20 Minuten Lesezeit 30 August 2021

Von der Vision zum ersten Schritt in ein reales Mobilitätsökosystem: Der CitySnap feiert dieses Jahr als mobile Paketstation Weltpremiere auf der IAA.

CitySnap Fahrzeug steht vor einem Gebäude

Wie sich mit Mobilität von morgen die Stadt von heute verbessern lässt

Autoren
Constantin Gall

Managing Partner Strategy and Transactions

Hat jahrzehntelange Erfahrung in der Strategie- und Transaktionsberatung sowie in der Automobilbranche. Ist auch privat ein Autoenthusiast und geht gerne mit Familie und Freunden auf Reisen.

Jan Sieper

Partner Strategy and Transactions, EY Strategy & Transactions GmbH | Deutschland

Ist Stratege und Umsetzer für die Digitalisierung des Autos und die Mobilität von morgen.

20 Minuten Lesezeit 30 August 2021

Von der Vision zum ersten Schritt in ein reales Mobilitätsökosystem: Der CitySnap feiert dieses Jahr als mobile Paketstation Weltpremiere auf der IAA.

Überblick:

  • Aus der Kooperation der Schweizer Ideenschmiede Rinspeed mit EY und weiteren Partnern ist nach dem Snap, dem MicroSnap und dem MetroSnap nun der CitySnap gereift.
  • Die mobile Paketstation, die im September auf der IAA präsentiert wird, entlastet die städtische Infrastruktur und bringt zahlreiche Vorteile mit sich.
  • Autonomes Fahren mag noch Zukunftsmusik sein –  der CitySnap weist schon jetzt die Richtung zu einem modularen Mobilitätsökosystem von morgen.

Gemeinsam mit EY zeigt Rinspeed auf der IAA mit einer mobilen Paketstation eine seriennahe Lösung auf dem Weg zu einer nachhaltigen Zukunft der Mobilität in Städten. Der CitySnap ist weder Studie noch Prototyp oder Konzeptfahrzeug, sondern einsatzbereit, zum Anfassen und Losfahren. Was als Vision begann, könnte schon bald viele Probleme von Städten, Paketdiensten, Onlinehändlern und Kunden lösen.

Austausch unter Visionären

2015

war EY dank der Zusammenarbeit mit Rinspeed die erste Beratungsfirma, die neue Ideen und die möglichen Auswirkungen des autonomen Fahrens an einem echten Fahrzeug demonstrieren konnte.

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Kapitel 1

Von der Zukunftsvision zum Geschäftsmodell – Wie alles begann

Die Zusammenarbeit von Rinspeed mit EY verbindet technisches Know-how mit ökonomischer Bodenhaftung.

Fahrzeuge zum Anfassen transportieren eine Vision besser als jede PowerPoint-Präsentation. Das hat die Zusammenarbeit von EY mit Rinspeed, der Schweizer Ideenschmiede für nachhaltige Mobilitätskonzepte, eindrucksvoll gezeigt. Beide Partner verbindet ein gemeinsames Ziel: Ideen für die Mobilität der Zukunft in die Tat umsetzen. 

Dank der Kooperation mit Rinspeed und vielen weiteren Partnern war EY 2015 die erste Beratungsfirma, die neue Ideen und die möglichen Auswirkungen des autonomen Fahrens an einem echten Fahrzeug demonstrieren konnte – dem elektrisch angetriebenen Budii mit wegklappbarem Lenkrad. Im täglichen Pendelverkehr übernimmt das selbstfahrende Auto. Steht der Fahrspaß im Vordergrund, übergibt ein Roboterarm dem Fahrer oder Beifahrer das Lenkrad und damit das Kommando. Jenseits der technischen Machbarkeit ging es den Partnern auch um juristische, ethische und gesellschaftliche Fragen: Selbst, wenn die Technik imstande ist, fehlerfreier als der Mensch zu fahren, wird sie nicht perfekt sein. Wie tolerant sind wir? Wie viel Vertrauen haben wir in Hard- und Software?

Aus einer Idee wird ein Geschäftsmodell 

Rinspeed hatte in EY einen Partner gefunden, der aus einer Idee ein Geschäftsmodell entwickeln konnte. Während die Schweizer Ideenschmiede an der Technik feilte, sorgten die Berater-Teams für die ökonomische Bodenhaftung. Fast noch wichtiger als das finanzielle Sponsoring war dabei das Netzwerk von EY. Spezialisten beschäftigten sich mit Fragen wie: Was für eine Mobilitätsstruktur brauchen die Städte? Mit welchen regulatorischen Anforderungen ist die Mobilität von morgen konfrontiert? Was wollen die Kunden? Um die Idee auf die Straße zu bringen, entwickelten die Berater gemeinsam mit Rinspeed eine Strategie und ein Timing.

Aus den Erfahrungen mit dem Budii und den folgenden Konzeptfahrzeugen Σtos und Oasis entstand die Idee, Hardware und Software zu trennen, wie bei einem Computer. Denn zur nachhaltigen Veränderung des Straßenverkehrs musste die tatsächliche Nutzung der Fahrzeuge signifikant erhöht werden. Um die Ressourcen besser zu nutzen und den unterschiedlichen Lebenszyklen von Hard- und Software gerecht zu werden, wurde das anwendungsunabhängige Fahrgestell, Skateboard genannt, vom anwendungsspezifischen Aufbau, dem Pod, getrennt. Die revolutionäre Idee des Snap war geboren.

2018: Der erste Snap mit Hebetechnik

Als der Snap 2018 auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas, dem Genfer Autosalon und vielen anderen Ausstellungen erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, sorgte das Konzept für Aufsehen. Eine Hebetechnik mit Stützen diente dem Austausch der Pods, wie bei einem Frachtcontainer auf Stelzen. So kann das Fahrzeug morgens als Taxi dienen, mittags als mobile Arztpraxis und abends als Sauna oder Essenslieferant – je nachdem, welcher Aufbau gerade genutzt wird. Während die Pods nach Bedarf wechseln, ist das Skateboard im Dauereinsatz. 

Die Idee fand schnell Nachahmer. Schon bald nach der Premiere präsentierte ein großer deutscher Automobilhersteller ein ähnliches System, weitere sollten folgen. Auch die Fachleute von EY waren erneut gefragt. Schließlich galt es, neben der Technik auch das Geschäftsmodell zu verbessern, um den Vorsprung auszubauen, ohne die Marktentwicklung aus den Augen zu verlieren.

2019: MicroSnap mit automatisierter Wechselstation

Schon ein Jahr später präsentierte Rinspeed deshalb auf der Autoshow in Detroit, in Las Vegas und in Genf eine geschrumpfte Version des ersten Snap, den MicroSnap. Statt des aufwändigen Hebe-und-Senkmechanismus verfügte er über eine vollautomatisierte Roboterstation, die Fahrgestell und Aufbauten selbstständig zusammenfügte und trennte. Die automatisierte Abrechnung zwischen den jeweiligen Anbietern von Pods und Skateboards sowie weiteren Dienstleistern erfolgte je nach Nutzung durch eine auf der Blockchain-Technologie basierende Mobilitätsplattform von EY.

Obwohl deutlich einfacher als die Hebetechnik, hatte auch die automatische Tauschstation noch nicht die industrielle und kommerzielle Reife, um hier de facto ein Ökosystem zu erbauen. Einerseits war der Mechanismus noch immer zu kompliziert und damit anfällig. Wichtiger für die weitere Entwicklung aber war die Erkenntnis, dass eine fixe Tauschstation, zu der das Fahrzeug immer wieder für Umbauten zurückkehren muss, zu viele leere Wegstrecken bedeutet und nicht flexibel genug ist.

2020: Der MetroSnap ist bereit für die Straße

Um sich in der Fläche durchzusetzen, müssen modulare Mobilitätssysteme auch wirtschaftlich Sinn ergeben. Und genau in diesem Punkt ging der 2020 vorgestellte MetroSnap einen entscheidenden Schritt weiter. Von der Luftfahrt inspiriert, verfügte er über eine im Fahrzeug integrierte Technik zum Austausch der Pods mit einer Art Mini-Förderband, das ortsunabhängig und sogar ohne Strom funktionierte. Das Wechselsystem war einfach, sicher, preisgünstig und bei Wind und Wetter erprobt.

Es war soweit. Mit dem MetroSnap stand eine technisch ausgereifte Strategie, bereit für Pilot-Projekte und später auch Serienproduktion sowie den Einsatz im täglichen Auslieferungsservice. Blieb nur noch eine entscheidende Hürde: Bis auf begrenzte Feldversuche hatte sich das autonome Fahren noch nicht etabliert. Einfach abzuwarten, bis es endlich so weit ist, war keine Option. Eine Übergangslösung mit Fahrer musste her.

2021: CitySnap als mobile Paketstation für die Stadt von heute

Der Onlinehandel boomt und mit ihm das Verkehrsaufkommen durch Paketdienste in den Städten. Dabei sind die Kommunen eigentlich bestrebt, möglichst viel Verkehr aus den Innenstädten herauszuhalten, um diese lebenswerter und umweltfreundlicher zu machen. Um dieses Problem zu lösen und gleichzeitig einen konkreten Anwendungsfall für die Snap-Idee zu entwickeln, entstand der CitySnap. Die mobile Paketstation feiert 2021 Weltpremiere auf der IAA in München.

Städte werden vom Verkehr entlastet, Kunden bekommen ihre Pakete komfortabel und ohne lange Wege und Logistikunternehmen sparen Zeit und Kosten.

Das Prinzip ist einfach: Nachdem die Logistikdienstleister ihre Sendungen in die mobilen Paketstationen gelegt haben, werden die einzelnen Module für eine bestimmte Zeit in der Nachbarschaft, an der U-Bahn-Station oder neben dem Bürokomplex abgestellt. Die Kunden erhalten die Benachrichtigung, dass sie ihre Pakete abholen können. Eine Idee, von der alle profitieren: Die Städte werden vom Verkehr entlastet, die Kunden bekommen ihre Pakete komfortabel und ohne lange Wege und die Logistikunternehmen sparen Zeit und Kosten. Rücksendungen sind ebenso möglich wie die Nutzung als Micro-Hub in Kombination mit Lastenrädern für die Zustellung zum Kunden.

Entwickeln, lernen, verbessern – Wie Kundenfeedback die Entwicklung beschleunigt

Die Geschichte des Snap zeigt, dass das Co-Development über den ganzen Innovationsprozess heutzutage der schnellere und bessere Weg zum Ziel ist. Jede Entwicklungsstufe wurde Kunden in der ganzen Welt präsentiert. Der intensive Austausch mit ihnen, ihr Lob und ihre Einwände halfen, immer besser zu werden. So reflektieren alle Innovationen die Wünsche der Kunden. Auf diese Weise entstand schon nach wenigen Jahren ein serienreifes Fahrzeugkonzept – Geschäftsmodell inklusive.

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Kapitel 2

Mit mobilen Paketstationen gegen den Verkehrsinfarkt

Kurze Wege, hohe Effizienz: So entlasten mobile Paketstationen Straßen und Menschen in Großstädten.

Wenn man etwas aus den Erfolgen von Technologie-Unternehmen oder Start-ups lernen kann, dann dass man zwar große Träume haben darf, aber irgendwo klein anfangen muss. „Think big – start small – act fast“ lautet das Credo für Innovation. Warum also die Idee eines holistischen Ökosystems auf Eis legen bis das autonome Fahren etabliert ist, wenn es schon heute attraktive Anwendungsmöglichkeiten gibt und man bereits mit dem Aufbau eines Ökosystems beginnen kann?

Lange musste nicht nach einem möglichen Anwendungsfall für den CitySnap gesucht werden. Ein Blick auf die Straßen der Stadt genügt, um zu erkennen, dass die Paketauslieferung so nicht weitergehen kann. Zustellfahrzeuge sind von früh bis spät in der City unterwegs, blockieren Fahrbahnen, Radwege und Bürgersteige, Fahrer sind Mangelware und unter ständigem Zeitdruck, Kunden beschweren sich über achtlos abgelegte Sendungen, missglückte Zustellversuche oder lange Wege zur nächsten Abholstation.

Innovativ, attraktiv, wirtschaftlich

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Fliegen mit einer Klappe schlagen Paketstationen, die selbstständig verteilen, abstellen und wieder einsammeln.

Das Problem dürfte nicht kleiner werden. Schon vor der COVID-19-Pandemie wurde ein jährliches Wachstum von gut vier Prozent im weltweiten Onlinehandel prognostiziert. Während der Pandemie ist das Paketvolumen mit Zuwächsen von knapp einem Drittel förmlich explodiert. Ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht, zumal immer mehr Lebensmittel-Lieferungen hinzukommen. Damit steigt der Druck, eine Lösung zu finden. Die kann nur erfolgreich sein, wenn sie sowohl die Situation der Städte verbessert als auch für die Kunden attraktiv und gleichzeitig für die Dienstleister wirtschaftlich ist. Paketstationen, die selbstständig verteilt, abgestellt und wieder eingesammelt werden, schlagen alle drei Fliegen mit einer Klappe. Dies ergab eine umfangreiche Analyse von EY zu den Marktchancen und dem Geschäftsmodell.

CitySnap: Mobile Paketstationen senken Verkehr und Emissionen

Damit die Innenstädte für Bewohner und Besucher lebenswert bleiben, reagieren viele Städte auf das steigende Verkehrsaufkommen und die zunehmenden Emissionen mit Zufahrtsbeschränkungen oder -verboten. Vereinzelt werden sogar Mautgebühren diskutiert, um den Verkehr zu reduzieren. Gleichzeitig muss die Belieferung von Geschäften oder die Zustellung von Paketen an Endkunden gewährleistet bleiben. Die mobilen Paketstationen könnten für die Städte ein Baustein zur Lösung dieses Problems sein.

Die Analyse von EY, die auf Szenarien für die 50 größten Städte Deutschlands basiert, zeigt die Vorteile. Statt alle Kunden einzeln anzufahren, stellt der Fahrer die Paketstationen an verschiedenen Orten im Stadtgebiet ab und fährt wieder raus. Somit verringert sich die Zeit, die die Fahrzeuge im Stadtgebiet unterwegs sind, drastisch und mit ihr die Emissionen. Da der CitySnap rein elektrisch fährt, ergeben sich aus dem Fahrbetrieb keine CO2-Emissionen. Aber selbst bei einem Fahrzeug mit Verbrennungsmotor ließen sich pro Paket sechs Prozent an CO2-Emissionen einsparen. Das Konzept kommt zudem mit rund der Hälfte der heute benötigten Lieferfahrzeuge aus, was den Verkehr und die Parksituation in den Städten zusätzlich entlastet.

Weniger Kosten und produktivere Mitarbeiter für Logistikdienstleister

Das vollautomatisierte Fahren wird noch einige Zeit auf sich warten lassen. Deshalb ist der CitySnap vorerst auf einen menschlichen Fahrer angewiesen. Allerdings beschränkt sich dessen Arbeit für die Auslieferung der Paketstationen auf das Fahren. Das Be- und Entladen des CitySnap mit den mobilen Paketstationen erfolgt bereits heute selbstständig und dauert nur wenige Minuten. Später werden Computer und Sensoren den Platz des Fahrers im selbstfahrenden Fahrzeug einnehmen.

Nicht nur, dass sich in der gleichen Zeit doppelt so viele Pakete ausliefern ließen wie heute. Pro Paket verringert sich zudem der Aufwand im Vergleich zur herkömmlichen Paketzustellung um rund 17 Prozent.

Für die Logistikunternehmen zeigte die EY-Analyse ein spürbares Einsparpotenzial. Nicht nur, dass sich in der gleichen Zeit doppelt so viele Pakete ausliefern ließen wie heute. Pro Paket verringert sich zudem der Aufwand im Vergleich zur herkömmlichen Paketzustellung um rund 17 Prozent. Ein Kostenvorteil, der auch den Kunden zugutekommen kann. Der größte Anteil der Einsparungen entsteht durch den geringeren Bedarf an Fahrern. Das verringert zugleich das akute Problem der Paketdienstleister, geeignetes Personal für die Zustellung zu finden. Da das zeitraubende Austragen jedes einzelnen Pakets bis zur Haustür entfällt, können die Mitarbeiter wesentlich produktiver arbeiten. Die Ersparnisse wiegen die zusätzlichen Kosten für die mobilen auswechselbaren Paketstationen, die erforderliche Vorbereitung und Kommissionierung der Sendungen im Logistik-Depot und die Infrastruktur mehr als auf.

Neben den Kostenersparnissen für die Unternehmen könnten das einfache Be- und Entladen, weniger Ärger und Strafzettel auf den Straßen und einfachere Routenplanung den Job des Auslieferfahrers attraktiver machen. Wenn die Fahrer nicht mehr stundenlang schwere Pakete von Tür zu Tür und die Treppen hinauftragen müssen, würde die Arbeit auch körperlich weniger belastend. Das könnte die Anzahl der Krankheitstage erheblich verringern und die Mitarbeiterzufriedenheit verbessern.

Komfortabel und mit kurzen Wegen: Kunden schätzen die Paketstation um die Ecke

Die Zustellung der Pakete an den Empfänger verläuft bislang oft unbefriedigend und ineffizient. Ist der Kunde nicht zu Hause und wird das Paket nicht bei Nachbarn hinterlegt, muss er es später in einem Geschäft abholen. Limitierte Öffnungszeiten, Warteschlangen und mitunter lange Anfahrtswege sorgen häufig für Frustration. Selbst Drohnen oder intelligente Roboter werden daran mittelfristig nichts ändern. 

Die mobilen Paketstationen können dagegen an leicht zugänglichen und gut beleuchteten Orten aufgestellt werden. Ob im Umkreis der Wohnung, an der U-Bahn-Station oder in der Nähe des Arbeitsplatzes – die Kunden erhalten ihre Pakete dort, wo sie in ihrem Alltag sind. Und das kontaktlos, hygienisch und komfortabel.

Aus Vision wird Realität

Die Vorteile für Städte, Logistikunternehmen und Kunden liegen auf der Hand. Der CitySnap als mobile Paketstation steht bereit für den Einsatz in Kleinserie. Die Verhandlungen mit Paketdienstleistern und ausgewählten Städten laufen. Schon bald könnte aus der Vision Realität werden. 

Und das ist erst der Anfang: Der modulare Aufbau des CitySnap mit Skateboard und Pod ermöglicht viele weitere Anwendungen jenseits der mobilen Paketstation. Da er selbst vor Paletten nicht zurückschreckt, ließen sich Baustellen in der Stadt mit Material beliefern. Als Shuttle könnte der CitySnap Passagiere befördern. Essen oder Getränke gelangen dank Warmhaltefunktion oder Kühlung komfortabel zu Bauarbeitern, Festivalgästen oder Studenten an der Universität. Verteilstationen könnten Fahrradkurieren die Arbeit erleichtern. Mobile Arztpraxen würden die medizinische Versorgung auf dem Land verbessern. Vielleicht erlebt sogar der gute alte Tante-Emma-Laden eine moderne Renaissance. Da sich die Aufbauten jederzeit flexibel tauschen lassen, steigt die Auslastung der teuren Fahrzeugkomponenten, lange Standzeiten und Leerfahrten gehören der Vergangenheit an.

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Kapitel 3

Mobile Trends und Entwicklungen bis 2030

Abgasgebühr, verkehrsfreie Inseln, Shared Spaces: Autos haben in der Stadt immer weniger Platz.

Mobilität war von jeher im Wandel. Heute beeinflussen neue Technologien wie das autonome Fahren, die Elektrifizierung und Digitalisierung die Art und Weise, wie Menschen und Güter von einem Ort zum anderen gelangen. Langfristige Trends wie die Urbanisierung, veränderte Kundenwünsche und das Streben nach Nachhaltigkeit im Kampf gegen den Klimawandel verändern Mobilität heute tiefgreifender denn je.

Exkurs: Wie Unternehmen glaubhaft nachhaltig werden

  • Nachhaltigkeit: Ein Thema, das bleibt

    Nachhaltigkeit ist zu einem Modewort geworden, unter dem jeder etwas anderes versteht. Während einige Unternehmen ihre gesamte Strategie, Produkte und Prozesse diesem Ziel unterordnen und offensiv damit werben, belassen es andere bei „business as usual“ mit grünem Anstrich. Die politischen Maßnahmen und breite öffentliche Debatten um Klimawandel, Kohlendioxid-Ausstoß oder Arbeitsbedingungen bei Lieferanten zeigen jedoch: Das Thema wird nicht verschwinden und zieht sich durch sämtliche Bereiche. Es betrifft Bürger, Staaten und vor allem Unternehmen. Von ihnen wird erwartet, dass sie Verantwortung für ihre Produkte, die Produktion und die Folgen für Mensch und Umwelt übernehmen.

    Druck kommt von mehreren Seiten. Längst fordert nicht nur der Gesetzgeber von Unternehmen die Einhaltung strengerer Standards. Das Interesse an nachhaltigen, gesunden, umwelt- und ressourcenschonenden Konsumgütern und Nahrungsmitteln ist in den vergangenen Jahren in vielen Teilen der Bevölkerung massiv gestiegen. Vermögensverwalter, Finanzdienstleister und institutionelle Anleger haben darauf reagiert und fordern ihrerseits die nachvollziehbare Einhaltung der sogenannten ESG-Kriterien (Environmental, Social and Corporate Governance) zu Umwelt, Sozialem und guter Unternehmensführung. Gute Bewertungen in solchen Ratings heben nicht nur das Image des Unternehmens, sondern auch seine Kreditwürdigkeit sowie die Attraktivität für Mitarbeiter und Investoren.

  • Mehr als E-Autos: Nachhaltigkeit in der Automobilindustrie

    Viele Automobilhersteller verstehen unter Nachhaltigkeit vor allem Dekarbonisierung und hier die Abkehr vom Verbrennungsmotor hin zu reinen Elektrofahrzeugen. Andere Themen werden kaum adressiert. Hier hilft der Blick über den Tellerrand in andere Branchen. So designt beispielsweise ein Möbelkonzern jedes Produkt von vornherein so, dass es später wiederaufbereitet, wiederverwertet und schließlich recycelt werden kann. Das Unternehmen nimmt gebrauchte Möbel zurück, setzt zu 100 Prozent auf erneuerbare Energie, achtet auf gleiche Bezahlung von Männern und Frauen und hat sich für alle Unternehmensbereiche Einsparziele bei den Emissionen gesetzt. 

    Nachhaltigkeit hat Erfolg, wenn sie glaubhaft ist. Sie muss Teil der Strategie werden, sich an den Produkten und der Produktion ausrichten, nachvollziehbar und transparent sein. Für die Automobilindustrie muss dies bedeuten: der vermehrte Einsatz von recycelten oder nachwachsenden Materialien, die Wiederverwertung von Batterien für E-Autos, der Verzicht auf ökologisch fragwürdige Rohstoffe, der Einsatz erneuerbarer Energien oder Wassereinsparungen in der Produktion.

  • Nachhaltigkeit als Chance: Pioniere setzen Standards

    Anders als etwa in der Möbel- oder Textilindustrie sind die Innovationszyklen in der Automobilbranche sehr lang. Wer heute ein Produkt entwickelt, dass sich in zehn Jahren nicht mehr verkaufen lässt, weil es bestimmten Kriterien nicht genügt, verliert viel Geld und Reputation. Die Last der Erwartungen und Vorschriften ist jedoch nur eine Seite. Jenen Unternehmen, die sich erfolgreich in Richtung Nachhaltigkeit wandeln, entstehen daraus Chancen: Sie können ihre Marke und Produktpalette aufwerten und daraus lukrative Umsätze generieren und zugleich ihre Risiken reduzieren. Viele Maßnahmen wie eine hohe Recyclingquote oder ein effizienterer Einsatz von Rohstoffen zahlen sich zudem in barer Münze aus. Eine sichere Arbeitsumgebung, gleiche und faire Löhne sorgen für eine stabile Mitarbeiterstruktur. Den Vorreitern in Sachen Nachhaltigkeit bietet sich zudem die Chance, als Gesprächspartner ernstgenommen zu werden und damit selbst die Standards zu setzen.

Autonomes Fahren setzt sich nur langsam durch

Der Snap wurde als elektrisches Roboterfahrzeug konzipiert. Mit dem autonomen Fahren verbinden sich viele Hoffnungen. Da die meisten Unfälle auf menschliches Versagen zurückzuführen sind, könnten fahrerlose Autos die Straßen sicherer machen. Übernimmt der Computer die vollständige Kontrolle über das Auto, ließe sich die Fahrzeit sinnvoller nutzen, etwa zum Arbeiten, für Entspannung oder Unterhaltung oder um mit den Kindern zu spielen. Der Verkehr würde flüssiger laufen, Waren könnten effizienter und umweltschonender transportiert werden.

Doch so weit ist es noch lange nicht. Roboterautos werden sich nur langsam durchsetzen, vor allem, weil sie vorerst nur einen kleinen Teil des Bestandes ausmachen. Fahrerlose Autos dürfen in Deutschland ab 2022 im Straßenverkehr unterwegs sein, wenn auch nur in begrenzten Anwendungsbereichen und unter bestimmten Bedingungen. Das dafür nötige Gesetz hat der Bundestag kürzlich verabschiedet. Von digitaler Euphorie ist jedoch wenig zu spüren. Viele Autofahrer zweifeln an der Verlässlichkeit der Technik oder haben Angst vor Cyberangriffen. Dramatische Unfälle mit Testfahrzeugen tragen zur Skepsis bei.

Bislang sind in Europa einige öffentliche Nahverkehrsbusse ganz ohne Fahrer unterwegs. In Japan sind fahrerlose Taxis im Einsatz. Kunden müssen sich an innovative Technologien erst gewöhnen – in kleinen Schritten. Erst kamen Bremsassistenten und automatische Einparkhilfen. Die Automatisierung auf der Straße hat begonnen. Jetzt müssen die Menschen lernen, den Maschinen zu vertrauen.

Der Platz in der Stadt wird neu verteilt

Immer mehr Menschen zieht es in die Städte mit ihren spannenden Jobs, unzähligen Einkaufsmöglichkeiten, Kulturangeboten und Restaurants. Schätzungen gehen davon aus, dass bis 2050 rund 70 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben wird. Allein der Personenverkehr in den Städten wird sich bis 2050 verdoppeln. Gütertransporte, angefangen mit den Paketdiensten bis zum Lieferverkehr für Geschäfte und Restaurants, sind da noch gar nicht mit eingerechnet. Der öffentliche Nahverkehr und die Infrastruktur sind vielerorts jetzt schon am Limit. Um dem zunehmenden Verkehr, der damit einhergehenden Luftverschmutzung und Lärmemissionen den Kampf anzusagen und die Innenstädte lebenswerter zu machen, sehen sich die Städte gezwungen, über neue Verkehrskonzepte nachzudenken.

Demografische Schätzungen

70 %

der Weltbevölkerung wird bis 2050 in Städten leben – es gilt, über neue Verkehrskonzepte nachzudenken.

Der Trend geht weg vom Auto, hin zu mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer. Erste Ansätze zeigen sich weltweit. London verlangt in der gesamten Innenstadt zusätzlich zur Maut eine Abgasgebühr für Fahrzeuge, die gewisse Standards nicht erfüllen. Barcelona hat ältere Benziner und Diesel aus der Innenstadt verbannt und verkehrsfreie Inseln, sogenannte Superblocks, geschaffen. Wo einst Fahrspuren waren, stehen nun Bänke, Hochbeete und Bäume. Die Mariahilfer Straße im Zentrum von Wien wurde erst testweise, dann dauerhaft zu einem Shared Space, den sich Autos, Busse, Fahrräder und Fußgänger teilen. In Peking dürfen je nach Wochentag nur Autos mit bestimmten Kennzeichen in die Stadt fahren. New York, Los Angeles und Miami haben einzelne Blöcke komplett für den Autoverkehr gesperrt. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Die Richtung ist klar: Der Platz in der Stadt wird neu verteilt, und zwar zu Lasten des Autos.

Voraussetzungen für funktionierende Mobilitätsökosysteme

Um die nachhaltige Mobilität in Städten umzusetzen, muss der Nutzen für die Kunden im Fokus stehen. Zugleich müssen die Lösungen für Anbieter wirtschaftlich sein und die Städte vom Verkehr entlasten. Infrastruktur und Fahrzeuge effizienter zu nutzen, ist der Grundgedanke des CitySnap. 

Damit die Verkehrswende gelingt, müssen viele Partner ihren Beitrag leisten und an einem Strang ziehen: Die Hersteller etwa bauen die Hardware, Technologiekonzerne entwickeln digitale Anwendungen, Städte schaffen Infrastruktur und Energieversorger die Ladestationen. Nahverkehrsbetreiber sorgen für Fahrpläne und Taktung, Flottenbetreiber organisieren Parken, Reinigen und Tanken, Banken kümmern sich um die Finanzierung, Versicherer regulieren Schäden und so fort.

Funktionierende Mobilitätsökosysteme brauchen Koordination, Spielregeln und Vertrauen. Letzteres ist die Basis von allem. Wenn jeder nur auf sich schaut – die Energieversorger nur auf die Ladestationen, die Städte nur auf die Flächen oder die Parkhausbetreiber nur auf ihre App – entstehen lediglich Insellösungen, aber kein ineinandergreifendes Ökosystem. 

Erfolgsfaktor Koordination

Um das Zusammenspiel so vieler Akteure zu organisieren, braucht es offene Plattformen. Einer muss anfangen und möglichst viele Mitstreiter finden, um alle Funktionen abzudecken. Ist aber der Plattformbetreiber zu dominant, könnten andere Anbieter zurückschrecken – aus Angst, vereinnahmt zu werden und ihre Kundenbasis zu verlieren. 

Die Kunden warten nicht auf das nächste geschlossene System eines Anbieters. Sie wollen keine weitere App, sondern eine Lösung, die alle Daten vernetzt. Dafür müssen die Automobilkonzerne, Mobilitätsanbieter und weitere Partner mit anderen zusammenarbeiten. Alle müssen lernen, ihre Daten zu teilen, und erhalten im Gegenzug Informationen, die auch ihnen nützen. Wer eifersüchtig auf seinen Daten sitzt, hat zwar die volle Kontrolle, allerdings nur über einen sehr kleinen Kuchen. Denn letztlich ist der Kundenstamm jedes einzelnen Herstellers zu klein.

Erfolgsfaktor Spielregeln

Damit Pods, Skateboards, Ladestationen oder Service Hubs nahtlos koordiniert werden und viele Akteure zu einem Ökosystem beitragen können, sind klare Spielregeln unerlässlich. Verlässliche physische Standards und digitale Schnittstellen sind die Basis. Als Vorbild kann die Logistik von Seefrachtcontainern dienen, die eine ganze Branche revolutioniert hat. Seefrachtcontainer gibt es nur in zwei verschiedenen Größen. Reedereien, Logistikunternehmer, Händler und Kunden auf der ganzen Welt können sich auf diesen einheitlichen Standard verlassen.

Zu den Spielregeln gehört auch, dass Verantwortlichkeiten geregelt sein müssen. Wem gehören die Pods, das Skateboard oder die Batterie? Vermeintliche Nebensächlichkeiten wie Buchhaltung, Steuern oder die Gesellschaftsform können hier entscheidend sein. Ein Beispiel: Rechtlich ist es nicht praktikabel, dass etwa jedem Teilnehmer des Ökosystems ein Bruchteil des Fahrzeugs gehört. Bei der Anmeldung des Fahrzeugs will die Behörde einen Halter wissen. Niemand kann fünf Prozent Eigentum anmelden. Die Lösung könnte eine eigene Gesellschaft sein, der die Fahrzeuge gehören, während die Ökosystem-Mitglieder Anteile an der Gesellschaft halten oder ihr Anspruch im Gesellschaftervertrag geregelt ist.

Erfolgsfaktor Vertrauen

Sind immer mehr Akteure in die Produktions- und Lieferketten von Lebensmitteln, Kleidung oder sonstigen Konsumgütern eingebunden, spielen Sicherheit und Transparenz eine wichtige Rolle – sowohl für die beteiligten Firmen als auch für die Endverbraucher. Die dritte Voraussetzung ist daher Vertrauen.

Rinspeed ist das beste Beispiel für eine gelungene Kooperation, die auf Vertrauen und gemeinsame Spielregeln setzt. Die Schweizer Ideenschmiede hat sich für das Snap-Projekt viele Partner an Bord geholt – neben EY unter anderem Beleuchtungsspezialisten, Kameraexperten, Textildesigner und Paketstationen-Hersteller. Hätten alle mit ihrer Expertise und ihren Daten hinter dem Berg gehalten, wäre das Projekt gescheitert. Weil aber alle Partner im Glauben an das große Ziel gemeinsam viele kleine Schritte gegangen sind, ist es sowohl gelungen, ein seriennahes Fahrzeug auf die Straße zu bringen, als auch den Startschuss für den Aufbau eines zukunftsweisenden Ökosystems zu geben.

Fazit

Was als Kooperation unter Gleichgesinnten begann, ist zu einer Erfolgsgeschichte geworden, die zeigt: Mit den richtigen Partnern an der Seite kann man Visionen in die Realität umsetzen. Gemeinsam sind EY, Rinspeed und weitere Partner den Weg von einer revolutionären Idee bis zum serienreifen Fahrzeugmodell inklusive Geschäftsmodell gegangen. Damit die Verkehrswende gelingt, gilt es, das Mobilitätsökosystem der Zukunft erfolgreich weiter auszugestalten.

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Ist Stratege und Umsetzer für die Digitalisierung des Autos und die Mobilität von morgen.