Während sich die Anforderungen an die Versicherer bezüglich der ESG-Berichterstattung an eine breitere Gruppe von Stakeholdern derzeit stark verändern, glauben wir, dass vor allem vier Kennzahlen einige der Risiken erfassen, die mit dem Klimawandel und der umfassenden Umweltagenda in Zusammenhang stehen:
- Total Shareholder Return
- Markenwert
- ökonomisches Eigenkapital
- Gesamtkapitalrendite
Diese vier Kennzahlen stellen unserer Meinung nach ein Barometer dar, das die Exponierung gegenüber Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel und der öffentlichen Wahrnehmung, die die Wertentwicklung der Versicherer in den nächsten 3 bis 18 Monaten bedrohen, recht genau und umfassend misst. Es sei aber noch einmal gesagt: Weitere Kennzahlen sind notwendig, um die soziale und die Governance-Komponente der Wertschöpfung zu bewerten.
Weshalb glauben wir, dass diese Kennzahlen derzeit am ehesten dazu dienen, die öffentliche Wahrnehmung des Einsatzes der Branche für Nachhaltigkeit zu messen? Hier sind einige Gründe:
- Sie sind pragmatisch und praxisgerecht.
- Sie sind allgemein anerkannt.
- Einige Versicherer ermitteln und berichten sie bereits.
- Sie werden oftmals im Rahmen von Standardprüfungsverfahren abgesegnet.
Sie lassen sich auch leicht in Unterkennzahlen zerlegen, um die Unternehmen auf Herz und Nieren zu prüfen. Außerdem lassen sie sich mit nichtfinanziellen Kennzahlen abgleichen und bieten verschiedenen Interessengruppen einen Überblick über die Lage. Zudem tragen sie mehreren Zeithorizonten und verschiedenen Interessengruppen Rechnung und spiegeln auch kurzfristige Wertvernichtung und -sicherung wider.
Da Finanzkennzahlen auch künftig in der Kommunikation mit den Stakeholdern dominieren werden, dürften sie auch eher angenommen werden. Um anspruchsvollere „hybride“ Kennzahlen zu entwickeln, die die Beziehungen zwischen ESG- und finanzieller Performance genau und glaubwürdig spiegeln, bedarf es mehr Zeit. Solche Kennzahlen über Versicherer werden gleichwohl nur eine begrenzte Bedeutung haben. Allerdings werden Versicherer diese Daten für Investitionsentscheidungen und im Underwriting nutzen können, sobald die Standards festgelegt sind. Dies ist ein iterativer Prozess, an dem viele Branchen beteiligt sind.
Total Shareholder Return
Diese Kennzahl schließt alle Zeithorizonte ein – von Minuten (z. B. Handelsvolumen, Kursschwankungen) bis zu Jahren und Jahrzehnten (z. B. die gesamte Dauer der Börsennotierung eines Versicherers). Außerdem bezieht sie die langfristigen Wachstumsaussichten eines Unternehmens, die Widerstandsfähigkeit, Reputation, Innovationsbereitschaft, die Fähigkeit, Verbraucher-, Gesellschafts- und Umweltbelange zu berücksichtigen und behördliche Auflagen zu erfüllen, umfassend mit ein.
Eines der drängendsten Themen für die Führungsebene ist derzeit das ESG-Rating, das ein Unternehmen von Aktienanalysten erhält. Es stellt ein großes Problem dar, wie uneinheitlich diese Bewertungen zustande kommen. Die Bedenken sind berechtigt, zumal sich diese Einstufungen auf den Aktienkurs und das Interesse der Anleger auswirken können (so werden institutionelle Anleger möglicherweise aufgrund ihrer neuen ESG-Richtlinien von einer Anlage absehen). Viele Führungskräfte in der Versicherungsbranche befürchten, dass schlechte oder auch nur mittelmäßige ESG-Ratings sie im Vergleich zu ihren Konkurrenten schlecht aussehen lassen und zu Kursverlusten führen.
ESG-Ratings sind ein wichtiges Kriterium für die Aufnahme in ESG-Indizes (z. B. DJSI, MSCI). In den letzten zwölf Monaten haben sich die Zuflüsse in „grüne“ aktive Fonds und ETFs im Vereinigten Königreich und auf anderen Märkten verfünffacht. Aktien, die in diese Art von Fonds aufgenommen werden, verzeichnen in der Regel einen Kursanstieg. Wer hier nicht dabei ist, dem droht eine schlechtere Performance im Vergleich zu seinen Mitbewerbern.
Da immer mehr Anleger ESG-Kriterien in ihre Anlageentscheidungen einbeziehen, dürften die Aktien von Unternehmen, die diese Kriterien erfüllen, hinzugewinnen. Auf kurze und mittlere Sicht dürfte die Kursentwicklung also ein guter Gradmesser dafür sein, wie gut einzelne Versicherer ihre ESG-Daten und ihre Vorhaben präsentieren.
Wir sind überzeugt, dass Unternehmen, die eine langfristige Wertschöpfung anstreben, den Anlegern langfristig auch bessere Renditen bieten. Der Total Shareholder Return ist für sich genommen ein nützlicher Indikator, doch die Probleme bei der Zerlegung in Teilindikatoren sind bekannt. Die folgenden drei Kennzahlen weisen eine gewisse Korrelation zum Total Shareholder Return auf und lassen sich leichter in die zugrunde liegenden treibenden Kräfte zerlegen.
Markenwert
Der immaterielle, aber messbare Markenwert kann als Maßstab für die langfristige Wertschöpfung herangezogen werden. Er ist unmittelbar mit dem Shareholder Value korreliert. Der Unternehmenswert verhält sich ähnlich wie der Markenwert. Marken werden strategisch aufgebaut, um eine starke Wahrnehmung und positive Assoziationen (z. B. Vertrauen und Zuversicht) bei Investoren, Kunden und Mitarbeitern zu schaffen. Dies schlägt sich in der finanziellen Performance sowohl beim Umsatz als auch beim Gewinn und in der Preisgestaltungsmacht nieder.
In der Wahrnehmung von Versicherungen dominieren in der Regel Attribute wie Finanzkraft, Stabilität und Beständigkeit. Eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Geschäftspolitik, worunter auch Transparenz und Rechenschaftspflicht fallen, kann die bisherige Positionierung hervorragend ergänzen.
Umgekehrt können Unternehmen, die sich nicht glaubwürdig für eine umweltfreundlichere Wirtschaft, Vielfalt in der Belegschaft, ethische Geschäftspraktiken und eine gerechtere Gesellschaft einsetzen, mit Gegenwind in der Öffentlichkeit und verstärkter behördlicher Kontrolle rechnen. Dem folgen wahrscheinlich schlechtere Ratings und letztlich ein Rückgang des Unternehmenswerts. Mit anderen Worten: Geschädigte Marken können zu sinkenden Aktienkursen führen.
Marken sind für Unternehmen gerade deshalb so wertvoll, weil sie auch für andere Interessengruppen wie Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten und Partner von Bedeutung sind. Entsprechende Bewertungen werden zwar oft als „weiche“ Kennzahlen bezeichnet, sie sind jedoch messbar und werden im Zeitalter von ESG immer wichtiger, um den Unternehmenswert zu ermitteln.
Ökonomisches Eigenkapital – einschließlich eingebetteter Wertkennzahlen und gleichwertiger regulatorischer und buchhalterischer Messgrößen
Der Zeithorizont des Versicherungswesens ist aufgrund der Art der Risiken, die durch die Policen abgedeckt werden, zwangsläufig langfristig. Aufgrund der kurzfristigen Ausrichtung alter Rechnungslegungsstandards legen die Versicherer seit einiger Zeit verschiedene Non-GAAP-Kennzahlen (einschließlich Market Consistent Embedded Value und Eigenmittel nach Solvency II) offen, um Aktionären ihr ökonomisches Eigenkapital (Economic Net Worth, ENW) und ihre Fähigkeit zur langfristigen Wertschöpfung darzustellen. Mit der Einführung von IFRS 17 im Jahr 2023 werden die Anleger auch in der Lage sein, eine GAAP-Messung des ENW abzuleiten.
Das Wachstum des ENW im Laufe der Zeit ist ein guter Indikator dafür, ob ein Unternehmen seinen Wert langfristig steigert oder schwächt. Wir beobachten jedoch, dass sich das Risiko- und Ertragsprofil sowohl auf der Aktiv- als auch auf der Passivseite infolge von ESG-Erwägungen erheblich verändert. Daher erwarten wir, dass sich der Bewertungsansatz noch weiterentwickeln wird.
Auf der Aktivseite, insbesondere bei Lebensversicherern, führt die zunehmende Fokussierung auf ESG zur Notwendigkeit, die Portfolios neu zu gewichten. Die Kunden erwarten in zunehmendem Maße eine sozial verantwortliche Anlagepolitik. Vor kurzem haben die Treuhänder eines großen britischen Pensionsfonds bei der Vergabe eines großen Buy-out-Geschäfts die ESG-Richtlinien berücksichtigt und sich Gedanken darüber gemacht, wie sie den Rentenempfängern in den nächsten 30 Jahren und darüber hinaus am besten gerecht werden können. Auch muss der Druck berücksichtigt werden, Vorschriften einzuhalten und Strategien zu entwickeln, um ein positives ESG-Rating zu gewährleisten und den Markenwert zu erhalten. Natürlich muss der Aktienkurs ebenfalls bedacht werden. Änderungen im Anlageportfolio und in der Anlagepolitik werden jedoch Auswirkungen auf die Wertschöpfung und den Werterhalt haben, die in den nächsten 10 bis 50 Jahren spürbar sein werden.
An erster Stelle steht das Engagement im „braunen“ Sektor. Die Versicherer müssen einen Zeitplan und ihre Vorgehensweise festlegen, um die Netto-null-Ziele bis 2050 zu erreichen, wobei manche den Zeitpunkt vielleicht vorziehen wollen. Es muss eine Entscheidung getroffen werden, ob man gewisse Positionen bis zum Ende hält oder bewusst aussteigt. Um den richtigen Kurs zu wählen, müssen die Versicherer den künftigen Wert dieser Vermögenswerte einem Stresstest unterziehen. Wir gehen davon aus, dass das ökonomische Eigenkapital durch revidierte zukunftsorientierte Annahmen über den risikobereinigten Wert brauner Vermögenswerte beeinflusst wird, was im Laufe der Zeit diejenigen Unternehmen bestrafen würde, die sich am langsamsten umstellen.
Hinzu kommt, dass Mark Carney, ehemaliger Vorsitzender der Bank of England und UN-Sonderbeauftragter für Klimaschutz und Finanzen, der Branche eine entscheidende Rolle bei der Finanzierung langfristiger Projekte im Bereich erneuerbare Energien zuschreibt. Versicherer, die diese Rolle annehmen, müssen einen tiefen Einblick in ihre prognostizierten Renditen und Amortisationszeiten haben und sich auf ihre Prognosen verlassen können. Aufgrund der langfristigen und illiquiden Natur dieser Investitionen eignen sie sich hervorragend für die Deckung langfristiger Verbindlichkeiten, was bei der Berechnung des ökonomischen Eigenkapitals häufig honoriert wird. Unternehmen, die mit diesem Trend gehen und ein tiefes Verständnis für die Risikoprofile dieser Investitionen entwickeln, werden den Beitrag zum Wachstum des ökonomischen Eigenkapitals besser nachweisen können.
Auf der Passivseite, insbesondere bei den Schaden- und Unfallversicherern, sehen wir einen ähnlichen Druck, bei der Auswahl der Projekte, Branchen und Unternehmen, die sie versichern wollen, selektiver vorzugehen, um die erklärten Netto-null-Ziele zu erreichen. In einigen Fällen werden Branchen gänzlich zur Debatte stehen. So haben bereits mehrere Unternehmen öffentlich erklärt, dass sie sich aus der Versicherung bestimmter Risikopools zurückziehen wollen (z. B. Kohlekraftwerke).
Häufig werden diese Entscheidungen im Underwriting jedoch nicht so eindeutig sein und es werden flexiblere Instrumente benötigt. Wie auf der Aktivseite werden „braune“ Kunden und Branchen in Zukunft ein anderes versicherungstechnisches Risikoprofil haben als in der Vergangenheit. „Grüne“ Kunden und Branchen werden den Unternehmen, die diese Risikoprofile am besten verstehen, neue Gewinnquellen im Underwriting eröffnen.
Sowohl bei den Aktiva als auch den Passiva sollten die Unternehmen die Art und Weise, wie sie ihre aktuellen Werte messen, überprüfen, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sich die Risikoprofile und Zukunftserwartungen als Reaktion auf die Klimaschutzmaßnahmen verändern. Auf dieser Grundlage können sie eine solide Bewertung ihres aktuellen ökonomischen Eigenkapitals vornehmen. Außerdem sollten sie neue Daten, Annahmen und Bewertungstechniken für umweltfreundliche Vermögenswerte und Verbindlichkeiten hinzuziehen, die sich auf die langfristige Wertschöpfung auswirken.
Gesamtkapitalrendite
Der kapitalintensive Charakter des Versicherungsgeschäfts ergibt sich aus dem Bedarf an hohen Rückstellungen für die vielfältigen übernommenen Risiken, die über ein breites Spektrum von Zeithorizonten laufen (z. B. Langlebigkeit, Sterblichkeit, Morbidität und klimabedingte Risiken). Die Gesamtkapitalrendite (Return on Capital, ROC) misst die Fähigkeit, Risiken effektiv zu zeichnen, zu bepreisen und zu verwalten, um positive Renditen zu erzielen.
Viele Versicherer verfügen bereits über eine ausgefeilte Risikomodellierung, die häufig durch aufsichtsrechtliche Kapitalanforderungen vorgeschrieben ist, und führen Stresstests für die wichtigsten Risikofaktoren durch, um eine angemessene Kapitalausstattung zu gewährleisten. Die risikobasierten Eigenkapitalanforderungen sind ein guter Indikator für die Exponierung gegenüber „Tail-Risiken“, und die Unternehmen, die imstande sind, eine positive Gesamtkapitalrendite zu erwirtschaften, sind oft am besten in der Lage, beim Underwriting diese Risiken mit einzupreisen.
In der Branche wächst die Bereitschaft, Klimarisiken (einschließlich physischer Risiken und Übergangsrisiken) in die unternehmensinternen Kapitalmodelle aufzunehmen. Auch die Aufsichtsbehörden wollen Tests von Klimaszenarien einführen. Wir gehen davon aus, dass sich die Daten zu den Klimaauswirkungen und -exponierungen erheblich weiterentwickeln werden und dass die Gesamtkapitalrendite zunehmend zu einem wichtigen Gradmesser für den Erfolg eines Versicherers beim Management seiner Risiken wird.