlich ansteigen wird.
Standortvorteile nutzen
Die USA bieten im Vergleich zu Deutschland und der EU eine Reihe von Standortanreizen. Dazu zählen die vergleichsweise niedrigen Körperschaftsteuersätze, die durch die Steuerreform von 2017 auf einen effektiven Satz von etwa 21 Prozent sanken, aber auch Wirtschaftszonen mit weiteren Vorteilen. Zahlreiche Bundesstaaten bieten darüber hinaus Steuererleichterungen oder Zuschüsse, insbesondere bei Forschung und Entwicklung oder erneuerbaren Energien. Attraktiv sind die niedrigeren Energiekosten, gerade in den energieproduzierenden Bundesstaaten. Zusätzlich profitieren Unternehmen von einer flexibleren Arbeitsmarktregulierung, die es ihnen ermöglicht, schneller auf Marktveränderungen zu reagieren. Ein weiteres Asset ist der kaufkräftigste Verbrauchermarkt der Welt. Die Innovations- und Forschungskapazitäten in den USA sind hoch, unterstützt durch renommierte Universitäten und Forschungseinrichtungen, die enge Partnerschaften mit der Industrie pflegen. Die Verfügbarkeit von Risikokapital und Investitionen in Technologie-Start-ups runden das Standortprofil ab. Schließlich genießen Unternehmen in den USA oft eine stärkere rechtliche Durchsetzung von geistigem Eigentum, was zusätzlichen Schutz für innovative Produkte und Technologien bietet. Diese Kombination aus steuerlichen Anreizen, niedrigeren Energiekosten, einem dynamischen Arbeitsmarkt, einem großen Verbrauchermarkt und starken Innovationskapazitäten macht die USA zu einem äußerst attraktiven Standort für Unternehmen, die international expandieren oder ihre Produktions- und Entwicklungsaktivitäten verlagern möchten. Andererseits ist eine Verlagerung ernsthaft zu prüfen, weil selbstredend auch diverse auf Bundes- und regionaler Ebene in den USA bestehende Standortnachteile und Herausforderungen zu beachten sind.
Was kommt nach dem IRA?
Der Inflation Reduction Act (IRA), der im Jahr 2022 in den USA verabschiedet wurde, bringt zusätzliche Vorteile für Unternehmen, insbesondere in den Bereichen erneuerbare Energien und Klimaschutz. Fraglich ist allerdings, ob der vom vorherigen US-Präsidenten Joe Biden initiierte IRA unter seinem Amtsnachfolger Trump noch eine lange Lebenserwartung hat. Dieser plant seinerseits neue Ansiedlungsanreize: Die Konzerne sollen etwa in Sonderwirtschaftszonen „die niedrigsten Steuern, die niedrigsten Energiekosten, die geringste Regulierungslast und freien Zugang zum besten und größten Markt der Welt“ erhalten. Ein Industriebotschafter solle ausländische Unternehmen in aller Welt davon überzeugen, in die USA umzusiedeln. Offen bleibt die Realisierung mit Blick auf die Möglichkeit zur vollen Gegenfinanzierung durch Zolleinnahmen, zumal auch die Finanzmärkte aufgrund der Gesamtstaatsverschuldung der USA vorsichtiger werden und die Zinsen für US-Staatsanleihen steigen und den Handlungsspielraum für Maßnahmen auf Pump einengen.
Die USA als Pars pro Toto
Derzeit richten Unternehmen ihren Blick zwar vor allem auf die USA, sie müssen aber angesichts der weltweiten Veränderungen – Stichwort Globalisierung 3.0 – ihre gesamten Wertschöpfungsketten überprüfen und gegebenenfalls neu ausrichten. Wie geht es weiter mit dem Chinageschäft? Welche Aufgaben kann ich noch in Deutschland belassen? Welche Rolle spielen die osteuropäischen Länder für mein Unternehmen? Wie kann ich die digitale Transformation nutzen, um neue, kundenorientierte Geschäftsmodelle zu schaffen? Und: Wie bekomme ich mehr Resilienz in meine Lieferkette und verbinde Anpassungen mit den neuen Anforderungen an Nachhaltigkeitsgesichtspunkte?
Umgang mit China
Die Globalisierung ist nicht ohne China zu denken. Seit den 1970er-Jahren haben wir große Offshoring-Wellen nach Asien gesehen. Das Reich der Mitte wurde mit dem politischen Öffnungskurs unter Deng Xiaoping zur globalen Werkbank. Spätestens seit der Pandemie geht jedoch für Konzerne aus aller Welt das Konzept des Offshorings nach China nicht mehr auf. Viele Unternehmen fanden sich von einem Tag auf den anderen ohne kritische Rohstoffe wieder. Aufgrund des fernöstlichen Shutdowns gingen etwa Pharmaunternehmen die Medikamente aus. Überdies wachsen seither die politischen Spannungen zwischen den USA und China sowie deren asiatischen Anrainerstaaten. Insbesondere die westlichen Verbündeten der Amerikaner können sich dem Konflikt nicht auf Dauer entziehen. Auch lässt sich beobachten, dass die Produktionskosten in China infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen sind und inzwischen andere Länder in Südostasien teilweise günstigere Kostenstrukturen aufweisen.
Nach Off- kommt Nearshoring
Tausende amerikanische und europäische Unternehmen müssen prüfen, wie sie ihre Abhängigkeit von China verringern und eine widerstandsfähigere Lieferkette aufbauen können, ohne den chinesischen Markt selbst zu vernachlässigen. Nach lean kommt agile und am Ende steht ein hybrides Modell. Nach dem Offshoring kommt das Konzept des Nearshorings oder Omnishorings. Die Strategie, die oft als „China + 1“ bezeichnet wird, bedeutet, dass Unternehmen sowohl einen (chinesischen) Offshore- als auch einen Nearshore-Fertigungsstandort einrichten. Das heißt, ein hiesiges Unternehmen behält zwar seine in China beginnende Lieferkette bei, da das 1,4 Milliarden Menschen zählende Land schließlich ein extrem wichtiger Markt bleibt und die dortigen Produktionsbedingungen noch immer attraktiv sind; aber dieses Unternehmen baut auch eine zweite Lieferkette mit Produktionskapazitäten und Vertriebskanälen auf, die näher an den europäischen Märkten liegen.