Unternehmen planen weiter IPOs. Was sind die neuen Realitäten, auf die sich Börsenaspiranten einstellen müssen?
Ganz vorne steht die geringe Planbarkeit des Kapitalmarktes. Zwar lässt sich ungefähr vorhersagen, wie sich die Märkte auf Basis makroökonomischer Trends langfristig entwickeln – zu erkennen, was in zwei Wochen an den weltweiten Börsen passiert, ist mittlerweile aber unmöglich. Diese hohe Volatilität wird für Börsenaspiranten gerade in der Woche der kritischen Platzierungsphase und der Emissionspreisfindung zur großen – unvorhersehbaren – Herausforderung.
In der Regel bereitet sich ein Unternehmen zwei Jahre darauf vor, IPO-ready zu werden. Es geht um Investments, viel Geld, aber auch um Mitarbeiter, Partner, Lieferanten und den guten Ruf. Wenn genau in der einen Woche, in der die Platzierungsphase geplant war, etwas Gravierendes auf der Welt passiert, steht plötzlich alles auf der Kippe. Während der Champagner bereits im Kühlschrank wartet, kommt auf einmal Selters auf den Tisch.
Wie reagieren Unternehmen in solchen Situationen?
Einige reduzieren das Platzierungsvolumen, um so die Verwässerung geringer zu halten. Andere entscheiden sich in letzter Minute für eine Verschiebung des Börsengangs oder sagen ihn sogar komplett ab. Das waren bisher die Standardwege.
Gibt es Strategien, um sich flexibel auf diese kritische Phase einzustellen?
Absolut. Emissionsprozesse und -konzepte können und müssen sich anpassen, um den neuen Realitäten Rechnung zu tragen und für Börsenkandidaten das Risiko in der Platzierungsphase zu senken. Neben dem klassischen Weg stehen mehrere andere Routen zur Verfügung. Die Wahl der alternativen Strategie hängt von der jeweiligen Situation ab: So kann ein global aufgestelltes Unternehmen mit Bekanntheitsgrad ein Direct Listing anvisieren. Auch wer bereits vor dem Börsengang ein Mindestmaß an Streubesitz, also „Free Float“ einer hohen Investorenschar besitzt, kann diesen Weg einschlagen.
Was, wenn man sich den Ruf bei Investoren erst noch erarbeiten muss?
Dann kann ein Safe IPO die passende Strategie sein. Ziel ist es, vor Börsengang genug „Free Float“ zu generieren, indem die Aktienplatzierung entweder vor dem IPO erfolgt oder nachdem man sich am Kapitalmarkt positioniert hat.
Eine andere Möglichkeit ist der Indirect IPO. Hier wird der Schritt aufs Börsenparkett durch den Zusammenschluss mit einem bereits börsennotierten „Akquisitionszweckunternehmen“, ein sogenanntes SPAC (Special Purpose Acquisition Corporation) sicher vorangetrieben, indem das Unternehmen von der direkten Nutzung des verfügbaren Kapitals und der vorhandenen Börsennotiz profitiert.
Wie sieht es bei Fusionen oder der Abspaltung von Einheiten aus?
Der Kandidat kann im Zuge eines Reverse IPO mit einer börsennotierten Gesellschaft im eigenen oder nahen Sektor fusionieren oder eine Akquisition durchführen. Eigentümer erhalten dabei börsennotierte Aktien am fusionierten Unternehmen ohne das Platzierungsrisiko im IPO-Prozess zu tragen.
Für Tochtergesellschaften oder Unternehmenseinheiten von bereits börsennotierten Konzernen ist der Carve-out-IPO eine Option. Hier kann das Transaktionsrisiko durch eine Spiegelung der Aktionärsstruktur der Muttergesellschaft herausgenommen werden – unabhängig vom Kapitalmarkt.
Und auch IPO Bonds sind eine Möglichkeit. Hier nutzen Börsenkandidaten eine IPO-Wandelschuldverschreibung oder IPO-Optionsanleihe, um zum Zeitpunkt des geplanten Börsengangs neue Aktionäre zu bekommen und Streubesitz zu schaffen. Mit der Handelsaufnahme der geschaffenen Aktien wird der Börsengang dann realisiert.
Aber ist es denn überhaupt sinnvoll im volatilen Umfeld den Schritt an die Börse zu wagen? Oder sollten Unternehmen ruhigere Zeiten abwarten?
Längerfristiges Abwarten ist für viele Unternehmen nicht die beste Lösung. Wachstum muss finanziert werden und für die Realisierung von Innovationen und das Erreichen von Marktanteilen ist Schnelligkeit erfolgskritisch. Volatilität ist die neue Normalität. Sind Unternehmen gut vorbereitet, können sie kurzfristig öffnende IPO-Fenster nutzen
Gibt es einen IPO-Fahrplan für volatile Zeiten?
Vermeiden lassen sich Risiken in der kritischen Platzierungsphase beim IPO nicht, eindämmen schon. Ein Patentrezept gegen Volatilität gibt es nicht. Vielmehr können zum Beispiel ein Plan B und die aufgezeigten Alternativen für den Weg an die Börse individuell bewertet werden. .Deshalb müssen Unternehmen von Anfang an Wege finden, mit den stärkeren Unsicherheiten umzugehen.