Tax & Law Magazine: Welche Herausforderungen haben Unternehmen in der Praxis bei der Anpassung an die neuen Zollregelungen erlebt?
Anna-Philippa Vogel: Die Unternehmen stehen vor einer Vielzahl von Herausforderungen, insbesondere in Anbetracht eines sich abzeichnenden Handelskrieges. Bei vielen Unternehmen herrscht Verunsicherung, wie sie in Märkten agieren sollen, in denen sich permanent Regelungen verändern. Ein häufiges Problem ist, dass die zollrechtlichen Themen und die strategische Bedeutung, die diese haben können, bisher nicht im Fokus des „C-Level“ standen. Zölle wurden häufig nur als Kostenblock wahrgenommen und ihre „Hebelwirkung“ unterschätzt. Dabei führt ein geschicktes Agieren unter Nutzung von Möglichkeiten, die das Zollrecht bietet, oft zu langfristigen Einsparungen, unabhängig von der gegenwärtigen Situation explodierender Zollsätze.
Gab es unerwartete Konsequenzen oder Schwierigkeiten, die viele Unternehmen nicht vorhergesehen haben?
Ja, die größte Herausforderung ist die Komplexität der zollrechtlichen Regelungen, deren Zusammenspiel und Anwendungsbereich. Die Zollsätze ändern sich in einem Handelskrieg ständig, und die Unternehmen haben Schwierigkeiten, die richtigen Informationen zu finden. Oftmals stellen wir fest, dass Unternehmen keinen Überblick darüber haben, welche Zollsätze auf ihre Produkte in den einzelnen Ländern, in die sie liefern, Anwendung finden. Diese Daten stehen entweder nicht zur Verfügung oder sind nicht aufbereitet. Aus diesem Grund sind einige Unternehmen nicht der Lage, die Auswirkungen sich ändernder Zollsätze zu simulieren, um finanzielle Auswirkungen zu bestimmen und daraus fundierte unternehmerische Entscheidungen abzuleiten.
Welche Strategien haben Unternehmen entwickelt, um sich auf die anhaltenden Zollbelastungen einzustellen?
Unser primäres Ziel ist es, die Zollbelastung zu reduzieren, sei es durch Anwendung bestimmter Regularien oder durch Reduktion des Zollwertes als Basis der Zollerhebung. Zunächst werden die konkreten Belastungen – „Impact-Analyse“ – und die bestehenden Lieferketten analysiert. Idealerweise lassen die bestehenden Lieferketten eine zollrechtliche Optimierung zu, die auch aus rechtlicher und steuerlicher Sicht sinnvoll und darüber hinaus vorteilhaft ist, da Zölle grundsätzlich erhoben werden („No-Regrets“-Lösungen). Der Fokus liegt dabei auf der Überprüfung der Anwendbarkeit spezifischer US-Regularien wie z. B. der „First Sale for Export Rule“ oder des „IP-Unbundling“ gewisser Komponenten eines Preises von Waren im Warenverkehr mit den USA.
Immense Bedeutung hat losgelöst davon der nichtpräferenzielle Ursprung der Ware, der in den USA zum Teil anders bestimmt wird. Die zollrechtlichen Master-Daten sind daher essenziell. Eine zollrechtliche Optimierung muss zwingend holistisch betrachtet werden, weswegen wir eng mit anderen Teams (Tax/Law/Supply Chain etc.) und anderen EY-Offices zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass alle relevanten Informationen und Strategien koordiniert und geprüft werden. Ziel ist es, die Zollbelastungen so weit wie möglich zu minimieren und gleichzeitig die Flexibilität der Lieferkette zu erhalten, ohne (steuer)rechtliche Risiken zu erzeugen.
Was müssen Unternehmen in der Vergangenheit getan haben oder zukünftig tun, um flexibler mit der Situation der spontanen Strafzölle umgehen zu können?
Unternehmen müssen sicherstellen, dass auf jeder Fertigungsstufe entsprechende Zolldaten vorliegen. Die Verknüpfung dieser Zolldaten mit den entsprechenden Informationen ist entscheidend, um schnell auf Änderungen reagieren zu können. Ein gut strukturiertes Master-Data-Management ermöglicht es Unternehmen, fundierte Entscheidungen zu treffen und flexibel auf die Herausforderungen von Strafzöllen zu reagieren. Nur so können sie sicherstellen, dass sie zollrechtliche Opportunitäten nutzen und gleichzeitig die Effizienz ihrer Lieferketten maximieren können.
Wie haben sich die Lieferketten der Unternehmen verändert, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden?
Die Unternehmen analysieren derzeit ihre bestehenden Lieferketten und prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, Zollbelastungen zu reduzieren, ohne tiefgreifende Änderungen vorzunehmen. Hierbei spielen neben zollrechtlichen Erwägungen Aspekte wie Logistik, Verfügbarkeit, vertragliche Verpflichtungen etc. eine entscheidende Rolle. Viele Unternehmen setzen auch auf Diversifizierung ihrer Lieferanten, um flexibler auf Änderungen reagieren zu können.
Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung der US-Zollpolitik ein? Gibt es Anzeichen für eine mögliche Entspannung oder weitere Verschärfungen?
Die Unsicherheiten in den USA zwingen Unternehmen, ihre Strategien zu überdenken. Die frühere „Vorhersehbarkeit“ ist verschwunden, was zu erhöhter Unsicherheit führt. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Zollpolitik weiterhin volatil bleibt und sich Unternehmen darauf einstellen müssen.
Welche Empfehlungen würden Sie Unternehmen geben, die sich auf zukünftige Änderungen in der Zollpolitik vorbereiten möchten?
Unternehmen müssen erkennen, dass die Zollfunktion eine strategische Schlüsselposition ist. Sie sollten sich proaktiv mit den Herausforderungen auseinandersetzen und die Möglichkeiten zur Optimierung ihrer Zollstrategien nutzen. Ein effektives Management der zollrechtlichen Daten ist entscheidend, um reaktionsfähig zu bleiben.
Wie wichtig ist die Konkurrenzbetrachtung in der aktuellen Situation?
Die Konkurrenzbetrachtung ist in der aktuellen Situation von entscheidender Bedeutung, da sie es Unternehmen ermöglicht, die Stärken und Schwächen ihrer Wettbewerber zu analysieren und sich strategisch zu positionieren. Unternehmen fragen sich zunehmend, wie ihre Wettbewerber auf die neuen Zollregelungen reagieren. Oftmals führt das Wissen, dass die Konkurrenz ähnliche Herausforderungen hat, zu einer gewissen Beruhigung – ich nenne es „Ruhe in der Unruhe“.
Wie sehen Sie das gegenwärtige „Deal-Prinzip“ der US-Regierung in Bezug auf die Zollpolitik?
Das Deal-Prinzip ist entscheidend, insbesondere in der aktuellen Handelslandschaft. Während von einem Deal gesprochen wird, sind die Zollsätze oft sehr hoch angesetzt, um Druck auf die Verhandlungspartner auszuüben. Eine solche Taktik ist derzeit im Hinblick auf den Handel zwischen den USA und der EU und den USA und China zu beobachten.
Viele Unternehmen fragen sich, ob der US-Markt noch der richtige für sie ist. Wie gehen sie mit dieser Unsicherheit um?
Diese Frage beschäftigt viele Unternehmen. Einige wägen die Kosten einer möglichen Lokalisierung zahlreicher Prozesse in den USA ab und fragen sich, ob es sinnvoll ist, dort zu investieren. Viele Unternehmen diversifizieren ihre Märkte, indem sie in andere Länder oder Regionen expandieren. Unternehmen entwickeln flexible Geschäftsstrategien, die es ihnen ermöglichen, schnell auf Veränderungen im US-Markt zu reagieren. Dazu gehört die Anpassung von Produkten, Preisen und Marketingstrategien.
Was sind die Schlüsselfaktoren, die Unternehmen identifiziert haben, um in dieser neuen Zollumgebung erfolgreich zu sein?
In der sich ständig verändernden Zollumgebung haben Unternehmen mehrere Schlüsselfaktoren identifiziert, um erfolgreich zu sein. Zum einem wird die Zollfunktion zunehmend als strategisch relevant verstanden. Unternehmen erkennen, dass sie durch eine effektive Zollstrategie signifikante Einsparungen erzielen können. Zum anderen rücken das Compliance- und das Datenmanagement sowie die technologische Integration in den Vordergrund.
Wie wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Abteilungen (z. B. Zoll, Recht, Finanzen) in Unternehmen, um die Herausforderungen zu bewältigen?
Die Vernetzung der Zollfunktion mit anderen Unternehmensbereichen (Einkauf, Vertrieb, Steuer, Recht und Logistik) ist entscheidend für die Optimierung von Prozessen, die Minimierung von Risiken und die Gewährleistung einer effektiven und effizienten Geschäftstätigkeit. Sie ermöglicht die Nutzung von Opportunitäten, insbesondere im Hinblick auf Risikomanagement, Effizienzsteigerung, Kostenkontrolle /-ersparnis und Compliance.
Was ist Ihre abschließende Botschaft an Unternehmen, die mit diesen Herausforderungen konfrontiert sind?
Ich meine, dass die aktuelle Situation die Signifikanz der strategischen Zollfunktion eines Unternehmens und die Relevanz von verlässlichen Global Trade Master Data in den Vordergrund rückt. Unternehmen müssen erkennen, dass eine verlässliche Datenlage die Optimierung ihrer Zollstrategien vereinfacht. In einer Zeit, in der sich die Handelslandschaft ständig verändert, ist es entscheidend, agil und gut informiert zu bleiben.
Im Visier
Die aktuelle US-Zollpolitik missachtet bestehende Handelsabkommen (teilweise Freihandelsabkommen). Tax & Law präsentiert eine Auswahl: