Das Ende des Verbrenners im Jahr 2035 – oder?
Das erste und wohl auch publikumswirksamste Paket beinhaltet die künftigen CO2-Standards für Neufahrzeuge in Europa, etwa die Forderung, dass alle neu verkauften leichten Nutzfahrzeuge und Pkw ab 2035 emissionsfrei sein müssen. Das Paket beschließt also nicht direkt das Ende des Verbrenners, es gibt aber mit seinen Emissionszielen keinen Spielraum mehr für Fahrzeuge, die durch ihren Betrieb in der Nettobetrachtung Emissionen verursachen. Dabei wird es übrigens auch spannend für die Hybridfahrzeuge, die neben dem elektrischen Motor auch einen Verbrennungsmotor an Bord haben. Und bereits 2030 müssen die Emissionen um 55 Prozent reduziert werden – bevor dann eben die 100-prozentige Reduzierung ab 2035 greift. Offen bleibt derzeit noch eine weitere wichtige Komponente – die Diskussion um die neuen Euro-7-Grenzwerte, die bereits ab 2025 in Kraft treten könnten. Wie man der Presse entnehmen konnte, sehen viele Hersteller in Euro 7 bereits das Ende des Verbrenners bzw. bleibt die Erreichbarkeit der Grenzwerte aus deren Sicht fraglich. Es greift also zu kurz, nur über das Ende des Verbrenners im Jahr 2035 zu diskutieren; die strategische Fragestellung für alle Hersteller und damit auch für die angeschlossene Zulieferindustrie wird sein, wie schnell man sich von der Weiterentwicklung der Verbrennungsmotoren verabschiedet und ob dieser Abschied global im gleichen Tempo erfolgen wird.
Die Infrastruktur für alternative Antriebe wächst – schnell genug?
Eine weitere wesentliche Säule für den Verkehrssektor sind die Zielsetzungen zur „Alternative Fuels Infrastructure“: Standen 2019 EU-weit rund 165.000 öffentliche Ladepunkte für elektrische Fahrzeuge zur Verfügung, sollen es bis 2025 bereits 1 Million sein, bis 2030 4 Millionen und bis 2050 16 Millionen. Daneben sollen bis 2030 auf den wesentlichen Strecken der EU alle 150 Kilometer Ladepunkte für Wasserstoff zu finden sein. Die EU zielt hier neben den Pkw insbesondere auch auf den Fernverkehr mit Nutzfahrzeugen. Die Ausbauziele sind sportlich, bedenkt man die heutige Komplexität beim Ausbau durch verschiedene Zuständigkeiten und Gesetze, Bauvorschriften und nicht zuletzt Platzmangel in den Metropolregionen. Während die Ladepunkte einen unverzichtbaren Baustein für die gewollte Elektrifizierung des Verkehrs darstellen, ist die Frage der Umsetzungswahrscheinlichkeit doch kritisch zu hinterfragen – insbesondere im Lichte des Track Records der vergangenen Jahre. Ohne öffentliche Ladepunkte ist gerade in Städten und im Fernverkehr kein Umstieg auf die Elektromobilität möglich.
Verbrenner – schon lange vor 2035 weniger attraktiv?
Diverse Gründe könnten dafür sprechen, dass sich die Attraktivität des Verbrenners bereits vor 2035 drastisch verringert. Maßnahmen wie zum Beispiel das neu angedachte „Emission Trading System“, kurz ETS genannt, sind hier zu nennen. Bislang war der Verkehrssektor nicht in den Emissionshandel einbezogen. Nun soll ein separates neues System entstehen, das die Preise für CO2-intensivere Mobilität erhöhen wird. Dieses System wird auch auf den bestehenden Fuhrpark wirken, anders als die Emissionsgrenzwerte, die nur für Neufahrzeuge gelten werden. Zudem wird die Besteuerung aus der Energy Taxation Directive (ETD) dafür sorgen, dass der Benzinpreis steigen wird. Auch bisherige Steuererleichterungen, gerade das Dieselprivileg in Deutschland, stehen dann vor dem Ende, mit direkter Wirkung auf den Literpreis an der Tankstelle. Bedenkt man dann noch die gleichzeitigen Incentivierungen für elektrische Fahrzeuge wie die aktuelle Umweltprämie oder die Vorteile bei der Dienstwagenbesteuerung, wird sich die Attraktivität des Verbrenners für die Kunden in Europa schneller und immer weiter reduzieren. Das große Fragezeichen, ob all dies so eintreten wird, ist direkt an den Ausbau der Infrastruktur und die Verfügbarkeit ausreichend grüner Energie geknüpft, Denn nur wenn dies gewährleistet ist, handelt es sich um keinen Etikettenschwindel, sondern um eine tatsächliche Dekarbonisierung der Mobilität.
Eine Aufgabe des sozialen Ausgleichs
Einige Pakete spiegeln eine wesentliche Herausforderung dieser gesamten Transformation zur Klimaneutralität wider, nämlich die „Sozialverträglichkeit“. Viele der Pakete werden die Kosten für Energie, Mobilität und Gebäude erhöhen. Das ist Teil der Steuerungswirkung und gewollt. Auf der anderen Seite dürfen die Maßnahmenpakete nicht dazu führen, dass es zu einer noch stärkeren Spaltung zwischen reicheren und ärmeren Ländern in der EU kommt, wie auch in den einzelnen Ländern gewisse Themen die Gesellschaft spalten. Effort Sharing Regulation (ESR) oder auch der Social Climate Fund sollen hier eine ausgleichende Funktion übernehmen. Wichtig wird, dass Doppelbesteuerungen vermieden werden, also ganzheitliche Maßnahmen in den Ländern ergriffen werden, um auch die bestehende Besteuerung zielgerichtet umzugestalten: Entlastung für klimafreundliches Verhalten, Belastung für Klimaschädigung. Dazu wird es auch gehören, Teile der Einnahmen aus den höheren Abgaben wieder an die Bürger zurückzuspielen, wie im Social Climate Fund mit einem Volumen von rund 70 Mrd. Euro vorgesehen. Gespeist werden soll dieser Fonds zu rund 25 Prozent durch eine Quersubventionierung aus dem neuen Emissionshandel.
Klarheit wie auch Komplexität steigen für die Automobilbranche
Die Regelungen der EU werden gebraucht – für das Klima, aber auch um Klarheit zu schaffen. Unternehmen lieben Klarheit, hilft sie doch beim Planen und Gestalten der Strategie. Der Umbruch für die Automobilbranche hat schon längst begonnen und ist nach wie vor mit viel Unsicherheit verbunden – was gerade wegen der langfristigen Planungszyklen in diesem Sektor Probleme bereitet. Mit jeder politischen Setzung werden die Rahmenbedingungen klarer – man denke an unser Beispiel der Geschwindigkeit der Veränderungen in den letzten 12 Monaten. Für die global agierenden Unternehmen wird nun die Herausforderung sein, strategische Antworten zu geben: auf unterschiedliche Geschwindigkeiten in den aktuellen Klimazielen in unterschiedlichen Regionen der Welt, auf steigende Anforderungen an Klimaschutz, Menschenrechte und Nachhaltigkeit und auf die Anforderungen des Infrastrukturwandels. Die Frage der eigenen Position wird mit aller Dringlichkeit gestellt – und zwar jetzt und nicht erst in einigen Jahren.
Denn die Mammutaufgabe, die vor uns als Menschheit liegt, wird ohne gezielt eingesetzte wirtschaftliche Mechanismen und ein Umlenken von Unternehmen nicht zu bewältigen sein und auch in den Ländergemeinschaften keine breite Unterstützung finden. Und genau das ist es, worum es bei all diesen Maßnahmen am Ende gehen muss: ums Umsetzen, ums Handeln im Sinne unserer Welt, von der wir eben nur diese eine haben.