Der BFH äußert sich in einem aktuellen Fall eines Lohnfertigers zum Verhältnis des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und § 1 Abs. 1 AStG und spricht sich in Abgrenzung zu seinem Urteil aus 2019 für ein Vorrangverhältnis der Einkünftekorrekturnormen aus. Danach tritt § 1 Abs. 1 AStG grundsätzlich zurück. Zudem äußert sich der BFH ausführlich zur Ermittlung des Preises im Rahmen der Kostenaufschlagsmethode, dem Einsatz von Datenbankstudien, der Zurechnung von Standortvorteilen bzw. Größenvorteilen beim Einkauf sowie zu den Unterschieden von vGA und § 1 AStG und sieht in der Übertragung einer Kundenbeziehung keine Funktionsverlagerung. Das Urteil ist für vergleichbare Verrechnungspreissachverhalte von enormer Relevanz.
Der BFH hatte einen Fall (Streitjahre 2011 bis 2013) eines sog. Lohnfertigers zu entscheiden. Kostenintensive Fertigungsprozesse einer deutschen GmbH wurden auf ihre im Jahr 2008 gegründete ausländische Schwesterkapitelgesellschaft (Bosnien-Herzegowina) verlagert. Die deutsche GmbH lieferte das für die Produktion benötigte Material zum Selbstkostenpreis an die ausländische Gesellschaft (Materialverkauf) und erwarb die daraus gefertigten Waren für den Verkauf an ihre Endkunden (Wareneinkauf). Die Preise für die gefertigten Waren wurden anhand einer Deckungsbeitragsrechnung ermittelt. Die ausländische Gesellschaft hatte keinen eigenen Vertrieb; diese erzielte lediglich ab 2013 eigene Umsätze mit einer Fremdfirma P. Diese war ein ehemaliger Kunde der deutschen GmbH.
Der BFH hat sich nun zum einen zum durchgeführten Fremdvergleich zur Ermittlung der Preise für den Erwerb der gefertigten Waren geäußert (i). An dieser Stelle bezieht der BFH zum Verhältnis der Korrekturnormen des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG (vGA) und des § 1 Abs. 1 AStG Stellung. Zum anderen äußert sich der BFH zu der Frage, ob es sich bei der Verlagerung der Kundenbeziehung um eine Funktionsverlagerung handelt (ii). Zuletzt nimmt der BFH zu den Materialverkäufen der deutschen GmbH Stellung, mit deren Hilfe die bosnische Schwestergesellschaft ihren neu gewonnenen Kunden P beliefert (iii). Aufgrund von Rechtsfehlern in der vorgenommenen Fremdvergleichsprüfung hat der BFH die Entscheidung an das FG zur erneuten Prüfung zurückverwiesen (BFH-Urteil vom 09.08.2023, I R 54/19).
(i) Der BFH hatte erstmals Gelegenheit, über das Konkurrenzverhältnis von vGA und § 1 AStG unter der Ägide des mit dem Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 eingefügten § 1 Abs. 1 Satz 3 bzw. 4 AStG zu entscheiden. Hiernach sind „die weitergehenden Berichtigungen neben den Rechtsfolgen der anderen Vorschriften durchzuführen“. Dies ist laut BFH so zu verstehen, dass § 1 Abs. 1 AStG gegenüber anderen Einkünftekorrekturvorschriften (hier: § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) grundsätzlich zurücktritt. § 1 Abs. 1 AStG komme daher nur dann (subsidiär) zur Anwendung, wenn die andere Norm Berichtigungen nur in einem geringeren Umfang zulasse. Damit sei § 1 Abs. 1 AStG nur dann und nur insoweit anzuwenden, als mit dieser Rechtsgrundlage eine weiterreichende Einkünftekorrektur – d.h. eine Korrektur der Höhe nach – ausgelöst wird. Dieser Auslegung folge auch die Finanzverwaltung in ihren VWG VP 2023 (BMF-Schreiben vom 06.06.2023, Rz. 1.3, 1.4) und wird zudem durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. Für die Altfassung des § 1 AStG hatte der BFH (Urteil vom 27.11.2019, I R 40/19) noch anders entschieden. Zusätzlich führt der BFH aus, dass bei einer vGA von dem günstigsten Wert innerhalb einer Bandbreite fremdüblicher Preise auszugehen sei. Bei § 1 Abs. 1 AStG müsse hingegen gegebenenfalls die Bandbreiteneinengung gemäß § 1 Abs. 3 Satz 3 AStG a.F. beachtet werden. Dies habe eine potenziell weitergehende Berichtigung zur Folge.
Im Rahmen der Fremdvergleichsprüfung der Höhe nach beanstandet der BFH die vom FG angewandte Kostenaufschlagsmethode zwar im Grundsatz nicht, da diese regelmäßig bei der Lohnfertigung verwendet werde. Allerdings weist der BFH auf die Preisvergleichsmethode als vorrangige Methode der Fremdvergleichsprüfung hin. Das FG soll deshalb im Rahmen seiner erneuten Prüfung erwägen, ob die Preiskalkulation der ausländischen Gesellschaft für die an den Kunden P veräußerten Produkte als Basis eines Fremdvergleichs herangezogen werden kann. Falls sich diese nicht eigne, soll danach die Kostenaufschlagsmethode anzuwenden sein. Allerdings seien hierbei die Kosten für das erworbene Material zur Herstellung der Waren nicht in die Kostenbemessungsgrundlage einzubeziehen, da es sich zumindest im vorliegenden Fall einer reinen Lohnfertigung nicht um wertschöpfende Kosten handele. Der BFH bestätigt insoweit zutreffend die für (funktionale) Lohnfertiger nach Schrifttum und Verwaltungsauffassung anzuwendenden Grundsätze. Im Umkehrschluss gilt dies nicht für typische Auftragsfertiger, da bei diesen in der Materialwirtschaft des Herstellers in vielen Fällen durchaus erhebliche eigene Wertschöpfungsbeiträge liegen können. Leider greift der BFH in seiner Begründung nur den strategischen Beschaffungsprozess als einen von mehreren Wertschöpfungstreibern der Materialwirtschaft heraus und lässt auch eine differenzierte Betrachtung der möglichen Ausprägungen einer zentralen Einkaufsfunktion vermissen (der BFH unterstellt in seinen Ausführungen offensichtlich einen strategischen Zentraleinkauf mit mehr als Routinefunktionen). Zudem gibt der BFH dem FG auf zu ermitteln, welche Kosten im Einzelnen in die Kostenbemessungsgrundlage einfließen müssen. Hierbei hält er die Berücksichtigung von Plankosten aufgrund der notwendigen ex-ante Betrachtung als am ehesten geeignet. Die Heranziehung von Ist-Kosten sei dagegen erläuterungsbedürftig.
Hinsichtlich des Kostenaufschlagssatzes weist der BFH auf inhaltliche Mängel der Vorinstanz hin. Eine Berücksichtigung des Standortvorteils in diesem Zuge befürwortet der BFH im Grundsatz und räumt einer konkret sachbezogenen Aufteilung einer pauschalen hälftigen Aufteilung des Standortvorteils den Vorrang ein (entgegen FG Münster, Urteil v. 16.03.2006, 8 K 2348/02 E). Jedoch kritisiert der BFH, dass das FG den Grundaufschlagssatz des Finanzamts i.H.v. 10 Prozent übernommen hat, obwohl das Finanzamt sich hierbei nur auf Presse- und Internetartikel sowie „allgemeine Erfahrungen“ stützte. Diese seien für das Führen eines Fremdvergleichs nicht ausreichend. Diese Klarstellung durch den BFH ist zu begrüßen. Der BFH weist das FG stattdessen an, im Rahmen seiner erneuten Prüfung den Aufschlagssatz - sofern keine vergleichbaren betriebsinternen Gewinnaufschlagssätze zur Verfügung stehen - auf Basis von Datenbankstudien zu ermitteln. Die Geeignetheit von Datenbankstudien für die Ermittlung von Fremdvergleichswerten wird in diesem Urteil erstmals ausdrücklich vom BFH bestätigt, wobei das Gericht sich hierfür ggf. eines Sachverständigen bedienen wird müssen.
(ii) Die Übertragung der Kundenbeziehung stellt laut BFH keine Funktionsverlagerung dar. Der Senat äußert Zweifel daran, dass eine kausale Beziehung zwischen der Funktionseinschränkung beim abgebenden und der Funktionsausübung beim aufnehmenden Unternehmen vorliegen muss; er sieht die Funktionseinschränkung im Inland als unerheblich an. Entscheidend sei vielmehr, ob ein fremder Dritter bereit gewesen wäre, für die Funktion als Ganzes ein Entgelt zu bezahlen. Da im Streitfall jedoch keine Funktion vorlag, weil die Produktion für den Kunden P keine eigenständige Produktion und somit kein organischer Teil des Unternehmens war, brauchte der BFH die Frage nicht abschließend zu entscheiden. Allerdings könnte im vorliegenden Fall nach Auffassung des BFH auch die unentgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts (hier: der Kundenbeziehung zu Kunde P) vorliegen und eine vGA auslösen. Auch dies hat das FG im zweiten Rechtsgang zu prüfen.
(iii) Der BFH äußert sich zuletzt noch zu den Materialverkäufen, die die deutsche GmbH an die bosnische Schwestergesellschaft tätigt, damit diese ihre Produkte für den Neukunden P fertigen und liefern kann. Hier sieht der BFH zunächst die Preisvergleichsmethode (Einkaufspreis) als geeignete Methode an. Gleichzeitig sieht der BFH im Einklang mit dem FG die Notwendigkeit für einen Aufschlagssatz. Dieser soll die getätigten Aufwendungen, den – bei Weiterreichung zum Einkaufspreis – fehlenden Gewinn und die der deutschen Gesellschaft zuzurechnenden Größenvorteile beim Einkauf abbilden. Die Ermittlung dieses Aufschlagssatzes hat der BFH nicht näher kommentiert, weil dieser einerseits (zugunsten der Klägerin) sehr niedrig bemessen und als Mindestsatz jedenfalls möglich gewesen sei.
Der Volltext des Urteils steht Ihnen auf der Internetseite des BFH zur Verfügung.
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