Kommen wir auf Ihr Kerngeschäft zu sprechen, die Netze. In einem Experteninterview zur letztjährigen Stadtwerkestudie sagte Christian Arnold von EWE zu uns: „Die Welt, in der ein Versorger 100 % der Infrastruktur besitzt, ist vorbei.“ Hat er recht?
Vor zehn Jahren wäre diese Frage noch ein Affront gewesen. Heute haben wir ganz andere Rahmenbedingungen. Zum Beispiel wird es für viel mehr Kunden verpflichtend, auch selbst erneuerbare Energien einzuspeisen. Photovoltaikanlagen werden nicht nur als Großanlagen Pflicht, sondern zunehmend auch für kleinere Gewerbetreibende. Und dann der Ausbau der Elektromobilität. Wir müssen die Transport- und Verteilnetze ausbauen, um letztlich überall Erneuerbare anschließen zu können. Da sind also für alle Beteiligten immense Investitionsmittel erforderlich. Allein wir als EnBW haben bis 2024/5 auf dem Plan, 12 bis 13 Milliarden Euro zu investieren. Und das ist erst der Anfang.
Wo sind die größten Baustellen, wo muss jetzt am meisten investiert werden?
Wir müssen maximal investieren in unser Verteilnetz. Da haben sich die Anforderungen um 180 Grad gedreht. Bevor es Innovationen wie Wärmepumpen oder Wallboxen gab, waren Netze so konzipiert, dass sie eine gleichzeitige Leistung von 3 bis 5 kW bringen mussten. Wenn heute aber Wärmepumpen, Photovoltaik und Batteriespeicher angeschlossen sind, sprechen wir allein im privaten Bereich von 22 kW. Das ist eine ganz andere Dimension. Und da rede ich nicht von den Kilowattstunden (kWh), sondern von der elektrischen Leistung. Das Anschließen der Erneuerbaren findet ja vorwiegend im Verteilnetz statt, und nicht nur in der Stadt, sondern stark auch im Ländlichen, mit Windparks, Solarparks, PV-Anlagen, Ladestationen. Da muss also breitflächig investiert werden.
Und welche Investitionen erfordert das Übertragungsnetz?
Wenn wir Kraftwerke abschalten, muss die Energie von den Windparks im Norden ja irgendwie in den Süden kommen. Da stehen milliardenschwere Projekte an.
Wie sind die Möglichkeiten, mehr in Intelligenz als in Kupfer zu investieren?
Es ist tatsächlich keine Alternative, überall noch mal ein neues Kabel zu legen. Die Tendenz geht ganz klar dahin, Netze zu steuern. Dazu gehört im Niederspannungsbereich, erst mal eine digitale Transparenz über die Energieflüsse herzustellen. Dazu gehört auch, mehr Speicher einzusetzen. Dazu gehören aber auch Rahmenbedingungen in der Regulierung.
Wie bringen Sie denn die Digitalisierung der Netze voran?
Wir machen das gerade in unseren „Netzlaboren“. Dort sammeln wir Erfahrungen, wie das Zusammenspiel von Erneuerbaren und klassischem Netzbetrieb in der Realität funktioniert. Zum Beispiel: Wie lässt sich die Leistung der Ladeboxen in den Wohnanlagen und Einfamilienhäusern so steuern, dass wirklich jeder jeden Morgen ein voll geladenes Auto hat? Das geht nur mit intelligenten Systemen, damit nicht alle gleichzeitig ans Netz gehen. Wir testen das im Feld, in einer realen Straße mit echten Menschen, denen wir ein Jahr lang E-Autos zur Verfügung gestellt haben. Dabei haben wir zum Beispiel rausgefunden, dass die Leute hier bei uns vor allem am Samstag ihr Auto aufladen, wenn sie keine Pendler sind. Mit diesen Netzlaboren sind wir in Deutschland ganz weit vorne.
Was bedeuten diese großen Umbrüche für die Besitzverhältnisse bei der Infrastruktur?
Eine Möglichkeit ist, sich einen Partner reinzuholen, der Finanzmittel mitbringt, die man für weitere Investitionen einsetzen kann. Die ganze Energiebranche hat ja derzeit ein Luxusproblem: Es gibt unendlich viele Investitionsmöglichkeiten. Es ist nicht so, dass man nicht wüsste, was man zu tun hat – es ist gigantisch, was da läuft!
Neben dem finanziellen Aspekt geht es aber auch darum, die Menschen vor Ort von Betroffenen zu Beteiligten zu machen. Nur so erreichen wir eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, für neue Windräder zum Beispiel. Und wir kommen zu einer höheren Akzeptanz, statt immer nur am Sankt-Florians-Prinzip zu verzweifeln, an diesem ewigen „Ja, aber nicht vor meiner Haustür!“.
Was tut denn EnBW dafür, die Eigentümerschaft der Netze zu diversifizieren?
Wir haben vor zwei Jahren das Programm „EnBW vernetzt“ gestartet. Über dieses Modell konnten rund 550 berechtigte Kommunen im Land mittelbar Anteile an der Netze BW erwerben. Die Liste der Herausforderungen für die Infrastruktur der Kommunen ist ja lang: Energiewende, Klimaschutz, Verkehrswende, Breitbandausbau, öffentliche Sicherheit und, und, und.
Diese Themen sind für uns alle wichtig und daher macht es auch Sinn, sich noch besser zu verzahnen. Über 200 Kommunen haben sich in Summe mit über 300 Mio. Euro an unserer Netze BW beteiligt. Jetzt sind also rund 14 % in kommunaler Hand, und das in der Hochzeit von Corona, wo es ja gerade bei Kommunen darum ging, mit deutlich geringeren Haushaltsmitteln auszukommen. Das spricht für das Modell und auch für uns. Wir freuen uns sehr darüber.
Schauen wir mal auf den Breitbandausbau. Der ist hauptsächlich getrieben durch verschiedene Fördermodelle, entweder als Betreibermodelle, wo das Netz im vollständigen Eigentum der Kommune liegt, oder über einen eigenwirtschaftlichen, unternehmerischen Ausbau. Bedingt durch die Fördermittel ist der Trend seit Jahren, die Breitbandnetze als kommunales Eigentum auszubauen. Da sind wir dann als Netze BW also nicht Eigentümer der Glasfaser, sondern Generalunternehmer, der das Netz baut und schlüsselfertig übergibt. Das machen wir auch gern, denn wir wollen für unsere Kommunen bei jeder Art Infrastruktur der bevorzugte Partner sein.
Bleiben die Mehrheiten dabei auch in Zukunft immer in der Hand der EnBW?
Ja, das gilt bei uns für alle Partnerschaften. Wir haben als EnBW 2012 schon vor Jahren Windparks mit kommunaler Beteiligung geschaffen, z. B. den Windpark Baltic 2. Und momentan suchen wir einen Partner für das Thema Transnet, also die großen Stromautobahnen. Dabei behalten wir immer das Ziel und die Logik der Versorgungssicherheit im Auge. Beim Übertragungs- und beim Verteilnetz wird die Mehrheit auf jeden Fall bei uns bleiben, sodass wir unseren Kunden gegenüber ein integriertes System haben. Wir sind ja der letzte der großen Netzbetreiber, der noch die gesamte Wertschöpfungskette in der Hand hält. Das ist unser Vorteil, weil wir dadurch vernetzt über die einzelnen Geschäftsbereiche hinausdenken können.
Sie haben die Reallabore erwähnt, die EnBW betreibt. Sind diese Forschungsabteilungen auch eine Investition in mögliche neue Geschäftsmodelle, neue Produkte für die Stadtwerke?
Natürlich betreiben wir so ein Netzlabor in erster Linie für uns. Aber in einem zweiten Schritt schauen wir immer, was das für unsere Kooperationspartner bedeuten kann. Dabei achten wir sehr genau darauf, ob eine Leistung wie zum Beispiel das Abrechnungswesen wettbewerbsfähig ist, bevor wir sie einem unserer Partner anbieten. Denn wir wollen ja, dass unsere Partnerunternehmen florieren und am Ende eine Rendite abwerfen.
Wie blicken Sie auf die Themen grüne Gase und grüne Wärme? Welche Bedeutung haben diese Themen für die Weiterentwicklung Ihrer Infrastruktur?
Wenn man Politik und Medien folgt, klingt es oft so, als gäbe es nur die eine oder die andere Lösung. Aber werden wir wirklich mal alles mit Wasserstoff machen? Wohl kaum.
Unsere Gasnetze sind natürlich für den Wasserstoffbetrieb prädestiniert. Da kommen dann wieder unsere Netzlabore ins Spiel: Wir betreiben zurzeit eine sogenannte Wasserstoffinsel. Dort versuchen wir, Wasserstoff beizumischen, derzeit 20 bis 30 Prozent. So wollen wir herausfinden, wie sich die Gase untereinander vertragen. Denn Wasserstoff wird kommen, aber auch ich kann Ihnen nicht sagen, wann und in welcher Ausprägung. Das Ganze setzt für mich voraus, dass wir erst einmal unseren gesamten bisherigen Strombedarf mit Erneuerbaren gedeckt haben, bevor wir beginnen können, mit erneuerbarem Strom über Elektrolyseure in großem Stil grünen Wasserstoff herzustellen. Es wird also Übergangslösungen geben.
Wird Wasserstoff also nicht das beherrschende Thema?
Noch mal: Wasserstoff wird kommen. Aber ich würde davon abraten, jetzt alles ausschließlich auf Wasserstoff zu setzen. Die Zeiten, in denen Wasserstoff in so großen Mengen zur Verfügung steht, dass er uns großflächig mit Strom und Wärme versorgen kann, die werde ich in meiner aktiven Zeit nicht mehr erleben. Deshalb braucht es ein Spektrum kommunaler Wärmeplanung, von Blockheizkraftwerken mit regenerativen Brennstoffen über Biomethan, Wasserstoff, Stromwärmepumpe und, und, und. Wir brauchen Diversifikation. Und da ist man gut beraten, wenn man auf jedem Feld Erfahrung hat. Im Bereich Wasserstoff zum Beispiel haben wir eine Kooperation mit Bosch. Dabei geht es um Gasbrennwertgeräte, die zukünftig auch H2 verbrennen können.
Werden die Kunden der Zukunft denn verstärkt grünen Wasserstoff nachfragen?
Das müssen wir erst mal sehen. In unseren Laboren merken wir etwa, dass eben nicht alle Kunden von der Idee begeistert sind, in ihrem Keller Wasserstoff zu haben. Viele Leute denken, da bestehe eine Explosionsgefahr! Da gilt es erst mal, langsam, aber sicher Vertrauen aufzubauen.
Sie haben jetzt viel von Kooperationen gesprochen, gilt das auch für die Netze selbst? Sprich: Wem werden in 25 Jahren die Versorgungsinfrastrukturen gehören?
Das kann heute noch keiner sagen, denn es hängt von den politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Vom Trend her denke ich, dass sich im Bereich der Erneuerbaren mehr Kooperationen durchsetzen, einfach weil so die Akzeptanz steigen kann. Beim klassischen Strom und Gas sieht es so aus, dass eine Kooperation vor zehn Jahren noch deutlich lukrativer war. Heute geht es angesichts der hohen anstehenden Investitionen dabei schon fast eher darum, wie viel ich zu der Party mitbringe, und nicht, was ich da rausziehen kann. Daher würde ich sagen, es wird mehr Beteiligungen geben, aber wenn man wie wir prinzipiell an die Versorgungssicherheit denkt, kann man das weiterhin am besten aus einer Hand leisten. Ein Schweizer Käse wird nicht besser, wenn man noch mehr Löcher in ihn fräst, das haben uns allein schon die letzten Naturkatastrophen gezeigt.
Wenn Sie einen Wunsch an die Bundesregierung äußern könnten, welcher wäre das?
Bitte, bitte, bitte gebt uns verlässliche Rahmenbedingungen. Wir haben ein langfristiges Geschäft mit Assets, die sich über 30, 40 Jahre abschreiben, und da kann man nicht einmal hü und einmal hott sagen, so wie es damals beim Atomausstieg lief. Seit den Bundestagswahlen haben wir den klaren Kurs eingeschlagen, den CO2-Ausstoß zu minimieren und das Klima zu schützen. Da wünsche ich mir schon, dass wir diesen Kurs genau so beibehalten – egal wie die nächsten Wahlen ausgehen.
Aus unternehmerischer Perspektive wäre mir zudem wichtig, dass die wirtschaftlichen Anreize stimmen. Andere große Konzerne aus der freien Wirtschaft würden bei den Renditen, die wir aufgrund der Regulierung erwirtschaften können, schon längst den Laden dichtmachen.
Dann würde ich mir wünschen, dass es klare Marktspielregeln gibt. Es kann nicht sein, dass die Discounter ihre Gaskunden bei uns in der Grundversorgung abwerfen, wenn der Gaspreis steigt. Da entledigen sich die Discounter zulasten der Kunden und zulasten von uns ihrer Verantwortung. Da habe ich keinerlei Verständnis für, dass es solche Spielregeln überhaupt gibt.
Fazit
Steffen Ringwald, Geschäftsführer Kunden und Konzessionen bei der Netze BW, sieht immensen Investitionsbedarf für das Verteilnetz. Einfach mehr Kabel verlegen? Damit ist es längst nicht getan, erläutert er im Interview und erklärt, was es mit Wasserstoffinseln und Netzlaboren auf sich hat.